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𝐈𝐈

𝐇

Frühling auf der Erde war eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen hatte. Louis in knielanger Hose, mit aufgeregt roten Wangen und Gräsersamen im dunkelblonden Haar.

Liam hatte recht gehabt. Ein Krankenhaus war der einfachste und schwierigste Ort für das erste Mal Erde gewesen. All das Desinfektionsmittel und die laute Stille und die geballte Ansammlung an Menschlichkeit von Erregern und Leben und Tod, welche die Luft fast feucht gemacht hatten. Es war so viel für mich gewesen.

Aber das war noch lange nichts im Vergleich zu draußen.

Frühling war wunderschöner Terror. Die Erde summte, die Sonne strahlte. Alles war lebendig. Louis lief und sprang, weil seine Beine es gelernt hatten, und nannte das Essen auf dem Boden ›Picknick‹. Er war vier Jahre, vier Monate und zwei Tage alt.

Es war mein zweites Mal auf der Erde. Die 23 Minuten und 57, 58, 59 Sekunden, die ich schon hier war, hatten die erschütterndsten der Erdenlasten in etwas verwandelt, das ich geschafft hatte, als Umwelt und nicht als Qual meiner Sinne wahrzunehmen.

Seit den wenigen Minuten im Krankenhaus war ich nicht zurückgekehrt. Der Himmel war ein geschäftiger Ort. Louis war unter meiner Haut und das reichte aus. Innerhalb der letzten 4 Jahre hatte sein Leben ihn mit seinen akuten Gefahren verschont. Leichte Erkältungen hatten seinen Körper heimgesucht, aber Liam hatte mich beruhigt, bevor ich eingreifen konnte. ›Stärkung des Immunsystems‹. Dann war da das Mal gewesen, als Troy – der Mann mit den großen Händen; Louis' Vater – vergessen hatte, die Bremsen des Kinderwagens zu betätigen, aber er war schnell genug gewesen, um ihn daran zu hindern, auf die Straße zu rollen. Dabei hatte ich ein bisschen meine Finger im Spiel gehabt, aber Liam hatte gewollt, dass ich die Kontrolle unseres Bandes vom Himmel aus zu beeinflussen lernte. Als Baby hatte Louis sich manchmal verschluckt, aber Johannah war immer zur Stelle gewesen. Und als Louis auf den Tag genau dreieinhalb Jahre alt gewesen war, bekam er ›Keuchhusten‹ – Liam –, der meinen Oberkörper zu sprengen scheinen wollte, als ich mich für ein paar Minuten darauf einließ.

Den Rest der Zeit war Louis gewachsen, gewachsen, gewachsen und von einem Schlaf in den nächsten gefallen. Ich mit ihm.

Erst vor ein paar Wochen hatte das alarmierende Kribbeln, das sich anfühlte wie winzige Blitze, die in meinen menschlichen Körper einschlugen, wann immer Louis' flinkem Körper eine Gefahr drohte, sich häufiger gezeigt. Er lernte Fahrradfahren.

Liam hatte gesagt, seit mindestens 40 Jahren lernte fast jedes Kind in Europa Fahrradfahren und dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Nur 0,0000375% aller Kinder auf der Erde verloren, während sie lernten, die kleinen Metallräder unter ihren Körpern zu bewegen, ihr Leben. ›Was ist, wenn Louis zu den 0,0000375 Prozent gehört?‹ ›Dann wirst du es rechtzeitig spüren.‹ ›Vielleicht ist es besser, wenn ich bei ihm bin. Auf der Erde. Vielleicht braucht er meine Hilfe.‹ ›Nein, Hara.‹

Es hatte exakt 86 Stunden Überredungskunst gebraucht, um Liam vom Gegenteil zu überzeugen. 103 Stunden und 17 Minuten mehr, bis er bereit war, mich alleine gehen zu lassen. 0 Stunden, 0 Minuten, 0 Sekunden, um ihm klarzumachen, dass ich nicht unsichtbar sein wollte.

Denn das hatte ich ihm nicht erzählt.

Aber alles war gut. Die Menschen hatten mich in ihrer gewählten Blindheit auch nach den zwanzig Minuten noch nicht bemerkt. Und selbst wenn sie mich entdecken würden, hätten sie sicher keinen zweiten Gedanken für mich übrig. An die Flügel hatte ich gedacht. Das war's. Ich war einer von ihnen.

Louis' gelbes Fahrrad lag im hohen Gras. Er lief mit den anderen Kindern über die Wiese, schreiend und lachend und so schnell, dass meine Fersen brannten. Es waren seine Cousins und Cousinen, drei Jungen, ein Mädchen. Es war nicht schwer, ihre Namen aus dem Gekreische im Wind herauszuhören.
Louis' Eltern und seine zwei Tanten und ein Onkel saßen um eine gepunktete Decke herum auf Jacken und Kissen, den harten Frühlingsboden unter sich. In ihrer Mitte reihten sich Schalen und Boxen mit Erdbeeren, Kirschen, Tomaten, Radieschen und anderem roten Menschenessen, das kein Obst oder Gemüse war. Wie ihre Verpflegung strahlte auch Louis' gesamte Familie in roten Farben. Louis hatte seinen sternübersäten Helm vor einer Weile gegen einen purpurnen Sonnenhut ausgetauscht, der aber längst in Johannahs Schoß ruhte. Bis auf seine durchgescheuerten, blauen Lederschuhe leuchtete aber auch der Rest seiner Kleidung in knalligem Scharlach. Keine Ahnung, was die Menschen sich da wieder ausgedacht hatten.

Ich hatte das hektische Spiel auch jetzt noch immer nicht ganz verstanden; hintereinander herjagen, sich antippen, dann doch wieder wegrennen. Hin und her und hin und her und hin und her und wieder zurück. Ich war im Schatten meines kleinen Baumes sicher gewesen, bis die tollende Kindertraube sich ein bisschen weiter in meine Richtung bewegt und ich mich sicherheitshalber auf einen niedrigen Ast gerettet hatte. Allerdings hatten sie mich nie erreicht.

Trotzdem war ich hier oben geblieben. Ich hatte einen guten Überblick und musste nicht weiter gegen den Drang ankämpfen, meine Flügel zu benutzen. Und es war ruhiger. Das Rauschen der Blätter konnte zwar mächtig werden, aber ich war dem dröhnenden Summen und Brummen all der winzigen irdischen Engelchen entflohen – Schmetterlinge und Bienen und Marienkäfer und Hummeln, die ihre kugeligen Körper tanzend durch die Luft schleppten. Es war einfacher, sie von hier zu beobachten, als inmitten ihrer lebendigen Energie zu sitzen.

Die Kinder schienen gerade eine kleine Pause eingelegt zu haben. Mit ernsten Gesichtern diskutierten sie über etwas, das ich von hier aus mit gewöhnlichem Hören nicht verstehen konnte. Lächelnd und geduldig wartete ich darauf, dass sie wieder auseinanderbarsten und einander mit lang ausgestreckten Armen verfolgten. Louis war mindestens einen Kopf kleiner als der Rest von ihnen, bis auf einen der beiden Jungen, die beide Silly-Billy hießen.

Die Sonne war warm auf meinen nackten Füßen und Johannah stand in ihrem roten Kleid auf, um zu der kleinen Ansammlung an Kindern hinüberzugehen. Sie ging in die Hocke, redete mit sanften Wangen und deutete mit den Fingern auf verschiedene Büsche, Bäume und Sträucher, alle auf der großen Grasfläche verteilt. Es kamen langsam mehr Gruppen wach aussehender Menschen und verteilten sich wie Louis' Familie in bunten Flecken auf der Wiese. Johannah kehrte zum Essen zurück. Die Kinder liefen wieder los, nur der ältere der Silly-Billys bewegte sich nicht vom Fleck, während die anderen sich in alle Himmelsrichtungen verteilten. Seine Augen waren in seinem Ellenbogen vergraben, er sprach ins Nichts.

Dieses Mal war ich zu neugierig, um nicht hören zu wollen, was er vor sich hin murmelte. Mein Ring- und Mittelfinger fanden meine Schläfe. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf den Jungen zweihundert Meter entfernt mir.

Seine Stimme war rau und heiser vom Lachen. Er zählte. »...vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, vierzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn, neunzehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, fünfundvierzig, achtunddreißig, achtzehn, neunzehn, zwanzig-«

Eine Taube gurrte dumpf und laut direkt über meinem Kopf. Meine Finger suchten Halt an dem Ast unter mir, auch wenn ich ihn nicht brauchte. Ich hob das Kinn, um den großen Vogel anzusehen. Sein Gefieder schimmerte grau und schwarz zwischen den Blättern. Riesige dunkle Knopfaugen beobachteten mich neugierig. Ob Vögel wohl Flügel anderer Wesen spüren konnten, selbst wenn sie vor irdischen Augen versteckt waren? Hatte ich nicht etwas über das Gespür von Vögeln gelernt?

Vorsichtig rappelte ich mich auf. Ohne viel Mühe balancierte ich auf dem dünnen Ast und streckte mich bis auf Augenhöhe mit der großen Taube. Sie blieb still sitzen, winzige Krallenfüße fest verankert. Ich neigte langsam den Kopf zur Seite, nur um sie die Bewegung spiegeln zu sehen. Sie hatten einen kleinen Schnabel, der dreckig war, wo er in ihren Schädel mündete. Die Erde war so ein sonderbarer Ort.

»Hey!« Die alarmierte Stimme drang laut und plötzlich an mein Ohr. Die Taube schreckte auf, hart mit den Flügeln schlagend rettete sie sich auf einen höheren Ast. Ich hatte denselben Instinkt, doch ich ermahnte mich rechtzeitig. Ich schaffte es, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, nicht meine Balance. »Hey! Da oben!«

Atmen. Blinzeln.

Ich schielte vorsichtig hinunter in Richtung der Stimme. Und starrte das blauäugige Gesicht an, wie ich es beim ersten Mal getan hatte. So viel Leben in so wenig Blut und Muskeln und Haut.

Louis kniete im hohen Gras, direkt im schattigen Schutz des Stammes. Noch immer war sein Gesicht rund wie die Sonne. Seine Augen hatte er so sehr geweitet, dass sie aussahen, als könnten sie jede Sekunde wie Tautropfen hinauskullern.

Nicht in Panik geraten.

Natürlich hatte ich mit Louis reden wollen, irgendwann, wenn er fünfzig war vielleicht, oder sechzig. Aber nicht als Kind. Nicht als Vierjähriger! Kinder begriffen viel zu viel, Kinder verstanden Dinge.

Konnte ich einfach nichts sagen? Er wusste, dass ich ihn gesehen hatte; wir starrten einander an. Würde es einen Menschen misstrauisch machen, wenn ich ihm nicht auf sein verwundertes Rufen antwortete?
Auch wenn ich es wollte, konnte ich mich jetzt nicht mehr einfach so unsichtbar machen. Oder in den Himmel flüchten. Denn dass Menschen sich nicht einfach so in Luft auflösten, wusste ich ziemlich sicher.

»Es ist ganz schön gefährlich so weit oben!« Louis rappelte sich auf die Füße. Sein Kopf war steil in den Nacken gelegt, damit er mich ansehen konnte. »Du solltest nicht stehen! Und Mum sagt, man darf nicht barfuß klettern.« Er legte eine Hand auf die Rinde des Stammes. »Man kann sich verletzen. Und stell dir vor, deine Füße bluten! Dann bist du ganz verloren, irgendwo im Baum. Oder auf einem Berg! Ich kann nicht mal die Kieselstein-Einfahrt bei mir Zuhause ohne Schuhe runterlaufen! Wie sollte man dann von einem Berg kommen?«

Die Worte sprudelten aus seinem Mund wie Seifenblasen. Wo waren in den nur 4 Jahren, 4 Monaten und 2 Tagen all diese Gedanken hergekommen?

Und eine Frage. Menschen beantworteten Fragen. ›Wie sollte man dann von einem Berg kommen?‹ Ich kannte die Antwort nicht. Es war eine schwierige Frage – Menschen konnten immerhin nicht fliegen. Woher sollte ich die Antwort nehmen?! Blinzeln. Atmen.

Der Blick der klugen, blauen Augen lag brennend auf mir. »Ich...«, setzte ich an und wünschte mir, Liam wäre bei mir. Er hätte mir sagen können, was zu tun war. Er hätte mich gar nicht erst sichtbar sein lassen. »Ich war noch nie auf einem Berg.«, sagte ich schließlich und hoffte inständig, dass es eine angemessene Antwort für Louis' Kindergehirn war.

Sein Gesicht verriet es mir nicht. Dann seufzte er. »Ich auch nicht.«

Mein Blick fiel auf seine aufgeschlagenen, verschorften Knie unter dem Saum der knallroten Hose. Er war beim Fahrradfahren gefallen, vor drei Tagen. Und jetzt stand er hier und redete über blutige Füße. Sogar die kleinsten Menschen waren sich schon ihrer Endlichkeit bewusst. Doch ihm konnte unmöglich jedes Mal so klar wie mir sein, wenn er in Gefahr geriet. Was machte er überhaupt hier?

Ich warf einen Blick über die Schulter. Der große Silly-Billy saugte seine Umgebung suchend mit den Augen auf. Er hätte Louis hinter dem breiten Baumstamm nicht sehen können, selbst wenn er näher bei uns wäre. Aber Louis schien nicht beunruhigt. »Ich glaube, du hast deine Familie verloren.«, sagte ich so sanft wie möglich, um ihn nicht in Angst zu versetzen. Er war immerhin nicht in Gefahr. Seine Eltern waren nicht weit weg.

Doch Louis bekam keine Angst. Er grinste breit. Bald würde er den ersten seiner weichen Kinderzähne verlieren, das konnte ich spüren. »Ich hab doch nicht meine Familie verloren! Sie sitzt dahinten, das weiß ich. Ich verstecke mich nur! Hast du noch nie Verstecken gespielt?«

Er hörte sich nicht an, als wäre es etwas Gutes, noch nie Verstecken gespielt zu haben. Aber ich konnte ihm nicht ins Gesicht lügen. »Nein.«

»Möchtest du mitspielen?« Er strahlte. Ich konnte ihm ansehen, dass er am liebsten zu mir in den Baum geklettert wäre. Aber ich war hoch und der Baum bot wenig Äste. Louis schien jedoch nicht zu sehr zu hinterfragen, wie ich hier hochgekommen war. Mein Menschenkörper musste für ihn dem eines siebenjährigen Jungen gleichen. Kein kleiner Mensch wäre hier hochgekommen. Um diese Tatsache nicht noch zu betonen, glitt ich wieder auf dem Ast ins Sitzen. »Ich könnte fragen.«, fuhr Louis munter fort. »Die Anderen würden dich bestimmt mitspielen lassen!«

Ich schüttelte den Kopf, denn das taten Menschen fast überall auf der Erde, um etwas ohne Worte zu verneinen.

Louis schürzte nachdenklich die rosa Lippen. »Schade. Dad sagt aber auch, ich soll eigentlich nicht mit Fremden reden. Oder spielen.«

Er sah mich als einen Fremden. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ich eines der ersten Wesen war, die ihm je begegnet waren. Wozu hatten Menschen ein Gedächtnis, wenn es löchrig wie das Netz einer Spinne war?

»Moment!«, Louis stellte sich aufgeregt auf die Zehenspitzen. »Du kannst mir einfach deinen Namen sagen! Dann sind wir keine Fremden mehr.« Als hätte er jetzt erst bemerkt, dass ich ein Gesicht hatte, verengte er forschend die Augen. »Darf ich fragen, wie du heißt?«

Er war so jung. »Hara.«, erwiderte ich mit einem leichten Lächeln. Zwar war dieses Gespräch ungeplant und riskant, aber mir wurde mit jeder Sekunde bewusster, dass ich gar nicht abwarten konnte, Liam davon zu erzählen.

»Ha-ra?« Louis zog seine kleine Nase kraus. »Was ist das für ein Name? Hara wie Harry?«

»Hara wie Hara.«, erklärte ich, ein wenig verwirrt.

Louis neigte den Kopf zur Seite. »Ja. Aber es ist ein Spitzname, oder nicht?«

»Spitzname?«

Louis ging noch ein winziges Stück weiter auf die Zehenspitzen. »Na, ein Spitzname!« Wieder gurrte die Taube über mir, doch dieses Mal sah ich nicht zu ihr auf. Louis schien meine Verwirrung zu erkennen. »Ein Spitzname ist...etwas, das du genannt wirst. Nicht dein richtiger Name, aber so ähnlich, und irgendwie doch richtig, zumindest manchmal. Bei manchen Leuten. Ich heiße Louis! Aber meine Mum sagt manchmal Lou. Dad auch. Das ist ein Spitzname.«

Der Wind trug das Lachen der Erwachsenen beim Essen herüber. Sie schienen wirklich nicht besorgt darüber zu sein, dass sie Louis nicht sehen konnten. »Ich habe keinen Spitznamen.«, berichtete ich wahrheitsgemäß.

Lou. Louis. Lou. War das verständlich? Ein Name, der nicht der richtige Name war, aber irgendwie doch richtig, zumindest manchmal. Aber es klang hübsch. Lou.

»Dann kann ich dir einen Spitznamen geben, wenn du magst! Dann hast du auch einen.« Er lächelte so breit, dass ich Angst bekam, seine Wangen würden reißen. Auch wenn das natürlich nicht so schnell geschah. »Was denkst du über Harry? Es ist ein schöner Name. Ein bisschen wie Ha...ich hab deinen richtigen Namen vergessen. Darf ich dich Harry nennen?«

Die Sonne tanzte zwischen den Schatten der Blätter auf meinem Gesicht. Harry? Ein Spitzname? Ein Name, der nicht mein richtiger war, aber irgendwie doch? Ein Name, den Louis für mich benutzte? Ich musterte seine hochgeschwungenen Augenbrauen und die runden Wangen. Er hatte Erde am Kinn.

»Ja, Louis. Wenn du willst.«

Falls das möglich war, leuchtete sein Gesicht noch heller auf. »Super, Harry! Dann sind wir jetzt keine Fremden mehr. Willst du mitspielen?«

Ich warf einen weiteren Blick über meine Schulter. Silly-Billy strauchelte mit dem Mädchen an seiner Seite durch ein paar Büsche in der Nähe der Erwachsenen. Ich wusste ganz genau, dass ich nicht mitspielen konnte. Also schüttelte ich wieder den Kopf.

»Kann es sein, dass du nicht so gerne redest, Harry?«, fragte Louis mit vorsichtiger Neugier. Wieder hatte ich keine Ahnung, was ich antworten sollte. Ein unangenehmer Druck kribbelte auf meinem oberen Rücken.

»Ich weiß nicht.«

»Hm. Na gut. Du musst nicht reden, wenn du nicht willst.«, versicherte er warm lächelnd. Er musterte das Gras unter seinen Füßen, dann setzte er sich wieder hin, dieses Mal mit überkreuzten Beinen. Es war ein verwirrendes Spiel, das er und die anderen Kinder spielten. Er blinzelte wieder zu mir hinauf und beobachtete mich.

Es war seltsam, so nah bei ihm zu sein. Es war noch seltsamer, zu wissen, dass er das magische Band zwischen uns nicht spüren konnte. Für ihn war ich nur ein Junge in einem Baum. Ein Fremder. Harry.

Die Blätter über mir raschelten im leichten Wind, der die Haare in Louis' Stirn hochpustete. Liam hatte gesagt, dass sich die Augenfarben von Menschenbabys in den ersten 18 Monaten noch verändern konnten. Louis' waren blau und riesig wie der Himmel geblieben.

Es gab Engel, die mit ihren Schützlingen auf der Erde blieben. Ein unsichtbarer Schatten, immer bei ihnen, immer bereit. Aber die meisten blieben im Himmel, den Großteil der Zeit, wenn keine unmittelbare Gefahr auf der Erde wartete. Dazu war das Band da. Es reichte aus. Zeit konnte für Engel etwas anderes sein als für Menschen.

Ich würde den Großteil von Louis' hoffentlich langem Leben im Himmel verbringen müssen – ich hatte nicht wirklich eine Wahl. Meine Anwesenheit konnte nicht allzu lange entbehrt werden. Das hatte ich immer gewusst und es hatte mich auch nie gestört. Die Erde war ein anstrengender Ort und mein Band zu Louis war genug; wenn er mich brauchte, wäre ich da. Aber es war ein gutes Gefühl, den Geruch seiner erdigen Frühlingshaut in der Nase kitzeln zu haben, und die gleiche Luft zu teilen. Sein Gesicht zu sehen.
Langsam ergab es Sinn, wieso einige Schutzengel trotz all der irdischen Lasten bei ihren Schützlingen bleiben wollten.

»Harry?«

Harry.

»Ja?«

»Wieso trägst du ein Kleid?«

Ich sah an mir hinab. Louis redete von meinem weißen Gewand – das ich immer trug. Keine Entscheidung hatte dahinter gestanden. Es gab kein Wieso.

»Ich weiß es nicht.«, antwortete ich wieder. Es erschien mir die beste Antwort.

Louis sah verwirrt aus, aber er nickte. »Okay.« Seine Finger pflückten einen dünnen Grashalm. »Ich will keine Kleider tragen. Aber ich glaube, wenn, dann würde Dad es mir auch nicht erlauben.«

Ich schob diese Worte ein paar Mal in meinem Kopf umher, damit sie Sinn ergeben konnten. Erfolglos. »Johannah trägt ein Kleid.«

Wieder grinste Louis eines seiner Grinsen mit allen Zähnen. »Sie ist ja auch meine Mum!«, rief er lachend aus. Dann schlug er sich eine Hand vor den Mund. »Oops. Ich muss eigentlich leise sein.« Mit einem Mundwinkel lächelte er mir verschwörerisch zu. Bis auch dieses Lächeln fiel. Er runzelte die Stirn. »Woher weißt du, wie meine Mum heißt, Harry?«

Der Wind schien zu stoppen, obwohl das niemals passierte. Fehler geschahen so einfach. Es war eine Frage, ich musste antworten. Aber was? ›Aus den himmlischen Archiven.‹? ›Weil sie dich zur Welt gebracht hat und ich dich beschützen werde, solange du lebst.‹? Das erschien mir nicht besonders subtil. Kinder verstanden zu viel.

»Ich weiß nicht.«, versuchte ich es also ein weiteres Mal. Die Lüge brannte wie Feuer auf meiner Zunge.

Louis' helle Augenbrauen zogen sich noch enger über seinen lebhaften Augen zusammen. »Du weißt es nicht?«

Ich wollte Nein sagen, schüttelte aber lieber wieder den Kopf. Ich musste zurück in den Himmel.

»Du bist seltsam, Harry.«, gab Louis skeptisch zu bedenken. »Kein gemeines Seltsam!«, setzte er schnell hinterher. »Nur ein...seltsames Seltsam.«

Ich lächelte. »Du bist auch ein seltsames Seltsam, Louis.« Das traf es ziemlich gut. Er würde wohl kaum jemals verstehen, wie die Erde ihn formte, aber das Blut rann durch seine Adern.

Er öffnete die dünnen Lippen, dann schloss er sie wieder. Der Grashalm tanzte über die weichen Profile seiner Hände, und er schwieg. Ich wusste, dass ich zurück in den Himmel musste. Mein Körper wurde mit jeder Sekunde schwerer, mein Rücken schien zwischen meinen Schulterblättern zu vibrieren; meine Flügel in ihrem Gefängnis aus Haut und Knochen.

Aber ich hatte keine Idee, wie ich der Erde und Louis' kleiner, blauäugiger Aufmerksamkeit entkommen könnte. Selbst wenn er mich nicht direkt ansah wie jetzt, konnte ich mich nicht einfach in Luft auflösen. Dass Menschen das nicht taten, war mir bewusst. Aber vom Baum hinunter, um dann auf Füßen davonzulaufen, wie Menschen es taten, konnte ich auch nicht. Denn das erforderte entweder Klettern – was ich nicht beherrschte –, Fliegen –was ich beherrschte, Louis aber nicht sehen durfte – oder Springen – was funktionieren würde, aber auch das durfte ich nicht vor Louis' Augen tun; es würde ihn in Gefahr bringen, als kleiner Junge zu lernen, dass man problemlos von Bäumen springen konnte.

Was sollte ich sonst tun? Warten? Meine Flügel waren die menschliche Enge nicht gewohnt. Und Louis war noch immer auf das schmale Stück schwindenden Lebens in seinen Händen fixiert. Vielleicht war es ein kleineres Risiko, zu springen, als zu warten, bis meine Flügel die Erdatmosphäre in dieser Form nicht mehr duldeten.

Louis' Finger drehten und drehten und drehten sich. Ich sprang.

Meine Füße landeten sicher und sanft im Gras. Erschrocken weitete sich Louis' auf meine Zehen gerichteter Blick, langsam sah er an meinen Beinen bis zu meinen Händen, bis zu meinem Hals, bis zu meinen Augen auf.

»Wie hast du das gemacht?!« Seine Stimme war höher als zuvor.

Schon in meinem Kopf zitterte die Lüge. »Ich bin geklettert. Sehr schnell.«

»Wow! Wirklich?«

Nein, aber du bist ein Mensch. »Ja.«

»Du hast rote Wangen, Harry!« Louis rappelte sich wieder auf die Füße. Der Grashalm fiel zu Boden. Ende.

»Ja.«

»Willst du wirklich nicht mitspielen?«, fragte Louis wieder. Wirklich ein Gedächtnis löchrig wie ein Spinnennetz. Er streckte seine Hand aus und ich begriff zu spät. Seine Finger streiften meine, meine Haut schrie. Ich zuckte zurück. »Es ist okay, wenn du ein bisschen schüchtern bist, Harry. Ich kann das Reden übernehmen, wenn du willst! Wenn ich den anderen erzähle, wie gut du klettern kannst, werden sie richtig staunen! Vielleicht kannst du es Mum zeigen und sie würde mir auch erlauben, barfuß zu klettern. Ich bin eigentlich gar nicht so gut im Klettern. Du könntest es mir beibringen! Willst du es mir beibringen?«

Ich versteckte meine Hände vor ihm hinter meinem Rücken. »Nein. Ich muss dich verlassen, Louis.«

»Was?«

»Ich muss dich verlassen.«, wiederholte ich. Ich ging ein paar Schritte, bis ich aus dem Schatten des Baumes trat.

»Wieso?«, fragte Louis verwirrt. »Musst du zu deiner Familie gehen?«

»Ich muss nach Hause.« Ich trat ein paar weitere Schritte zurück. Die anderen von Louis' Cousins liefen jetzt auch mit dem großen Silly Billy, sie waren nicht weit weg.

»Na gut.« Louis lächelte nicht mehr. »Bis bald, Harry. Vielleicht. Wenn du beim nächsten Farbenpicknick auch hier bist. Ich würde gerne klettern lernen.«

Die Sonne war noch wärmer als bei meiner Ankunft. »Bis bald, Louis.«

Ich drehte mich um. Meine Beine waren schwer, aber ich bewegte meine Füße so schnell es Louis' Blick auf meinem Rücken erlaubte. Links, rechts, links, rechts, da waren ein paar Birken auf einem Hügel. Und genügend Schutz für meinen Weg in den Himmel.

Louis hielt mich nicht auf.

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