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𝐋𝐈

☽ ⋆ 𝐇 ⋆ ☾

Es war ein seltsames Haus, Dachziegel bis auf den Boden, und das Rot dunkel wie Rost. Es war ein seltsames Haus, denn es war mehr als ein einziges Haus, aber sie sahen alle gleich aus. Dachziegel bis auf den Boden und das Rot dunkel wie Rost. Doch Louis schien sie auseinander halten zu können.

»Whitworth Park.«, sagte er, als er sich für eine Tür entschieden hatte. Eine Kette von Worten reihte sich auf kleinen Zetteln neben metallenen Knöpfen auf und Louis fand meinen Blick. »Hier.« Sein Finger tippte ohne Zögern, traf kleine schwarze Buchstaben. »Malik. Aber wir müssen nicht klingeln. Hier unten ist eigentlich immer auf.«

Malik. Da war der volle Name. Zayn Malik. Alles, was ich brauchte, um alles Wissen zu stillen, außer das, welches ich jetzt stillen würde. Dank Louis. Dank Zayn.

Louis stieß die Tür mit seinem linken Unterarm auf und er hatte recht. Licht brannte innen von der Decke, als wäre es nur für seine Augen angegangen. »Wie hätten wir klingeln sollen?«, fragte ich, weil die Neugier da war. Es war nicht das erste Mal, dass Louis es forderte, und es war nicht das erste Mal, dass ich keine Glocke oder etwas anderes Klingelndes sah.

Er blieb stehen, sein Hinterkopf kurz vor mir, dann drehte er sich lächelnd um. »Pass auf.«, sagte er und zog die fast zugefallene Tür von innen wieder auf. Ich folgte ihm überrascht. Ich passte auf. Ich gab mir Mühe, immer aufzupassen. »Hier, die Knöpfe. Drück rauf. Auf Zayns. Das ist die Klingel.«

Eine versteckte Glocke also. Fast gar nicht zögerlich streckte ich die Hand nach dem Namen aus, den Louis mir gezeigt hatte. Malik. Das abgerundete Metall war kalt und bot Widerstand, als ich drückte. Stille. Mehr Stille. Kein Klingeln. Dann ein Rauschen.

»Die Gegensprechanlage funktioniert meistens nicht, aber er kann dich hören. Du ihn nur nicht.«

Ich starrte die Buchstaben an, zur Sicherheit, falls sich etwas ändern sollte. »Er kann mich hören?«

»Ja. Da.« Louis tippte mehr mit Fingernagel als Haut auf ein kleines Gitter aus Plastik über der Liste von Namen.

»Zayn?«, fragte ich Louis und er nickte.

»Ja.« Es klickte, das Rauschen erlosch. »Na komm. Er hat uns aufgemacht.«

Zayn hatte uns die Tür aufgemacht, die Louis mit seinem Fuß nie hatte schließen lassen. Machte Louis sich über mich lustig? War es das mysteriöse Konzept; Ironie? Ein Klingeln ohne Klingeln und Zayn öffnete uns eine offene Tür. Zum ersten Mal realisierte ich es. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. In was für eine Situation Louis mich führte. Wer Zayn war. Oder der andere Mensch; Niall. Louis' Titel menschlicher Zuneigung sollten mir gar nichts bedeuten. Was wusste ich schon? Auch wenn ich eine Jacke und einen Pullover und eine Hose und Unterwäsche trug und mir die größte Mühe gab, mit den Füßen fast den Boden zu berühren und einen Atemzug nach dem anderen zu nehmen, machte mich das noch lange nicht menschlich. Ich verstand nicht, wie stille Klingeln klingelten oder dass Louis und der Rest der Menschheit mir ins Gesicht lügen konnten, wann immer sie wollten.

Ich war nicht bereit. Was passierte, wenn alles fehlschlug? Liam war nicht hier, auch wenn er es angeboten hatte. Lief ich naiv und lächelnd in das nächste himmlische Beben hinein? Musste ich nur ein Klingeln zu viel überhören und der Rest würde bröckeln?

»Oh. Ganz vergessen.«, unterbrach Louis die ungehörten Gedanken, als wir auf eine Glastür zuliefen. Er kann dich hören, nur du ihn nicht. »Mittwoch. Bierflaschenbowling.«

Louis zog die Tür auf und was eine durchsichtige Grenze zu nicht-gestellten Fragen gewesen war, überließ mich der Überforderung. Nach rechts und links erstreckte sich ein langer Flur und Menschen drängten sich an den Enden. Ihre Stimmen waren laut, aber die Musik war lauter, wie eine Echo von der Nacht, die Louis Halloween nannte. Ein schwacher Terror meiner Trommelfelle. Auf dem Boden verteilte sich dünnes Metall und ein Geruch, den auch Louis' Zunge riechen konnte.

»Frag nicht, wieso es Bierflaschenbowling heißt, wenn sie mit Dosen spielen.« Seine Finger griffen nach meinen und es war fast der Reiz zu viel. Neben mir begannen mindestens fünf Menschen, das Gleiche im gleichen Rhythmus zu sagen. »Ich bin ganz froh, die Flaschenzeiten nie miterlebt zu haben, aber- warte.« Ein verschwimmender Gegenstand flog und dann waren die rauen Stimmen doch lauter als die Musik. »Jetzt.« Louis zog mich über den Flur hinweg, seine Schritte schnell und kalkuliert. Ich hatte keine Zeit, aufzupassen, wo ich nicht hintrat. Wir erreichten die Treppe und Louis ließ mich los. Nicht der Reiz zu viel, sondern vielleicht doch...

Ich griff wieder nach seiner Hand, da, warm, Verrat an allem, was ich sein sollte. Louis blieb stehen, mit überraschtem Blick, aber ich sah ihn bittend an. »Weiter, Louis. Weg von hier.« Ich konnte nur hoffen, dass wir Zayn nicht inmitten der nächsten Musik-Menschen-Reizüberflutung finden würden.

Louis half. Er zog mich mit sich die Stufen hinauf, Schritt für Schritt den Lärm hinter uns lassend. »Ich bin ganz froh, die Bierflaschenzeiten nie miterlebt zu haben.«, sagte Louis nochmal und mit einem treppenfremden Wackeln in der Stimme. »Ich weiß auch nicht, wie sie das jemals mit der Hausverwaltung abklären konnten, aber irgendwie geht es. Tradition. Das scheint zu reichen. Ich schätze, sie machen gut sauber.«

Bierflaschenbowling, Bierflaschenzeiten, versetzte Fingerknöchel. Louis, ich, Louis, ich, Louis, ich und hunderte Jahre Angst und Vergehen. Noch eine Stufe und die Sinne meiner Haut waren die Sinne seiner Haut, da war das Bröckeln und auch das Ende der Treppe. Noch ein Flur, nur dieses Mal leer und dunkel. Louis wusste, wo der Schalter war und ließ meine Hand los, um ihn zu drücken. Reizüberflutung mit ihm war die Reizüberflutung ohne ihn. Meine Finger wollten ihn nicht nicht nicht nicht, Sprachspiel, nur für Louis. Aber seine Hand gehörte wieder ihm, außer an dem kleinen goldenen Band in meiner Brust. Es war nicht nur ich. Der Abdruck von meinem Griff forderte sein blutiges Opfer.

Türen zu beiden Seiten des Bodens, aber wir passierten sie nur, bis eine offen stand. Louis stoppte.

»Hier?«, fragte ich und konnte nicht fassen, dass es plötzlich so einfach war.

»Hier.«, bestätigte Louis.

Ich lächelte für einen von uns, aber als ich mit ein bisschen Druck den Spalt vergrößern wollte, hielt Louis mich auf.

»Hey.«, sagte er, aber berührte mich kein zweites-drittes Mal. »Harry.«

»Ja?«

»Können wir einen Deal machen?«

»Einen Deal?«

»Ja?«

»Ich weiß nicht, was ein Deal ist.« Die nicht-enden-wollenden Geständnisse. Louis kannte zu viele Worte.

»Ein...Abkommen. Eine Abmachung.«, half er, und schielte zur angelehnten Tür herüber. »Ich nehme dich gleich da mit rein. Worum du mich gebeten hast. Und du strengst dich hoffentlich an...unauffällig zu sein.«

»Ich strenge mich an!«, garantierte ich, bevor Louis sich vielleicht doch noch umentschieden konnte. Oder war es das, was ich wollte? Welche Emotion empfand ich nochmal? »Ich gebe mein Allerbestes. Abgemacht.«

»Das ist nicht die Abmachung.«, fiel er ein. Seine Stimme war gesenkt, für mich bestimmt, für mich und meine zwei Ohren, denen er nur einen Sinn zuschrieb. »Die Abmachung; ich nehme dich mit da rein. Und im Gegenzug... Im Austausch erzählst du mir die lange Geschichte. Von Menschen und Engeln und von dir und mir.« Ein verschwörerischer Blick. Kein Lächeln, aber bald, in den tiefen Muskeln seines Kiefers.

Ich nickte als die beste Übung. Meine Hand brannte noch von dem Sauerstoff seiner Finger. »Ich erzähle es dir, Louis. Wenn du Zeit hast.«

Kleines Lächeln und er nickte auch. »Morgen.«

»Hast du morgen Zeit dafür?«

»Ich nehme mir die Zeit.«

Menschen, Menschen, nehmen, nehmen. Aber ich wusste, was er tat. Louis war eine Lektion nach der anderen. »Aber nicht, während du schlafen oder arbeiten solltest.«, mahnte ich.

»Nein. Ich nehme mir Zeit für dich. Tagsüber.«

»Dann ja. Morgen.«

»Abgemacht.«, sagte Louis und hob seine Hand auf die Höhe seines Bauchnabels. »Handschlag.«, fügte er hinzu. »Wenn du willst. Menschliche Lektion. Abmachung mit Handschlag.«

»Ich schlage dich nicht!«

»Nicht schlagen. Einschlagen. Händeschütteln.«

»Oh.« Ich wollte wissen, wieso; was konnte Haut garantieren, das eine Stimme nicht konnte, aber ich wollte auch endlich diese Tür passieren, und ich wollte Louis' Hand schütteln, egal warum. Um die Glut zu schüren, um die Empfindung zu teilen.

Die Verantwortungslosigkeit war wärmer als Louis' Finger. Berührung und noch eine und wie lange konnte ich mir das hier leisten? Was war der Preis über den Tumult in meinem Unterarm hinaus, und wie viele Milliarden Leidende würden ihn zahlen müssen? Was machte ich hier? Wovor hatte ich die Angst verloren?

»Okay. Cool.«, grinste Louis und ließ meine Hand wieder los, als könnte es sich nicht lohnen, die Kosten dieser Leichtsinnigkeit auszunutzen. Aber er drückte sich von der Wand ab. »Na dann. Bereit?«

100 Jahre auf den Tag genau, eine Differenz so einfach umgedreht. »Bereit.«, spekulierte ich. Ich hatte das hier gewollt. Ich wollte es. Und trotzdem; für das Zehntel einer Sekunde hätte ich fast gedacht, es wäre mein Herz, das schneller schlug. Schneller, höher, voller, Louis, Klappen zu, ba-bumm. Blut gefangen hinter und vor seiner Tür, aber unsere stand offen. Louis kam mir dieses Mal zuvor.

Noch mehr Licht, das uns erwartete. Schmaler Raum wie Louis' Flur, nur schmaler, so viel schmaler, und die rechte Wand war behangen von Stoff über Stoff über Stoff unter Stoff und aus eigener Erfahrung sah ich jetzt die Jacken darin. Schuhe säumten den Boden, aber nicht wie Louis' Paare, links und rechts, sondern in einer Ordnung, die ich nicht begriff, oder die keine war. Louis' Schultern kannten den unverfehlbaren Weg, er warf mir einen kurzen Blick zu, als er seine Schuhe dem Chaos beisteuerte, und lächelte flüchtig. Ich hörte die Stimmen mit körpergebundem Gehör ohne Worte, aber als der Raum sich öffnete, verstummten sie sowieso.

Zweieinhalb Sekunden menschlicher Stille, gelben Lichts und so vieler neuer visueller Reize, dass ich fast nicht gemerkt hätte, dass Louis stehen geblieben war.

»Hey.«, sagte er in den offenen Raum hinein, aber es musste an die beiden Menschen gerichtet sein, die nebeneinander, beieinander, voreinander an einem Tisch lehnten, der keine einzige Ecke besaß.

»Hey!« Einer von ihnen löste sich von dem wundersam runden Tisch und es war weniger der Schatten der Stimme als Nase, Mund und die dunklen, dunklen Augen, die Erinnerung zu Gegenwart machten. Und noch viel absurder als Zayn vor mir war mein Bedürfnis, Louis mit meinen Fingern auf die Erkenntnis aufmerksam zu machen, die er nie mit mir geteilt hatte. »Du musst Harry sein.« Zayn lächelte, mit einem Gesicht ganz anders als Louis', aber Muskeln zuckten in der gleichen Reihenfolge.

Eine tiefe Anspannung wollte sich aus Louis' Fingern und Hals in meinem Körper einschleichen, aber ich schüttelte sie ab. »Ich kenne dich!«, verkündete ich begeistert. All die Bitten, Zayn kennenzulernen, dabei war ich ihm längst begegnet. Meine Brust war leicht für diese schwere Atmosphäre.

Da war Verwirrung in Zayns Gesicht, nur ein bisschen verzerrt vom Alter, aber er hielt das Lächeln aufrecht. »Wirklich?«, fragte er gleichzeitig mit Louis' »Was?«

»Ja!« Ich wollte ein Loch in die Zeitkonstante stechen, ein kleines nur, um wirklich zu sagen, was ich sagen wollte. Ich war Zayn begegnet; Zayn war mir begegnet. »Im Schwimmbad!« Liam hatte mir den Namen beigebracht, und alle Statistiken, hinterher, nachdem ich sie um eine Nachkommstelle erhöht hatte.

Louis neben mir lachte mit irritiertem Blick, zum Glück nur die gute Menge Wasser in seiner Lunge. »Da musst du ihn verwechseln.«

Zayn sah irritierter aus, aber er versuchte mit Blick zu Louis dessen Leichtigkeit zu spiegeln. »Ja. Da musst du mich wirklich verwechseln. Aber es ist schön, dich kennenzulernen.«

Ich verwechselte ihn nicht, ich wollte es ihm sagen, nur das Gesicht zu dem Namen zu dem Gesicht hatte gefehlt, aber in diesem Moment drehte Louis' Kopf sich ruckhaft zu mir, Sprung in seinem Nacken und sein Herz hämmerte schneller gegen seine Rippen. Es brauchte nur Sekunden, um dem Schock seiner Augen zu folgen. Und dann folgte meine Einsicht.

Ich durfte Zayn nicht einfach von Erlebnissen seiner Kindheit erzählen, selbst wenn ich anwesend gewesen war und die verräterischsten Details ausließ. Gar keine gute Idee. Und das, nachdem ich Louis gerade garantiert hatte, mein Bestes zu geben. Nicht nur um Louis' Willen war das hier nicht akzeptabel. Wie konnte ich die Aussage zurückziehen?

Zayn kam mir zuvor. Nach einem weiteren stummen Blick zu Louis trat er einen kleinen Schritt zurück. »Louis hat dich uns ja eine Weile vorenthalten.«

Louis machte ein Geräusch, das mir keine Emotion verriet. Ich wollte ihn nicht ansehen, um mehr zu lernen, dafür war Zayns Gesicht zu neu und zu bekannt. Außerdem musste ich die Chance nutzen, die er mir bot, um von meinem Fehler abzulenken. »Ja!«, stimmte ich also zu, denn wie bereits vermutet, hatten Zayn und ich Gemeinsamkeiten. »Er hat euch mir vorenthalten!«

»Ich bin anwesend.«, sagte Louis mit trockenem Hals. Als hätten weder Zayn noch ich bisher seine Anwesenheit bemerkt. Er sollte es besser wissen. »Harry«, fügte er dann weicher hinzu und hatte doch wieder meine volle Aufmerksamkeit gewonnen. »Willst du mir deine Jacke geben?«

Meine Jacke. Ich wollte sie ihm sehr gerne geben, solange das bedeutete, die zusätzliche Lage Stoff auf meinen Schultern loszuwerden. Ich nickte mit einem Lächeln – ein bisschen Angeberei vor Zayn vielleicht – und versicherte mich, dass alle Knöpfe vor meinem Bauch geöffnet waren. Jacke ausziehen war leichter, als sie anzuziehen, aber sehr viel schwerer, als es aussah – vor allem, weil sie eigentlich so viel offener war als ein Pullover. In Louis' Wohnung disziplinierte ich mich nicht mehr mit mechanischem Umziehen, sondern half ein bisschen magisch nach, aber das war hier keine Option. Voll konzentriert bemühte ich mich, die richtige Arme-und-Schultern-nach-hinten-Haltung zu finden, in der die Jacke fast von alleine von meinem Körper glitt, aber fand sie nicht. Louis' Blick war da und seine Finger zuckten – ich wusste, dass ich es nicht gut machte. Nicht gut genug. Meine Arme brannten von der ungewollten Reibung, von der Haltung, die meine Flügel gequetscht und gequält hätte.

»Okay.«, sagte Zayn und klatschte sanft in die Hände. »Dann seid ihr ja jetzt hier. Sehr gut. Wieso habt ihr eigentlich geklingelt? War unten zu?«

»Nein.«, sagte Louis. Ich war dankbar, dass er unser Antworten übernahm und wackelte mit den Schultern. »Nur so. Wir sind ins Bierflaschenbowling geplatzt.«

»Ja. Kriminell. Dann habt ihr die einzige Regel gebrochen. Oder?«

»Haben wir.«

Ich kämpfte mit der Jacke und sollte keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen, aber konnte nicht widerstehen. Und es war nicht nur Neugier; es war eine Sicherheitsvorkehrung. »Was ist die einzige Regel?«

»Mitmachen.«, sagten Louis und Zayn gleichzeitig.

Wir hatten die einzige Regel gebrochen. Wieso hatte Louis das zugelassen, wenn er sie doch kannte? Was waren die Konsequenzen? Wie würde Louis zur Rechenschaft gezogen werden? Was konnte ich tun?

»Stimmt aber eigentlich nicht. Es gibt ein kompliziertes Regelwerk.«, berichtigte Zayn.

»Nicht kompliziert genug, um nicht von Betrunkenen verstanden zu werden.«

»Ich denke, genau deswegen ist es so kompliziert.«

Ein Knick in Louis' Stimme. »Vielleicht sind wir einfach zu engstirnig.«

»Du vielleicht.«

Ich nutzte die Chance ihrer Ablenkung, um das Jackenproblem zu lösen. Meine Arme zitterten schon, ohne, dass ich volle Kontrolle darüber hatte, aber die Jacke war nur halb von meinen Schultern gerutscht. Mit ein bisschen Konzentration und Louis und Zayn ausblendend bündelte ich genügend Magie, dass die Jacke wie durch meine Arme hindurch dumpf hinter mir auf den Boden fiel. Drei Köpfe wandten sich mir zu. Ich lächelte erleichtert und befreite meine Arme von ihrer Spannung. Endlich.

Zayn und Louis stiegen wieder in ihr Gespräch ein, induziert von Louis, manchmal mein Beschützer. Ich drehte mich zur Ausführung der unsicheren Übung um, die Jacke aufzuheben, und meine Knie beugten sich meinem Willen langsam, langsam, Hocke ohne Hinsetzen würde schwierig sein, und dann mit dem zusätzlichen Gewicht des Stoffes wieder- aber eine fremde Hand kam mir zuvor. Vier runde Finger und ein Daumen breiter als Louis'.

Aufrichten ging schneller. Blaue Augen und die Jacke von Louis' Großvater in den Händen, ausgestreckt nur für mich. »Ich bin Niall.«, sagte Niall oder ein Lügner.

Ein wirklich neues Gesicht mit wirklich neuer Artikulation. Vielleicht hatte er sich den Gaumen verbrannt. »Ich bin Harry.«, sagte ein Lügner und griff nach dem Kleidungsstück. »Danke.«

»Gerne.« Er drehte seinen Oberkörper so auf, dass ich an ihm vorbei besser in den großen Raum sehen konnte. »Möchtest du etwas trinken, Harry?«

Das hier war Niall, Zayns Freund. Sie fühlten sich zueinander hingezogen, ohne Bezug auf jegliche menschliche Kulturepochen. Und laut Louis wären die beiden sehr bald sehr verliebt ineinander. Er wusste es, weil er Zayn kannte. Wann würde ich eine Person gut genug kennen, um zu wissen, dass sie sich verliebte, bevor sie es selbst wusste? Oder war das eine menschliche Kompetenz?

»Nein.«, beantwortete ich Nialls Frage.

Er nickte und schloss den kurzen Abstand zu dem kuriosen runden Tisch auf, zog einen Stuhl zurück. Sein Atem ging sehr langsam. »Freie Platzwahl.«, erklärte er nur für mich und ich war dankbar. Auch wenn Stühle und andere Gegenstände, die meine Kniekehlen abschnitten, nicht meine präferierten Sitzmöbel waren, war ich froh über die Regeln. Solange ich mich an die unbekannte Ordnung hielt, blieb Louis' Herzfrequenz niedrig.

Louis und Zayn standen ein bisschen abseits, lachten in die offene Tür eines Schrankes, der wie Louis' kalter Essensschrank von innen leuchtete.

»Wie Tony Blair.«, sagte Zayn und lehnte sich ein bisschen vor, um den Winkel seiner Augen zu ändern. »In einem Paralleluniversum ist er berühmter Schauspieler von Bösewichten.«

»Gar nicht so weit entfernt von diesem Universum.«, steuerte Louis bei und zeigte auf etwas in dem Schrank, das ich nicht sehen konnte.

»Déjà-vu.«, sagte Zayn und sah lächelnd zu Louis auf. Louis lächelte zurück und es war wirklich kein Spiegel von Lippen, aber von Muskeln. Hatten sie einander das Lächeln beigebracht?

»Was heißt Déjà-vu?«, fragte ich Niall, der sich auf einen Platz gesetzt hatte, an dem auf dem leeren Teller schon eine Gabel lag. Ich bewegte den sperrigen Stuhl neben ihm, um mich zu ihm zu setzen. Es machte die Akustik leichter für seine Ohren.

»Wenn du das Gefühl hast, etwas schon mal erlebt zu haben.«, erklärte Niall.

»Erinnerung.«, klärte ich ihn vorsichtig auf und dachte viel zu spät ans Blinzeln. Schnell holte ich ein paar Lidschläge auf.

»Ja, nur, dass du es nicht wirklich erlebt hast. Hattest du das noch nie?«

»Nein.« Natürlich nicht. Wie auch? Wie sollte ich etwas erlebt haben, das ich nicht erlebt hatte? So funktionierte Zeit nicht, weder für mich noch für die Menschen. »Du schon?«

Er hob eine Schulter, ließ sie wieder fallen. »Ab und zu.«

»Harry?« Louis stand neben mir. Er sah auf mich hinab und ich wusste nicht, wieso er seine Version meines Namens gesagt hatte. Er bleib einfach stehen und hatte keine anderen Worte.

»Ist alles gut?«, fragte ich, nur zur Sicherheit.

»Hm? Ja. Ich wollte nur...willst du mir die Jacke geben? Ich hänge sie auf.« Dafür also die ausgestreckten Finger. Ich händigte ihm das Kleidungsstück aus. Vielleicht hängte er sie zu all den anderen und dann würde sie in der Masse untergehen und ich wäre sie los. Ich blinzelte.

»Harry?« Nochmal. Als wäre er sich meiner Identität nicht mehr sicher. Was war das Gegenteil von Déjà-vu?

»Ja?«

Louis' Blick zuckte zu Niall. »Kennst du Zayn wirklich aus dem Schwimmbad?«

»Ja.« Vielleicht glaubte er mir doch.

»Du warst also da?«

»Ja.«, bestätigte ich. Eins, zwei, zum dritten Mal in neun Jahren und sechs Monaten; das war noch eine gute Rate.

Seine Augen hielten mein Gesicht für eine Weile und dann ein bisschen länger. Wieder sprang sein Blick zu Niall. Dann nickte er – Zustimmung für was? – und wandte sich mit unseren Jacken ab. Falls er fehlerhafterweise immer noch davon ausging, dass ich Gedanken lesen konnte, irrte er sich.

»Kommst du auch aus Doncaster?«, fragte Niall neben mir. Er hielt die Gabel jetzt in den Händen – Gabel, das Besteck mit Zacken. Er sah mich an, während seine Finger das Metall drehten.

»Nein.«, sagte ich eilig, und froh über die Wahrheit auf meiner Zunge. Aber Louis und ich hatten das hier besprochen. So wenige Lügen wie möglich, so wenig Wahrheit wie möglich. »Kommst du aus Doncaster?«

Er lachte leise. »Nein.« Wusste Niall nicht, wozu man Gabeln benutzte? In Schüsseln vor ihm stand eine Menge Essen, das er sehr leicht kontrollieren könnte. »Aber du hast recht. Mit Zayn und Louis ist es manchmal, als würde es nur diese eine Frage geben. ›Doncaster ja oder nein?‹«

»Kein Donny-Urteil aus deinem Mund, Niall. Du warst noch nie da.« Zayn stellte zwei Gefäße mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten auf den Tisch.

»Ich urteile nicht. Das macht ihr beide genug.«, sagte Niall ruhig, aber mit einem sanften Lächeln, das Zayns und Louis' Wangen nicht beherrschten.

»Ich war in Doncaster!«, berichtete ich, weil es mir laut Zayn das Recht auf ein Urteil gab.

»Ich habe nie an dir gezweifelt, Harry.«

»Wo kommst du her?«, fragte Niall mit freundlichen Augen und Louis schob sich an Zayn vorbei und setzte sich auf Nialls andere Seite, mir gegenüber. Er war die Jacken losgeworden und wartete jetzt vielleicht gespannter auf meine Antwort als Niall selbst.

»Leeds in England.« Möglich und ausgesprochen. Protest in meinem Rachen, aber das war der Preis.

»Da war ich auch noch nicht.«, erwiderte Niall. Die Gabel ruhte noch immer nicht zwischen seinen Fingern. Brauchte er Hilfe? »Dann hast du ja keinen langen Weg nach Hause, richtig?«

Ein Zucken in Louis' Kiefer, stärkster seiner Muskeln. Nach Hause. »Ein Bus fährt.«, berichtete ich, weil ich es wusste. Nach Leeds zumindest.

Niall nickte, aber Louis war schneller. »Ein bisschen über eine Stunde, mit der besten Verbindung. Unter der Woche.«

»Der Bus hält vor einem großen Haus und ich steige aus.«, fügte ich hinzu, um die Geschichte zu festigen. Es war die Wahrheit. »Ganz hinten sind die meisten Plätze nebeneinander. Fünf. Und sechs Reihen weiter vorne-«

»Harry«, unterbrach Louis mit einem Lachen, das kein echtes war. Seine Augen kommunizierten, aber was? Er hatte so viele Vorstellungen und Erwartungen. Was war das Problem? Sein Lachen war gefallen, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte, und er vielleicht auch nicht. Dann legte er die Hände an die Seite seines Stuhls. »Habe ich dir eigentlich gezeigt, wo das Bad ist?«, fragte er, obwohl er wusste, dass er es nicht getan hatte.

»Nein.«, antwortete ich trotzdem.

»Links, da.«, half Zayn, als Louis' Arme sich schon bereit gemacht hatten, sich auf die Füße zu stemmen. »Die erste Tür.« Er wechselte das Standbein. »Harry, ich habe noch zwei Fragen. Zwei Fragen und eine Aussage.«

Zwei Fragen waren weniger als ich mir stellte.

»Also. Zuerst; möchtest du ein Paar Socken? Du kannst dir gerne welche leihen, wenn du kalte Füße kriegst.«

»Nein danke.«

»Okay. Ansonsten sag Bescheid. Und zweitens; möchtest du was trinken? Tut mir leid, dass ich dich hängen gelassen habe. Ich bin Louis hier gewohnt und der Gute bedient sich selbst. Was ist mit dir?«

»Nein danke.«

»Sicher? Ich hab verschiedene Sachen da. Alkoholisch, nicht alkoholisch, Wasser, wie du willst.«

Zayn und Louis, Zayn wie Louis. Ich schüttelte zur Sicherheit den Kopf. »Nein danke.«

Seine Augenbrauen entspannten sich nicht, aber er nickte. »Bedien dich sonst einfach. Oder frag, wenn du was suchst. Ja?«

Ja. Fünfte Frage. »War das die Aussage?«

»Nein. Wegen des Essens...« Er stützte sich mit einem Arm auf den Tisch, der andere fuhr mit sicherem Abstand über die acht gefüllten Schüsseln. »Ich wusste nicht, was du isst oder ob du irgendwas nicht isst. Deswegen dachte ich; Salat, zum Selbstzusammenstellen und einfach Brot, zum Dippen, ich hoffe, das ist okay. Dass du nicht allergisch bist oder... Gibt es Gemüseallergien?«

»Ja.«, half ich.

»Vor allem Kreuzallergien.«, sagte Niall.

»Aber du..?«, fragte Zayn.

»Ich habe keine Allergien.«

»Sehr gut. Na dann bringe ich dich wenigstens nicht direkt um.«, Zayn strich sich mit einem Handrücken über die Stirn, ohne tatsächlich Haut zu berühren. »Dann können wir, wenn wir wollen, auch essen. Ist eigentlich alles schon vorbereitet. Das Brot muss noch aus dem Ofen.«

»Ich hole es raus.« Niall stand auf.

Louis auch. »Z, kann ich es Harry kurz zeigen?«

Zayn nickte lächelnd. »Klar. Und dann können wir essen.«

»Was zeigen?«, fragte ich verwirrt, aber auf Louis' Geste hin erhob auch ich mich wieder von meinem Stuhl. Alles wieder leer. Niall hatte die Gabel mitgenommen. Freie Platzwahl.

»Siehst du gleich. Komm mit.« Also hatte er doch noch eine Überraschung parat. Dieses Mal wirklich. Eine Überraschung für mich. Was wollte er mir zeigen? Wieso musste er vorher um Erlaubnis fragen?

Er führte mich in einen kleinen Raum, am weitesten entfernt von den vielen Jacken. Eine der Wände war sehr schief gebaut worden, weil sie das Dach war. Fenster mit Ausblick auf ein Haus, das aussah wie das, in dem wir uns befanden, wie ein Architekturspiegel ungespiegelt. Louis ließ hinter sich sanft die Tür zufallen, aber nicht ganz.

»Okay.«, sagte er leise. »Gar nicht gut, Harry.« er war mitten im Raum stehen geblieben.

»Was?« Ich war ein bisschen verloren und versuchte, alles hier aufzunehmen. Die hochgestapelten Bücher, die geklebten Bretter aus falschem Holz, die Lagen an Stoff auf dem Stuhl ohne Lehne.

»Ich weiß, das ist mein Fehler, aber ich habe irgendwie komplett vergessen, dass-«

»Oh.« Da war, was er mir zeigen wollte. »Louis!« Ich übersprang die Schritte bis zur Wand. Louis' Nacken folgte mir für sein Gesicht viel zu abrupt, aber da war er.

Da war Louis. Gespiegelt ungespiegelt, viel zu klein, zweidimensional, ohne Beine, aber Louis ganz ohne den wahren Körper. »Das bist du!« Helle Sommerhaare und mindestens 4 Jahre jünger.

»Ja..?«, sagte Louis und kam neben mir zum Stehen, aber sah mich an, statt sich selbst.

»Zayn auch! Du und Zayn und...das? Wer ist das? Wie? So kleine Bilder?«

»Das- Du hast noch nie ein Foto gesehen?«

Ein Foto! »Es sieht so echt aus.«

»Das ist Zayns Mum. Ist aber jetzt nicht wichtig.«

Ich streckte einen Finger aus, zwei, und berührte das kühle Glatt des Papiers, das mehr war. Wenn der Himmel noch nicht mit Louis' Hand in meiner gebebt hatte, dann würde eine weitere kleine Berührung auch nichts kippen. »Was ist ein Foto?«

»Eine Fotographie. Ein Bild, das mit einer Kamera gemacht wird und das... Harry, du kannst nicht immer nach Definitionen fragen.« Ich konnte sehr gut. »Fotographie...du kannst Bilder machen. Es ist einfach moderne Technologie. Obwohl; wahrscheinlich gar nicht so modern. Ich bin schlecht mit sowas und unterschätze es immer, also wahrscheinlich gab es sogar schon Fotos, als du geboren wurdest.«

Ich lachte, einfach so. Als könnte mein Körper mir Befehle geben. »Ich wurde nicht geboren, Louis.«

Seine Augen ganz klein, er hatte sich nie für das Foto interessiert. »Was?« In wenigen Dingen war er besser, als seine angelernten Annahmen auf alles zu übertragen und nicht zu hinterfragen. »Egal.«, fiel er ein, bevor ich etwas erwidern konnte. »Darüber können wir morgen reden. Jetzt müssen wir uns erstmal dem akuten Problem widmen.«

»Welchem Problem?«

»Ich habe Zayn erzählt, dass du gerne seinen Cleverley-signierten Schal sehen würdest. Damit ich ihn dir zeigen kann. Zum Preis dafür, dass Zayn jetzt davon ausgeht, dass du Fußballfan bist, hatte ich eine Möglichkeit, um dich im Notfall beiseite zu nehmen. Aber wir haben es nicht mal zehn Minuten ausgehalten!«

»Wo ist der Schal?» Was war nochmal ein Schal?

»Es geht nicht um den Schal! Harry, komm schon; das Essen!« Sein Hals kämpfte für eine leise Stimme, aber seine Hände sprachen mit. »Es ist meine Schuld, ich weiß, ich habe es einfach nicht bedacht, aber jetzt sind wir hier und... Kannst du nicht einfach ein bisschen was essen? Es wird dich immerhin nicht umbringen, richtig? Unsterblich, bla bla. Ah, ich muss wirklich aufhören, das zu sagen. Harry. Bitte. Ein bisschen Salat? Oder Brot. Brot schmeckt gut! Du hast doch eine Zunge! Wenn du noch nie etwas gegessen hast, kannst du auch nicht wissen, ob es dir nicht vielleicht schmecken würde.«

»Ich bin kein Mensch, Louis. Ich esse nicht.« Das hätte er mittlerweile verstehen sollen.

»Ja! Genau. Das werden Zayn und Niall auch sehr schnell kapieren, wenn du dich weigerst, irgendetwas in deinen Mund zu nehmen.«

Ich versuchte, seine Augen mit meinen zu beschwichtigen, aber es war schwer, denn damit hatte er recht. Essen war zu menschlich und zu wichtig. »Aber ich esse nicht, Louis.«

»Ist es das hier nicht wert? Es zu probieren? Nur ein bisschen. Du kannst dann gerne sagen, dass es dir nicht schmeckt.«

»Ich möchte nichts in meinen Körper tun.«

»Wir sind hier zum Essen

»Ich nicht.«

»Du, Harry. Zayn hat dich zum Essen eingeladen. Und du hast akzeptiert.«

Harry, der Mensch, hatte in Zayns und Nialls Glauben eine Einladung zu aktiver Nahrungsaufnahme angenommen. Ich konnte dem nicht nachkommen. Kein Salat in meinem Mund, auch kein Brot. »Louis, es geht nicht.« Ich klang verzweifelter und war es auch.

»Dafür ist es zu spät. Wir sind hier.«

»Kannst du nicht...«, was für eine schreckliche Bitte, »lügen?«

Seine Hände sprangen in die Höhe. »Was soll ich denn bitte sagen?«

»Etwas Menschliches?«

Louis seufzte. »Die Allergiekarte hast du schon verspielt.«

»In deiner Gegenwart habe ich auch nie gegessen und du hast nichts geahnt.«, versuchte ich es noch einmal.

»Weil ich dämlich bin!« Seine lebendigen Arme deuteten auf die nicht ganz verschlossene Tür. »Niall hat wahrscheinlich einen IQ von 180.«

»IQ?«

»Harry! Keine Definitionen mehr!«

»Aber ich verstehe nicht, was du sagst.«

Er drehte mir den Rücken zu, faltete die Hände auf seinem Kopf. »Vielleicht können wir sagen, dass du...was gibt es für Gründe? Irgendwas mit dem Magen? Ich hab keine Ahnung von sowas. Oder dir ist schlecht? Nein. Das würde nicht gut ausgehen. Und ich traue deinen schauspielerischen Fähigkeiten nicht. Ahh. Wir kriegen dich jetzt hier auch nicht mehr raus. Ich weiß es nicht hundertprozentig, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Zayn erzählt habe, dass du kein Handy hast, also können wir auch keinen Notfall vortäuschen. Oder-«

»Louis?«, unterbrach ich vorsichtig.

»Nein. Du darfst dich nicht einfach wegteleportieren.« Ein schmaler Streifen Haut blitzte zwischen seinem Pullover und der dunklen Hose hervor.

»Nein. Ich weiß, was wir sagen können.«

Da war sein Gesicht wieder, Hände immer noch auf den Haaren. »Was?«

»Die Wahrheit.«, und bevor er es wieder falsch verstehen konnte: »Ich habe keinen Hunger.«

Ein leises Stöhnen fiel von seinen Lippen, seine Arme folgten. »Toll.«, sagte er und es klang wie eine Lüge. »Ganz toll. Das macht es doch nicht besser. Du verweigerst immer noch das Essen.«

»Wenn ich nicht esse, denken Niall und Zayn vielleicht, dass ich nicht esse. Aber wenn ich keinen Hunger habe, heißt das für sie, dass ich vor kurzer Zeit gegessen habe. Es wäre ein Beweis meiner Menschlichkeit.«

Louis blinzelte eine Weile nicht, ich auch nicht, sein Mund stand ein bisschen offen. »Ja.«, sagte er dann, nach sieben Sekunden. »Du hast schon gegessen.«

»Das wäre hoffentlich ihre Schlussfolgerung.«, bestätigte ich.

»Hm.«, summte Louis. »Wahrscheinlich unsere beste Option.«

Ich war ein bisschen stolz, dass es meine Idee gewesen war. Vielleicht könnte ich das an die Ausbildung weitergeben.

»Du hast schon gegessen, aber warum..? Ist immerhin ein bisschen unhöflich. Was wäre ein plausibler Ort? An dem es für dich noch unhöflicher wäre, nicht zu essen, als jetzt mit Zayn?«

»Es ist unhöflich?«

»Ein bisschen. Aber mach dir darüber jetzt keine Gedanken, Harry. Wir finden keinen besseren Weg.«

»Ich möchte nicht unhöflich sein.«

»Es ist nicht unhöflich. Wenn du satt bist, bist du satt.« Er zuckte mit den Schultern. Aber wieso? »Mit deiner Familie.«, beschloss Louis. »Du hast mit deiner Familie gegessen. Das passt auch von der Zeit und natürlich hast du da mitgegessen. Du konntest das nicht verschieben. Und jetzt hast du keinen Hunger mehr.«

»Vielleicht wäre es besser, wenn du das sagst, Louis.«, bat ich. Es wäre eine große Lüge, und eine neue. Familie, Essen, satt, verschieben.

»Mach ich. Das kriegen wir hin, Harry.« Er lächelte, oder auch nicht. »Und vielleicht entscheidest du dich ja um. Essen schmeckt, wirklich. Sonst würden wir es nicht essen.«

»Es schmeckt euch nur, weil ihr es braucht.«, erinnerte ich ihn.

Louis presste die Lippen kurz zusammen, bevor er wieder sprach. »Harry, wirklich, du verwehrst dir selbst all die größten Vorzüge am Menschsein.«

»Ich bin kein Mensch.«

»Ahh.« Louis schob sich an mir vorbei in Richtung Tür. »Krisengespräch beendet.«

»Ich habe den Schal gar nicht gesehen!«

»Du weißt nicht mal, wer Cleverley ist.«, sagte Louis nüchtern.

Ich hob zwei Finger. »Ich könnte es herausfinden.«

»Das wäre vielleicht gar nicht dumm. Für dein Fußballfan-Alibi.«

»Weißt du den ganzen Namen? Oder das Alter? Oder den Aufenthaltsort?«

»Ich meinte das nicht ernst. Wir müssen jetzt wieder da raus.«

Ich nickte, geschlagen. Ich hätte lieber mein Fußballfan-Alibi gestärkt. Was, wenn Zayn mir Fragen stellte? Welche Form der Schal hatte und wie man ihn mit dem Fuß benutzte? Ich musste auf Louis' Hilfe setzen.

Seine Finger berührten schon das Türmetall, aber dann drehte er sich nochmal zu mir um. »Aber ist alles okay, Harry? Nicht zu viel mit so vielen neuen Menschen?«

Es war viel, aber nicht zu viel. »Nein.«, versicherte ich.

»Wenn es dir zu viel wird, geh einfach raus. Sag, du brauchst ein bisschen Luft. Ich komme nach.«

»Ich brauche keine Luft.«

»Es wäre eine Notlüge.«

»Lüge ist Lüge.«

»Es tut mir leid, Harry. Dass ich das mit dem Essen nicht bedacht habe.«

»Es wird dich nicht umbringen.«, beschwichtigte ich.

»Ha.« Er hatte die Augenbrauen gehoben. »Ist das der Maßstab für Fehler, die ich begehen kann?«

»Ja.«

Seine Augen drehten einen unvollständigen Kreis, er lachte flach und zog die Tür wieder auf. Ich wartete auf seine Antwort, aber sie kam nicht.

Die Luft war ein bisschen wärmer und roch so stark und neu, dass ich mich kurz wieder in der Erdatmosphäre verankern musste. Auch wenn es mir widerstrebte, atmete ich tief ein, weil ich das Atmen vorher vernachlässigt hatte. Der Geruch war nicht schlecht, aber so viel Empfindung, dass ich nicht mehr wusste, wo die anderen Reize verloren gingen. Wie, wenn Louis mich berührte.

»Dann kann es ja losgehen!«, sagte Zayn, der meine akustische und visuelle Aufmerksamkeit wieder ein bisschen bündelte und Nialls Finger losließ. Sie standen dicht an der Wärmequelle, groß und eckig und dunkel, aber Zayn drückte sich von der Kante in seinem Rücken ab. Niall folgte und Louis' Magen begann die Arbeit, die seine Zunge noch nicht mal spüren konnte.

»Danke für die ganze Vorbereitung, Zayn.«, sagte er und kehrte zu dem Stuhl zurück, den er vor wenigen Minuten genutzt hatte. »Und Niall..?«

»Und Niall.«, bestätigte Zayn.

»Ihr hättet auch was für uns übrig lassen können. An Arbeit.«

Freie Platzwahl, aber alle saßen an ihren alten Plätzen, Zayn auf dem letzten unbesetzten. Er berührte als einziger von uns die Stuhllehne. »Niall hatte heute kein Seminar. Es war alles ganz entspannt.«

»Weil es bewölkt ist?«, fragte Louis und sah plötzlich Niall an.

»Nein. Die Dozentin ist auf einem Kongress.«

»Würden Wolken euch nicht stören?«

»Kommt drauf an.«

»Auf die Wolken?«

»Ja. Und, was wir uns ansehen. Und, wie viel Praxis geplant war. Ein Großteil ist Auswertung und Rechnungen. Interpretationen. Wir gucken nicht einfach nur den Himmel an.«

Niall meinte seinen Blick in die Version des Weltalls seiner Augen. Keine Missverständnisse. Er legte die entführte Gabel zurück auf den Teller.

»Bedient euch!«, schnitt Zayn ein und der plötzliche Schall von links direkt neben mir überraschte mich mehr, als er sollte.

»Danke euch beiden. Wirklich. Was für eine unerwarteter Luxus.« Louis griff nach einer roten Schüssel, gefüllt mit kleinen, grünen Blättern. Zayn hatte schon während seiner Aufforderung ein Stück Brot in der Hand gehabt. Es war das Brot, das so stark roch. Ich schmeckte es ohne Zunge. Hatte Louis wieder vergessen, dass er mich verteidigen sollte? War sein Grundbedürfnis nach Essen so groß?

»Harry?«, fragte Niall, der seinen Teller mit anderen Blättern als Louis befüllte. »Was ist 6 Reihen weiter vorne vom Busende aus gesehen? Du hast den Satz vorhin nicht beendet.«

Ich nickte, weil ich konnte, und er eine Frage stellte, die ich ohne Lüge und Fassade beantworten konnte. »Sechs Reihen vor der letzten erreicht ein kontralateraler Schall von unter 60 Dezibel aus der letzten Reihe ein menschliches Ohr nicht laut genug, um in Worten interpretiert werden zu können.«

Nialls Augenbrauen hoben sich, er hielt mit der zweiten Schüssel inne. Es waren Gurken, ich war mir sehr sicher. »Wirklich? Spannend!«

»Ein bisschen abstrakt.«, sagte Louis und als ich seinen Blick auffing, waren seine Augen sehr viel größer, als die Umstände es erforderten.

»Gibt es dazu Studien?«, hakte Niall nach und mir gefiel, dass es ihm gefiel.

»Ja.«, sagte Louis und ich wusste nicht mehr genau, worum es ging.

»Ich weiß nicht mal ansatzweise, wie viel 60 Dezibel sind.« Zayn tauchte sein Brot in eine Schüssel ein, deren Inhalt ich definitiv nicht identifizieren konnte. »Harry, nimm dir was.«

»Ein normales Gespräch.« Eine andere Farbe als Grün auf Nialls Teller.

»So.«, sagte ich in 60 Dezibel.

Louis lachte, 64. »Okay, das reicht jetzt. Ich höre nur das Wort ›Dezibel‹ und werde direkt retraumatisiert.«

Ich wählte Sprache über Atemzug. »Was hat dich traumatisiert?«

Zayn verdrehte die Augen, ich fing die Bewegung aus dem Augenwinkel auf. »Die Schule. Louis ist dramatisch.«

»Komm schon. Du mochtest die Naturwissenschaften so wenig wie ich.«

»Ja. Aber ich sehe ein, dass das nicht an den Naturwissenschaften lag, sondern an den Grenzen meines Verstandes.« Zayn platzierte ein grünes Blatt auf seinem mittlerweile kleinen Stück Brot. »Harry? Möchtest du dir auffüllen?«

»Oh, ja.«, sagte Louis, endlich. »Harry hat schon gegessen. Das wusste ich gestern auch noch nicht. Ein bisschen unglückliches Timing, aber naja. Möchtest du trotzdem noch ein bisschen was?« Obwohl er die Antwort kannte. Es war Tarnung, ich verstand, und schüttelte den Kopf.

»Du hast schon gegessen?«, fragte Zayn überrascht. Das Blatt war von seinem Brot gefallen.

Er war hier mit allen Sinnen und musste es hören. »Ja.«, sagte ich tapfer.

»Hm, na gut. Aber keine Sorge, es ist genügend da, also wenn der Hunger wiederkommt, ist noch was übrig. Und wie gesagt; bitte sag Bescheid, wenn du etwas trinken möchtest.«

»Ich sage Bescheid, wenn ich etwas trinken möchte.«, versicherte ich. So viel war möglich.

»Du hast mit deiner Familie gegessen, richtig, Harry?«, fragte Louis, aber sah die Konstellation, die Zayn Salat genannt hatte an, anstelle von mir.

Zayn wandte sich mir noch endgültiger zu. »Du kommst direkt aus Leeds?«, fragte er, bevor ich Louis' Lüge bejahen musste.

»Oh.«, sagte Louis, und dann schnell: »Ja. Ich habe ihn von Shudehill abgeholt.«

»Zu Fuß?« Zayns Stimme wurde höher und höher. Ich verstand nicht wirklich, was Louis ihm erzählte, und auch nicht, ob Zayn es ihm glaubte.

»Mit der Bahn.«

»Na dann fühle ich mich noch geehrter, dass du jetzt hier bist. So viel Aufwand. Es musste nicht heute sein.« Zayn pflückte das gefallene Blatt wieder vom Teller. »Wie war es mit deiner Familie?«

Mit meiner Familie. Meiner Familie. Familie? Louis hätte das Detail weglassen sollen. »Es war...« – wie hätte es gewesen sein können? – »familiär.«, versuchte ich.

Dieses Mal war es Zayn, der lachte. »Ja. Das Gefühl kenne ich.«

»Hast du Geschwister?«, fragte Niall und Erleichterung schien in meinem Inneren Blasen zu schlagen.

»Nein.«

»Gut zum Ausgleich.«, sagte Louis. »Zwei gegen zwei. An diesem Tisch.«

»Niall und ich haben Geschwister.«, erklärte Zayn.

»Wirklich? Wie ist es?« Ich hatte nie wissentlich mit einer Person mit Geschwistern geredet. Was für ein aufregendes Spiel von Möglichkeiten. Von 7.261.379.216 Menschen auf diesem Planeten fanden sich zwei, die sogar zweimal lebendige Nachkommen miteinander erschufen – von Mehrlingen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit abgesehen.

Zayn zuckte mit den Schultern. »Niemand treibt mich besser in den Wahnsinn. Aber niemand ist leichter zu lieben.«

Liebe und Wahnsinn. Ich hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als die brennende Frage zu stellen. »Hättest du gerne Geschwister, Louis?«

Er hatte die Frage nicht erwartet. Sein Mund war voll von lautem Gemüse und mit großen Augen bat er um Sekunden. »Mh.«, konnte er vor dem Schlucken rausbringen. Er schluckte. Nochmal. »Ich schätze schon. Oder? Ich weiß es nicht. Die Zeit alleine mit meiner Mum war...das größte Privileg meines Lebens. Ich weiß nicht, ob ich das aufgegeben hätte. Rückblickend.« Er nahm einen Schluck von seinem blassen Getränk, gerade genug, um seine Mundschleimhaut besser zu befeuchten. »Was ist mit dir, Harry? Hättest du gerne Geschwister?«

Es war die Stimme seines ehrlichen Interesses, aber sein Blick war vorsichtig. Der Gedanke war absurd genug. Ich wusste nicht mal, was Geschwister in meinem Fall bedeuten würden. Ein Zwilling, ein Klon, ein Ersatz, eine Hälfte? »Ich kann es mir nicht vorstellen.«, gab ich zu. »Ich weiß nicht, wer meine Geschwister wären.«

»Du weißt es auch nicht, wenn du sie hast.« Niall lächelte, aber nur ein bisschen, und nicht unbedingt aus Freude.

»Du kennst deine Geschwister nicht?«

»Ich habe einen Bruder. Ich kenne ihn, das wollte ich nicht sagen, aber er hat sich nie Mühe gegeben, kennengelernt zu werden. Es ist schwierig als der Jüngere. Nicht alle Geschwister sind am leichtesten zu lieben.«

Louis hatte aufgehört zu essen. Ich wusste nicht mehr, wen von den Dreien ich am meisten ansehen wollte. Dann seufzte Zayn. »Es ist wie du sagst, Harry. Familie ist familiär. Auf die eine oder andere Weise, ob du willst oder nicht. Und wenn du Pech hast, ist sie nicht mal das.«

»Ernster als ich erwartet hatte.«, sagte Louis mir gegenüber. Er widmete sich wieder seinem Salat.

»Stimmt.« Zayn lächelte, ohne Anlass. »Harry, du studierst also Kunst?«

Direkt rein in den nächsten Lügennebel. »Ja.« Ich blinzelte ganz brav.

Er nickte. »In meiner idealisierten Vorstellung ist das eins der coolsten Dinge überhaupt. Nicht, dass ich selbst irgendwelche künstlerischen Veranlagungen hätte.« Seine Finger fanden eine der Schüsseln ganz von selbst. Er schüttelte einen Teil ihres Inhalts auf seinen Teller ohne hinzusehen. »Und du bist im ersten Semester?«

Mein Blick sprang automatisch zu Louis. Leichte Panik hinter den Hohlräumen meiner Stirn. Das hier hatten wir nicht besprochen. Seine Nasenflügel standen unter Spannung, aber er nickte schnell und knapp, als er meinen Blick auffing. »Ja.«, echote ich seine Kopfbewegung und meine eigene Stimme.

»Und? Wie ist es?«

Wie war es? Das war keine Frage, die Louis mit einer Bewegung seines Kopfes beantworten konnte. Kunst zu studieren; ich hatte keine Ahnung, was das wirklich bedeutete. Und genauso wenig, wie viele Worte ich noch hatte, bis meine Zunge rebellierte. »Es ist interessant.«

»Ja? Schön.«

»Ist es viel Praxis?«, fragte Niall mit seinem Glas in der Hand. »Im ersten Semester?«

Auch darauf hatte Louis keine Antwort. Alle vier Wesen warteten mit gleicher Spannung auf meine Antwort. Fortsetzung meiner Erfolgssträhne: »Ja.«

»Gut.« Niall lächelte. »Was macht ihr so? Als praktische Projekte?«

Fragen, Fragen, Fragen. Ich nahm einen möglichst lauten Atemzug. Mensch, Harry, ihr seht es. Was konnte ich noch tun, um meine fehlenden Antworten zu kompensieren?

Der Klang des Abends; ein angespanntes Lachen aus Louis' sauren Lungen. »Gebt es auf.« Er hob grinsend sein Glas Niall und Zayn entgegen. »Es ist schwer, Sachen übers Studium aus ihm rauszuquetschen. Wirklich, mittlerweile bin ich überzeugt davon, dass Kunststudenten direkt nach der Immatrikulation einen Blutschwur ablegen müssen, um alles möglichst vage und geheim zu halten. Damit die ganze Welt genau deine idealisierte Vorstellung vom mysteriösen, unnahbaren Kunststudium behält, Zayn. Harry gibt es nicht zu, aber meine Meinung steht.«

Ein Blutschwur? Was wusste Louis von Schwüren? Und hätte ich als echter Kunststudent wirklich einen Schwur ablegen müssen? Ich gab mir alle Mühe, nicht überrascht auszusehen. Ich nickte, um meine Zunge für die weitere Folter zu unterstützen. »Ja.«, bestätigte ich so ernst wie möglich. »Ich musste schwören.« Mein Rachen zog und kurz war da das Gefühl, tatsächlich husten zu müssen.

Zayn lachte Luft mit Louis' Gaumenweite. »Na dann werde ich mich mit meiner idealisierten Vorstellung abfinden. Ist vielleicht sowieso besser. Dann können keine Träume platzen.«

»Wieso studierst du nicht Kunst, wenn es dein Traum ist?«, fragte ich eilig mit kribbelnden Schleimhäuten, um endlich wieder von mir abzulenken.

»Es ist nicht mein Traum. Ich könnte nicht... Das ist kein ernsthafter Gedanke. Wenn es irgendeinen Traum gab nach der Schule«, er warf Louis einen Blick zu, »dann wäre das vielleicht Oxbridge gewesen, aber immer mit Literatur und Geschichte. Ich habe keine künstlerischen Talente. Es wäre nur cool, welche zu haben.«

»Er zeichnet.«, sagte Louis.

»Nicht wirklich.« Zayn zerpflückte ein Stück Brot über seiner Salat-gefüllten Schüssel.

»Und du kannst gut Farben sehen.«

Niall sah auf. »Du kannst wirklich gut Farben sehen.«, stimmte er ein.

Woher Niall und Louis wissen wollten, wie gut Zayns Netzhaut Farben verarbeitete, wusste ich nicht, und in seinem Fall konnte ich auch keine Aussagen treffen. Louis sah Farben gut. Das wollte ich auch zum Gespräch beisteuern, aber Louis sprach schon wieder.

»Außerdem ist Zayn Dichter.«

Zayns Arme stoppten in ihrer Bewegung. »Klappe.«, sagte er mit Gemüse zwischen Wange und Zähnen und Zunge und Zahnfleisch.

Louis' Grinsen zerrte an meinen Lippen. »›Vincent, kiss my knuckles. Vincent, touch my spine.‹«

»Halt den Mund, Louis.«

»An mehr erinnere ich mich leider nicht.«

»Das ist auch besser so für dich.«

»Das sehe ich anders.«

»Große Worte für jemanden, der Gedichte aus dem Internet kopiert, um nicht in Kreativem Schreiben durchzufallen.«

»Hey!« Louis stellte sein Glas ab, das er eigentlich zum Trinken angehoben hatte. »Hochverrat.«

Zayn wandte sich wieder mir zu. »Um deine Frage zu beantworten; ich habe nicht wirklich praktisch-kreative Talente. Ich weiß auch nicht viel über Kunst. Das wirkt nur wie eine Identität, die ich gerne hätte. Die Vorstellung gefällt mir. Du hast auf jeden Fall meine vollste Bewunderung.«

Ich sehnte mich nach Zayns Bewunderung. Aber sie basierte auf nichts als Lügen. Kreativität war keine himmlische Tugend und ich wusste so wenig über Kunst wie er. Wie konnte ich seine ehrliche Anerkennung gewinnen? »Du hast meine Bewunderung dafür, dass du Lehrer wirst.«, war die Wahrheit, die ich ihm zurückgeben konnte.

»Oh. Nein.« Der Blick von Zayns dunklen Augen zuckte wieder kurz zu Louis. »Nein. Das ist nur Lou. Ich-«

»Lou!« Es stolperte über meine Lippen, bevor ich sie wieder unter Kontrolle hatte. Lou für Louis, der Spitzname seiner Eltern, der Spitzname, der mir meinen eigenen eingebracht hatte. Ein vierjähriger Louis mit Gräsersamen im Haar. Lou.

»Ja..?«, fragte Louis, Lou, mit vorsichtigem Blick.

Ich musste mich wieder zügeln. »Entschuldigung.«, fiel ich schnell ein. »Zayn, bitte rede weiter.«

»Ähm, ja...«, seine Finger hatten sich verlangsamt, mehr in seinem Kopf. »Ich wollte nur sagen...berichtigen. Ich werde kein Lehrer. Nicht, wenn ich nicht kalte Füße bekomme. Dann schiebe ich vielleicht noch das PGCE nach. Aber eigentlich ist das nicht der Plan. Ich und Kinder...nein.«

Antwort ohne Frage. Zayn nahm etwas aus einer Schüssel direkt vor mir. Ich wusste direkt, dass es anderes Leben als das der restlichen Pflanzen war. Etwas vom Pilz ging in seinem Mund verloren, bevor es seinen Teller fand. »Was wirst du dann?«, fragte ich und hoffte, nicht noch eine blinde Annahme zu verpacken.

Louis lächelte zuckend, aber aß mit gesenktem Kopf weiter. Zayn presste kurz die Lippen zusammen. »Ach ja. Lieblingsfrage.« Hatte Louis auch eine Lieblingsfrage? »Das wird sich noch zeigen. Ich werde darauf zurückkommen, Harry.«

So viele Lücken, da war er endlich, Zayn, Louis' bester Freund, in all seiner Ambivalenz. Ich drehte mich zu Niall auf meiner anderen Seite. »Wirst du Lehrer?«, fragte ich, weil die Neugier sich nicht mehr kontrollieren lassen wollte.

Niall kaute, seine Augenbrauen hoben sich ein bisschen, er schüttelte den Kopf.

»Was dann?«

Klug wartete er, bis das Essen seinen Kehlkopf passiert hatte. »Wenn alles klappt, gehe ich hoffentlich in die Forschung.«

Forschung. Der Mensch und sein illusionierter Drang nach Wissen.

»Was ist mit dir, Harry? Weißt du, was du später machen möchtest?« Zayn hielt mir die Schüssel mit Brot entgegen und weil ich sicher war, dass er es mir anbot, schüttelte auch ich den Kopf.

»Nein.«, sagte ich und bemühte mich, die tiefe Stimmlage von Sättigung zu imitieren. Aber fast einschüchternder als der wärmetransformierte Teig; die Frage. Was wollte ich später machen? Balance schaffen, Leben bewahren. Wissen, wer ich war, und wer ich außerdem sein konnte. Vertrauen schaffen, in mich. In die Zukunft – die sein würde. Aber Harry? Was würde er wollen? Was würde er wollen, das ich auch über die Lippen bekam?

Ich sah kurz zu Louis herüber, der mit einer Gabel munter in seinem Salat suchte und fündig wurde. »Ich möchte weiter lernen.« , gestand ich.

Zayn nickte langsam. »Einfach so? Konzeptionell? Oder meinst du im Sinne von...Forschung..? Auch? Ist das das richtige Wort, für das, was ich meine? Ich kenne mich nicht so gut aus in Sachen Kunst – weißt du, was ich meine? Forschung nicht als Forschung, mehr im Sinne von...ich weiß nicht; wie ein Kunsthistoriker, nur nicht unbedingt historisch oder- Harry«, er setzte sich plötzlich gerader auf, »du kannst auch Bescheid sagen, wenn dir die Fragerei zu nervig wird!«

Die Fragen waren nicht zu viel, sie interessierten mich so sehr wie Zayn, nur nicht bezogen auf mich. Und, dass ich die Antworten nicht hatte. Ich entschied mich wieder für eine objektive Wahrheit. »Ich habe noch nicht über alles davon nachgedacht.«

»Berechtigterweise.«, erwiderte Zayn sofort. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht überfallen. Ich schätze, da ist kurz meine...Neugier mit mir durchgegangen..?«

»Deine Faszination mit dem Kunststudium.« Louis klang sehr amüsiert. »Dabei hätte ich schwören können, dass du mich mit jeglicher allzu ferner Assoziation zum Kunststudium aufgezogen hast.«

Noch ein Schwur. Zum Glück hatte Louis es nicht getan.

»Weniger mit dem Studium, mehr mit den Studenten... Aber nicht wichtig jetzt. Findet ihr auch, dass die Paprika ein bisschen bitter schmeckt?« Zayn präsentierte etwas Gelbes auf seiner Gabel, bevor er sich die Zinken in den Mund schob.

»Nein.«, sagte Niall.

»Nicht bitterer als gelbe Paprika sowieso.« Louis hatte nicht viel Gelb auf seinem Teller. Er griff jetzt auch nach einem Stück Brot. »Niall, wie war deine Woche bisher?«

Niall befreite seine Hände, um zu sprechen. »Gut, danke. Sehr angenehm.«

Zayn lachte ein bisschen, ganz weich. Ich wollte alles über die beiden wissen. »ISON hat morgen Stichtag. Eine aufregende Woche für alle Besessenen.«

»Bessenen?« Ich zwang meine Hand auf die Tischplatte; Erdung zwischen den schlagenden Herzen. Wieso hatte Louis mir von all diesen Dingen nie erzählt?

»Ja.«, grinste Zayn. »Du musst nur genügend Zeit mit ihm verbringen.«

»Mit wem?!« Ich war bereit. Kribbeln in meinen Fingerspitzen.

»Niall.«

Niall war besessen? Sofort richtete ich alle meine Augen auf ihn, alle meine Sinne. Aber er lächelte nur ruhig. »Morgen ist Perihel. Dann entscheidet sich, ob er die Sonne überlebt.« Da war Aufregung in seiner Stimme, aber nicht genügend, um Zayns Behauptung zu unterstützen.

»Wer?«, fragte ich eilig.

»ISON. C/2012 S1.«

»Niemand ist besessen, Harry.«, sagte Louis langsam und ausdrücklich.

»Auch Niall nicht?«, versicherte ich mich, konnte mich nur noch mit letzter Hoffnung an Louis wenden.

Er schüttelte den Kopf, während Niall sagte: »Ich interessiere mich nur dafür. Er ist alt. Und hat einen 2-Kilometer-Durchmesser und könnte sehr hell werden, sehr hell für einen Kometen. Aber das entscheidet sich morgen.«

Und dann wusste ich, was er sagte. Warum Zayn über so etwas ernstes wie Besessenheit gelogen hatte, wusste ich nicht, und was die Zahlen und Buchstaben aus Nialls Mund bedeuteten auch nicht, aber genug, um staunen zu können. »Keine 2 Kilometer.«, berichtigte ich. »950 Meter.«

Niall hob die Augenbrauen, lächelte. »Ja? Wer sagt das?«

»Ich.« Offensichtlich. Das hätte er auch sehr eindeutig merken sollen. »950 Meter am breitesten Punkt. Er ist der Sonne zu nah, er wird es nicht schaffen.«

Längst hatte Niall sein Essen vergessen. »Woher kommen diese Daten?« Die Frage war, woher Niall seine Daten hatte. Sie mochten nicht genau richtig sein, aber das Perihel stimmte und für die Entfernung von der Erde waren auch zwei Kilometer keine schlechte Schätzung. Selbst willentlich hätte ich nicht auf Nialls Augen zugreifen können, aber es war unmöglich, dass er den Kometen mit solcher Genauigkeit wahrnehmen konnte. Wie hatte er die Fesseln seines Körpers gebrochen?

»Es ist im Radio.«, sagte Louis, obwohl Niall mich gefragt hatte. »Komet, Aufregung, bla bla. Nein. Zayn, das ist deine Schuld. Es sind schon Wochen und ich kriege es mir nicht abgewöhnt.«

»Ich habe kein Radio.«, erklärte Niall und ich wollte nachfragen, aber Louis' Blick schien mich zum Schweigen bringen zu wollen, wenn ich seine aufeinandergepressten Lippen richtig verstand. Im Radio waren Informationen zu weit entfernten Himmelskörpern zu finden? War ich auf eine unentdeckte, unerlaubte Quelle zölestischen Wissens auf der Erde gestoßen? Was war Radio?

»Ja. Sie reden darüber, jeden Tag irgendwelche neuen Infos.«, fuhr Louis fort, aber sah Niall nicht mehr an. Auch mich nicht mehr. »Wahrscheinlich denken sie sich alles aus. Verkauft sich gut. An deiner Stelle würde ich bei deinen Zahlen bleiben. Die sind vermutlich vertrauenswürdiger; von wo sie kommen. NASA oder wie auch immer.«

Niall nickte, aber schien verwirrt. »Hubble.«, sagte er, was auch immer das bedeutete. »950 Meter.«, sagte er leiser.

Es waren 950 Meter. Ein winziger Komet in relativer Nähe zur Erde und ihrer Sonne, der morgen nach einer langen, langen Reise in seine Einzelteile zerschmelzen würde. Was war Hubble, was war Radio und wer war Niall mit seinem Wissen über seine Sinne hinaus? Ich traute mich nicht zu fragen. Ich wollte seinen Fingern helfen und es ihm beweisen. 950 Meter und keinerlei Überlebenschancen.

»Na toll.«, seufzte Zayn. »Also sind anscheinend alle Teil vom Kometendiskurs außer mir.«

»Ich nicht.«, versicherte Louis.

»Das klang gerade aber anders. Und seit wann hörst du bitte Radio? Du besitzt auch keins.«

Louis' Blick zuckte. »Im Bus.«, sagte er und ich erkannte die Lüge.

»Ah.« Zayn tauchte Brot in etwas Weiches ein. »Ja, okay.« Er riss das Stück Brot in zwei Hälften. »Wäre aber auch mal wieder typisch. Nur weil ich zwei Wochen lang vergesse, dass Nachrichten mich nicht erreichen, wenn ich sie nicht explizit suche, kriege ich nicht mit, dass wir vielleicht kurz davor sind, von einem großen Stein vernichtet zu werden.«

»Kein Impakt!«, sagte Niall, als ich schon den Kopf gehoben hatte. »Nicht mit der Erde. Wir werden nur den hellen Schweif sehen können. Wenn er die Sonne übersteht.«

Würde er nicht. Hatte Niall mir nicht zugehört? Louis seufzte mit viel Luft und hoher Stimme. »Wäre vielleicht gar nicht so schlecht gewesen; ein großer Einschlag. Gutes Timing wenigstens.«

Zayn hob beide Augenbrauen. »Geburtstagsterror?«

Louis schüttelte den Kopf. »Auch.«, berichtete er. Ich wollte nicht wahrhaben, dass er das mit dem Einschlag wirklich gesagt hatte. »Meine Mum hat gestern versucht, mich dazu zu überreden, am Dienstag meinen Dad zu besuchen.«

»Wirklich?«, fragte Zayn überrascht durch schmelzende Stärke in seinem Mund.

Louis zuckte mit den Schultern. »So oder so ähnlich. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.«

»Was mir gerade auffällt«, Zayn tippte mit seinem Zeigefinger auf die Tischplatte. »Wenn das ein Abendessen ist und... Ich habe keine Ahnung, wie lange sowas geht. Kommst du dann noch zurück oder musst du in London bleiben?«

Louis verzog sein Gesicht mit Nase in Falten. »Darüber habe ich noch nicht mal nachgedacht. So weit bin ich noch nicht in meinen Überlegungen. Das wäre aber ein Kontra-Argument.«

»Dein Vater wohnt in London?«, fragte Niall.

Louis nickte. »Meine Eltern sind getrennt.«

Getrennt durch mindestens 270 Kilometer zwischen Leeds und London, aber wieso? Warum hatten alle drei Doncaster hinter sich gelassen?

»Deine Mutter besuchst du mehrmals die Woche, richtig?«, fragte Niall. »Das bewundere ich.«

Louis warf Zayn einen Blick zu, der mit großen Augen und Ohren folgte. Dann seufzte Louis so leise, dass ich ihn ohne das Springen seines Kehlkopfes fast nicht gehört hätte. »Ja.«, bestätigte er Niall dann. »Es ist eine schwere Zeit.«

»Haben sie sich vor Kurzem getrennt? Wenn das keine zu private Frage ist.«

»Nein, nein. Alles gut.«, fiel Louis ein. »Und nein, nicht vor kurzer Zeit. Sie sind geschieden – seit ich klein bin. Seit ich 13 bin. Und es ist das Beste so. Mein Dad ist...kein besonders toller Mann.«

Große blaue Augen und große blaue Augen. »Inwiefern..?«

Louis ließ gehaltene Luft seiner Lunge entfliehen. Er warf Zayn noch einen Blick zu, dann nickte er. »Ich erzähle das nicht allzu gerne, aber-«

Niall hatte eine Hand gehoben. »Tut mir leid. Dann lass uns über etwas anderes reden.«

Louis schüttelte den Kopf. »Nein, schon okay. Es ist nicht schlimm. Nur...peinlich..? Mein Dad ist ein Idiot und dummerweise habe ich das Gefühl, mich dafür schämen zu müssen.«

Niall nickte und ich blinzelte mit besserer Frequenz.

»Mein Dad ist Journalist, eigentlich.«, erklärte Louis, Gabel im Salat. »Ex, wie er sagt. Vor ein paar Jahren hatte er dann zwei neue Träume; Zurücklassen seiner Familie und das City Council in London. Und leider hatte er ein paar Selbstverwirklichungserfolge zu viel. Er ist Tory. Auf nationaler Ebene mittlerweile. Niemand Wichtiges. Überhaupt nicht. Aber ja; peinlich. Du darfst gerne lachen.«

Nialls Augenbrauen waren wirklich sehr beweglich und Zayn hob sein Glas. »Er wohnt in einem Penthouse.« Und Nialls Augenbrauen wurden noch beweglicher.

»Kein Penthouse.«, widersprach Louis. Was war ein Penthouse? »Nur ein Apartment, aber wahrscheinlich trotzdem idiotisch teuer. Er will mich jedenfalls bei einem Bankett dabei haben. Und dass ihm das so wichtig ist, kann nur Pressegründe haben. Keine Ahnung, wofür er sich aufstellen lassen will, aber anscheinend wäre ein gutes Familienimage von Vorteil.«

»Unvorteilhaft, wenn man seine Familie in Wirklichkeit sitzengelassen hat.« Zayn hob sein Glas, als würde er es Louis übergeben wollen, aber der nahm es nicht an, lächelte trotzdem.

»Nicht sitzengelassen, aber ja. Es ist einfach nur lächerlich, das alles. Das letzte, was ich will, ist für ihn die heile Familie zu spielen, nur damit er davon profitieren kann. Damit die Tories davon profitieren.«

»Aber..?«, fragte Zayn behutsam.

»Aber...«, probierte Louis mit geneigtem Kopf. »Aber- ich weiß es nicht. Eigentlich gibt es kein Aber. Keine Ahnung, wieso ich es trotzdem in Betracht ziehe. Vielleicht die Sachen, die meine Mum gesagt hat, aber das war nichts...Großes. Ah, Niall, jetzt tu ich so überdramatisch. Du kriegst einen falschen Eindruck. Ich bin sehr gut aufgewachsen, ich habe die beste Mutter auf der Welt und ich bin mir sicher, dass meine Kindheit nicht besser gewesen wäre, hätte mein Dad nicht entschieden, zu gehen. Ich jammere nur. Vielleicht ist da irgendwo in mir noch ein zerbrechender Junge, der daran glaubt, dass er die Ehe seiner Eltern und die ganze Welt retten kann. Ich will nicht gehen, aber irgendwie doch. Ich bin nur inkonsequent.«

Niall nickte. »Es gibt wahrscheinlich gutes Essen.«

»Stimmt. Danke fürs Rationalisieren. Wir können gerne das Thema wechseln. Ich klinge wirklich wie ein verwöhntes Einzelkind. Z, könntest du mir vielleicht den Hummus ge- oh.« Den Arm in Erwartung ausstreckend hatte Louis mit dem Ellenbogen sein Glas umgestoßen. Dumpf fiel es auf die Tischplatte und rollte sich sanft aus, Flüssigkeit erst See, dann langsam, Kante; Wasserfall. Tropfen, Tropfen, Tropfen auf dem Boden. Die drei Stühle aller Menschen schoben sich gleichzeitig zurück und so schloss ich mich ihnen an, Knie durchgedrückt, in den allgemeinen Adrenalin-getränkten Stand.

»Bleibt sitzen!«, bestand Louis, das Glas wieder in der Hand, aber niemand hörte auf ihn, ich also auch nicht.

Niall war über den Tisch gebeugt und pflückte Gegenstände aus der trägen Lache. »Wenigstens kein Rotwein.«, erklärte er aufmunternd.

»Wäre auch nicht schlimm.«, sagte Zayn, der Louis kühlen, nassen Stoff in die Hand drückte. »Dieser billige Boden ist sowieso nicht mehr zu retten. Louis, mach du den Tisch. Hat der Stuhl was abbekommen?«

»Nein.«, versicherte Louis.

»Na dann ist doch alles super. Und bist du trocken geblieben?«

»Ja.«, versuchte auch ich, zu helfen. Louis hatte keinen Tropfen abbekommen.

Louis und Zayn warfen mir flüchtige Blicke zu, Louis bestätigte mein Ja mit einem Echo und begann dann, den Tisch abzuwischen. Ich sah ihm über die Schulter. Das Glas hatte nicht gesplittert und die Flüssigkeitsmenge auf dem Boden war gering, es bestand für niemanden hier ein sonderlich erhöhtes Verletzungsrisiko. »Alles okay, Harry?«, fragte Louis leise mit kurzem Schulterblick. »Pass auf deine Füße auf.« Er wollte mich vor der Wassersensation beschützen, die mich schon mal überwältigt hatte. Als wäre er verantwortlich für mein Wohlergehen.

»Alles okay.«, bestätigte ich, für ihn mit seinem Wort. »Bei dir auch?«

»Ja.«, er lächelte, für mich mit seinen Lippen. »Nur ein bisschen Tollpatschigkeit.«

»Achtung Harry.«, sagte jetzt auch Zayn, der sich zwischen uns kniete und mit einem zweiten Stück Stoff über den Boden fuhr. So viel Besorgnis um mich. Eine kuriose Verschiebung der Realität. »Ist ja gar nicht viel. Füll dir was Neues ein, Louis, ich wische trocken.«

»Danke.« Louis schützte seinen nassen Stoff mit beiden Händen und ging mit leichtem, schnellen Gang zurück zu den Schränken an der Wand, berührte das Metall und Wasser floss. Ich folgte ihm, beobachtete stumm, wie sich die Klebrigkeit von seinen Fingern löste. Dann öffnete er den Schrank der Kälte, holte eine Flasche heraus und füllte sein Glas bis unter den Rand. »Du möchtest nichts, Harry..?«, fragte er, ohne dass ich genau wusste, wieso. Ihm sollte klar sein, dass ich nichts trinken wollte.

»Nein.«

»Sicher?«, fragte Zayn, der wieder von hinten kam und sich jetzt seinerseits des Wassers aus der Wand bediente. »Du kannst dich wirklich frei bedienen.«

»Gib es auf. Er lässt sich nichts aufschwatzen.«, erklärte Louis mit einem gehobenen Mundwinkel. »Auch von mir nicht.«

»Auch von dir nicht? Na dann muss es unmöglich sein. Kein Mensch würde dir bei deinem Charme so einen Wunsch abschlagen können!«

Es war wie Kälte, die sich in die Tiefe meines Bewusstseins geschlichen hatte. Kein Mensch. Hatte Zayn mich entlarvt? Der finale Test. Ich sah hilflos zu Louis hinüber, aber der lehnte nur entspannt an den Schubladen und verdrehte die Augen. Zayn war so viel schneller gewesen als Louis. Mein Atmen und Blinzeln und nicht mal das Kunststudium hatten ihn überzeugt. Eine feine, feine Linie, keine Materie, zwei Welten und eine, ich hatte keine Wahl.

Das Grauen unterdrückend griff ich nach dem kalten Glas in Louis' Hand. Seine Finger öffneten sich unerwartet, als hätten sie nie wirklich zugegriffen. Heißester Sand an meinen Lippen, glatt gegen das Ende meiner Autonomie, Manifestation der letzten, verzweifelten Maßnahme. Ich trank alles bis auf den letzten Tropfen.

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