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𝐗𝐗𝐈𝐕

𝐋 ⋆

Überforderung ließ meinen Verstand erblinden. Für einen Moment war ich mir sicher, dass ich träumte. Es musste ein Traum sein. Harry im Bus nach Hemsworth, im Gang stehend, als hätte er dort auch die letzten zwei Stunden gestanden. Hilfe.

»Louis.«, redete er weiter wie das Normalste auf der Welt, »ich will mich hinsetzen.« Er sah auf den Platz neben mir und irgendwie gelang es mir, meinen Rucksack vom Sitz zu hieven. Etwas in meinem Oberkörper hatte sich verkrampft. Harry rutschte ohne weiteres Zögern auf den freien Platz neben mir. Plötzlich war er mir näher als der hämmernde Regen auf der anderen Seite der Scheibe.

»Ich will mich jetzt zum ersten Mal hinsetzen.«, bemerkte Harry, verwirrt, erleichtert. »Aber ich habe mich auch noch nie so schnell auf der Erde bewegt.« Mit einer Hand deutete er aus dem Fenster. Fast streifte sein Handrücken meine Brust. Hinter der Scheibe, auf die er ganz selbstverständlich zeigte, erkannte man nichts bis auf den schweren Vorhang aus Wasser.

Ich scheiterte jämmerlich an der Entzifferung seiner Worte. Aber ich wollte es auch nicht versuchen.
Harry. saß. neben. mir. im. Bus. zu. meiner. Großmutter. Was war hier los?

»Harry«, zwang ich meine Zunge zur Handlung. Er zog seinen Arm zurück. »Du bist hier..?« Genial, ganz toll. Das konnte nicht so weitergehen. Harry konnte im selben Bus sein wie ich. England gehörte nicht mir.
Der einzige Grund, wieso seine Anwesenheit mich so verstörte, war, dass ich den ganzen Tag damit verbracht hatte, sein Gesicht in meinem Kopf zu zerbrechen.

»Wann bist du eingestiegen?«, versuchte ich es neu. Kurz massierte ich mein Brustbein, um mich wenigstens ein bisschen zu lockern. Harry saß neben mir. Das war genau, was ich mir eigentlich gewünscht hatte. Eine Möglichkeit zur Entschuldigung.

Harry sah mich an, seine Schultern hafteten weiter am Sitz. Nur der Kopf war in einem irren Winkel zu mir gedreht. »Gerade eben.«

Seine Locken waren staubtrocken. Genau wie sein Kleid, das sogar im schwachen Buslicht irgendwie strahlte. Keine Jacke weit und breit, wie immer.
Trotzdem wusste ich sofort, dass ich nichts sagen würde. Das hatte ich vor einer Weile aufgegeben, oder nicht? Es fühlte sich absurd an, ihn in Frage zu stellen, wenn ich genau wusste, dass ich nichts an ihm verstand.

»Wo fährst du hin, Harry?« Was war die Endstation des Busses? Upton?

Wieder sah er aus dem Fenster. »Wir sind so schnell.«, sagte er mit einer Ehrfurcht, die ich nicht deuten konnte. Er redete über den Bus?

Ein anderer Tag, ein anderer Freitag, schob sich vor mein inneres Auge.
›Warst du vorher schon mal in einem Bus, Louis?‹

Fuhr Harry gerade zum ersten Mal Bus? Unmöglich.

»Wo fährst du hin, Harry?«, fragte ich wieder. Der Bildschirm vorne im Bus schien nicht zu funktionieren. Die digitale Uhr darüber zeigte falsche Ziffern für Stunden und Minuten.

»Wo du hinfährst.«

Ich hätte es nicht mehr verstecken können, wenn ich gewollt hätte. »Nach Hemsworth?« Vielleicht sollte ich doch anfangen, ein paar Fragen zu stellen. Ich war mir zu 200% sicher, dass wir in unseren kurzen Gesprächen gestern nicht darüber gesprochen hatten, dass ich heute zu meiner Großmutter fahren würde.
Oder?
Und selbst wenn, dann hätte Harry erwähnen müssen, dass er auch nach Hemsworth wollte. Richtig? Richtig?!
Ich brauchte Zayn.

»Ja. Hemsworth.«

Ja. Hemsworth. Hemsworth. Ja. Hemsworth. Ja.

Was kam als Nächstes? Er besuchte auch meine Nan?

Ich lachte ungläubig. Spielte mein Leben mir Streiche? Vielleicht war nicht Harry derjenige, der keinen Sinn ergab, sondern ich. Vielleicht besuchte ich gerade Harrys Nan.
Würden Harry und ich wirklich beide das Wochenende in Hemsworth verbringen?

»Wie lange bleibst du?«

»Im Bus? Bis Hemsworth.«

Versteckte Kamera? »Nein, ich meinte in Hemsworth.«

Er neigte den Kopf. »Ich weiß es noch nicht.« Las er meine Mimik und all meinen Unglauben? »Aber ich hoffe, wir sind schnell da.« Seine Augen wurden größer und er hob die Handflächen in Richtung des Busdachs. »Nicht schneller fahren! Nur schnell ankommen.«

Vielleicht hatte ich eine Million Dinge zu sagen, und noch mehr zu fragen, aber ich ließ es sein. Denn auch wenn diese Situation mich gerade verführen wollte, gab es eigentlich nur ein einziges Anliegen.

»Harry. Wegen gestern Abend.« Ja. Wegen gestern Abend. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ganz dringend. Es tut mir so leid, dass ich... Ich weiß nicht, ob ich überfordert war oder... Nein, das ist alles falsch. Ich habe nur auf mich geachtet. Und nicht gemerkt, dass du... Ich hätte auf dich Acht geben sollen. Nicht ›Acht geben‹! Nicht, als bräuchtest du einen Aufpasser oder Beschützer oder so. Nur...ich hätte nicht nur auf mich achten dürfen. Ich habe nicht gemerkt, dass es...zu viel für dich war..? Das ist meine Schuld. Es ging alles so schnell und- das wäre auch wieder eine Rechtfertigung. Ich war auf mich fixiert und jetzt bin ich es wieder; ich rede drauf los, ohne dich wirklich zu bedenken. Ich wollte mich nur entschuldigen, Harry, weil ich das muss und will. Ich wollte die besten Worte finden. Nicht, um die besten Worte zu haben, sondern für dich, damit du weißt... Es tut mir leid, Harry. Das war mein Punkt. Ich hätte ganz anders handeln sollen. Das war jetzt keine gute Entschuldigung. Aber ich meine es ehrlich.«

Seine Augen waren noch größer geworden. Zwei runde Monde, wie, als ich ihn kennengelernt hatte. »Louis, du-« Er suchte nach Worten, ich sah es ihm an. Ich kannte das Gefühl. Offensichtlich. »Was ist gestern passiert?«

»Was?« Und zurück zu Unverständnis. »Was meinst du?«

»Was glaubst du, ist passiert? Was haben deine Sinne wahrgenommen?« Harry klang ernst und fast ängstlich. Na super; ich hatte ihn ungefragt direkt wieder in die Situation von gestern geworfen.

»Ich verstehe nicht...- Was glaube ich ist wann passiert?«

Verwirrt verzog Harry das Gesicht. »Was? Deine Worte, Louis... Ich kann sie nicht verstehen.« Da waren wir uns endlich mal einig.

»Ich wollte wissen, was du meinst. Was ich glaube, was passiert ist? Wann passiert? Als wir auf der Party waren?«

Er nickte heftig. »Ja!« Seine Hände fanden die Ränder seines Sitzes. »Ich brauche deine Antwort, Louis.«

»Ich versuche, dir eine zu geben!«, versicherte ich schnell. »Ich versuche es wirklich. Also...du möchtest wissen, was ich auf der Party wahrgenommen habe?«

»Ja.«

»Als du noch da warst?«

»Ja.«

»Okay...« Was wollte er hören? Ich gab mir Mühe, meinen Blick ihn nicht verurteilen zu lassen. »Was meinst du? Die Musik, die Menschen..?«

»Mich.«

Ich musste ihn doch anstarren. »Dich«, echote ich, einfach, um mir mehr Zeit zu verschaffen. Das machte die Frage noch relevanter; was wollte er hören? Was wollte er, das ich über ihn sagte? »Ich weiß nicht...«, begann ich in einer Tonlage, die sich einfach revidieren lassen würde. »Du hattest kein Kostüm an, was ein bisschen seltsam war. Immerhin war Halloween. Aber du sahst trotzdem« – waren das die Worte, nach denen er fragte? – »gut aus.«

»Gut!«, fiel Harry ein. »Ich sehe gut aus?«, fragte er nach.

Also hatte er wirklich für ein Kompliment gefragt? Zayns Zunge traf in meinen Ohren seinen Gaumen. ›Sehr, sehr guter Sex.‹
War das hier das Zeichen, auf das ich gewartet hatte? War ich jetzt am Zug?

»Ja, sehr gut.«, erklärte ich sanft, und hoffte, dass Harry es nach Wahl auslegen konnte. Ich wollte ein ›In meinen Augen‹ hinzufügen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gab, in dessen Augen Harry nicht gut aussah. Also entschied ich mich für etwas anderes. »Tust du eigentlich immer.« Ich senkte den Kopf. »Ohne ›eigentlich‹.«

Mein Blick war abgewandt, seiner durchbohrte mich.

»Louis, nicht immer.«, sagte er so eindringlich, dass ich ihn wieder ansehen musste. »Gestern Abend. Um 21:38 Uhr. Sah ich gut aus?«

21:38 Uhr? Was war das für eine neue Strategie? Ich hatte Harry hübsch genannt. Oder zumindest ›gut aussehend‹, und der Klang meiner Stimme hatte ›hübsch‹ sagen sollen.

Was hatte ich für eine Wahl? »Ja.«

Ich hatte gedacht, in 21 Jahren hätte ich zumindest ein winziges Bisschen übers Flirten gelernt. Aber Harry zog mir einen Strich durch diese Rechnung. »Dir ist nichts aufgefallen, Louis?«

»Hätte mir etwas auffallen sollen?«, fragte ich vorsichtig.

»Nein!« Er hob seine Nasenspitze. »Louis? Ich bin ein gesunder Mensch. Ja?«

Ich suchte nach all den Geheimnissen in seinen Worten, auf seiner Haut, und fand kein einziges. Da wären wir. Nach dieser Aussage hätte ich meine Wohnung darauf verwettet, dass Harry kein gesunder Mensch war. Aber ich würde nicht weiter nachfragen. Wenn Harry eine Sache klar machte – neben dem Fakt, dass er mich gerade angelogen hatte – dann, dass er nicht wollte, dass ich erfuhr, was ihn belastete. Eine Krankheit, wenn das der schlussendliche Ausschluss von Gesundheit war. Vielleicht machte das mehr Sinn als alles andere, was ich bisher über Harry gelernt hatte – was nicht viel war. Nicht, dass ich mich auskannte, oder ihn einfach so diagnostizieren könnte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es eine Reihe von neurologischen Störungen gab, die ihn auf einer wahnsinnig lauten Party den Verstand verlieren und die Flucht ergreifen lassen würden. Oder ging ich schon wieder einen Schritt zu weit?

»Ja.«, sagte ich einfach so ruhig ich konnte. Es ging nicht um mich und ich verdrängte, dass ich mal wieder ein egozentrischer Idiot in der Annahme gewesen war, dass Harry mit mir flirten könnte. »Harry, ich möchte trotzdem sagen, dass ich zuhöre, falls du irgendwann kein gesunder Mensch mehr sein solltest. Ich kann stumm zuhören oder unterstützen, wenn das helfen sollte. Nur, dass du's weißt.«

»Ich bin ein gesunder Mensch, Louis.« Er betonte jedes Wort, als würden Welten daran hängen.

Wenigstens einmal gewährte ich ihm den Respekt, den er verdiente. »Natürlich.« Hoffentlich hatten meine Worte ihn trotzdem erreicht.

Ich sehnte mich nach Hemsworth, egal, wie hart der Regen sein würde. Aber...würden Harry und ich wirklich beide das Wochenende in derselben Kleinstadt verbringen? Durch Zufall? Schon jetzt hatte ich das Gefühl, fürchten zu müssen, wie allein seine unwahrscheinliche Anwesenheit mir den nächtlichen Schlaf rauben würde.

»Was machst du in Hemsworth, Harry?« Hoffentlich nicht zu offensiv. Oder wahrscheinlich schon. Ich verlor all mein Gefühl für geregelte soziale Interaktionen mit Harry. Vielleicht waren es seine unerwarteten Reaktionen oder seine nicht vorhandenen Reaktionen oder einfach das Rätsel der Blitzkurven seines Verstandes.

»Ich sehe es mir an.«

Fast hätte ich wieder gelacht. Ziemlich sicher gab es in einem 100-Kilometer-Radius um Manchester keine Stadt, die weniger sehenswert für einen kleinen Wochenendtrip war als Hemsworth. Meines Wissens nach gab es keine einzige Sehenswürdigkeit – jede andere englische Kirche war sehenswerter. Es war höchstens bekannt für seine Kleinkriminalität. Gut, dass Harry sich noch nicht entschlossen hatte, sicher das ganze Wochenende zu bleiben. Wahrscheinlich würde er morgen früh erleichtert wieder in den Bus zurück steigen. Vor allem bei dem Wetter.
Aber ich musste seine Hoffnungen ja noch nicht zerstören, bevor er überhaupt da war. Wie er sich für Hemsworth entschieden hatte, war mir ein Mysterium.

»Schläfst du in einem Hotel?«, fragte ich also möglichst taktvoll weiter.

Er blinzelte langsam. Da war etwas mit seinem Blinzeln. War es immer gewesen. »Einem Hotel?«, als hätte ich für ihn gebucht. »Ja.«

Mal sehen, was Hemsworths Hotels so zu bieten hatten. Ich grinste. »Na, vielleicht laufen wir uns ja über den Weg. Eine seltsame Laune des Universums, oder?«

Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Eine Laune des Universums?« Seine linke Hand machte eine kleine kreisende Bewegung. »Das Universum hat keine Emotionen, Louis.«

Das Grinsen wollte nicht weichen. »Ich glaube, ich kenne da jemanden, mit dem du dich gut verstehen würdest.« Niall war immerhin meine erste Hoffnung auf Kontakt zu Harry gewesen.

Harry setzte sich gefährlich gerade auf und hielt sich wieder an seinem Sitz fest. »Einen Menschen, mit dem ich mich gut verstehen würde?«, fragte er mit Etwas, das an Aufregung grenzen konnte. Er wollte also wirklich mehr Leute kennenlernen. Das war keine Fassade gewesen.
Schloss das sehr, sehr guten Sex aus?

»Ja. Nur, weil er auch solche Sachen über das Universum sagt. Und sich nicht gerne verkleidet!«

»Verkleiden verstehe ich nicht.«

Es würde mir nichts ausmachen, ihn zu küssen. An einem dunklen Frühherbstnachmittag, durch schweren Regen abgekapselt vom Rest der Welt.
Nur war nicht mehr Frühherbst. Und ich konnte ihn jetzt nicht einfach so küssen. Oder? Es war seltsam, seine Lippen zu sehen und sie nicht zu küssen.

Ich versuchte, mich zu räuspern, aber mein Hals war frei. »Harry, trotzdem, nach gestern Abend; geht es dir gut?«

»Ja! Sehr gut. Es ging mir immer gut.«

Für ihn lächelte ich. »Das ist schön.«

Der Bus bremste. Harry schien zu erschrecken und starrte wieder aus dem Fenster. Straßenlaternen spendeten zumindest ein bisschen Hoffnung als schwache Lichtkegel. Sonst nur grau. Falls der Regen schwächer geworden war, konnte ich es nicht sagen.

»Du wirst sehr nass werden, Harry.«, bemerkte ich sanft. Er musste eine Regenjacke besitzen. Man konnte nicht in England leben, ohne das zu tun. Vielleicht hatte er sie vergessen. »Warte! Ich glaube, Moment...hier!« Aus der Seitentasche meines Rucksacks zog ich einen zusammengeschobenen Regenschirm. Zufrieden hielt ich ihn Harry hin.

Der starrte ihn nur verstört an. Vielleicht hatte seine Keine-Jacken-keine-Hosen-keine-Schuhe-Philosophie auch etwas gegen Regenschirme. Sollte mich nicht wundern. Trotzdem lächelte ich ermutigend. »Du kannst ihn gerne leihen, wenn du willst. Ich habe meine Jacke. Und es ist nicht weit zu meiner Nan. Du kannst ihn mir in Manchester zurückgeben.«

Er antwortete nicht. Der Bus hielt. Harry stand nicht auf.

»Das hier ist Hemsworth, Harry.« Ganz leicht stieß ich ihn mit dem Ellenbogen an. »Wir müssen aussteigen.«

»Oh ja.« Er stolperte auf den Gang – hin zur Tür oder weg von meinem Ellenbogen. Ich überflog die Sitze und folgte ihm. Was hätte Harry auch vergessen sollen?

Der Bus hatte nur eine Tür, vorne bei der müde aussehenden Fahrerin. Langsam schob sie sich auf. Der Bus war die ganze Zeit kaum besetzt gewesen und niemand wollte mit uns aussteigen. Der schwache Wind schützte uns davor, schon vor der Tür nass zu werden. Sanft schob ich mich an Harry vorbei und spannte den Regenschirm auf, sobald die Tür es mir erlaubte. Ich setzte meine Kapuze auf und zog den Reißverschluss bis unters Kinn, richtete den Rucksack auf meinem Rücken. Dann trat ich auf den Bordstein, unter dem Schutz meines Regenschirms.

Harry musterte ihn mehr als skeptisch. Er selbst sah aus wie eine Illusion, das weiße Kleid im grauen Bus im grauen Regen im grauen Tag. Wangen rosig und trocken. »Na komm!«, lächelte ich. Die Busfahrerin hinter ihm sah jetzt zusätzlich genervt aus. Ich hielt den Regenschirm so nah wie möglich vor die schmale Bustür, um ihn so gut es ging vom Regen abzuschirmen. Ich würde auch überfordert aussehen, wenn mich nur das dünnste Stück Seide von einem heftigen Herbstregen trennte.

Endlich trat Harry aus dem Bus. Staubtrocken landete er unter meinem Regenschirm, an meiner Seite. Auch als der Bus sich auf der nassen Straße wieder in Bewegung setzte, bekamen Harrys Beine nichts von dem Wasser ab. Glück gehabt.

Die riesigen grünen Augen hatten den dünnen Stoff des Regenschirms fixiert. Ein hauchdünnes, blaues Dach über unseren Köpfen, welches das Prasseln der Tropfen ein Hundertfaches lauter scheinen ließ. Erst jetzt, wo ich ihn genauer ansah, wurde mir die Absenz seiner Grübchen bewusst. Ich hatte jeden Grund, sie zu vermissen.

»In welche Richtung musst du, Harry?«, fragte ich munter. Vielleicht konnte ich so ein Lächeln aus ihm kitzeln.

Er riss den Blick vom Drahtgestell über uns und sah sich um, Orientierung. Es war Hemsworth. Der Regen ließ alles noch trister wirken. Langsam drehte er sich um sich selbst. Ich wollte nicht lachen.

»Da.«, verkündete er und streckte seine Hand aus. Ich dachte, er hätte vielleicht die Regenschirmgrenze überschritten, aber er blieb trocken. Fragend sah er mich an. »Wo willst du hin?«

Ich deutete in eine Richtung versetzt von seiner. Der Weg zu meiner Nan. Als ich klein gewesen war, war ich ihn immer an der Hand meiner Mum gegangen.

»Nimm den Regenschirm, Harry.« Behutsam schüttelte ich den Griff ein bisschen, nahe meines Ohres löste sich ein kleiner Wasserfall. Wasser in meinen Schuhen. Ich zog willentlich keine Grimasse. »Ich brauche ihn nicht. Wirklich. Bei meiner Nan kann ich gleich fünf andere wählen. Nimm ihn mit.«

»Ich will ihn nicht, Louis.«

Na wunderbar. Stur- und Bescheidenheit waren eine harte Kombination. »Es ist wirklich kein Problem.«, versuchte ich es trotzdem weiter.

Aber Harry schüttelte den Kopf. Es erinnerte mich fast an eine Eule, so stark drehte er ihn. »Ich brauche dein Gerät nicht, Louis. Bitte behalt es.«

Mein Gerät. Zayn hätte gelacht. Und etwas über sehr, sehr guten Sex gesagt. Sogar jetzt wusste ich schon, dass ich zu sehr präsenter Teil der Situation war, um wirklich zu reagieren. Sollte ich weiter protestieren oder Harry mit schlechtem Gewissen in die Nässe schicken? Ein letzter Versuch. »Bist du dir sicher?«

»Ja! Sicher.« Er kannte seine Antwort. Das machte es zu meiner.

Ich gab mich geschlagen. »Na gut. Dann beeil dich. Und geh warm duschen, wenn du da bist.«

»Ich werde mich beeilen.«, bestätigte er und sah in die Richtung des Hauses meiner Nan. »Beeil dich auch, Louis. Verbring nicht zu viel Zeit in der Kälte.« Ich musste die Ironie dieser Worte nicht anmerken.

»Werde ich nicht. Mein Weg ist wirklich nicht lang.« Ich verbarg die rechte Hand in meiner Jackentasche. Als wäre das Schlagwort magisch, war sie kalt geworden. »Okay, Harry. Witzig, dass wir beide hier sind. Ich wünsche dir eine schöne Zeit! Wie lange du auch bleibst. Unternimm ein paar coole Sachen. Wir sehen uns bestimmt bald in Manchester. Oder schon auf der Rückfahrt.« Ich grinste, aber noch immer wollte er mir nicht mit Grübchen antworten.

Er nickte nur wieder. »Wir werden uns sehen, Louis. Tschüss. Geh jetzt.«

Ich wollte ihm den Regenschirm nicht wegziehen, aber, nochmal; was hatte ich für eine Wahl? »Bis bald, Harry. Hab einen schönen Abend!«

Als ich begriff, dass er darauf nichts mehr antworten würde, setzte ich mich in Bewegung und überließ ihn der Nässe. Ich drehte mich weg, bevor ich die Konsequenzen sehen konnte. Das hätte sich sadistisch angefühlt – oder zumindest herzzerreißend.

Also stapfte ich in der relativen Sicherheit von Regenschirm und -jacke los. Fast mehr als für mich selbst, beruhigte es mich für meine Bücher. Mein Rucksack schien plötzlich schwerer zu werden. Harry hatte nicht nur keinerlei Kleidung mitgebracht, sondern auch keine andere Art von Gepäck. Keine Zahnbürste. Wo hatte er sein Geld? Versteckt in seiner Unterwäsche?

Wie lebte er? Ich gab mir alle Mühe, ihn nicht zu verurteilen. Aber Harry wählte nicht einige selektierte Einschränkungen, die ihn von der Verderbnis der Gesellschaft beschützten; er schien alle Einschränkungen gewählt zu haben. Was war der Sinn? Und wie machte er es?

Aber die akutere Frage: Wenn das Harrys Leben war, wie könnte Platz darin für mich sein?  Nicht auf romantische Weise, nicht mal auf sexueller, nur auf existenzieller. Ich – gemeinsam mit ungefähr allen anderen Menschen wahrscheinlich – war alles, was Harry ablehnte. Wie könnte er mich als eine Präsenz in seinem Leben annehmen? Wenn auch nur als einen Freund oder Bekannten oder was auch immer. Meine reine Anwesenheit musste verstören, oder nicht?

Ich bog in eine Seitenstraße ab. Als wäre mein Leben nicht schon chaotisch genug ohne Harry darin. Er war nicht nur ein riesiges Fragezeichen; er verzerrte die klaren Punkte meines Alltags, wenn sie ihm zu nahe kamen. Hatte er immer diese Wirkung, auf alle Menschen? Wie gewann man Verständnis von ihm? Wer verstand ihn? Seine Familie? Seine ältesten Freunde? Waren sie wie Harry?
Wieso verunsicherte ein bisschen Anders-sein mich plötzlich so stark?

Nicht mal die Fragen, die ich mir über ihn stellte, ergaben genügend Sinn, um wirklich greifbar zu sein. Oder um beantwortet ein Bild zu erschaffen.

Harry verschwand für zehn Tage. Ich wollte Antworten. Er tauchte wieder auf, aber anstelle von Antworten bekam ich Harry, der auf einer Party quasi vor mir zusammenbrach oder was auch immer passiert war. Ich wollte neue Antworten. Er lächelte mich wieder an, nahm mir nichts übel, aber anstelle von Antworten bekam ich Harry, der neben mir im Bus in die Heimatstadt meiner Großmutter fuhr. Ich wollte Antworten. Und fühlte mich nur in einer einzigen Sache sicher; dass ich sie wahrscheinlich niemals erhalten würde.

Was würde als nächstes passieren?
An diesem Punkt wäre ich möglicherweise weniger schockiert, zu erfahren, dass er Zayn vielleicht die ganze Zeit persönlich gekannt hatte, als Harry in Jeans und Pullover zu sehen.

Alles fühlte sich irrational an und ich wusste nicht, ob ich dafür mich oder Harry in Frage stellen sollte. Ich hatte nicht gewusst, dass es möglich war, dass ein einzelner Mensch so sehr an meiner Vernunft rütteln konnte. Und noch weniger wusste ich, ob das etwas Gutes war.

Meine Fragen schlossen keinen Kreis. Nichts in meinem Leben schloss einen Kreis, aber Harry und alles an ihm versuchte nicht mal, sich wenigstens ein bisschen zu krümmen. Er war eine Gerade; Dinge passierten nacheinander, ohne jemals miteinander vereinbar zu sein. Er war nur Fakten und Ungereimtheiten.
Ich hatte mit Zayn darüber mehrmals geredet. Als erbärmlicher Literaturstudent, der sich gezwungenermaßen unterbewusst immer zu ernst nahm, wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn ich die Charaktere in meinem Leben nicht entziffern konnte. Mit Harry kam es mir vor, als würde ich nicht mal die Sprache beherrschen, in der ich ihn lesen sollte.

Das war alles so viel zu viel. Ich war noch nicht mal bei meiner Nan angekommen, das Wochenende hatte kaum begonnen und schon jetzt hatte ich meine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle. Das hier war erst der Anfang. Ich hatte nicht mal die Zeit gehabt, mich wirklich in die Strudel hineinzudenken. Der Regen würde sich früher oder später verziehen, aber in meinem Kopf würde es kaum heller werden. Ich hatte zu lange dort gelebt, um es nicht besser zu wissen.
Aber wie immer war das, was dich am besten kannte, die größte Gefahr.

Schluss also. Ich hob den Blick, um mein Ziel auf der anderen Straßenseite zu sehen und direkt in eine tiefe Pfütze zu treten. Dieses Mal verzog ich das Gesicht unter leisem Jammern. Zum Glück war ich fast da.

Der Verkehr im gigantischen Hemsworth erlaubte es mir, die Straße ohne Warten zu überqueren. Das cremefarbene Reihenhaus lächelte nicht wie an sonnigen Sommertagen mit seinen leuchtenden Blumenkästen. Aber das Licht in der Küche brannte warm und gelb und brach mir fast das Herz. Wenn ich wollte, konnte ich mir den Geruch des frisch gebackenen Kuchens einbilden.

Das kleine Gartentor war so verwässert, dass es nicht quietschen konnte. Ein wenig umständlich schloss ich es mit einer Hand. Nur ein paar Schritte bis zur Tür. Unter dem schmalen Vordach ließ ich den Regenschirm sinken und klingelte. Ich hörte das Dudeln sogar über den Regen hinweg. Ich würde ihn jetzt hinter mir lassen.

Im Flur ging das Licht an. Ich sah ihren verzogenen Schatten, bevor ich mich mental darauf vorbereitet hatte. Rechtzeitig entspannte ich meine Wangen zu einem Lächeln.
Die Tür schwang auf.

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keine meiner Geschichten komplett ohne die obligatorische englische ›Hems[Endung]‹ Kleinstadt!

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