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𝐗𝐗𝐗𝐈𝐈

𝐋 ⋆

Zayn war hartnäckig und ich das Gegenteil von unauffällig gewesen. Nach Stunden frustrierender Gruppenarbeit, in der sich fünf selbstüberzeugte Literaturstudenten nicht in einer einzigen Sache hatten einig werden können, war Zayn überzeugt gewesen, dass wir nur Ausgleich in Form eines entspannten, gemeinsamen Abends finden würden. Ohne die anderen drei Gruppenmitglieder, versteht sich. Pizza bei mir. Und das sollte ihm zugestanden werden; es wäre notwendig gewesen. Hitzige ›Angels in America‹-Diskussionen machten meinen Namen zum Schimpfwort und ließen Köpfe rollen. Auch die schönsten Engel konnten da nicht schlichten.

Doch dann war da Harry. Ich konnte Zayn nicht in meine Wohnung einladen, wenn Harry eine halbe Stunde später klingeln würde – oder womöglich schon vor meiner Haustür saß und geduldig darauf wartete, dass ich zurückkehrte. Unvereinbar. Ich hatte Harry versprochen, niemandem von seinem Geheimnis oder der Tatsache, dass er jetzt temporär bei mir übernachtete, zu erzählen. Nicht mal Zayn. Zayn, der mehr oder weniger alles über mich wusste. Zayn, der mir ›Please, please, Louis, I'm begging, baby, please‹ falsch ins Gesicht zitieren konnte, um mich doch zu Pizza zu überreden, obwohl das gesetzlich verboten sein sollte. Zayn, der mich öffentlich verteidigt hatte, als die Sache mit Francis und den Kleidern passiert war und ich mir den Schatten eines unüberwindbaren Rufes angeeignet hatte. Zayn, der für meinen Namen einen immer-laut-gestellten Klingelton hatte, damit er bereit war, wenn der Tag kam, an dem meine Welt unterging.

Aber Zayn musste Harrys Grenzen respektieren – ohne auch nur von ihrer Existenz zu wissen. Hilfe. Harry hatte gerade mal eine Nacht bei mir verbracht und schon wuchs mir die Verantwortung über den Kopf. Und dabei war ich nicht mal derjenige von uns, der sich in der schwierigen Situation befand.

Jedenfalls hatte ich Zayn nur mit eiserner Sturheit letztendlich abwimmeln können.
Argument 1: Wir würden uns morgen, Mittwoch, sowieso wie immer treffen.
Argument 2: Ich war zu hungrig, um die Pizzalieferungszeiten abzuwarten.
Argument 3: Ich hatte Kopfschmerzen und wollte so schnell wie möglich schlafen gehen – und das war nicht mal eine Lüge gewesen.

Zurück in meiner Wohnung hatte ich lange geduscht, in stillem Nervenkitzel, dass Harry jederzeit klingeln konnte. Aber die Warnung, dass ich spät zurück sein könnte, schien gewirkt zu haben. In Schlafanzug und Wollpullover aß ich ein paar aufgetaute Reste und begann zu hoffen, dass Harry bald auftauchen würde. Ich wollte wirklich schlafen gehen. Verzweifelt leerte ich Wasserglas nach Wasserglas, um die nagenden Kopfschmerzen zu ertränken. Bis auf eine schleichende Übelkeit zeigte das keinen Effekt.

Ich machte es mir nur halbbequem auf dem Bett und ließ das helle Deckenlicht an; nur um nicht Gefahr zu laufen, einzuschlafen. Mit Notizblock und Bleistift auf dem Schoß begann ich zu lesen. Es war kaum Mitte November, aber die Weihnachts-Deadlines streckten schon jetzt ihre gnadenlosen Finger nach mir aus. Ich hatte mir heute den gefürchteten Überblick verschaffen. Drei Essays, eine Vergleichsanalyse, ein Vortrag, das verfluchte Kreativprojekt und nicht zu vergessen; das Gedicht, für das ich bisher nur Ideen kopiert hatte. Großartig. Aber nicht nur, dass ich all diese Dinge noch schreiben musste...ich hatte noch nicht mal mit der meisten erforderten Literatur begonnen. Also meine Rechnung von heute: ich musste, um überhaupt mit dem Denken beginnen zu können, noch 2470 Seiten lesen, die meisten mindestens doppelt. Das bedeutete 60 Seiten täglich, beginnend heute, um nur einmal durch alles durchzukommen. Weil das nicht reichen würde und ich dann auch noch das nicht zu unterschätzende Schreiben schaffen musste, waren es mindestens 110 Seiten täglich. Bisher war ich heute auf 73 gekommen, und viel weiter wäre optimistisches Wunschdenken. Ich war müde und hinter meiner Stirn pulsierte der Schmerz. Bis Weihnachten gäbe es definitiv keine Freizeitlektüre für mich.

Aber das Schlimmste an all dem war, dass ich lieber dreimal so viele Essays und Analysen schreiben würde, als auch nur an die Weihnachtsferien zu denken.

Ich kniff die Augen zusammen, massierte meinen Kiefer. Die Buchstaben wollten vor meinen Augen verschwimmen, Kampf gegen den Strom meiner Gedanken, und ich war allem ausgeliefert. Alan Hollinghurst konnte so viel über Swimming Pools schreiben, wie er wollte, mein Becken war tiefer. Manchmal waren gute Bücher zu grausam in der Art, wie sie mir ähnlicher waren, als ich eingestehen wollte. Immerhin teilten wir hier nur meinen zweiten Vornamen. So lächerlich es klang; das war eine Erleichterung.

Meine Konzentration sank Minute für Minute. Ich blätterte zu vergangenen Seiten, nur für die Illusion von Handlung.
Surely Whitehaven did one, or am I wrong? – little swimming things, and abattoir of shadow covering those dreamy blue eyes?‹ Meine träumerisch blauen Augen wollten sich schließen und für mindestens zwei Monate nicht mehr öffnen. Jung und schwul und schön, William, aristokratisch, ich hatte nicht die besten Erfahrungen in Schwimmbädern gemacht. Aber in meinen Zwanzigern war ich auch noch nicht wieder in einem gewesen.
Vielleicht sollte ich die höllische Hauptstadt betreten und das Corry aufsuchen. Existierte das noch?

Ich schloss die Augen wirklich, zählte bis zehn, öffnete sie wieder, und von vorn. Schwärze wollte meine Disziplin bestechen, aber tapfer blinzelte ich immer wieder. Das leichte Buch auf meinem Bauch wippte mit den Atemzügen, Rippenbogen als Schanze. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, Licht. Weich an den Enden. Augen zu.

Bis das Spiel irgendwann zu gefährlich wurde. Dann zwang ich die Augen endgültig auf, visuelle Wahrnehmung flutete die wunden Räume hinter meiner Stirn. Mit dem Bleistift schrieb ich wirre Stichworte, Namen, Orte, Motive, Abstraktion eines Romanes. Nicht einschlafen. Ich schlug das Buch wieder auf und las laut weiter, wo ich aufgehört hatte, aber früher als später hörte ich nur auf den Klang meiner Stimme, die Schläge meiner Zunge, kein Wort erreichte mein Bewusstsein wirklich.

Steif rappelte ich mich auf und schleppte mich ins Bad. Gegen das Waschbecken gelehnt, putzte ich meine Zähne. Der Minzgeschmack brannte frisch durch meine Wangenschleimhaut und machte mich wieder ein bisschen wacher. Ich spülte lange mit kaltem Wasser aus und versuchte, mich an die Kälte zu klammern und Harrys Klingeln heraufzubeschwören. Der Rest meiner Badroutine war flüchtig.

Danach konnte ich mich zumindest wieder ein bisschen auf mein Buch einlassen. Dieses Mal gewährte ich mir allerdings nicht mal die Matratze, sondern saß vor dem Bett auf dem kühlen Boden, wenig bequem, aber genau dadurch kein allzu verlockender Platz zum spontanen Einschlafen. Ich arbeitete mich ein paar weitere Seiten vor und zum ersten Mal seit gestern Abend kam mir in den Sinn, dass es vielleicht gar nicht unbedingt die beste Idee war, von Wills explizit sexuellen Abenteuern in unmittelbarer, oder zumindest potentieller, Gegenwart von Harry zu lesen. Und als wäre allein der Gedanke genug, wurden erst meine Wangen, dann schwammige Regionen meines Unterbauches warm, Blutfluss bis in meine Lenden.

Sofort änderte ich meine Sitzposition, zog die Knie an meinen Körper und presste die Beine sanft zusammen. Sicherheitshalber schlug ich das Buch zu und verlor es auf dem Boden neben mir. Wie war das etwas, woran ich noch nicht einmal gedacht hatte? Nicht nur in Verbindung zu den Eskapaden des queeren Londons der 80-er Jahre. Ich mochte kein Teenager mehr sein, aber das hieß nicht, dass Masturbation mir allzu fern lag. Was in angemessenem Maße ja auch ganz und gar nicht ungesund war. Selbstbefriedigung war wirklich kein Grund für Scham – für mich. Aber bis jetzt hatte ich nicht realisiert, dass es alles andere als erstrebenswert war, Harry in irgendeiner Form in Bezug auf mich damit zu konfrontieren. Sowohl für sein Wohl als auch meine eigene Würde.

Ich kniff mir in den Arm. An Harrys aufmerksames Gesicht zu denken, half nicht. Ganz und gar nicht. Große Mandelaugen und Lippen, die mich mit jeder Sekunde aktiver Vorstellung mehr an die Erdbeer-Sahne-Bonbons erinnerten, die mein Grandpa immer in der Tasche gehabt hatte. Ich stemmte mich wieder auf die Füße und richtete meine Schlafanzughose. Kein gutes Timing. Wenn Harry vor der Tür stand, wäre es ohne Vorwarnung. Ich lief ein paar Schleifen in meinem Zimmer, verbannte so gut es ging alle Gedanken an Harry und meine Pflichtlektüre in knallrotem Cover. Handgelenke kreisen lassen, die Luft anhalten, morgigen Stundenplan rezitieren, schielen, eine kurze Taktfolge mit meinen Ellenbogen gegeneinander klopfen. Dann fühlte ich mich wieder halbwegs sicher vor meinem eigenen Körper. Trotzdem setzte ich mich nicht wieder hin und das Buch ließ ich auch ruhen.
Keine. Erektionen. In. Harrys. Gegenwart!
Neue Regel.

Vielleicht würde ich Harry an einem der nächsten Tage absichtlich später takten müssen, damit ich mal eine halbe Stunde alleine hier hatte und mich unbeobachtet fühlen konnte. Das letzte, was ich gebrauchen konnte, war ein rotwangiger Harry in Seidenkleid, wenn ich ein wenig übersensibel war. Ja, so einen Zustand würde ich definitiv verhindern müssen.

Von meinem Schreibtisch holte ich mein Handy. Wenn Lesen keine Option war, musste ich mir bis zu Harrys Ankunft einen anderen Zeitvertreib ausdenken. Mein Blick flog nur mäßig interessiert über die vereinzelten neuen Nachrichten, fast alle aus irgendwelchen Kurs- und Jahrgangsgruppen. Bis ich an der einen hängenblieb, die ich nicht hätte kommen sehen können. Die mich aus der Bahn warf.

𝗛𝗶 𝗟𝗼𝘂𝗶𝘀 :) 𝗩𝗶𝗲𝗹𝗹𝗲𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗲𝗶𝗻 𝗯𝗶𝘀𝘀𝗰𝗵𝗲𝗻 𝘂𝗻𝗲𝗿𝘄𝗮𝗿𝘁𝗲𝘁, 𝘄𝗲𝗶ß 𝗶𝗰𝗵. 𝗪ü𝗿𝗱𝗲 𝗴𝗮𝗻𝘇 𝗴𝗲𝗿𝗻𝗲 𝗺𝗶𝘁 𝗱𝗶𝗿 𝗿𝗲𝗱𝗲𝗻 𝗺𝗼𝗿𝗴𝗲𝗻, 𝗳𝗮𝗹𝗹𝘀 𝗱𝘂 𝗶𝗿𝗴𝗲𝗻𝗱𝘄𝗶𝗲 𝗭𝗲𝗶𝘁 𝗵𝗮𝘀𝘁. 𝗠𝘂𝘀𝘀 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗹𝗮𝗻𝗴𝗲 𝘀𝗲𝗶𝗻. 𝗪𝗶𝗹𝗹 𝗲𝘀 𝗮𝗯𝗲𝗿 𝗹𝗶𝗲𝗯𝗲𝗿 𝗽𝗲𝗿𝘀ö𝗻𝗹𝗶𝗰𝗵 𝗺𝗮𝗰𝗵𝗲𝗻. 𝗪𝗶𝗲 𝘀𝗶𝗲𝗵𝘁'𝘀 𝗮𝘂𝘀? 𝗦𝗰𝗵ö𝗻𝗲𝗻 𝗔𝗯𝗲𝗻𝗱 𝗻𝗼𝗰𝗵 𝘅

Danny Pereira. Wieso? Wie hatte dieser Abend noch schlimmer werden können? Es gab nichts, nichts, was Danny an diesem Punkt von mir wollten könnte. Nichts, über das es zu reden gäbe. Und selbst wenn einer von uns es nötig haben sollte, aus platonischen oder sexuellen oder welchen Gründen auch immer den anderen zu kontaktieren, dann war das garantiert nicht Danny. Er war liebenswert und, daraus resultierend, beliebt. Menschen mochten ihn für mehr als eine Illusion seinerselbst und er war garantiert in keiner Weise irgendwie auf mich angewiesen. Wir hatten explizit ausgesprochen, dass er und ich zum letzten Mal miteinander geschlafen hatten, weil wir beide wussten, dass ich der Willensschwächere von uns war. Danny konnte unmöglich etwas von mir wollen. Aber worüber wollte er dann reden?

Natürlich gab es ein Thema, dass es erforderte, seine vergangenen sexuellen Kontakte aufzusuchen und ›lieber persönlich‹ mit ihnen zu reden. Aber noch weniger, als dass er etwas von mir wollte, konnte ich mir vorstellen, dass Danny sich irgendwelche Geschlechtskrankheiten eingeholt hatte. Der Mann war klug und vorsichtig. Und vielleicht wollte ich die Vorstellung auch einfach nicht in meinen Kopf lassen. Ich hatte mich das letzte Mal vor fast anderthalb Jahren testen lassen.

Meine Schultern schossen erschrocken in die Höhe, als es plötzlich dumpf an der Wohnungstür klopfte. Obwohl es das war, was ich mir die letzte Stunde lang herbeigesehnt hatte, wünschte ich mir Harry jetzt wieder fort. Auch wenn das mehr als unfair war. Ich ließ mein Handy auf meinem Schreibtisch zurück, checkte ein letztes Mal die Situation in meiner Schlafanzughose – unkritisch – und versuchte, die Kopfschmerzen herunterzuschlucken. Vergeblich.

Als ich die Tür öffnete, konnte ich mich wieder nur fragen, wieso Harry nicht klingelte. Er lächelte sanft und hatte die Hände vor dem Körper gefaltet. Wie immer sah er ziemlich perfekt aus, ziemlich schön, ziemlich unschuldig, ziemlich unerreichbar. Wie seine glänzenden Locken wohl aussähen, wenn er sie länger wachsen ließ..? Und wie war es überhaupt möglich, dass seine Haare so gepflegt und glänzend aussahen? Ich verbannte die Fragen, denn das war eines meiner Versprechen gewesen.

»Hallo Louis.«, begrüßte er munter, aber seicht, und irgendwie hatte ich vergessen, wie tief und samtig seine Stimme klingen konnte. Als läge in seinem Hals der Gegenpol zu dem ebbenden Schmerz in meinem Kopf.

»Hey.«, versuchte ich, seinen träumerischen Ton zu treffen, aber klang im Vergleich nur metallisch und gewöhnlich. »Komm rein.«

Falls er überrascht war, mich mit Schlafanzug und zerfallener Frisur anzutreffen, ließ er es sich nicht anmerken. Vielleicht war er einfach gnädig. Was ich heute leider nicht erwidern konnte, weil ich wirklich schlafen gehen musste.

»Harry, es tut mir leid, ich will dich nicht überfallen, aber ich glaube, ich muss jetzt relativ schnell ins Bett. Uni war hart und zäh und ich habe Kopfschmerzen und falle wahrscheinlich gleich um, wenn ich nicht endlich die Augen zumachen kann. Ist es okay...würde es dich stören, wenn ich mich jetzt gleich hinlege? Du kannst natürlich noch aufbleiben, es ist ja auch erst... Wie spät ist es? Zehn? Halb elf? Mach dich in Ruhe fertig oder wenn du noch ein bisschen Hunger hast oder so... Du findest dich schon zurecht. Ja?« Schlechtester Gastgeber der Welt? Check!

Aber auch hier ließ Harry sich nicht anmerken, falls er das unhöflich fand. Er nickte und blinzelte langsam, das Flurlicht warf malerische Wimpernschatten auf seine Wangen. Ich kannte ihn mittlerweile über einen Monat, aber ich konnte immer noch glauben, dass er wie jemand aussah, den mein Kopf heraufbeschwor, wenn ich so neblig müde war wie jetzt. Personifikation des Gefühls, wenn man beim Einschlafen kurz davor war, wieder an die Oberfläche zu treiben und sich dann zu fragen: Habe ich eben schon geschlafen? Ich berührte Harry nicht oft genug, um mir wirklich sicher zu sein, dass er über meinen Verstand hinaus existierte.

»Ich finde mich zurecht.«, bestätigte er und klang nicht allzu enttäuscht. Wie sah sein Leben aus? Wo aß er? Wie hatte bei der Stipendiumsvergabe übersehen werden können, dass er keinen festen Wohnsitz hatte? Wo widmete er sich seinen praktischen Kunstprojekten, und womit? Verbrachte er den Tag in verlassenen Seminarräumen, um von spärlicher Heizungswärme gewärmt zu werden und Zugang zu Zeichenkarton zu haben? Wo war sein Vater, wenn seine Mutter nicht mehr lebte? Ich wusste nichts. Und bis er nicht freiwillig seine Zunge für die Enthüllung der Wahrheit nutzen wollte, würde ich auch nichts erfahren.

Mein Gewissen schlug an. Ich mochte keine Schuld an Harrys schwierigen Umständen tragen, aber über die Faktoren hier in meiner Wohnung hatte ich Kontrolle. Und was tat ich? Harry reinlassen und ins Bett gehen. Konnte ich jetzt revidieren? Zurückrudern? Doch mit ihm aufbleiben, es morgen in meinem frühen Kurs mit bleibenden Kopfschmerzen und ertränkender Müdigkeit in jeder meiner Fasern bereuen? Aber Harry dafür vielleicht das kleinste Gefühl von Zugehörigkeit geben. Ihm beweisen, dass er willkommen war.

Harry nahm mir die Entscheidung ab, bevor ich überhaupt richtig in Erwägung ziehen konnte, sie überhaupt zu treffen. Er drehte sich um, Locken seines Hinterkopfes ein lebendiges Gemälde. Die Drehung war so schnell, dass nicht nur mein Kopf mit stechendem Schmerz gegen den schnellen visuellen Reiz protestierte, sondern auch ein kleiner Schwall der Übelkeit hinten in meinem Rachen zurückkehrte. Ich widerstand dem Drang, mich für Halt und Kälte mit der Stirn gegen die starre Wand des Flures zu lehnen. »Alles gut, Harry?«, versicherte ich mich vorsichtig, als könnte eine laute Stimme ihn und mich zu Fall bringen.

»Ja. Alles gut.« Er warf mir einen lächelnden Schulterblick zu. In Anbetracht meines langsam intensiver dröhnenden Kopfes fühlte sich sein Lächeln fast obszön an. Die Erinnerung an auch nur irgendeine Art sexueller Erregung vor gar nicht so vielen Minuten war surreal. Erbärmlich. Vielleicht sollte ich mich wieder hinsetzen.

»Wo, ähm...wo willst du hin?« Ging es abstrakter? Erbärmlich, erbärmlicher, der Superlativ. Schopenhauer doch Prophet. Wahrscheinlich war es für Harry wirklich am besten, wenn ich ihn so schnell wie möglich von meiner Gesellschaft befreite.

»Ich gehe ins Bad.«, erklärte er, wie das Selbstverständlichste auf der Welt. Als wäre seine Routine nach der ersten Nacht bereits unumstößlich gefestigt. Aber wie immer; was wusste ich schon? Vielleicht waren routinierte Abläufe Harrys wichtigster Sicherheitsfaktor in seinem wankenden Leben.

Mir blieb nicht viel übrig und ich hatte mir die Grube selbst gegraben, die möglicherweise nur eine optische Täuschung war. »Okay.« Bevor ich mich stoppen konnte, hielt ich mir einen Handrücken gegen die Stirn. Es war wie eine Lüge, dass sie nicht heiß war. »Dann würde ich dir gleich Gute Nacht sagen, Harry, ja?« Er hatte es schon abgesegnet. »Also vielleicht schlafe ich ja auch gleich noch nicht, aber ich bin eben sehr müde und- Egal, habe ich schon gesagt. Ich würde jetzt ins Bett gehen. Aber sei ruhig laut. Das stört mich nicht. Fühl dich einfach...« Sollte ich das sagen? »Fühl dich einfach wie Zuhause.«

Und diese Worte waren es, die ihm schließlich doch einen überraschten Blick verpassten. Oder einen amüsierten. Oder was auch immer es war. Warm war die Reue, den Satz ausgesprochen zu haben, aber gleichzeitig war ich erleichtert, irgendeine Reaktion aus ihm zu kitzeln. »Geh schlafen, Louis.«, war alles, was er erwiderte. Es musste greifbar sein, wie nah ich mich am Rand meiner geistigen Fähigkeiten befand. Dass ein Unitag im November so anstrengend sein konnte. Wahrscheinlich war jetzt die kritische Übergangsphase zwischen nichts und alles tun müssen. Wenn mein Körper das hohe Stressniveau noch nicht wieder gewohnt und wie im Herbst typisch immer nur einen winzigen Fehltritt meines Immunsystems von einer Erkältung entfernt war. Harry hätte mir früher verraten sollen, dass er keine Wohnung hatte. Seine rechte Hand legte sich auf die Türklinke des Bads, es sah ungewohnt aus.

»Harry«, fiel mir zum Glück noch rechtzeitig ein.

»Ja?«

»Ich muss morgen früh aufstehen. 7:45 Uhr muss ich hier los. 7:15 Uhr Wecker, denke ich. Deswegen wäre es...ja, 7:45 Uhr solltest du am besten fertig sein.« Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Es war gnadenlos und unnatürlich, ihn in aller Frühe aus der Wohnung zu schmeißen, nur weil ich nicht mehr da war, aber ich konnte ihn unmöglich alleine hier lassen. Die einzigen Menschen, denen ich in meiner Abwesenheit meine Wohnung überlassen würde, waren meine Mum und Zayn, und sogar bei denen hätte ich meine Bedenken.

Harry jedenfalls schien das zu verstehen. »Ich bin sicher auch wach, wenn du aufwachst.« Das stimmte wahrscheinlich. Wie heute Morgen, als Harry schon geduldig mit offenen Augen auf seiner Matratze gelegen hatte, Haare weich um seinen Kopf, als hätte er keine Minute lang wirklich geschlafen. Es musste schwer sein, in einer fremden Wohnung Schlaf zu finden. Vor allem, wenn die Umstellung womöglich eine große war.

»Okay, sehr gut. Schlaf gut, Harry.«

»Gute Nacht, Louis.« Er drückte die Tür auf und schloss sie hinter sich, noch bevor er das Licht angemacht hatte. Wieder wartete ich ein paar Sekunden und wieder hörte ich kein Klicken des Schlosses. Naja. Ich wusste ja, dass er da drin war. Außerdem musste ich jetzt schlafen gehen, wirklich. Langsam wollten auch meine Beine nachgeben.

Ich schlich wie eine verlassene Marionette umher und erledigte die letzten Sachen; Fenster für Harry öffnen, Wecker stellen, ein paar Schlucke Wasser auf meinen protestierenden Magen trinken, mich endlich hinlegen. Das Licht zu löschen, war ein Segen. Mein Rücken fiel ein wie ein Kartenhaus und mein Kopf musste sich erst an die Waagerechte gewöhnen, wehrte sich kurz mit einer Schmerzwelle, die mich die Augen zukneifen ließ. Aber dann konnte ich die Spannung abwerfen.

Nur zu wissen, dass Harry noch irgendwo herumlief, war seltsam. Aus dem Bad konnte ich nichts hören, aber mein Ohr war auch ins Kissen gedrückt und zwischen uns lag eine geschlossene Tür. Harry hatte noch immer keine Zahnbürste. Ich hatte heute kurz überlegt, ihm eine zu kaufen, kein finanzielles Opfer für mich, aber ich schreckte trotzdem davor zurück. Mit der ersten Sache, die ich ihm kaufte, wäre eine Grenze überschritten. Er mochte hier schlafen können, und ich meinte die kleinen Angebote alle ernst, aber ich wäre niemals in der Lage, zwei Menschen zu ernähren und versorgen. Nicht, dass ich das wollte. Aber vielleicht würde Harry auch so ein kleines Geschenk wie eine Zahnbürste nicht annehmen. Bisher hatte er fast alles abgelehnt, was ich ihm angeboten hatte.

Kein hilfreicher Gedankenstrudel beim Einschlafen. Ich zwang meinen Atem ruhiger und versuchte, mich an meine Müdigkeit vom Lesen zu erinnern. Es dauerte, Schwärze und Blutrauschen, aber noch bevor Harry zurückkehrte, war ich entwischt.

Es gab auf der ganzen Welt genau einen Wecker-Ton, den ich tolerierte, minimalistisch und brutal, aber jahrelange Konditionierung hatte mir einen abgrundtiefen Hass darauf antrainiert, der für ein so alltägliches Detail schon bedenklich war. Als mein Handy ihn mir am nächsten Tag gegen den Kopf warf, nistete sich der Hass bei mir ein, noch bevor das Bewusstsein dafür, dass ich nicht alleine war, es tun konnte. Es dauerte zu lang, bis ich das Klingeln erstickt hatte. Ich fuhr kurz zusammen, als ich Harry auf der Luftmatratze liegen sah. Er blinzelte sehr viel wacher gegen die Decke als ich.

Kurz wandte ich ihm den Rücken zu, rieb mir die Augen, gähnte so sanft ich konnte. Wieso musste er so makellos nach dem Schlafen aussehen? Vor allem im Gegensatz zu mir.

Langsam setzte ich mich auf, schüttelte sicherheitshalber mit den Fingern meine garantiert platt gedrückten Haare. »Guten Morgen«, krächzte ich noch schwächer als erwartet. Sofort ließ ich ein Räuspern folgen. Ich wiederholte die Begrüßung. Auch wenn ›Morgen‹ sich anfühlte, als würde ich mich selbst belügen. Die Sonne musste vor ein paar Minuten aufgegangen sein, das Zimmer war trüb grau, nicht schwarz. Aber wie etwas, das sich als Morgen qualifizierte, wirkte es trotzdem nicht. Früh aufstehen war wirklich eine Zumutung.

»Guten Morgen, Louis.«, echote Harry nicht nur meine Worte, sondern kurz danach auch meine Bewegung, als er sich ebenfalls aufsetzte.

Ich konnte seinen Blick nicht erwidern. Mehr als gestern, heute dank Horror des Weckers, fühlte ich mich ein wenig lächerlich dafür, dass Schlaf alles an mir temporär auf die unangenehmste Weise konservierte. Ich zog meine Beine unter der Decke an meine Brust und vergrub das Gesicht zwischen meinen Knien. Ich hatte keine Zeit, mich zu schämen.

Kurzerhand rollte ich mich aus dem Bett, mied Harrys Blick aber noch immer. »Ich gehe schnell duschen.« Meine Stimme folgte den Silben, kreierte allerdings ihre eigene sture Melodie. Ich streckte meine Arme, rollte meinen Kopf und griff nach der Kleidung für den Tag. »Bis gleich.«

Als ich ihm schon den Rücken zugedreht hatte, befreite er sich von der Decke. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte ich mir vor, wie der Saum seines Kleides unter der Decke langsam hochrutschte, Knie, Oberschenkel, höher. Ich fing den Gedanken ein, bevor er meiner Kontrolle entfliehen konnte – und erstickte ihn.

Im Bad beeilte ich mich, wie es mein neuer Standard zu sein schien, seit Harry hier war. Die Dusche war nach den Nachtstunden ausnahmsweise so warm, dass sie dampfte, und ich hatte Mühe, es mir nicht zu Kopf steigen zu lassen. Erst nach einer halben Minute fiel mir auf, dass ich vor dem Schlafengehen duschen gewesen und das hier eine absolute Wasserverschwendung war. Und trotzdem; das Wasser schließlich abzustellen, war wie Verrat an Genuss als Lebenssäule. Abtrocknen war nicht besser und auch, in meine frische Kleidung zu schlüpfen, wurde zum Fehltritt, als sich versteckte Tropfen zwischen meinen Schulterblättern kalt in meinen Pullover zogen. Als würde ich niemals dazulernen.

Ich war überrascht, Harry in der Küche zu finden. Ich war überraschter, als er mir ein volles Glas Wasser entgegenhielt. Es war mein Glas von gestern, ich hatte es auf dem Tisch stehen lassen, leer und mit milchigen Abdrücken meiner Lippen überzogen. »Hier, Louis.« Sein Blick fuhr über meinen Körper, aber ich trug nichts außergewöhnliches. Pulli und Jeans, ein Paar Socken, mit deren Sohle ich fast so viel Bodenkontakt hatte wie seine Füße.

Es war seltsam, aber gut, ihm das Glas abzunehmen. »Danke, Harry.« Ich lächelte ehrlich und meine Wangen gaben Feedback; es war mein erstes Lächeln des Tages, ungeübt, rau, aber pur. Auf wenig plausible – eher paradoxe, wenn man seine fragwürdige Anwesenheit hier bedachte – Weise war es so richtig, dass er endlich selbst etwas getan hatte, hier in meiner Wohnung. Auch wenn es für mich und nicht ihn selbst gewesen war. Das musste Dankbarkeit sein, und hoffentlich der Beginn seines Auftauens.

Ich nahm einen kleinen Schluck und wollte sofort mehr, setzte aber ab. »Willst du auch etwas trinken? Die Gläser sind hier oben. Aber du darfst ruhig die Schränke aufmachen. Einfach suchen.« Meine Zunge protestierte und ich trank das halbe Glas aus. Mein Kopf schmerzte nicht mehr, aber wie eine ehemals zerknitterte Zeitung spürte ich noch immer eine trockene Erinnerung an etwas Unangenehmes.

»Ich bin nicht durstig.«, lehnte Harry ab, war aber der Richtung meines Fingers gefolgt. Ich wollte widersprechen. Wer hatte nach dem Aufstehen nicht ein bisschen Durst? Aber vielleicht hatte Harry getrunken, als ich im Bad gewesen war. Direkt aus dem Wasserhahn oder er hatte sich ein Glas genommen und sofort wieder abgewaschen und abgetrocknet, um keine Arbeit zu machen. Vielleicht wollte er auch bereit sein, wenn ich bald die Wohnung verlassen musste.

Wann musste ich die Wohnung verlassen? Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Weil Harry weder eine Uhr noch ein Handy besaß, fragte ich ihn gar nicht erst. Ich lächelte entschuldigend und drehte mich wieder um.

Mein Handy ruhte auf dem platten Kopfkissen, ich steckte es in die Hosentasche und schüttelte Decke und Kissen auf. Mit dem Handy in der Hand lüftete ich die Fenster von ihren trüben Vorhängen. Ein bisschen Druck meines Daumens verriet mir 7:27 Uhr, aber ich hatte die Zeit nicht mal halb verarbeitet, als mir die Erinnerung kam.
Ich hatte Danny nicht geantwortet. Danny, der mit mir reden wollte, heute.

Ein Teil von mir wollte rennen. Ein anderer Teil wäre ihm wahrscheinlich nach fünf Sätzen offen in die Arme gefallen. Alles für ein bisschen Illusion tieferer Intimität – und guten Sex.
Aber ich konnte auf keinen dieser beiden Teile hören. Ich war erwachsen; ich musste mich auch so benehmen. Bevor ich zu stark überdenken konnte, tippte ich die Antwort und schickte sie ab, bevor es zu spät war.

𝗛𝗲𝘆! 𝗞𝗹𝗮𝗿, 𝗴𝗲𝗿𝗻𝗲. 𝗜𝗰𝗵 𝗵𝗮𝗯𝗲 𝗻𝘂𝗿 𝗯𝗶𝘀 𝟭𝟬:𝟭𝟱 𝗿𝗲𝗴𝘂𝗹ä𝗿 𝗨𝗻𝗶. 𝗪𝗶𝗲 𝘄ü𝗿𝗱𝗲 𝗲𝘀 𝗱𝗶𝗿 𝗽𝗮𝘀𝘀𝗲𝗻? 𝗨𝗻𝗱 𝘄𝗼? 𝗕𝗶𝘀 𝘀𝗽ä𝘁𝗲𝗿 𝘃𝗶𝗲𝗹𝗹𝗲𝗶𝗰𝗵𝘁 :)

Die Küche war verlassen, als ich zurück war. Harry musste im Bad sein. Mehr Zimmer gab es immerhin nicht. Ich wünschte ihn mir zurück, er sollte mich von Danny ablenken. Auf viel mehr Ebenen als einer.

Ich trank das restliche Wasser und machte Porridge in doppelter Menge, auch wenn ich mir fast hundertprozentig sicher war, dass er ablehnen würde – ich würde den Rest einfach für morgen aufheben können. Fast mehr als alles andere wollte ich wissen, wo Harry aß, und wann. Aber er würde mindestens eine Woche hier bei mir verbracht haben müssen, bevor ich es mit echten Fragen versuchen könnte. Und vielleicht hätte er bis dahin ja auch selbst schon mit dem Erzählen begonnen. Vielleicht. Wenn irgendetwas zuletzt sterben würde, dann war es die Hoffnung.

Die Haferflocken köchelten langsam und zäh, wie immer, aber heute konnte ich keine Geduld aufbringen. Als die Konsistenz stimmte, füllte ich um und musste beginnen. Die Zeit war zu knapp, um auf Harry zu warten. Ich konnte nur hoffen, dass er aus dem Bad raus war, bevor ich loswollte. Sonst hätten wir ein Problem. Nicht, dass er sich ausgerechnet heute Morgen ausgesucht hatte, um seine Haare mit viel Muße zu waschen.

Er stand wieder im Türrahmen, als ich Schale und Löffel abwusch. Mein Bauch war warm und voll vom Porridge. Harry sah aus wie vorher und es überraschte mich fast nicht mehr. Was machte er wohl im Bad? Auf Toilette gehen und gründlich, gründlich Hände waschen?

»Hey«, meine Hände waren nass, also benutzte ich den Ellenbogen zum Zeigen. »Es ist noch Porridge übrig, den du gerne essen kannst. Wenn du möchtest.« Ich gab wirklich alles, so unverfänglich wie möglich zu klingen. Als würde es mir absolut gar nichts ausmachen, wenn er etwas davon aß.

Aber er schüttelte den Kopf und mit der Bewegung, schien auch mein Gestikulieren zu viel geworden, denn sanft und spöttisch rutschte mein rechter, hochgekrempelter Ärmel über meinen Ellenbogen auf meinen Unterarm, Zentimeter für Zentimeter näher meinem Handgelenk, näher dem lauwarmen Abwaschwasser.

Schütteln half nicht. Und meine andere Hand war klitschnass. Bei jeder anderen Person auf diesem Planeten hätte es mir nichts ausgemacht, zu fragen, ob sie mir den Ärmel wieder hochkrempeln konnte. Jeder – außer Harry. Ich warf ihm einen Blick zu, in der Hoffnung, er würde selbst begreifen, dass ich seine Hilfe brauchte. Aber er musterte nur die Einkaufsliste an meinem Kühlschrank und hatte nichts von meinem Dilemma gemerkt.

Ich wollte ihn fragen. Ich wollte seine Finger auf meiner Haut, seine Brust gegen meinen Rücken. Er würde es tun, es war eine winzige Kleinigkeit, so menschlich, so alltäglich, so ordinär, zwei Sekunden, drei; ich musste ihn nur bitten. Aber es- Mein Ärmel rutschte ins Wasser und ich zog den Arm ruckhaft hoch.

Dilemma gelöst, indem Problem verschlimmert. Toll. Frustriert wrang ich den tropfenden Zipfel mit der nassen, linken Hand aus, rollte den Ärmel auf, bis er an zu vielen Stellen ein bisschen klamm war. Jetzt sah Harry interessiert zu, mein Augenwinkel verriet es, alles war unfair. Ich wusch den Rest flüchtig ab und verfluchte das Wasser, als es grau durch den Abfluss schwand, Mikrostrudel erschlagen von Schaum.

»Ich gehe Zähne putzen.«, erklärte ich dann und war mir nicht sicher, ob ich Harry folgen sehen wollte. Das alles mit ihm war grausam und machte keinen Sinn. Ich wollte Nähe zu ihm, mehr als ich mir eingestehen könnte, aber ich glaubte nicht, dass dieses Konzept existierte; Nähe zu Harry. Wie konnte dieser außergewöhnliche Mensch jemals jemandem wirklich nah sein?
Aber so war es mit den Wünschen. Die Irrationalsten waren die Größten.

Harry folgte mir nicht. Ich konnte mir nicht allzu viel Zeit beim Zähneputzen lassen, spülte nur einmal aus. Schon jetzt konnte mein Mund die Säuerlichkeit erahnen, die ihn in Literatur der Renaissance langsam vergiften würde. Mittwochs war mein Zayn-Tag; ich hatte alle Kurse mit ihm zusammen.

Zayn!

»Harry!« Ich stolperte in den Flur. Harry kam mir entgegen und ich zwang mich zum Stehenbleiben, als ich seinen besorgten Blick sah. Ich entspannte meine Schultern.

»Was ist los?«, fragte er aufmerksam und vielleicht ängstlich. Gott, ich musste lernen, mich zu beherrschen.

Unter seinen ungerechtfertigt fürsorglichen Augen waren meine Wangen warm geworden. Ich wollte nicht wissen, ob man mir die Reue ansah. Es hätte mich nichts gekostet, einfach normal mit ihm zu kommunizieren.

»Nichts, gar nichts!«, versicherte ich schnell. »Nichts, aber, mir ist eingefallen, dass ich heute Abend- Ich hätte nur fast vergessen, dir Bescheid zu sagen. Heute Abend treffe ich mich mit meinem besten Freund. Jeden Mittwoch. Und, ja, ich weiß noch nicht, wann ich zurück sein werde. Noch gar nicht. Manchmal wird es ziemlich spät. Ich versuche...ich werde versuchen, nicht so lange zu bleiben. Vor Mitternacht zurück zu sein. Aber ich kann leider nichts versprechen.« Ich verdiente, wie schlecht ich mich fühlte.

Harry zeigte sich neutral. »Zayn?«, fragte er interessiert. Und; wie absurd, dass Harry diese Zuordnung treffen konnte.

Ich hatte Zayn gestern dazu überreden können, uns heute bei ihm zu treffen, weil mir noch rechtzeitig eingefallen war, was für eine Katastrophe es wäre, hier zu sein, wenn irgendwann Harry vor der Tür stünde. Das durfte nicht passieren. Aber es würde möglicherweise trotzdem schwierig werden, mich früh von Zayn loszureißen. Lügen wäre nicht wirklich eine Option, also würde ich mich anders trennen müssen. Egal. Ein Problem der Zukunft.

»Zayn, ja.« Sollte ich Harry erklären, dass ich ihn nicht einlud, damit sein Geheimnis sicherer wäre? Mehrere Stunden am Stück – möglicherweise alkoholisiert – miteinander zu verbringen, war sehr viel intensiver und riskanter als das harmlose gemeinsame Mittagessen, das ich Harry angeboten hatte. Aber auch das wäre nicht die volle Wahrheit. Egal, wie lang der Abend sein würde; Harry und ich könnten vertrauliche Informationen für uns behalten. Doch für mich wäre es die Hölle. Zayn etwas so Großes zu verschweigen, war schlimm genug – mit Harry neben mir, Verkörperung des Verrats, würde ich wahrscheinlich durchdrehen. »Vielleicht möchtest du irgendwann anders ja mal mitkommen.«, bot ich schließlich doch diplomatisch an.

Und auch, wenn es genau den ersten Dingen entsprach, die ich über Harry gelernt hatte, war es irgendwie schockierend, Harry breit lächeln zu sehen. »Das wäre schön!«, ließ er mich wissen, als würden die verdammten Grübchen nicht für sich sprechen. Vielleicht war das der wahre Grund für die vage Atmosphäre zwischen uns; eigentlich hatte er über mich die ganze Zeit nur an Zayn rankommen wollen.

Auch wenn der Gedanke nicht ernst gemeint war, schämte ich mich sofort für ihn. Harry war ernsthaft hilfsbedürftig, auf eine Weise, für die ich wahrscheinlich immer zu privilegiert sein würde, um sie zu verstehen, und trotzdem blieb ich auf der ewigen Suche nach absurden Motiven, die ich ihm unterstellen konnte, nur weil er mir auch nach einem Monat noch nicht seine komplette Persönlichkeit auf einem Silbertablett präsentiert hatte. Wie viel ungerechter konnte ich sein?

Als hätte er möglicherweise die Fähigkeit, meine Gedanken mitzuhören, lächelte ich entschuldigend. Wie konnte Rücksicht, als Konzept, so schwierig sein? Mein freigelegtes Handgelenk wirkte plötzlich verletzlich, der hochgerollte Ärmel schwer. Ich verflocht meine Finger miteinander und mir fiel ein, dass ich eigentlich in Eile war und noch nicht mal meine Pflichtlektüre eingepackt hatte. Meine Lippen pressten sich ganz selbstständig entschuldigend aufeinander.

Harry besaß entweder selektives Takt- oder präzises Zeitgefühl, denn er hob den Kopf höher, Nase eine mystische Galionsfigur. »Ich gehe, Louis.«, verkündete er. Meine Brust fand das schlecht und erleichternd, aber Harry gewährte der Ambivalenz nicht mal einen potentiellen Einfluss. Entschlossen passierte er mich, keine Haut, aber Luft streifte mich. Er hatte die Tür geöffnet, bevor ich es mit dem Öffnen der Badezimmertür vergleichen konnte. Warum auch immer Türklinken in seiner Hand so profund erschienen. Vielleicht war es geometrische Projektion – und ich hoffnungslos einsam. Auf Berührungsentzug. Ich wandte den Blick ab.

»Bis heute Abend?«, forschte ich vorsichtig nach und glättete einige der Falten in meinem klammen Ärmel. Schon während ich es aussprach, wusste ich, dass ich mehr forderte. Es war eine der Fragen, die ich ihm eigentlich nicht stellen wollte. Eine Antwort, die Garantie und Information verlangte.

Aber Harry gab sie mir mit Lächeln. »Ja. Bis heute Abend!« Er zog die Tür final auf, weit genug für seinen schlanken Körper, eng genug, um wie eine Katze hindurchschlüpfen zu können. Sein Lächeln war noch nicht gefallen und es wurde nicht durch das fehlende Licht im Treppenhaus getrübt. »Tschüss, Louis.« Mein Name wie eine Glasmurmel auf seiner Zunge.

Ich hatte nicht wirklich eine Wahl, meine Mundwinkel zuckten nach oben in sein Ebenbild. »Bis dann, Harry. Hab einen schönen Tag!«

Vielleicht fing er nicht mehr alles auf, denn die Tür fiel zu. Das sanfte, metallische Klicken des Schlosses war schon jetzt sein Geräusch geworden. Har-ry, Tür-zu, Bis-dann. So unvollkommen unsere Übereinkunft auch war; ich freute mich schon jetzt darauf, den Locken-gebetteten Kopf wieder in der Tür auftauchen zu sehen.

Rück-kehr. Mechanik des Schlosses.

Hal-lo Lou-is.

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