Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

𝐗𝐗𝐗𝐈

𝐇

Neun Stunden, 27 Minuten und vier Sekunden hatte ich im Himmel. Mit ein bisschen Kreislaufhilfe und Hormonausschüttung war Louis schnell eingeschlafen – und ich hatte mich von dem falschen Gewicht der Decke auf mir befreien können. Louis' Schlaf war noch sanft gewesen, aber meine Erschöpfung hatte ihn Wellen schlagen lassen. Mit all meiner verbliebenen Kraft hatte ich es zurück in den Himmel geschafft. In einem Zustand, der niemals unbemerkt hätte bleiben können.

Liam war sofort an meiner Seite gewesen. Seine braunen Augen wussten, was seine Lippen nicht sagten, und meine Flügel fingen meine schwachen Schultern auf. Fast hätten wir mich Louis' Schlaf übergeben. Aber es war zu riskant. Ich musste spüren, wenn er aufwachte, bevor er es tat. Meine rechtzeitige Rückkehr war womöglich wichtiger als alles andere. Louis musste mich in seiner Wohnung anfinden.

Es hatte nichts mit Glück zu tun, dass der Himmel mich auffing, wie Louis' Träume es getan hätten. Die Wärme und das Gold hüllten mich in ihre Atmosphäre, teilten ihre Energie. Ich war zu viel gereist in den letzten 15 Stunden. War zu lange auf der Erde gewesen. Auch wenn der Tag mich bald, rückblickend, stärken würde, musste ich in Zukunft vorsichtiger sein.

Zur Sicherheit nutzte ich die gesamte Zeit im Himmel zum Ruhen. Ich sagte Liam nicht, dass ich bei Louis' Aufwachen zurück auf der Erde sein musste, aber möglicherweise wusste er es trotzdem. Wissenstransfer ohne Atombeteiligung. Bevor ich gestern für Louis zurückgekehrt war, hatte ich Liam nicht mehr berichtet, als dass Louis noch keinen Verdacht schöpfte und ich daran arbeiten musste, dass es so blieb. Nicht, dass Louis mich darum gebeten hatte, bei sich zu wohnen – und es mein Plan war, das Angebot anzunehmen. Für wie ungeeignet er die Maßnahme halten würde, wusste ich nicht, aber noch traute ich mich auch nicht, das herauszufinden.

Vollmond in fünf Tagen. Zu meiner tiefsten Erleichterung schlief Louis durch, fest. Aber es waren Stunden feinster Balance, sich genauestens seinen Vitalwerten als Weckruf hinzugeben, aber nicht im Strudel seines Schlafes zu versinken. Gnadenlose Deltawellen und Wärme wie Blut. Mein Zeitgefühl drohte zu verschwimmen, um sich im unhaltbaren Strom der Zeit endgültig aufzulösen, Tsunami der Dimensionen. Niemandes Verlangen – außer das von Louis' Melatoninspiegel. Unerbittlich.

Ich folgte seinem Herzschlag, als wäre er Schwerkraft. Und bei den ersten, kleinsten Zeichen des Erwachens trat ich den magischen Rückweg an. Die Reise funktionierte wieder besser. Ich hatte mich ausreichend erholt. Vielleicht nicht so gut wie Louis mit seinen über neun Stunden Schlaf, aber dafür würde er auch sehr viel schneller sein Leben verlieren durch ein bisschen Schlafverlust.

Louis' Wohnung war dämmrig, obwohl die Sonne vor 15 Minuten aufgegangen war. Er hatte gestern Stoff vor die Fenster gezogen, um seinen zirkadianen Rhythmus zu manipulieren. Offenbar funktionierte es. Arme im Kissen verknotet und Gesicht entspannt, lag er auf dem Bauch und atmete tief und langsam. Ich wollte zu ihm treten, dichter, dichter, bis ich die Poren seiner Haut sehen und seinen Herzschlag in der Luft schmecken konnte. Aber jede Sekunde könnte diejenige sein, in der er erwachte, und ich wollte nicht aussehen, als hätte ich nicht auch geschlafen.

Die Matratze unter meinen Füßen machte unangenehme Geräusche. Als ich mich hinsetzen wollte, erschreckte mein eigener Fehler so sehr, dass meine erste Maßnahme fast eine Rückkehr in den Himmel gewesen wäre.
Meine Flügel waren noch sichtbar. In der Eile hatte ich sie ganz vergessen. Fatal; fast. Ich verbannte sie mit dem Gold in meinem Haar.

Vorsichtig legte ich mich hin. Ich musste die Matratze und das Kissen berühren, keine andere Option. Und wie Louis es gestern von mir erwartet hatte, zog ich auch die schwere Masse der Decke wieder über mich. Stoffgebunden an die Erde. Alles in mir wollte sich dagegen sträuben.

Ich wartete noch etwas über zwei Minuten, bis Louis zum ersten Mal blinzelte. Ich hätte sein Gesicht von hier aus sehen können, aber ich wandte ihm den Kopf nicht zu. Meine Ohren versanken im Kissen. Ich wusste nicht, ob ich die Augen öffnen oder schließen sollte und schloss sie nicht.

Louis drehte sich auf seine andere Seite und im Gegensatz zu mir senkten seine Lider sich, um nochmal geschlossen zu bleiben. Sein Atem war schneller geworden, aber noch immer langsam. Und wieder vergessen; ich musste auch atmen.

Wach lag Louis mit geschlossenen Augen für weitere 21 Minuten und 47 Sekunden im Bett. Glaubte er, dass er schlief? Glaubte er, dass ich glaubte, dass er schlief? Ich hatte keine Ahnung. Er war ein Rätsel.

Dann endlich drehte er sich wieder um.
Er blinzelte mehrmals.
Er rieb sich die Augen mit zu viel Druck.
Er gähnte in falscher Illusion von Sauerstoffmangel.
Er stützte sich auf seinen Ellenbogen.

»Hey«, murmelte er, räusperte sich direkt. »Du bist-«, trockener Hals, noch ein Räuspern, »Du bist schon wach.«

Endlich fixierte ich meinen Blick auf ihn, nicht mehr die kahle Decke, die in tausenden möglichen Szenarien über Louis zusammenbrechen und ihn begraben könnte. »Ja.« Ich lächelte. »Du auch.«

Er nickte träge. Sein Ellenbogen knickte ein und er fiel wieder ins Kissen. Augen blieben aber geöffnet, Aufmerksamkeit auf mir. »Wie hast du geschlafen?«

Wie? Gar nicht. Kunststudent Harry, für den Louis seine Wohnung öffnete, hätte geschlafen. »Gut. Und du?« Ich wusste, dass er gut geschlafen hatte. Aber es war eine Gegenfrage. Grundlage einer Konversation. Vielleicht würde ich auf Louis' Wortströme bald mit meinen eigenen Flüssen antworten können.

Er schielte und rieb sich nochmal das linke Auge. »Gut. Gut. Fest.« Seine raue Stimme gurgelte die kurzen Worte. Vielleicht schickte er auch Überraschung in die vom Schlaf träge Luft. »Wie spät ist es?«

Er fragte nach Mittlerer Greeenwich-Zeit. Ich kannte sie, aber Mensch-Harry hätte sie nicht gekannt. Das war der Schlüssel zu meinen bisherigen Fehlern; und die Lösung für die Zukunft. Ein Mensch und ein Engel verhielten sich nicht gleich. Ich musste Harry von Hara trennen.
Jede meiner Bewegungen, alles, was ich sagte; ich musste es durch die Logik eines nicht existenten Menschen filtern. Ich durfte nicht als Engel mit Grenzen mit Louis kommunizieren; ich musste es als Mensch in Selbstverständlichkeit tun. Filtern, um ungefilterter zu werden.
Es konnte nicht so schwer sein. Andere Engel hatten es getan.

Harry. Es klang schon nicht mehr so falsch aus Louis' Mund.
Ein Spitzname für jemanden, der ich nicht war – aber um Louis herum sein würde.

»7:49 Uhr!« Louis hatte sein Handy in der Hand. Vielleicht sollte ich es einfach verstecken. »Ich bin seit einer Weile nicht mehr vor 8 aufgewacht. Von alleine.«

Ich lächelte so beschwichtigend wie möglich. »Du hast aber genügend Schlaf bekommen.«

Er fuhr sich mit den Händen durch die wilden Haare. Reibung und ein weichendes Kissen hatten sie über Nacht etwas elektrisiert. »Stimmt. Wir sind immerhin früh genug ins Bett gegangen.« Er bettete sein Handy auf die Matratze neben sich. »Wie lange bist du schon wach, Harry?«

Harry. Hara hatte nicht geschlafen. Harry hätte geschlafen. Und beide wollten Louis nicht beunruhigen. »Bis vor wenigen Minuten.«

»Ah, schön.« Louis setzte sich auf. Sein Gesicht war bläulich im waberigen Licht der Vorhänge. »Bist du ein Frühaufste- nein, vergiss die Frage. Ich bin froh, dass du gut schlafen konntest. Hat die Matratze viel Luft verloren?«

Ich nahm mir die Freiheit und setzte mich auch auf. Die Decke rutschte von meinen Schultern in meinen Schoß. Am liebsten hätte ich sie aus dem Fenster geworfen – aber das war unmöglich, ohne andere Menschen zu gefährden. Hatte die Matratze viel Luft verloren? Etwas unwillig drückte ich einen Finger auf die Oberfläche aus Plastik. »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.«

»Hey, das ist gut! Ich habe sie ehrlich gesagt seit vielen Jahren nicht benutzt. Vielen, vielen Jahren. Ich hätte nichts garantieren können.« Er lächelte mit nur einem Mundwinkel. Dann ließ er seine Beine über den Bettrand mit Füßen auf den Boden rutschen. Seine Muskeln waren noch träge. Ich sah seine Zehen zum ersten Mal, zum zweiten, aber dieses Mal näher. Hell und sanft tasteten sie das kühle, falsche Holz aus. »Ist es okay, wenn ich zuerst ins Bad gehe? Du kannst ja noch ein bisschen liegen bleiben. Ich würde nur schnell duschen gehen.«

Ich hatte kein großes Bedürfnis, wieder alleine im Bad die Wände anzustarren. Zwar wollte ich auch nicht länger liegen bleiben, aber ich nickte trotzdem. Louis hatte menschliche Bedürfnisse, denen er im Bad nachkam. »Geh.«

»Danke, Harry.« Er wippte sich auf die Füße und lief in Zacken durchs Zimmer, sammelte Kleidung und andere Dinge ein. »Bis gleich.«, lächelte er und verschwand durch den Flur im Badezimmer.

Ich befreite mich von der Decke, aber blieb liegen, wie Louis es gewollt hatte. Behutsam zählte ich die Minuten, um das Wissen anwenden zu können, wenn Louis mich das nächste Mal in das kleine Zimmer schickte. Gestern war ich zu überfordert gewesen. Ich war mir nicht sicher gewesen, was es bedeutete, im Bad zu sein oder wie lange Louis erwartete, dass ich dort blieb. Er hatte mir eine Dusche angeboten, die ich natürlich nicht gewollt hatte. Also war ich dort drin geblieben, hatte gewartet und gewartet und gewartet und gewartet, bis Louis mir endlich angeboten hatte, wieder herauszukommen. Danach war er selbst nur für einen kurzen Augenblick dort gewesen.

Wasser rauschte durch die Wände und im Bad noch lauter. Es musste Louis' Dusche sein. Körperhygiene. Wichtig. Nach 8 Minuten und 14 Sekunden kehrte er zurück, Haare nass, andere Kleidung als in der Nacht oder den Tag davor und mit frisch befeuchteten Mundschleimhäuten.

»Bad ist frei.«, erklärte er und lüftete den Stoff vor den Fenstern. Licht und Sauerstoff aus dem Fensterspalt gaben dem Raum seine eigene Lunge. Ich stand auf, denn ich hatte etwas gelernt; Vergangenes anzuwenden und über Louis' bloße Worte hinauszuinterpretieren. Er sagte, dass das Bad frei war, damit ich hineinging.

Ich machte mich auf den Weg, nicht begeistert über das Bad, aber froh, meinen Körper aus der Horizontalen befreien zu können.

Louis' Stimme hielt mich auf. »Hey, Harry, ähm...« Ich drehte mich um, er lehnte gegen die Wand, als wären seine Muskeln nicht stark genug. »Ich würde ein bisschen Porridge machen, ja? Ich habe nicht besonders viel an Essen da gerade, aber es reicht auf jeden Fall für uns beide. Möchtest du auch einen Tee? Oder...ich habe Milch, falls du gerne...Kakao oder so trinkst..? Ah, nein, ich habe gar kein Kakaopulver, glaube ich. Naja; Tee? Milch? Zucker? Zitrone?« Fragend wandte er mir die Handinnenflächen zu, dann fielen sie wieder. »Nein, warte, ich habe auch keine Zitrone. Ich trinke meinen nur mit Milch.«

Louis aß und trank den ganzen Tag. Was gut war. Aber er wollte mich konvertieren – was auch gut war, in der Hinsicht, dass er mich für einen Menschen hielt. Aber ich war kein Mensch und würde mich vor dem Essen drücken müssen. Louis machte es nicht einfach, wenn er wieder und wieder und wieder fragte. »Nein, danke, Louis. Ich möchte keinen Porridge oder Tee oder Kakao.« Ich wusste nicht mal, wie er Kakao trinken wollte.

Er sah nicht zufrieden aus. Auch das war verständlich. Als der Mensch, für den er mich hielt, war es nicht gesund, das Essen und Trinken abzuwählen. »Irgendwas anderes?«

»Nein.«

»Bist du sicher? Das ist wirklich kein Problem für mich, ich würde mich freuen, wenn du ein bisschen mitisst. Die Milch muss ich sowieso aufbrauchen, bevor sie schlecht wird.«

»Ich bin sicher!«, bestätigte ich mit fester Stimme und gehobener Nase. Unantastbarkeit meiner Entscheidung gespiegelt im Glaskörper seines Augapfels. Milch; fettige Emulsion für Tierbabys, aus Drüsen, in meinem Mund? Niemals.

Louis nickte langsam, widerwillig. »Na gut. Wie du willst.« Er ließ eine seiner Hände im Ärmel verschwinden. »Dann bis gleich.«

Er entließ mich ins Bad. Ich blieb 8 Minuten und 14 Sekunden und badete in der warmen, feuchten Luft, die nach süßen Chemikalien und Louis' Hautpartikeln roch. All das Wasser in dem Raum ersehnte sich Oberflächen, an denen es festhalten konnte. Ich schloss die Augen und ließ mich höher treiben, stoppte erst, bevor ich die Decke traf. Hier oben war es wärmer und feuchter, aber mein Körper wollte seufzen für die Freiheit, die es bot.

Eine neue Frage drängte sich erstmals in mein Bewusstsein. Wenn Schweben die Erdatmosphäre so erleichtern konnte; wie würde sich dann Fliegen anfühlen?

Ich sollte es ausprobieren. Nicht hier, nicht jetzt, aber wieso nicht heute? Ein Plan. Mein erster irdischer Plan, der nicht mit Louis zu tun hatte. Obwohl ich ihn mitnehmen würde, wenn ich könnte. Würde er sich fürchten? Oder um verlorene Knochen aus Luft weinen?

In der Küche rührte Louis mit der rechten Hand und einem Stück Metall in einem Topf, in der linken hielt er ein Buch. Er ließ so viele Worte in seinen Kopf; wie viele blieben hängen? Ich war nie in seiner Küche gewesen. Sie war ein kleiner Raum, ein kleiner Tisch, zwei Stühle, Schränke. Und mehr mündende Wasserrohre, wie im Bad. Hier war der Wasserhahn besser, hatte Louis gestern gesagt. Was bedeutete besser?

»Was liest du?«, fragte ich ehrlich interessiert. Aber vielleicht wollte ich mehr als den Titel, vielleicht wollte ich, dass er mir vorlas. Vergangene Worte auf seiner Zunge, in freier Luft, durch meine Ohren. Ich könnte sie speichern und dann gehörten sie uns beiden.

Er hielt mir lächelnd den Buchrücken entgegen.»Immer noch ›The Swimming Pool Library‹. Setz dich gerne, Harry.« Er deutete auf einen der Stühle.

Ich setzte mich und war ihm näher als vorher. Die Küche war schmal und die Wärme vom Topf kroch meine Arme hinauf. »Worum geht es?«, fragte ich weiter. Möglicherweise war das der Schlüssel.

Louis neigte den Kopf. »London. Die Gesellschaft. Sexualität. Kolonialismus.« Er steckte Papier zwischen die Seiten und legte das Buch vor mir auf den Tisch. »Ich will nicht zu viel verraten. Falls du es noch lesen willst..?« Er lächelte. Ich lächelte auch, ohne zu wissen, was das für ihn bedeutete. »Überhaupt; wenn du mal ein Buch ausleihen willst, sag einfach Bescheid. Wenn ich es nicht gerade für die Uni brauche oder selbst lese; bedien dich. Nur nicht von meinen Chaos-Notizen irritieren lassen.«

Ich wollte Louis' Chaos-Notizen sehen. Vielleicht würde ich mir dafür wirklich eines seiner Bücher ausleihen. Oder womöglich konnte ich einfach..? Vorsichtig schlug ich das Buch vor mir auf dem Tisch auf. Er hatte es mir hingelegt, richtig?
Es musste richtig sein, denn als er es sah, fand sein Puls keine neuen Höhen. Stattdessen trat er zurück zu seinem Topf und drehte einen Schalter.

Es war das erste Mal, dass ich Papier berührte. In dem Café war es verborgen gewesen. Es war rau und dünn und biegsam zwischen meinen Fingern. Echtes Papier aus Bäumen. Die verarbeitete Leiche eines Lebewesens; der Weg der Menschen, Kreisläufe des Lebens zu nutzen. Über das milchige Weiß zogen sich dünne Fäden aus schwarzen Buchstaben. Wort um Wort, eine verblühte Vision in Louis' Verstand.

Und ich sah, was er Chaos-Notizen nannte. Graphitstaub in Wirbeln seiner Handschrift, auch Tinte und chemische Farbe, rankten sich um gedruckte Zeilen, formten den Schwung der Seite. Es anzusehen, sollte Wärme ausstrahlen, wie eine Supernova von Menschlichkeit. Louis hatte gesagt, dass Literatur keine Kunst war – mit Worten, die ich nicht verstanden hatte. Aber wie ließe sich Kunst definieren, ohne dieses Buch unter meinen Fingern einzuschließen?

»Gut, dass ich nicht weiß, auf welcher Seite du bist.« Louis' Stimme war eine Überraschung, obwohl er sich kaum bewegt hatte. So etwas sollte mir nicht passieren; mich vor Vorausschaubarem zu erschrecken. Ich sah zu ihm auf. »Dann hätte ich jetzt ein starkes Bedürfnis, mich für meine Dummheiten zu rechtfertigen. Habe ich so auch schon. Also bitte nicht laut vorlesen. Sonst werde ich in Scham versinken.« Er zog eine Schüssel zu sich heran, wandte mir seine Schulter zu. Ich konnte nur eingeschränkt sehen, wie er einen matschigen Brei vom Topf in das Tongefäß transferierte.

Wonach sehnte sich meine Aufmerksamkeit am meisten? Mehr davon zu sehen, wie Louis Essen zubereitete oder der Schrift, die sich wild über das Papier zog? Die Entscheidung war gezwungen, aber sie fiel. Das Buch würde wahrscheinlich weniger schnell vergehen als Louis, hier, jetzt. Also schlug ich es wieder zu.

Louis hatte mehr getan, aber er verwehrte mir den Blick durch seinen Rücken und die Schmalheit der Küche. Schubladen – ich hatte das Wort mit Liam zusammen in mein Gedächtnis gequält – wurden aufgezogen, geschlossen, da war Glas und Plastik und schließlich Metall gegen Ton, als Louis sich zu mir umdrehte und mir gegenüber Halt auf dem Stuhl fand. Neugierig inspizierte ich die halbvolle Schüssel, in deren Brei jetzt langsam ein schlanker Löffel – Löffel, Messer, Gabel; Löffel, Messer, Gabel; Löffel, Messer Gabel – versank, als wäre es ein Moor. Daneben stieg Dampf von einer runden Tasse auf. Louis hatte es angekündigt; Tee.

»Ich will nicht aufdringlich sein, Harry.« Louis' Blick fixierte mehr meine Brust als meine Augen, mit denen ich den Blick hätte erwidern können. »Aber möchtest du wirklich nichts? Essen? Trinken? Irgendwas?«

»Nein.«

Er nickte. In meinen Rückenmuskeln setzte sich sein Widerwille fest, aber er überließ ihm keine Dominanz. »Okay.« Mit geübten Fingern fischte er nach dem Löffel. Ich wollte nach dem Essen fragen, aber wäre das zu verdächtig? Nichts zu essen, nichts zu trinken, und dann auch zu wenig über Essen und Trinken zu wissen? Ich wollte es nicht riskieren. »Was hast du heute so an Uni?«, fragte Louis stattdessen und ein voller Löffel seines Frühstücks verschwand zwischen seinen Lippen. Er musste kaum kauen.

Uni. Louis redete häufig von seinen Kursen, aber ich konnte mich nur an den abstrakten Namen MMM erinnern. Und das Mal, als ich selbst in einem seiner Kurse gewesen war und der Mann mit den roten Haaren und der Brille mich angesprochen und doppelt nach meinem Namen gefragt hatte. Reden, schreiben, zuhören, schreiben – so war es abgelaufen. Funktionierte das Kunststudium genauso? Welche Art von Kursen sollte ich haben? Wie viel würde Louis mir glauben? Könnte ich vielleicht einem Kunststudenten für eine Weile folgen und herausfinden, was ich wissen sollte?

»Einige Kurse.«, wählte ich also die hoffentlich harmloseste Antwort. Und Ablenkung. »Und du?«

»Ich habe nur zwei. Dienstag ist ein kurzer Tag. Regulär. Aber wir treffen uns heute Nachmittag noch für eine Gruppenarbeit.« Vorsichtig trank er seinen Tee, wie schmutziges Regenwasser gegen rosige Lippen.

»Gruppenarbeit?«, fragte ich nach. Ich war mir nicht sicher, was das war. Und es gefiel mir nicht, dass Louis im Zusammenhang mit Uni so oft von Zwang sprach.

Nicken, Porridge, dann Worte. »Ja. Ein amerikanisches Drama. Ich wollte deswegen mit dir reden. Oder dich zumindest informieren. Weil ich noch nicht weiß, wie lange wir dafür brauchen. Wir werden sowieso nicht fertig werden heute, lange nicht, aber das ist das Problem. Es gibt viel zu tun und ich kann jetzt nicht sagen, wann ich heute Abend wieder hier bin. Kann natürlich sein, dass wir schon 17 Uhr oder so aufgeben. Oder auch nicht. Vielleicht ziehen wir eine Weile durch. Ich will nur nicht- Du kannst natürlich jederzeit vorbeikommen und klingeln und hoffen, dass ich schon zurück bin, und vielleicht bin ich es ja. Aber ich kann nichts garantieren. Also kann es sein, dass du heute vielleicht erst ein bisschen später reinkommst. Ist das okay? Ich würde dir ja schreiben oder so, aber das geht ja nicht, und... Ja, ich wollte dir nur Bescheid sagen. Ich weiß noch nicht, wann ich heute zurück bin. Wahrscheinlich später als gestern.«

Viele Informationen, aber ich hatte es begriffen. Spät auf die Erde zurückkehren. Es waren nicht so schlechte Nachrichten. Dann hätte ich die nötige Zeit, um mich auf den Himmel zu konzentrieren, nach Louis' betäubender Nacht. Ich wollte überzeugen, blinzelte, atmete aus, obwohl meine Lungen fast leer waren. »Okay.«, bestätigte ich, wie Louis es getan hat.

Er aß weiter und sah nicht zufrieden aus. »Es tut mir leid, Harry. Aber ich habe gedacht – das würde natürlich nichts wettmachen, aber ich dachte; vielleicht hast du ja Lust – ähm, möchtest du vielleicht mit uns essen, mittags? Ich weiß ja nicht, wann du Pause hast, aber wir würden 12:30 Uhr in die Library Lounge gehen. Ich und- ah, ich hab mich als erstes genannt. Zayn und ich. Er ist ein guter Freund von mir. Er hätte nichts dagegen, wenn du dabei wärst. Vielleicht ist sein Freund dabei, Niall, wahrscheinlich eher nicht, aber ich will keine falschen Versprechungen machen, dass wir nur zu dritt wären. Vielleicht zu viert. Aber ich denke eher nicht. Zayn ist nett und ich würde natürlich nichts sagen über...über nichts. Ich dachte nur, vielleicht wäre das schön. Menschen kennenlernen und so weiter und ich würde mich einfach freuen, dich dabeizuhaben. Wir haben leider nicht ewig Pause, aber eine halbe Stunde wäre schon drin.« Er sah mich mit großen Augen an, sein Löffel rührte ruhelos. »Nur, wenn du willst, natürlich!«

Wenn ich wollte; worum Louis immer bat. Als wäre die Erfüllung meiner eigenen Wünsche mein höchstes Bestreben. Ich wollte. Ich wollte Louis sehen und Zayn kennenlernen, von dem er schon mehrmals erzählt hatte. Es war nur eine halbe Stunde, die könnten der Himmel und ich entbehren. Aber so einfach war es nicht. Sie wollten essen. Ich durfte mich nicht mit ihnen zum Essen treffen ohne zu essen. Hier bei Louis hatte ich keine Wahl. Aber ich konnte mich nicht mit ihm und einem anderen aufmerksamen Menschen treffen und immer noch nichts essen.

»Ich habe keine Zeit.«, bot ich ihm die eheste Form einer Wahrheit an. »Aber ich freue mich über das Angebot!«, schob ich hinterher, weil er es wissen sollte. »Vielleicht an einem anderen Punkt in der Zukunft.«

Louis nickte langsam, sein Porridge leerte sich. »Alles klar. Wir finden bestimmt mal Zeit.«

Zeit. Wenn das der entscheidende Faktor wäre, könnte ich die Zeit für uns aufbrechen. Und den Himmel niemals wiedersehen.

Mit Ohren und Augen verfolgte ich, wie Louis innerhalb der nächsten Minuten seine Nahrung aufnahm. Es war gut, dass er schwieg – sehr viel geringere Wahrscheinlichkeit, sich zu verschlucken – und so schwieg ich auch. Im milchig grauen Licht, das durch das Fenster fiel, verschwammen die äußersten Strähnen des braunen Haars und das Teein schlich sich in seine Adern und ließ meinen Blutdruck ansteigen. Louis' Lippen öffneten und schlossen sich, wieder und wieder und wieder, Kiefer kreiste minimal zum überflüssigen Kauen. Es war gut, ihm zuzusehen. Gleichzeitig nutzte ich die Zeit, um meinen Atem seinem anzupassen.

Als er fertig war, wusste ich, dass ich fliegen wollte. Louis würde früher oder später die Wohnung verlassen und ich würde ihn nicht begleiten dürfen. Er hatte Erwartungen an den Ort, an den ich mich begeben würde, und die konnte ich nicht erfüllen.

»Louis?«, fragte ich, als er das Wasser aus dem Rohr aufdrehte. Wasser aus einer Wand auf Befehl der Finger und Louis fing es nicht mal auf. Stattdessen schob er sein Geschirr unter den Strahl.

»Ja?«

»Ich muss jetzt gehen.«

Seine Finger entzogen sich dem warmen Wasser. Es rauschte mit aufgeregtem Blubbern weiter. Er hatte nicht erwartet, dass ich schon ging. Gestern hatte ich aus Unwissenheit andere Dinge behauptet. Aber er nickte. »Mhm, okay.« Er strich die Finger an dem Stoff seines Pullovers ab. Dann verzog er das Gesicht und griff nach einem Handtuch über der Lehne eines Stuhls. Vielleicht war sein Pullover nicht saugfähig genug. »Ich bringe dich zur Tür.«

Das war nicht wirklich nötig, ich wusste, wo sie war – und theoretisch brauchte ich sie nicht mal – aber ich gewährte ihm trotzdem. Er sah weich aus heute Morgen, warme Wangen, sanfte Augen, leichte Schritte, schleichende Hände, träge Lippen. So menschlich er konnte. Schön. Ich wäre geblieben, um ihn anzusehen, aber meine verbannten Flügel schrieen nach der Ausführung des gefassten Entschlusses. Früher als später würde ich zurück sein.

Louis schien Schuhe zu sammeln, denn im Flur standen genügend für dreimal so viele Füße, wie er hatte. Ich umrundete sie gewissenhaft und blinzelte vorsorglich. »Danke, Louis.«, erklärte ich, weil ich aufgepasst hatte – und weil ich ihm wirklich dankbar war. Über seine bloße Existenz hinaus war er es, der bereit war; mir mit Gutgläubigkeit und Vertrauen meinen Fehler vom 2. November zu verzeihen. Dass das Vertrauen auf einer Lüge beruhte, ließ mein Gewissen wie durch ein Erdbeben erzittern, aber ich konnte die Natur unserer Beziehung nicht ändern. Konnte, aber durfte nicht.

Darüber wollte er aber offenbar keine Worte verlieren. Was Worte ihm bedeuteten, würde ich wohl nie begreifen können. Menschen kreierten, um sich von ihren Kreationen unterwerfen zu lassen. Ich gab Louis ein ›Danke‹ und er glaubte an selbstverständliches Verständnis einer ausbleibenden Antwort, als wären seine Gefühle meine Muttersprache. Ich wusste so viel und so wenig. Durfte ich gehen?

Ich griff nach dem Türgriff, wie ich es bei Louis beobachtet hatte. Es war unheimlich, dass der materielle Kontakt nicht so unheimlich war, wie er noch vor einem Monat gewesen wäre. Die Tür schwang auf und die Dunkelheit von gestern war verschwunden.

»Harry?« Louis mit seinen warmen Wangen und sanften Augen. »Ich hoffe, ich bin heute nicht so spät zurück.« Es war Rücksichtnahme, das wusste ich. Mit jeder Minute, die ich mit Louis verbrachte, begriff ich mehr, wie großen Wert er darauf legte. Aber es war nicht schlimm, wenn ich heute erst spät zurückkehren konnte. Vielleicht war es sogar ganz gut.

»Lass dir Zeit.«, erwiderte ich und es war ein Louis-Kommentar.

Er nickte. »Wir sehen uns dann. Heute Abend irgendwann. Einfach klingeln.« Das mit dem Klingeln hatte gestern nicht gut geklappt. Aber meinen Weg hinein würde ich schon irgendwie finden. »Viel Spaß in der Uni.«

»Danke, Louis.« So einfach. »Tschüss.«

Er hob eine Hand, eine seiner gemeisterten Disziplinen, und winkte mit kleinsten Bewegungen. »Bis heute Abend.«

Ich trat durch die Tür hinaus aus seiner Wohnung. Mein Rücken war ungeduldig geworden. So gut ich konnte, imitierte ich seine Handbewegung – und wandte mich ab. Bis heute Abend. Es könnte nicht menschlicher sein; beide von uns wissend, wann wir einander wiedersehen würden. Termine, Erwartungen, Gesellschaft, Louis' lächelnde Augen. Nirgendwo in mir fand ich die Kraft, das zu verurteilen.

Aber jetzt war keine Zeit mehr zu verschwenden. Ich gab die Sichtbarkeit in dem menschenleeren Wirbel der Treppen auf und brauchte 22 Sekunden, um wieder auf dem Niveau des Erdbodens zu sein. Schon geübter drückte ich jetzt auch die schwere Haustür auf und freie Luft fing meine Haare.

Die Straße, in der Louis lebte, war gesäumt von stillen Autos wie ein Fluss von Schilfwäldern. Wenn Schilfwälder jederzeit unmenschliche Geschwindigkeiten erlangen und die stabilsten Knochen zermalmen könnten. Im Vergleich dazu war Louis' Fahrrad fast ein Trost. Nur, dass er darauf auch nicht besonders gut geschützt war. Was die Menschen Straßenverkehr nannten, war ein endloser Albtraum.

Personen liefen in ihren unförmigen Schuhen und mit schnellen Schritten über die Steine, schauten durch mich hindurch, hatten ein Ziel. Aber das hatte ich auch. Vor dem Himmel die Luft, himmlische Materie in irdischer Atmosphäre. Ich sollte mir die Ungeduld nicht mal eingestehen, aber ich rettete mich in eine menschenleere Häuserecke.

Knochen waren ein Gefängnis greifbarer als die Magie und mein Rücken wollte erblühen. Ich beugte mich vor, ein Stück, und befreite meine Lunge von den letzten Molekülen Luft, die ich für Louis eingeatmet hatte. Mehr brauchten meine Flügel nicht. Langsamer als im Himmel, mächtig, durchbrachen sie die Materie der Schuldigen, Rücken ein Schlachtfeld der Vergangenheit. Meinen Lippen entwich ein Seufzen, aber ich ließ die Einordnung nicht zu. Verborgene Stimmlippen echoten die Vibrationen der Federn. Mit verratener Sichtbarkeit war ich wieder ein Engel. Gold streckte sich von der Spitze meines Herzens in die Spitzen meiner Flügel. Sie streckten sich langsam, mächtig, in der Schwere der irdischen Luft.

Wie hatte ich so lange hiermit warten können? Flügel als Verlängerung meiner selbst brachten Gas zum Flimmern. Sofort war die kleine Nische, in die ich mich gerettet hatte, zu eng. Mit stärkerem Schritt als je zuvor auf der Erde trat ich zwischen den Häusern hervor. Steine über Steinen über Steinen wichen dem Wirbel der Luft des abstrakten menschlichen Lebens und Verkehrs.

Das Gewicht des Regens dominierte die Luft, bevor er mich treffen konnte. Mit meinen Flügeln als vertrauteste Absicherung war es eine Leichtigkeit, meine Wassergrenze zu erheben. Der erste Tropfen wollte auftreffen und lenkte sich selbst eine Millisekunde vorher ab. Momentane Facette der Natur würde mich nicht aufhalten.

Ich ersparte mir das Manövrieren um Hindernisse irdischer Infrastruktur, versicherte mich nur meiner unmittelbaren Flügelspannenfreiheit. Tugenden des Himmels zogen mich wie einen Magnet zu sich, wollten mich oben, oben, Oben, aber gleichzeitig entwich mir jede einzelne von ihnen. Als würde meine Haut den Regen doch aufsaugen, sammelte sich die Ungeduld wie ein See in meiner Brust, trübte das Gold. Wie ein ausgetauschter Vertreter des menschlichen Lebens gab ich mich ihr hin. Ich streckte die Flügel zu voller Länge aus und brauchte weniger als einen Willen, um Luftmassen meinem Royalismus unterzuordnen. Verrat existentieller Prinzipen und ich flog, aber ich wurde ein Engel in Umarmung von Atmosphären und das Universum war Erleichterung. Irdisch wurde es nicht ausbalancierter als fliegend, der Wind regierte meine Locken.

Nur ein paar Flügelschläge und ich hätte auf Louis' Dach landen können. Einer seiner Wünsche, warum auch immer. Aber es konnte mich nicht halten, ich wollte höher und starke Muskeln, verloren in Magie, gewährten mir.

Entgegen der Schwerkraft wurden meine Knochen leichter und ich stieg weiter, weiter, weiter, weiter. Weiter. Was die Menschen als ihren homosphärischen Himmel bezeichneten; nichts als ein Raum voll weichender Stoffe, Stickstoff in Wirbeln. Himmel wie ein Polster spiritueller Sehnsüchte, blau als Spiegel der Grenzen des eigenen Verstandes. Er nahm mich auf wie einen Vertrauten.
Desillusion all dessen, was ich je gekannt hatte.
Louis verborgen in Miniaturismus.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro