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Namira Pov
Während der letzten Zeit hatte sich der Berghang immer weiter abgeflacht und war in eine Bergwiese übergegangen.
Als Conri und Brynn endlich auch den steilen Pfad überwunden hatten und zu uns gestoßen waren, döste ich längst auf der hügeligen Wiese im Sonnenschein.
Ich war schon auf der Jagd gewesen, der Vogeljunge war allerdings immer noch unterwegs.
Entweder konnte er so schlecht jagen und hatte einfach noch nichts gefangen, oder er wollte möglichst wenig Zeit mit mir verbringen.
Ich konnte mir beides gut vorstellen, vielleicht auch ein Kombination, aber ich tippte auf ersteres.
Brynn riss mich aus meinem trägen Gedankenstrom, weil sie einige Steine lostrat, die über den letzten Rest des Pfades bis auf das noch kurze, harte Gras kullerten.
Automatisch drehten sich meine Ohren in Richtung des störenden Geräusches.
"Hallo", sagte Brynn freundlich als sie auch auf die Wiese trat.
Ich öffnete die Augen und sah sie an.
"Hallo", erwiderte ich bemüht freundlich.
Ihre kleinen Augen schienen sich tagsüber noch mehr verengt zu haben, angesichts ihres Lebensraumes aber auch kein Wunder.
Sie begann, in den etwas weicheren Boden knieend ein Loch zu buddeln und wider Willen war ich beeindruckt, wie schnell sie den Anfang eines Tunnels ausgehoben hatte, in dem sie prompt verschwand.
Ich war offensichtlich vergessen, was mich aber auch nicht überraschte.
Ich kannte sie noch keinen Tag, wusste aber dass sie ein so gutes Gedächtnis hatte wie eine kahle Buche Regen abfing.
Überhaupt schien sie überfordert mit so ziemlich jeder Situation und erinnerte mich an ein kleines Menschenkind - und bestimmt nicht an jemanden, der uns gegen was-auch-immer helfen konnte.
Jedenfalls war es schlimm genug, dass Conri nicht einmal darüber sprechen wollte und Brynn machte auf mich viel eher den Eindruck eines Hindernisses als eines Helfers.
Aber gut, wenn er darauf bestand...
Ich würde meine Gedanken einfach für mich behalten und Conri hatte keinen Grund sauer auf mich zu sein.
Problem gelöst, wenigstens für den Moment.
°°°
Seit Soo-Ri zurück war, war nicht viel Zeit vergangen, bis Conri uns erklärt hatte, wir müssten weiter.
Brynn war daraufhin auch wieder zu uns gestoßen und lief etwas langsamer hinter uns her.
Conri führte uns zielstrebig in Richtung Norden, Soo-Ri flog wie immer über uns.
Doch ausnahmsweise achtete ich nicht auf ihn. Ich fühlte mich unwohl in dieser riesigen, offenen Fläche und auch wenn das Gras immer höher wurde, je weiter wir uns vom Berg entfernten, bot es kaum Schutz vor fremden Augen.
Durchgängig spürte ich, dass mich jemand beobachtete, jemand anders als meine Reisegefährten.
Es war, als wäre ich Beute. Und das gefiel mir überhaupt nicht. Ununterbrochen lauschte ich jedem noch so kleinen Geräusch.
Nur, dass nichts zu hören war.
Keine Nager huschten durch das Gras, keine Vögel waren weit und breit zu sehen oder zu hören und nicht einmal Wind wehte.
Das einzige, was ich hören konnte, war Soo-Ris sanfter Flügelschlag und unser leiser Atem. Die Stille hatte sich selbst auf uns gelegt und als ich versuchte, mich laut zu räuspern, kam nichts als ein halb erstickten Krächzen heraus.
Um so froher war ich, als der Adlerjunge verkündete, in der Nähe läge ein großer See. Wo ein See war, wuchsen größere Pflanzen und er bot viel mehr Lebensraum für Tiere.
Tatsächlich wich Conri von seinem bisherigen Kurs ab und wir kamen zu dem See, der von hohem Schilf umgeben war, einige Bäume standen in der Nähe.
Kein Windhauch kräuselte die dunkelblaue Oberfläche und doch war immer noch kein Tier zu sehen.
Ich nahm das alles aber nur halb wahr, mehr unterbewusst, da ich, nicht zu schnell, auf das Schilf zuhielt. Soo-Ri hatte sowieso schon etwas gemerkt, mehr brauchte ich ihm nun wirklich nicht zu zeigen, dass ich Angst hatte. Denn das hatte ich.
Ich schob das Schilf zur Seite und fand zwei Enten, die sich geräuschlos in den Schutz der hohen Halme drängten.
Sie wirkten, soweit ich das bei Enten beurteilen konnte, verängstigt.
Ich sah mich weiter um und entdeckte die Konturen eines Hasen in seinem Bau und einige Eichhörnchen, die sich in einer Baumhöhle verkrochen hatten.
Die Stille bereitete mir eine Gänsehaut. Nicht einmal Insekten oder Frösche waren zu hören.
Soo-Ri sah genauso angespannt aus wie ich und lauschte, Conri ebenfalls. Nur fehlte bei ihm die Besorgnis.
Brynn war nicht zu sehen.
Auf einmal erfüllte eine sanfte Melodie die Luft und vertrieb das unangenehme Schweigen.
Während ich diesem Lied nachhorchte entspannte ich mich.
Ich wollte es nicht, versuchte wachsam zu bleiben. Ich ballte die Hände zu Fäusten und grub die Krallen in meine Handballen, doch ein paar Sekunden später zog ich diese wieder ein und ließ, ohne Kontrolle darüber zu haben, locker. Eine Art schützender Konkon aus Wärme hüllte mich ein und vertrieb all meine Ängste und Zweifel. Ich merkte nicht einmal, dass ich leise das Schnurren anfing und setzte mich ins weiche Gras. Die Melodie hüllte mich ein und ich sah vor meinem geistigen Auge grünende Buchen im Frühling, aufblühende Mischwälder im Sommer, leuchtend gefärbte Ahornbäume im Herbst und winterliche, von Schnee bedeckte Tannen vorbeiziehen. Es war ein wenig, als träumte ich, als hätte das Flötenspiel, denn das war es, mich verzaubert.
Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.
°°°
Bienen summten und das Keckern eines Eichhörnchens weckte mich.
Ich fühlte mich so gut und ausgeruht wie schon lange nicht mehr.
Die Sonne schien warm, aber nicht unangenehm und zwei Schmetterlinge tanzten vor mir in den Himmel hinauf. Tief sog ich den Duft der Wiese, mit ihren Blumen, und den des Teiches ein.
Als es hinter mir raschelte drehte ich mich langsam um und lächelte Soo-Ri entgegen. Es kam mir überhaupt nicht merkwürdig vor.
Er lächte ebenfalls selig.
"Ein wunderschöner Morgen, oder?", rief ich glücklich.
Erst nickte er, dann schüttelte er den Kopf und sein Gesichtsausdruck wechselte erst zu verblüfft und dann geschockt.
"Was ist los mit dir?", fragte er fassungslos.
Was hatte er denn für ein Problem?
Es war ein wunderschöner, warmer Morgen, ich war einfach nur glücklich, Blumen- Blumen?
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Blumen... Blumen... Blumen? Warme Sonne? Im Herbst?
Ich zuckte zusammen und der Zauber löste sich. Noch immer schwierigen Insekten durch die Luft und die Atmosphäre war ruhig und gelassen, aber ich ließ mich nicht länger täuschen.
Wenn es echt war, dann durch einen sehr mächtigen Zauber.
Mächtiger als alles, was ich bisher gekannt hatte, vielleicht sogar mächtiger als die Wurzeln einer tausend Jahre alten Eiche.
Inmitten dieser sonnigen Idylle lief mir ein Schauer über den Rücken.
>>Was ist das?<<
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