𝐗𝐗𝐗𝐈𝐗
☽ ⋆ 𝐋 ⋆ ☾
Der Wecker klingelte laut und ich erschrak genug, um zusammenzuzucken. Ich tastete blind nach meinem Handy, fand es nicht, öffnete unweigerlich die Augen und blinzelte gequält gegen das gefilterte Vorhang-Licht. Dann sah ich mein Handy und brauchte ein paar Sekunden zu lang, um zu kapieren, was falsch lief. Der Wecker hatte Zayns Gesicht.
»Fuck.«
Mit leichtem Stöhnen auf den Lippen hob ich das Handy vom Boden auf, warf einen vorsichtigen Blick zu Harry herüber.
Er war nicht da.
»Oh fuck!« Ich setzte mich auf, nahm Zayns Anruf an. »Zayn?«, fragte ich – und bereute sofort, mich nicht geräuspert zu haben. Ich holte es nach.
»Schläfst du noch?!«, kam es vom anderen Ende der Leitung und ich war schon auf den Füßen.
»Ja. Du redest mit meinem Anrufbeantworter.« Meine Beine waren warm und schwach, aber ich kämpfte mich in den Flur vor. Harry war nicht in der Küche. Fuck, fuck, fuck.
»Louis, bist du wirklich noch zuhause?«, fragte Zayn ungläubig weiter. »In zwei Minuten beginnt das Seminar!«
»Was?!« Ich riss das Handy vom Ohr, suchte nach der Uhrzeit. 7:58 Uhr. 59. Ah fuck. »Ich hab verschlafen!«, erklärte ich mit dem Mikro wieder in Reichweite.
»Ach. Wirklich?«
»Zayn, halt den Mund! Ah, Gott, ich Idiot. Wieso ruiniere ich alles?« Ich kam vor der Badtür zum Stehen. Bitte, bitte, bitte.
»Ein bisschen überdramatisch, findest du nicht? Dann hast du eben deinen Fehltermin. Du hast den Wecker überhört. Es gibt Schlimmeres.«
Oh ja. Es gab sehr viel Schlimmeres. Zum Beispiel potentielle Leere hinter dieser geschlossenen Badtür. »Ich habe ihn nicht überhört, ich habe vergessen, ihn zu stellen.« Ich hob die linke Hand und wollte schreien.
»Okay, Louis, ich muss jetzt auflegen. Geht los.«
Ich antwortete nicht. Meine Knöchel trafen die Tür und ich ließ das Handy sinken. »Harry?«, fragte ich und obwohl ich die zittrige Hoffnung eben noch beängstigend heiß in meiner Brust gespürt hatte, musste ich ihren Klang in meiner Stimme hassen.
Mein Herz fiel Meilen, als die Tür aufging. »Ja?«
Zayns Stimme sagte etwas Lautes aus meinem Handy, ich legte auf. Wieder wollte ich Harry umarmen. Vielleicht vor Erleichterung ein bisschen weinen. »Harry«, sagte ich mit befreitem Brustkorb und hinderte mich an jeder weiteren Erläuterung meiner wackeligen Stimme.
»Hallo Louis.«, begrüßte er mich mit einem Lächeln. Aber als meine Angst sich langsam mit jeder Welle meines Pulses weiter aus meinem Hals zurückzog, wurde mir klar, dass auch Harry...erleichtert aussah..? Erleichtert oder aufgeregt oder erschrocken – auf jeden Fall anders. Seine Augen waren groß, die Wangen rot; nicht auf normale Weise, sondern spontaner, skandalöser. Wahrscheinlich hatte ich ihn einfach überrascht – was auch immer er im Bad gerade getan hatte. Ich wollte den Anblick trinken und nicht wieder hergeben; Harry ohne Schutzmauer, Harry ohne kalkuliertes Verhaltensprotokoll. »Ist alles gut?«
Kurze, stumme Wortatmung meinerseits, wie ein Fisch. Dann räusperte ich mich nochmal und wusste plötzlich, wie verschlafen ich aussah. Mein Handy gab ein leises Pling von sich. »Ja. Ja, alles okay.«, stammelte ich drauf los. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören, ich war nur- Ja, alles gut. Tut mir leid.« Noch ein Pling und blind schaltete ich mein Handy leise. »Ich habe gestern den Wecker vergessen. Aber alles gut. Mach weiter. Ich...ich ziehe mich an.«
Harry nickte, aber zog die Tür hinter sich zu, ohne selbst im Bad zu verschwinden. »Ich bin schon fertig.«, verkündete er munter und wartete darauf, dass ich mich bewegte. Für eine Sekunde froren meine Muskeln aneinander fest. Ich würde mich garantiert nicht vor Harry umziehen. Dann klickte es auch in meinem Gehirn. Wenn Harry aus dem Bad raus war, konnte ich rein. Was auch gut war, denn so wenig ich jetzt noch ändern konnte, dass ich Chaucer verpasste, wollte – musste – ich doch pünktlich zu Satire und der Roman sein, und zwischen den beiden Veranstaltungen war keine lange Pause. Ich sollte nicht trödeln.
Also gewährte ich Harry seine Möglichkeit zur Bewegung, pflückte mir willkürlich frische Kleidung aus dem Schrank und verschwand dann im Bad. Es war eine flüchtige Morgenroutine und ich stellte mich schon darauf ein, gleich auf meinen Tee zu verzichten und anstelle von Porridge nur kalte Milch mit Haferflocken zu essen. Aber trotzdem wollte die Erleichterung meinen Kopf nicht erschweren. Für eine Minute war ich wirklich überzeugt gewesen, dass Harry wieder verschwunden war. Aber nein. Wir hatten entdeckt, dass wir einander als Kinder begegnet waren, ein bisschen darüber geredet und hatten es überstanden. Noch nicht perfekt und sehr stark ausbaufähig, aber es war ein Anfang.
Als ich zurück war, öffnete Harry ein Fenster. Fast hätte ich laut gelacht. Es war offen gewesen, als ich gegangen war, was bedeutete, dass Harry es mindestens einmal wieder geschlossen hatte, um es wieder zu öffnen. Er schien wirklich noch nie Fenster wie meine bedient zu haben. Auch wenn das vielleicht ein Zeichen für etwas ganz und gar nicht Gutes war, konnte ich nicht unterdrücken, es ein bisschen niedlich zu finden. Ihn, in der Situation. Ich holte mein Handy und ließ ihn alleine mit dem Fenster. Frühstück durfte ich ihm sowieso nicht anbieten.
Haferflocken und Milch waren unbefriedigend, aber den Wasserkocher nicht für den Tee anzuschalten, war wirklich schwer erträglich. Wasser würde hinhalten müssen. Als ich endlich saß und die ungewöhnlich zähen Haferflocken in meinen Mund löffelte, checkte ich mein Handy. Eine Entscheidung, die ich sofort bereute.
𝗢𝗵 𝗺𝗲𝗶𝗻 𝗚𝗢𝗧𝗧
𝗗𝘂 𝘀𝗰𝗵𝗹ä𝗳𝘀𝘁 𝗺𝗶𝘁 𝗛𝗮𝗿𝗿𝘆?!?
𝗛𝗮𝗿𝗿𝘆 𝗛𝗮𝗿𝗿𝘆??
𝗨𝗻𝗱 𝗱𝘂 𝗵𝗮𝘀𝘁 𝗲𝘀 𝗺𝗶𝗿 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗲𝗿𝘇ä𝗵𝗹𝘁????
𝗜𝗰𝗵 𝘄𝘂𝘀𝘀𝘁𝗲 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗺𝗮𝗹, 𝗱𝗮𝘀𝘀 𝗱𝘂 𝗻𝗼𝗰𝗵 𝗞𝗼𝗻𝘁𝗮𝗸𝘁 𝘇𝘂 𝗶𝗵𝗺 𝗵𝗮𝘀𝘁!
𝗞𝘂𝗻𝘀𝘁𝘀𝘁𝘂𝗱𝗲𝗻𝘁𝗲𝗻𝘀𝘁𝗿𝗲𝗮𝗸!!
(𝗢𝗱𝗲𝗿 𝗶𝘀𝘁 𝗲𝘀 𝗲𝗶𝗻 𝗮𝗻𝗱𝗲𝗿𝗲𝗿 𝗛𝗮𝗿𝗿𝘆? 𝗡𝗲𝗶𝗻, 𝗱𝗲𝗳𝗶𝗻𝗶𝘁𝗶𝘃 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁.)
𝗟𝗼𝘂𝗶𝘀 𝗟𝗼𝘂𝗶𝘀 𝗟𝗼𝘂𝗶𝘀
𝗚𝗲𝗵𝗲𝗶𝗺𝗻𝗶𝘀𝗸𝗿ä𝗺𝗲𝗿
𝗠𝗶𝘁 𝗛𝗮𝗿𝗿𝘆 𝗶𝗻 𝗱𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗔𝗿𝗺𝗲𝗻 𝘃𝗲𝗿𝘀𝗰𝗵𝗹𝗮𝗳𝗲𝗻, 𝗷𝗮 𝗷𝗮 𝗷𝗮 𝗷𝗮
𝗜𝗰𝗵 𝗯𝗶𝗻 𝘄𝗶𝗿𝗸𝗹𝗶𝗰𝗵 𝘀𝗰𝗵𝗼𝗰𝗸𝗶𝗲𝗿𝘁
𝗢𝗸 𝗨𝗻𝗶 𝗷𝗲𝘁𝘇𝘁
Zusammengefasst; Katastrophe. Aber was sollte ich tun? Ich entschloss mich, Zayn keine Aufmerksamkeit zu schenken und ihm nicht zu antworten. Zeit zurückdrehen war nicht möglich. Das einzig Gute war, dass Harry als neu entdeckter Nicht-Student wenigstens keine Gefahr mehr lief, mir mit Zayn im SAB über den Weg zu laufen. Obwohl; vielleicht wäre Zayn taktvoll und diskret, wenn Harry dabei wäre. Sie waren sich immerhin noch nie begegnet. Naja. Keine Option. Harry würde nicht mit zur Uni kommen.
Was mich unweigerlich daran erinnerte, dass ich ihn gleich wieder hinausschmeißen musste. Ich konnte ihn einfach nicht unbeaufsichtigt in meiner Wohnung lassen, das wäre von Anfang bis Ende unverantwortlich und leichtsinnig. Aber es brach mein Herz. Es war alles so ungerecht.
»Louis?« Harry stand in der Tür, die vorherige Überraschung war wieder durch seine friedliche Miene ersetzt worden. Er setzte sich mir gegenüber und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. »Wie alt ist dieses Haus?«
Es war gut, dass das Haferflockenkauen mir noch ein bisschen Zeitpuffer gab. Ich trank einen Schluck Wasser nach, dann grinste ich unsicher. »Das hier? Keine Ahnung. Es ist nicht besonders neu...glaube ich..? Aber auch nicht historisch. Nein, ich habe keine Ahnung. Manche Menschen könnten das an der Fassade erkennen oder so, aber ich kann dazu wirklich gar nichts sagen.«
Er musterte die fast leere Schüssel vor mir. »Also hast du es nicht selbst gebaut?«
Es war Ironie, es war witzig, Harry hatte Humor, ich konnte seine Ironie nur immer noch nicht detektieren. Ich lachte trotzdem, für ihn und für mich. »Ja. Nein. Nein. Definitiv nicht. Solche nützlichen, praktischen Fähigkeiten besitze ich nicht. Deswegen studiere ich Englische Literatur.«
Er lachte nicht, aber vielleicht konnte er meinem Humor so wenig abgewinnen, wie ich seinen heraushören konnte. Für ein paar Sekunden suchte ich mein Gedächtnis nach einer Erinnerung von einem Harry ab, der über einen meiner Witze lachte, aber vergeblich. Es war auch kein großer Witz gewesen, aber seit Studiumsbeginn hatte ich gelernt, dass andere Menschen dieses Thema wirklich amüsant zu finden schienen. Naja.
»Ich bin froh, dass du Englische Literatur studierst und keine Häuser baust.«, berichtete Harry trotzdem noch und mein Verstand musste arbeiten. Ich kippte meine Schale an und löffelte die letzten Haferflocken aus. Aber auch nach ausgiebigem Kauen wusste ich nicht, was Harry damit sagen wollte. War auch das Ironie? Hatte er aufgrund seiner wohnungslosen Erfahrung eine persönliche Abneigung gegenüber der Bauindustrie? Oder war er froh, dass ich im SAB studierte, weil er mich sonst nicht kennengelernt hätte? Würde er so etwas sagen – oder auch nur denken? Wie viel an Harrys Anwesenheit lag an meiner Wohnung, wie viel an mir?
Zu viele Fragen für den Moment und ich musste mich immer noch beeilen; eine gute Ausrede. Ich schenkte Harry ein hoffentlich aussagekräftiges Lächeln – was die Aussage war: keine Ahnung – und leerte mein Wasserglas. »Ich muss jetzt gleich los zur Uni.«, ließ ich Harry wissen, ohne explizite Aufforderung. Aber das war etwas, von dem ich mittlerweile wusste, dass er es verstand.
Berechtigterweise. Harry warf noch einen Blick in meine Schale, in der jetzt nur noch ein bisschen Milch dümpelte. »Ich gehe jetzt.«, verkündete er. Ich war dankbar und fühlte mich schlecht, wie immer. Harry war selbstlos genug, mit einem Lächeln so zu tun, als hätte er jetzt ein festes Ziel mit definitiven Aufgaben, die er zu erledigen hatte. Ich wollte ihm anbieten, mit mir und Zayn vor MMM Mittagspause zu machen, aber überschritt das die Kein-Essen-anbieten-Grenze? Abgesehen davon, dass Zayn sich möglicherweise wundern und Fragen stellen würde, die er nichts stellen sollte. Es war schwierig. Ich würde die neuen Regeln noch verarbeiten müssen.
»Okay.«, bestätigte ich und wollte etwas Besseres sagen, aber es gab nichts. Ich stand auf und beförderte meine Schüssel in die Spüle. Vielleicht gab eine allgemeine Aufbruchsstimmung Harry weniger das Gefühl, herausgeschmissen zu werden – oder auch mir. »Hab einen guten Tag, Harry!« Ging das zu weit?
Falls ja, ließ er es sich auch hier nicht anmerken. Er sah perfekt aus und seine Haut war so entspannt wie meine lange nicht mehr. Sein Lächeln war wie eine sprudelnde Quelle von Selbstverständlichkeit. »Danke Louis. Du auch.«
Ich drehte den Wasserhahn auf, schwächer als nötig. »Danke.« Wie unsere Gesichter nebeneinander aussähen? Konnten andere Menschen erkennen, dass Harry nur schauspielerte? War es wahr?
»Tschüss, Louis.« Er hob eine Hand zum Winken, plausibel, aber auf irgendeine Weise abstrakt.
Bevor ich meine Hand aus der langsam steigenden Flut ziehen konnte, um die Geste zu erwidern, hatte er sich umgedreht und war aus meinem Blickfeld verschwunden. »Tschüss!«, rief ich ihm hinterher und wartete, die Haustür öffnete sich, fiel zu. Wasser sprudelte in meinen Ohren und zwischen meinen Fingern.
Und das war's. Ich wusch mein Frühstücksgeschirr ab und versuchte, Uniprobleme über Harry zu priorisieren. In nötiger Eile packte ich meine Sachen und putzte den süßen Geschmack der Milch aus meinem Mund und von den Zähnen.
✩
Das SAB war voll, es war Montagmorgen. Zayn saß auf einer Bank im Flur unseres nächsten Seminars, ein Buch auf dem Schoß, schwarze Haare in starkem Kontrast zu der hellen Wand in seinem Rücken. Ich war froh, ihn zu sehen. Das Frühstück nach meinem Albtraum war das letzte Mal gewesen, dass ich bei ihm gewesen war, und da hatte ich nicht mehr tun können, als Antworten auf seine Fragen selbst nicht zu haben. Seitdem hatte ich meine Stunden mit Arbeit für meine Kurse verbracht, die genau die Art von Folter-Charakter hatte, dass es mir vorkam als hätte ich ihn wochenlang nicht gesehen – obwohl es gerade mal 48 Stunden gewesen waren.
Er sah auf, als ich in seine persönliche Distanzzone eindrang. Sofort verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse; vorwurfsvoll und amüsiert. Mit Finger zwischen den Seiten klappte er das Buch zu. »Louis! Lässt mich einfach im langweiligsten aller Kurse allein, ohne Vorwarnung. Schämst du dich?«
Abwesenheit des ›Nicht‹ sollte mich zur Antwort zwingen, aber ich rutschte nur unaufgefordert neben ihm auf die Bank. »Hast du Wasser? Ich hab meins vergessen.«
Zayn hob beide Augenbrauen, aber beugte sich vor, um in seinem Rucksack zu kramen. »Du bist unglaublich.«
»Es war ein Versehen.«
»Das Wasser oder Chaucer?« Er drückte mir eine Flasche in die Hand, ich nahm sie dankbar und trank, bevor ich antwortete.
»Beides.«
Zayn nahm mir das Wasser wieder ab. »Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja.«, erwiderte er, ließ die Flasche verschwinden. Dann wandte er sich wieder mir zu, mit ganzem Körper dieses Mal, ein Bein lagerte er auf der Bank. »Und jetzt weiß ich auch wieso! Du bist in deiner One-Night-Stand-Ära und sagst es mir nicht?!«
Er klang so empört, dass ich lachen musste. Dann riss ich mich zusammen. »Ich schlafe nicht mit Harry.«
»Ja, schon klar.« Zayn sah sehr unbeeindruckt aus. »Er besucht dich nur Montagmorgens, bevor du überhaupt wach bist.«
»Ich schlafe nicht mit ihm.«, versuchte ich es mit mehr Nachdruck. »Wirklich nicht. Versprochen.«
»Hm.« Zayn musterte mich ausgiebig. »Noch nicht.«
Ich zwang mich, den Blick nicht abzuwenden. Ich hatte nichts zu verstecken. Außer das größte Geheimnis, das mir je jemand anvertraut hatte. Aber wenigstens war das nicht, was Zayn dachte – das wollte ich aber auch aus seinem Kopf kriegen. »Nicht ›noch nicht‹.«
Wieder hob Zayn die Augenbrauen. »Was soll das heißen? Ihr seid auf dem Weg dorthin, oder nicht? Datet ihr? Oder...ist es etwas Offizielles? Wird es etwas Offizielles?« Wirklich all meine Mühe steckte in meiner trockenen Miene, die ihn zum Schweigen bringen sollte, aber Zayn ließ sich von sowas nicht mehr beeindrucken. »Komm schon, Louis, er hat bei dir geschlafen. Ich bin nicht blöd, du kannst nicht leugnen.«
»Freunde können doch wohl beieinander übernachten.«
»Freunde.«
»Ja, Freunde. Ich habe vor zwei Nächten bei dir übernachtet, falls du dich erinnerst.«
»Ja. Und da wolltest du sehr wahrscheinlich mit mir schlafen. Wenn ich dich gelassen hätte.«
Ich wollte ihn mit meinem bösesten Blick strafen, wirklich, aber wieder musste ich lachen. »Du bist schrecklich, Zayn.«
Verteidigend hob er beide Hände auf Höhe seines Gesichtes. »Es gibt schlimmere Eigenschaften. Aber jetzt erzähl, Lou. Was läuft da?«
»Nichts.«, seufzte ich. »Wirklich. Wir haben nicht mal im gleichen Bett geschlafen.«
»Du hast nur ein Bett.«
»Natürlich habe ich nur ein Bett! Wieso sollte ich zwei Betten haben?«
Einer von Zayns Fingern pikste mich in den Oberschenkel. »Hast du nicht. Du hast gelogen, war meine Aussage. Ihr habt beide in deinem Bett geschlafen. Gib es doch einfach zu. Es ist doch nichts dabei.«
»Er hat auf der Matratze geschlafen.«, erklärte ich. Es wäre so viel einfacher, mich vor Zayn zu verteidigen, weil ich heimlich mit Harry schlief. Eine Realität, die ich dieser hier vorziehen würde. Aber wahrscheinlich war schon der Gedanke unfair.
Zayn runzelte die Stirn, dann klappte sein Mund auf. »Die- Nein! Louis! Die Luftmatratze?!«
»Ja. Ich besitze keine andere.«
»Ich wusste es. Du willst Sex! Legst ihn einfach auf die Luftmatratze und- Hast du es ihm erzählt?«
Ich boxte ihn sanft in den Oberarm. »Gespräch beendet.« Endlich wandte ich den Blick ab. Meine Schuhe waren noch ein bisschen nass von dem Regen, der mich am Ende meiner Fahrt hierher erwischt hatte.
»Oh nein, ganz bestimmt nicht!« Zayn blieb hartnäckig. Wenn er wollte; eine seiner Stärken. »Hier kommst du nicht drum rum.«
»Wir sind Freunde, Z!«
»Ha! Louis! Für dich gibt es keine Freundschaft auf der Luftmatratze. Und wieso hättest du mir nicht von ihm erzählen sollen, wenn ihr nur gute Kumpels seid? Mein letzter Stand ist, dass du ihn den schönsten Jungen der Welt genannt hast.«
»Das ist nicht dein letzter Stand.«
»Aber du denkst es immer noch.«
Die verräterische Röte in meinen Wangen wärmte meine Schuld, oder Scham. Ich beschloss, es nicht abzustreiten. »Er ist hübsch. Aber er wäre nicht der Erste dieses Titels, den ich lieber als platonischen Freund hätte. Oh wow, Genitiv und ›Titel‹ klingen wirklich hochtrabend zusammen.«
»Nicht ablenken, Lou. Wenn ich dir also glauben soll«, er sah auf die Innenseite seiner Handfläche hinab, als würde er von dort ablesen, »dass du ihn wirklich nicht geküsst hast oder küssen willst – küssen darfst du hier auslegen, wie du willst – und du zusätzlich die hübscheste Freundesgruppe der Welt aufbauen willst...dann erzähl mir von dieser Pyjamaparty von euch beiden.«
Wie ich hoffte, der Feueralarm im SAB würde genau jetzt losgehen. Aber nichts passierte. Unser Kurs fing noch nicht an und Rauch füllte nicht die Flure und niemand unterbrach unser Gespräch und Zayn sah mich erwartungsvoll an. Ich seufzte nach innen. Je schneller ich Zayn zufriedenstellte, desto weniger konnte die Situation eskalieren. »Es war keine Pyjamaparty, wir-«
»Hattet ihr Schlafanzüge an?«, fragte Zayn mit selbstgefälligem Gesichtsausdruck. Ich konnte nur Harry vor mir sehen, in seinem weißen Alltagskleid auf der alten Matratze. Aber ich verstand Zayns Punkt – und konnte ihm unmöglich erklären, dass Harry sich niemals umzog – und zwang mich zu nicken. »Na siehst du, dann war es eine Pyjamaparty.«
»Es war keine Party.«, merkte ich trotzdem noch an. »Es war...pass auf, ich erzähle dir alles.« Die Realität war vielleicht einfach der beste Leitfaden – solange ich den kleinen Fakt aussparte, wieso und wie häufig Harry bei mir war. »Harry kam vorbei und wir haben geredet und ich habe noch kurz was für die Uni gemacht und dann sind wir schlafen gegangen. Und heute Morgen...ja, das hast du gehört. Wir haben verschlafen. Also ich. Harry war schon wach, aber er wusste nicht, dass ich einen Wecker brauchte. Naja. Das war die ganze Pyjamaparty.«
Zayns Blick hüpfte zwischen meinen Augen. »Geredet also.«
»Ja.«
»Und du hast Uni gemacht, während Harry zu Besuch war?«, fragte er skeptisch.
»Ja. Ich musste nur kurz... Es war ganz kurz.«
»Louis.« Zayn legte beide Hände auf meinen Oberschenkel, er saß mittlerweile auf der Bank wie auf einem gesattelten Pferd, das Buch war zwischen seinen Beinen ohne Markierung seines Fingers zugefallen. »Gib mir die Wahrheit und ich bin leise.«
»Das ist die Wahrheit.«
Seine Hände drückten gleichzeitig sanft zu, ich zuckte zusammen und umgriff seine Handgelenke. Zayn lachte und wand sich frei, zog seine Arme aber glücklicherweise zurück. »Du verschweigst mir etwas, Lou!«, erklärte er triumphierend, als wäre es alles ein großer Spaß. Hiermit hatte ich wahrscheinlich die Chance verspielt, Harry wirklich mal zu unserer Mittagspause einzuladen.
»Reden ist Silber...«, bemerkte ich, weil mir so schnell kein guter Ausweg einfiel.
Zayn rollte demonstrativ mit den Augen. »Schwach.« Er rutschte noch ein Stück auf der Bank zurück. »Aber na gut. Du willst Geheimnisse haben, ich verstehe schon. Dann werde ich dir wohl nicht erzählen, wie das Sonntagsfrühstück in St. Anselm's Hall aussieht.«
»Du durftest dort frühstücken?!«, fragte ich ungläubig, aber erleichtert darüber, dass er von mir abließ. Zayn glaubte nicht daran, dass ich wirklich ein großes Geheimnis vor ihm hatte – wie auch? Hatten wir nie voreinander gehabt. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass Harry und ich wirklich rumgemacht hatten, aber ich es nicht erzählen wollte, weil Harry es noch nicht in den Gerüchtestrudel einspeisen wollte oder etwas ähnlich Triviales. Wäre Zayn wirklich in dem Glauben, ich würde ihm etwas Großes verheimlichen, dann säße er nicht hier und würde mich lachend aufziehen. Er wäre wahrscheinlich verletzt und enttäuscht und irritiert – oder zumindest würde es mir so gehen.
Und nichts daran machte die Tatsache besser, dass ich genau so ein Geheimnis wirklich vor ihm hütete. Aber es war nicht mein Geheimnis zum Ausplaudern. Ich hatte keine Wahl.
»Nein. Aber ich habe es gesehen.«
Dankbar hielt ich an dem Themenwechsel fest. »Und? Wein in Bächen?«
»Champagner und Orangensaft.«, bestätigte Zayn im Scherz und ich war wirklich froh, dass er an diesem Montagmorgen so gut gelaunt war – obwohl ich ihn in Chaucer im Stich gelassen hatte.
»Also hast du bei Niall übernachtet?«
»Ja. Aber ich werde dir nicht mehr dazu sagen, das verheimliche ich lieber. Nur soviel; wie haben geredet. Und sind dann irgendwann schlafen gegangen. Ach ja, und ich hab natürlich noch kurz Uni gemacht.«
Ich überging seine Provokation und griff nach dem vernachlässigten Buch. ›The Intimacies of Four Continents‹, verkündete das Cover. Jedes Mal, wenn mir wieder einfiel, dass Zayn einige meiner Essays und Analysen nur dafür erspart blieben, dass er erdrückende Geschichtsprüfungen schreiben musste, zerfloss ich in Mitleid. »Bist du gut vorangekommen gestern?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ja. Geht so. Ich bin mit Romantik durch. Rohfassung.«
»Wow.«, erwiderte ich anerkennend.
»Ja, naja. Vielleicht könntest du es überlesen..? Nachdem ich es selbst einmal überarbeitet habe.«
»Klar.« Ich ließ die Buchseiten flattern wie ein Daumenkino. »Aber erst, wenn ich mit meinem eigenen durch bin. Nicht, dass du mir noch was einpflanzt.«
»Jeden Gedanken, den du denkst, habe ich schon vor dir gedacht, Louis. Das solltest du wissen.« Er grinste spielerisch und langsam war ich wirklich beeindruckt von seiner Leichtigkeit. Vielleicht war es die Zeit, die er mit Niall verbrachte. Zayn hatte nicht unbedingt immer viel Glück mit seinen Beziehungen in der Vergangenheit gehabt und ich konnte nur hoffen, dass Nialls Eindruck der ersten Wochen ein permanenter sein würde.
»Ich verweise die Dozierenden dann auf dich. Wenn ich schlechte Noten bekomme.« Ich schob ihm das Buch wieder zwischen die offenen Beine und stand auf. »So. Auf geht's?«
Er nickte, langsam, sah den Flur auf und ab und schwang sein Bein zurück über die Bank. »Ich will nicht. Vielleicht kann ich heimlich ein bisschen weiterlesen, ich muss wirklich vorankommen. Satire und der Roman: Englische Literatur des langen achtzehnten Jahrhunderts. Ich habe mich schon ein paar Mal gefragt, ob sie das nur so genannt haben, weil sie wissen, wie unglaublich lang sich der Kurs jedes Mal zieht. Denn es stellt sich heraus, dass das achtzehnte Jahrhundert genauso lang war wie jedes andere Jahrhundert auch.«
»Europäische Politik, Zayn.«, erinnerte ich ihn. Wir machten uns auf den Weg. »Außerdem kannst du ja mal deinen süßen Stipendiaten-Freund fragen; der hat bestimmt was zu der Aussage beizusteuern, dass jedes Jahrhundert gleich lang ist.«
»Verteidigst du gerade wirklich Satire und der Roman?«
»Ich wollte dir nur widersprechen.«
»Verräter. Erst nennst du Harry den hübschesten Jungen der Welt, dann schläfst du auch noch mit ihm, du lässt mich in Chaucer alleine und jetzt das. Louis, mein Herz. Es bricht.«
Ich schnitt eine scharfe Linkskurve in den Seminarraum. Er war schon relativ gut gefüllt. »Inwiefern würde ich dich verraten, wenn ich mit Harry schlafen würde?«
»Wozu der Konjunktiv? Aber jedenfalls; du hast es mir nicht erzählt! Das sind nicht unsere Standards, Louis.«
Ich wollte ihm wirklich versichern, dass Harry und ich bis auf ein bisschen Lebertasten und eine moralisch verwerfliche Umarmung nie auch nur längeren Körperkontakt gehabt hatten, aber damit würde ich wahrscheinlich nichts besser machen. Also schob ich mich stumm in eine Reihe mit zwei freien Plätzen und lächelte nickend meinem anderen Sitzpartner zu. So schwer es mir auch fallen würde; jetzt hieß es erstmal Konzentrieren.
✩
Viel zu spät fiel mir auf, dass ich Harry wieder nicht gesagt hatte, wann ich zurück sein würde. Meine Ecke in der Bibliothek war leer bis auf mich, schon seit einer Weile, aber fehlende Ablenkung hatte mir nicht dabei geholfen, fokussierter zu bleiben. Im Gegenteil. Jedes Mal, wenn ich einen Blick auf den Bildschirm geworfen hatte, war das Weiß des geöffneten Dokumentes mit einem Weiß meiner Erinnerung verschmolzen, weich und mächtig wie eine Lawine. Harry in seinem wehenden Kleid in den Ästen eines Baumes, als wir kleine Kinder gewesen waren. Das Wehen des Kleides im Wind hatte ich der Erinnerung heute nachträglich hinzugefügt – genau wie das Rot meiner eigenen Kleidung, Harrys Kinderlachen und am wichtigsten; Harry, wie er vor mir stand, barfuß im Gras. Welche dieser Details wirklich stimmten und welche ich mir nur herbeiwünschte, wusste ich nicht. Aber als das letzte vor gut zwei Stunden vor meinem inneren Auge aufgetaucht war wie eine unerwartete Spiegelreflexion meinerselbst, war mein Kopf wie eine Eierschale zerbrochen. Auf die gute, erleichternde Weise. Wie ein Lied auf der Zunge zu haben, aber der Titel fehlt, die Einordnung, bis es dann doch...; auftaucht. Nur noch befriedigender. Ein Lied, das ich vor über 15 Jahren gehört hatte, einmal und nie wieder, ein Lied von Harry und mir auf einer Wiese, und Harry hatte den Baum verlassen. Hatte er vor oder nach seiner Kletterei vor mir im Gras gestanden? Hatte ich ihn klettern sehen? War es überhaupt wirklich passiert?
Je mehr ich mir den Kopf darüber zerbrach, vergeblich, desto plastischer wurde die Erinnerung, bis es sich irgendwann anfühlte, als würde ich echte Materie in meinem Kopf umgraben. Es grenzte an ein Wunder, dass ich geschafft hatte, mein Essay zu beenden. Aber jetzt war mir bewusst geworden, dass Harry irgendwo in Manchester ohne Information zu meiner Rückkehr dümpelte und ich ebenso wenig Ahnung hatte, wann er vor meiner Tür auf mich warten würde. Ich musste aufbrechen.
Eilig und geübt packte ich meine Sachen zusammen. Ich umrundete ein paar Regale, bis Zayn mit auf dem Stuhl verkreuzten Beinen vor mir auftauchte. Er fädelte Kopfhörer aus seinen Ohren, als er mich sah.
»Du gehst?«, fragte er überrascht, flüsternd.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ja.« Nicht selten blieben wir gleich lang hier, oder eher; wie gingen gemeinsam. Das hatte nicht nur den Vorteil, dass wir uns gegenseitig dazu herausforderten, länger zu bleiben und produktiv zu sein, sondern auch ein erleichternder Ausgleich am Ende von Stunden vor einem beißenden Bildschirm oder zwischen monotonen Buchseiten. »Du bleibst?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
»Ich muss.«, bestätigte Zayn. Vor ihm lag ein so dicht beschriebener Stichpunktzettel, dass ich das Bedürfnis verspürte, Schriftgröße und Zeilenabstand seiner Handschrift wie auf meinem Laptop zu erhöhen.
»Tapfer.«, lobte ich.
»Louis? Könnte ich dir dann vielleicht noch mein Essay schicken? Falls du das heute noch schaffst..? Wäre wirklich sehr super.«
Ich stützte mich für ein wenig Erleichterung an seinem Tisch ab. »Ja, klar. Ich lese es zuhause.«
»Danke Lou. Ich schicke es per Mail. Soll ich deins lesen?«
»Nein. Danke.«
»Hast du Angst, dass ich deine brillanten Ideen klaue?«, fragte er lächelnd und mit einem Hauch amüsierter Stimme in seinem Flüstern.
»Wir haben die brillanten Ideen zusammen ausgearbeitet. Wenn du sie geklaut hast, werde ich es gleich zuhause herausfinden.«
»Du wirst dein blaues Wunder erleben.«, verkündete er. Was natürlich nicht stimmte, weil wir nicht nur meine, sondern auch seine Ideen zusammen ausgearbeitet hatten. Für die Details war es trotzdem gut, dass ich es erst jetzt lesen würde, wenn meins auch abgeschlossen war. Ich ließ Zayn meine Analysen nur selten lesen, weil er jedes Mal so viele Sachen anmerkte – Lob und Kritik und Fragen über Fragen – dass ich für eine vollständige Auseinandersetzung damit nochmal so viel Zeit wie fürs Schreiben selbst investieren musste, und das konnte ich mir nicht leisten. Außerdem sollte Zayn sich die Zeit auch nicht leisten können müssen.
»Ich kann's kaum erwarten. Viel Erfolg noch, Z.«
»Danke. Dir auch. Danke fürs Lesen.«
»Natürlich.« Ich lächelte und es war ehrlich. »Immer. Bis morgen!«
»Bis morgen!« Bei der letzten Silbe beugte er sich schon wieder über seine Notizen und ich stieß mich vom Tisch ab und ließ ihn alleine. Mein Schritt auf dem Teppich wurde immer schneller, bis ich förmlich durch die Drehkreuze flog. Wie häufiger zurzeit katapultierte mein Bewusstsein sich selbst an den Tag zurück, als Harry diese Drehkreuze irgendwie illegal überwunden hatte – weil er natürlich keine elektronische Chipkarte besaß – und dann eine lautstarke Auseinandersetzung mit der Frau am Einlass geführt hatte, um in hohem Bogen von ihr rausgeschmissen zu werden – nur weil er mich hatte sehen wollen. An dem Punkt hatte ich das mit dem Nicht-Student-Sein noch nicht begriffen, dafür war mein Kopf von der frischen Hemsworth-Erfahrung gefoltert worden. Und das Verrückteste; das alles war vor nur einer einzigen Woche passiert, 7 Tage in der Vergangenheit. Wie konnte die Zeit so schnell und so langsam vergehen? Vielleicht lag es daran, dass Harry täglich mein komplettes über ihn gelerntes Wissen auf den Kopf stellte und negierte. Er war wirklich der Mensch auf der Welt, der mehr als jeder andere in meinem Leben bisher, all meine Wertvorstellungen und Handlungsweisen herausforderte und umdefinierte. Ich wünschte, diese Verantwortung müsste er nicht tragen. Und er wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.
Ich schloss mein Fahrrad ab und brach auf. Was sich gar nicht gut traf; ich musste noch einkaufen gehen. So schnell ich auch bei Harry sein wollte, falls er schon auf mich warten sollte; ich konnte dafür trotzdem nicht in Kauf nehmen, dass ich verhungerte.
Also hielt ich noch bei einem kleinen Supermarkt kaum abseits des Campus an und flog durch die Reihen und Regale. Mein Rucksack war übervoll, als ich mich wieder aufs Fahrrad schwang.
Es war dunkel, die Straßenlaterne vor meinem Haus flackerte. Der kommende Winter brach mein Herz und ich schloss die knarrende Haustür auf. Das Licht sprang auf den Befehl meines Ellenbogens hin an, ich trug mein Fahrrad in den Keller. Schon im zweiten Stock ging mein Atem schwerer und Blut pumpte meine frierenden Finger mit Kribbeln auf.
Erst die Kurve zur letzten Treppe ließ mir endgültig die Luft wegbleiben. »Harry!«, rief ich zu aufgeregt, als ich ihn vor meiner Tür stehen sah. Es war schön, wie sein Kopf auf den runden Schultern sich zu mir drehte. »Ich hoffe, du wartest noch nicht lange! Tut mir leid, dass ich heute Morgen nichts gesagt habe. Ich komme gerade aus der Bibliothek.« Ich nahm zwei Stufen auf einmal, aber es fühlte sich seltsam an und ich erklomm das letzte Stück Treppe doch wie immer.
»Hallo Louis.« Da war sein Lächeln, voll und sorglos. Nur wahrscheinlich nicht sorglos. Sein Gesicht war immer noch ein offenes Mysterium. »Ich bin gerade erst hier angekommen. Ich habe einmal geklopft.«
Ich kam vor ihm zum Stehen. Er war gerade erst hier angekommen, es musste die Wahrheit sein, denn an den vergangenen Tagen hatte er immer auf andere Weise beschrieben, wenn er eine Weile auf mich hatte warten müssen. Und ein weiterer Fakt, der Ergebnis meiner Analysen war: wenn Harry Details gab, war es die Wahrheit. Oder das, was ich im Moment am wahrscheinlichsten für die Wahrheit hielt. Denn konkrete Angaben sagte er mit erleichterter Stimme, melodiösem Fluss. Wenn er also erst einmal geklopft hatte – sollte ich vielleicht gleich die Möglichkeit nutzen, um ihm explizit die Klingel zu demonstrieren und erlauben? – war er vielleicht direkt an mir vorbeigelaufen, als ich im Fahrradkeller gewesen war.
Er sah auf jeden Fall frisch aus. Springende Locken, rosa Wangen wie Mittelmeermuscheln, friedliche Finger. In meiner neugewonnenen Erinnerung an das Farbenpicknick trug er das gleiche Kleid wie heute, nur in Kindergröße, aber dass sich das wirklich so zugetragen hatte, war wohl eher unwahrscheinlich. Ich wollte ihn fragen, woran er sich erinnerte, denn er tat es – er hatte es zugegeben und ich sah es ihm an. Aber das war etwas, was er gestern sehr klar gemacht hatte; es fiel unter die Regel ›Keine Fragen‹ und war nichts, worüber er reden wollte. Ich war froh, dass er Grenzen zog, wirklich. Wenn ich wusste, womit er sich unwohl fühlte, würde ich vielleicht bald ein Bild davon haben, womit er sich wohlfühlte. Aber das machte es trotzdem nicht unbedingt leichter, vor allem für mich. Ich hatte Bedürfnisse, und Ansprüche an diese Beziehung, aber in dem Punkt waren Harry und ich nicht besonders kompatibel.
Ich würde dem vertrauen müssen, was meine Mum gesagt hatte. Zeit. Vertrauen kam von innen, von Harry, ich konnte es nicht aktiv beweisen, sondern würde einfach versuchen müssen, all seine Bitten zu respektieren.
Ich kramte nach dem richtigen Schlüssel am Bund. »Dann haben wir ja Glück. Ein guter Zufall.« Meine Finger wussten, dass Harrys Blick ihnen folgte, als ich die Tür aufschloss. »Komm rein. Es wird langsam richtig kalt draußen.«
Er folgte meiner Aufforderung, ohne sich zweimal bitten zu lassen. Ich verdrängte die altbekannte Frage, wo er seinen Tag verbrachte, ohne zu Tode zu frieren. »Warst du in der Bibliothek zum Lesen?«, erkundigte Harry sich, während ich mich auszog und unweigerlich wunderte, ob er auch an das Mal zurückdachte, als er mich dort besucht hatte.
»Zum Lesen, Schreiben, ja. Ein bisschen arbeiten.«
»Du bist sehr pflichtbewusst, Louis.«, erwiderte er anerkennend und mit so viel ehrlicher Bewunderung, dass ich unsicher wurde, ob er es ironisch meinte.
Sicherheitshalber wandte ich ihm den Rücken zu, als ich mit geschultertem Rucksack in mein Zimmer ging. »Naja.«, sagte ich, um beide Fälle abzudecken.
»Du musst diese Dinge für die Universität tun? Lesen und schreiben und arbeiten?«, fragte Harry weiter. Er war mir munter gefolgt. Ich knipste das Licht an und seine nackten Füße wurden geflutet.
»Ja. Also es ist für das meiste noch ein bisschen Zeit, aber Disziplin ist nicht meine größte Stärke und sonst schaffe ich das alles nicht.« Mit Schwung verfrachtete ich den Rucksack aufs Bett, zog den Reißverschluss auf.
»Das ist sehr vorbildlich, Louis.«, fuhr Harry mit seinem Lob fort. Er trat neben mich und fast wäre ich zusammengezuckt. War er meinem Bett je so nahe gewesen? Was würde ich tun, wenn er es berührte? Könnte ich das ertragen? Harry und die Matratze, auf der ich jede Nacht schlief? »Pflichtbewusstsein ist eine Tugend. Fleiß erhält die Welt aufrecht.«
Unweigerlich sprangen meine Augenbrauen in die Höhe. Er klang wie unsere Dozierenden. Und ich konnte ihm nicht Recht geben. Aber das musste ich auch nicht. Vielleicht reichte es, wenn ich einfach gar nichts sagte. Mein Laptop wirkte schwerer als sonst. Ich hatte den Einkauf ganz vergessen. Ich schulterte den Rucksack wieder. »Ich muss kurz in die Küche.«, erklärte ich mein Wegtreten.
Wieder folgte Harry mir, was mich freute und frustrierte. Ich wollte ihn fragen, wie es ihm ging. Ohne weitere Bedingungen. Aber auch das war eine Frage und die Regel war einfach. Würde er sie wirklich nicht beantworten wollen? Er müsste ja nichts großes preisgeben, vielleicht könnte er einfach sagen: ›Es geht mir ganz okay, ja, nicht so schlecht.‹ Wieso hatte er die Regeln so absolut formuliert?
Natürlich; Effektivität. ›Animal Farm‹ war nicht verloren an mir gewesen. Wenn er mir für meine vergangenen Grenzüberschreitungen misstraute, dann erzog er mich sicherer mit übersimplifizierten als zu losen Regeln. Sonst wäre ich womöglich niemals der Stagnation meiner Ignoranz entkommen. Dass er versuchte, mir seine Regeln zu oktroyieren, sagte mehr über mich als über ihn aus.
Ich öffnete den Kühlschrank und begann zu räumen. Harrys Aufmerksamkeit erwärmte die Muskeln meines Rückens.
»Louis?«
»Ja?«
»Ich habe herausgefunden, wann dein Haus gebaut wurde. Interessiert dich das?«
Mein Oberkörper hatte sich ihm zugedreht, bevor mein Gehirn seine Worte voll verarbeitet hatte. »Wie hast du- Wirklich?«
»Ja, wirklich.«, antwortete er und ich wusste erst dann, dass es eine Frage gewesen war. »Interessiert es dich?«
Meine Hände waren grausam zu zwei Paprika. Es könnte mich nicht weniger interessieren, wann dieses Haus gebaut worden war. Was mich aber interessierte, war, wieso Harry sich dafür interessierte. Und wie er es herausgefunden hatte. Hing irgendwo im Flur eine Infotafel? Und am wichtigsten; war das wirklich etwas, mit dem Harry sich heute beschäftigt hatte? Wie alt dieses Haus war? Hatte diese irrelevante Recherche es einfach so in Harrys so unklaren Tagesablauf geschafft?
Keine Fragen.
»Ja.«, war mein Ersatz für alles Verbotene.
Er musterte die Paprikas und lächelte zufrieden. »Vor 150 Jahren und 4 Monaten. Wie du sagen würdest...im Jahr 1863.«
Wie ich sagen würde? »1863? Wow. Älter als ich dachte. Aber gut zu merken. Hausnummer 63, gebaut in 1863.«
»Es ist alt.«, bestätigte Harry. »Älter als wir beide zusammen. Wieso...wie kannst du darauf vertrauen, dass es sicher ist?«
Für Denkzeit drehte ich mich wieder weg, räumte das verbleibende Gemüse ein. Wie ich wusste, dass das Haus, das sehr viel älter war als wir beide zusammen, sicher war? »Sicher? Zum Wohnen?«
»Ja.«
Ich schloss den Kühlschrank. Harry saß auf einem der Stühle am Küchentisch, Beine in seltsamen Winkeln. Ich zog eine Packung Haferflocken aus meinem Rucksack, das letzte vom Einkauf. »Es ist sicher. Würde ich jetzt einfach mal behaupten. Vor 20 Jahren – oder irgendwie so – wurde es umgebaut. Vorher war es ein Lagerhaus für Baumwolle. Das wurde mir zumindest beim Einzug erzählt. Und dieses Jahr haben sie ja auch noch ein paar Erweiterungen gebaut. Es wird sicher sein. Oder meinst du etwas anderes? Ich merke gerade, dass ich das irgendwie sehr statisch interpretiert habe. Meinst du eher so Asbest in den Wänden oder...irgendetwas anderes, das mir gerade nicht einfällt..? Ich bin wirklich kein Experte, was Architektur angeht.« Ich schloss die Schublade mit den Haferflocken wieder.
Harry hatte den Kopf geneigt. »Das war viel Information.«
Ich grinste entschuldigend. »Ja. Eigentlich nicht. Ich weiß auf jeden Fall nichts Konkretes. Ich kann dir nur eins sagen; in den Apartments oben wohnen reiche Leute. Zumindest nach meinen Standards wohlhabend. Und England ist gut darin, das Leben für die Reichen sicher zu machen, also würde ich das Haus nicht als akut einsturzgefährdet einschätzen.«
Mit meinem deutlich leichteren Rucksack in der Hand verließ ich die Küche wieder und zählte jetzt einfach darauf, dass Harry mir wieder folgen würde – es zahlte sich aus. Er klebte mir an den Fersen. Ich ließ den Rucksack endgültig in einer Ecke liegen.
»Du meinst reich als materiell reich?«, erkundigte Harry sich. Da war er wieder, der differenzierte Denker. Harry war gleichzeitig der differenzierteste und am wenigsten differenzierte Denker der Welt.
»Ja. Geld vor allem. Finanziell wohlhabend.«
»Geld.«, sagte Harry.
Ich wusste nicht, ob ich mit ihm wirklich über Geld reden sollte. Wahrscheinlich nicht. »Ja. Die Wohnungen oben sind als Lofts ausgebaut. Nicht zu vergleichen mit meiner.«, bemühte ich mich, ein bisschen umzulenken.
»Lofts.«, sagte Harry, aber nicht mehr. Am Schreibtisch blieb ich stehen, sah ihm ins Gesicht, in die aufmerksamen Augen im gleichen Grün wie meine Wasserlilie in seinem Rücken. War ihm bewusst, wie ungewöhnlich seine Angewohnheit war, einfach einzelne Worte zu wiederholen, die eine andere Person gerade gesagt hatte? Eine Frage, die ich ihm nicht mal stellen würde, wenn ich dürfte.
»Harry, es tut mir leid, ich muss jetzt noch schnell was überlesen. Es ist für einen Freund, deswegen würde ich es gerne jetzt machen, damit er das Ergebnis hat. Du kannst einfach...mach es dir gemütlich. Und – ich weiß nicht, habe ich das schon hundertmal gesagt? – du kannst dir natürlich Dinge nehmen. Bücher oder so, falls du Lust hast, zu lesen. Ich brauche hoffentlich nicht so lange.«
Er blinzelte langsam, als müsste er die Worte schwer verarbeiten. Aber als er sprach, war es leichtherzig. »Ja. Ich möchte dich nicht an deiner Arbeit hindern.«
»Tust du nicht!«, versicherte ich schnell, auch wenn ich ohne ihn noch ein paar Stunden in der Bibliothek geblieben wäre. »Ich beeile mich.« Und schon klappte ich mein Laptop auf, knipste das Licht an meinem Schreibtisch an.
»Louis?«, fragte Harry wieder und überraschte mich dieses Mal mehr.
Ich drehte nur meinen Kopf vom Schreibtischstuhl aus. Harry war mir immer noch nah. »Ja?«
»Bist du durstig?«
Ja, war ich. Es wurde mir bewusst, als Harry es aussprach. Mein Hals war trocken von der kalten Luft draußen und dem Stress im Supermarkt. »Nein.«, log ich trotzdem. Harry sollte sich um mich keine Sorgen machen. Ich würde Zayns Essay lesen und dann Wasser holen. Vielleicht wäre es dann sowieso schon ein guter Zeitpunkt, um etwas zu Essen zu machen.
Harrys Stirn war misstrauisch, seine Mundwinkel hart. Aber er widersprach nicht, trat stattdessen ein paar Schritte zurück und ich widmete mich wieder dem Bildschirm. Hatte Harry gefragt, weil er vielleicht doch gehofft hatte, ich würde ihm im Gegenzug auch etwas anbieten? Sollte ich ihn fragen? Nein. Eine weitere klare Regel. Er wollte kein Essen oder Trinken von mir. Ich betete, dass er nicht von Durst – oder Hunger – gequält wurde.
𝗘𝘀𝘀𝗮𝘆 𝗶𝗺 𝗔𝗻𝗵𝗮𝗻𝗴, 𝗱𝗮𝗻𝗸𝗲 𝗟𝗼𝘂 𝘅𝘅𝘅𝘅𝘅
Ich öffnete das Dokument, scrollte bis zum Ende, ließ die Textblöcke verschmelzen. Sechs Seiten und wieder hoch. Das würde doch ein bisschen dauern. Naja. Für Zayn. Harry würde sich hoffentlich zu beschäftigen wissen. Ich wollte mich umdrehen, im Fenster konnte ich ihn nicht sehen, aber mehr als das wollte ich ihm die schwächste Illusion von Privatsphäre lassen, die er hier in meiner Wohnung haben konnte. Also begann ich zu lesen.
Es war einfach, Zayns Gedanken und Konzepten zu folgen. Unsere Aufsätze waren thematisch parallel zueinander und Zayn konnte sich gut ausdrücken. Bis zum Ende der ersten Seite fand ich nur zwei Kommafehler, aber Einleitungen waren auch eine von Zayns Stärken. Ich kaute die Innenseite meiner Wange und wusste, dass ich ab der zweiten Seite mehr Konzentration bräuchte. Mit den Fingern trommelte ich einen sanften Rhythmus auf die Leertaste, der zu leicht war, um sie auszulösen. Sobald Zayn komplexere historische Hintergründe einbaute und den Geschichtsstudenten in sich auferleben ließ, musste ich alles geben. Zu meinem Glück war es interessant, wie Zayn die Gegeneinflüsse romantischer Lyrik und Prosa zu dem Alltag des europäischen Prekariats erläuterte. Bevor ich es zu Seite 3 schaffte, waren meine Augen trocken und ich verdammte sie zu einer halben Minute Zwangsblinzeln. Als ich sie dann für 10 Sekunden schloss, brannten meine Augäpfel sich wie ätzende Säure in meinen Schädel und gegen meine Lider. Danach ging es wieder und ich las weiter.
»Louis?«
Meine Schultern fuhren zusammen und ich drehte mich um. Harry stand wieder hinter mir, jetzt eher vor mir, und mit entschlossenem und vielleicht fast besorgtem Blick hielt er mir ein volles Glas Wasser entgegen. War ich wirklich so vertieft gewesen, dass ich den Wasserhahn in der Küche nicht gehört hatte?
»Harry, oh, danke!« Ich sprang auf die Füße, fühlte mich schlecht für alles, er sollte mich nicht bedienen. »Danke, du bist ein Engel.«
Ich sah, wie das Glas rutschte, Millimeter für Millimeter in Harrys schwacher, starrer Hand. Als es fiel, war es schneller als das Wasser. Es brach, kurz und schmerzlos. Mein Mund klappte auf, mein Blick auf Harrys hellen Zehen in einem Bett aus Scherben.
»Oh Gott, Harry, alles okay?«, fragte ich hektisch und mit einer Stimme, die zu krächzend klang. »Warte, ich mach das! Bleib am besten einfach so stehen. Die Scherben- ich mach das, ist nicht schlimm.«
Schon kniete ich vor ihm. Eine Wasserlache schimmerte im Licht meiner Schreibtischlampe, wölbte sich unter ihrer eigenen Spannung, verlor sich in den Rillen meines Linoleums und, dann, schmiegte sie sich um Harrys Füße. Sein Zucken sandte Wellen über den Boden. Erschrocken sah ich zu ihm auf. Vielleicht war es die Perspektive, vielleicht war es der unerwartete Schrecken in meinen Nerven und meinem Verstand, der noch an Zayns Satzzeichendreher seines Coleridge-Zitates hing, oder die verstörende Wärme der großen Scherben in meiner Hand, aber Harrys Gesicht war weiß. Nicht weiß wie Blässe; weiß wie Tod.
»Harry?« Er musste sich hinsetzen, ich konnte ihm eine kleine Schneise durch die Scherben schaffen. »Harry, alles gut, das macht wirklich nichts mit dem Glas, ich lasse ständig Dinge fallen, warte kurz, ich- Harry?«
Er schwankte, schwankte über mir wie ein Baum im Wind und ich drückte mich vorsichtig wieder hoch auf die Füße, aber bevor ich meine Größe wiederhatte, stand Harry nicht mehr vor mir. Zum zweiten Mal verlor ich Kontrolle über meinen Unterkiefer, als Harry plötzlich nicht mehr in Scherben und Wasser stand, sondern, wie ein Geist in weißen Kleidern, so schnell aus dem Zimmer und durch den Flur floh, dass ich nicht mal mit Gedanken folgen konnte.
»Harry?«, rief ich, ein weiteres Mal, Kratzer in der Schallplatte, aber die Wohnungstür fiel zu. Ungläubig starrte ich meine Hände an, den Boden, das Wasser, das Mosaik aus dicken Kurven aus Glas, winzigen Splittern wie Sternen. Ich ließ die Scherben aus meiner Hand wieder fallen, sprang so gut ich konnte auf Socken über den Einschlagskrater und rannte durch den Flur. Als ich die Wohnungstür öffnete, griff ich gerade so noch rechtzeitig nach dem Schlüssel, das Treppenhaus war dunkel.
»Harry?« Es war egal, dass das ganze Haus mich hörte und dass die Stufen nass und dreckig von schlecht abgeputzten Herbstschuhen war. Ich flog die Treppen hinunter, aber es gab niemanden einzuholen. Ich riss die Haustür auf und starrte in den tanzenden Abendnebel. Fünf Menschen auf der Straße, schwarz und braun und grau gekleidet.
»Harry?«, fragte ich leiser und wusste, dass es zu spät war. Etwas in meinem Fuß brannte. Kraftlos lehnte ich mich gegen den Türrahmen, zog die Socke von meinem linken Fuß. Es war ein kleiner Splitter, mehr außerhalb als innerhalb meiner Fußsohle. Ich zog ihn heraus. Er hatte nicht tief genug gesteckt, um zu bluten, nur tief genug, um wehzutun.
Harry war verschwunden. Schock eines gebrochenen Glases? Verrat eines kleinen Missgeschicks?
Keine. Fragen! Und Harry auf der Flucht.
Eine weitere Runde in unserem ganz privaten Teufelskreis. Und wieder und wieder und wieder. Und weil's so schön war; noch einmal!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro