Kapitel 9 band 4
Die Nacht war kalt, und das Knistern des Feuers war das Einzige, das die Gruppe vor der klirrenden Kälte bewahrte. Emilia saß dicht an Alex gelehnt, während die anderen sich um das Feuer versammelt hatten. Die Schneedecke war über Nacht dicker geworden, und die kahlen Bäume waren nun vollständig von weißem Glanz umhüllt.
Emilia zog ihre Decke fester um sich und lauschte dem leisen Knirschen des Schnees, wenn jemand seine Position wechselte. Trotz der Kälte fühlte sie sich geborgen, umgeben von ihren Gefährten. Doch ihre Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder schweiften sie zu dem, was vor ihnen lag - dem Dorf und der Todsünde, die sie dort treffen würden.
Als die ersten Sonnenstrahlen den Schnee in ein blendendes Weiß tauchten, erwachte die Gruppe allmählich. Jake war der Erste, der das Feuer wieder entfachte, bevor er sich zu den anderen umdrehte. „Zeit aufzubrechen. Wir wollen doch nicht, dass wir im Schnee steckenbleiben, bevor wir das Dorf erreichen."
Emilia streckte sich und zog ihre warme Jacke an, während sie Alex dabei half, ihre wenigen Sachen zusammenzupacken. „Wie weit ist es noch bis zum Dorf?" fragte sie und blickte zur weißen Landschaft, die sich scheinbar endlos vor ihnen erstreckte.
„Nicht mehr weit", antwortete Gray, der die Umgebung musterte. „Vielleicht zwei Stunden, wenn der Schnee nicht noch schlimmer wird."
Ash warf einen Blick zum Himmel, der von grauen Wolken bedeckt war. „Ich würde mich nicht darauf verlassen. Der Schnee wird stärker, wenn das so weitergeht."
Die Gruppe machte sich auf den Weg. Der Schnee fiel jetzt dichter, und der kalte Wind blies durch die Baumreihen, sodass selbst Emilia, die sich sonst an die wechselnden Jahreszeiten gewöhnt hatte, fröstelte. Die Umgebung war ruhig, abgesehen vom Knirschen ihrer Stiefel auf dem gefrorenen Boden und dem gelegentlichen Rascheln eines verschneiten Astes.
„Es ist seltsam", murmelte Emilia nach einer Weile. „Vor ein paar Tagen war es noch Herbst, und jetzt fühlt es sich an, als hätte der Winter die ganze Welt verschluckt."
Alex nickte. „Das passiert oft in diesen Regionen. Die Jahreszeiten wechseln abrupt. Es gibt keine Warnung - nur Veränderung."
Jake, der an der Spitze ging, blieb plötzlich stehen und deutete nach vorne. „Da vorne - seht ihr den Rauch? Das muss das Dorf sein."
Emilia folgte seinem Blick und erkannte in der Ferne die dünnen Rauchfäden, die sich durch den trüben Himmel zogen. Ihre Schritte wurden schneller, trotz der Kälte, die ihre Bewegungen schwer machte. Die Aussicht auf ein warmes Feuer und ein Dach über dem Kopf gab ihr neue Energie.
Das Dorf lag in einer Senke, umgeben von dichten, verschneiten Bäumen. Die Hütten waren aus dunklem Holz gebaut, mit Dächern, die unter der Last des Schnees ächzten. In der Mitte des Dorfes brannte ein großes Feuer, um das sich einige Dorfbewohner versammelt hatten, eingehüllt in dicke Mäntel und Schals.
Die Gruppe zog neugierige Blicke auf sich, als sie den Dorfplatz erreichten. Emilia spürte die Spannung in der Luft und hielt sich dicht an Alex und Ash.
Jake trat vor und sprach mit einer älteren Dämonin, die offenbar das Sagen hatte. Sie nickte langsam und deutete zu einer der größeren Hütten am Rand des Platzes. „Er ist dort. Aber seid gewarnt - er ist nicht in bester Laune."
Jake drehte sich zu den anderen um. „Das ist unser Ziel. Die Sünde der Völlerei erwartet uns."
Emilia schluckte schwer, ihre Gedanken kreisten um all das, was die Jungs ihr über ihn erzählt hatten. Sie hatte keine Ahnung, was sie erwarten würde - nur, dass dieser Dämon die einzige Hoffnung für Saphira war.
„Na los", murmelte sie leise und folgte Jake, während die Gruppe langsam auf die Hütte zuging.
~ ~ ~ ~
Die Hütte, auf die Jake zusteuerte, unterschied sich von den anderen im Dorf. Ein schlichtes Holzschild über der Tür zeigte ein eingeritztes Symbol: eine Vierpfote, umringt von einem Halbmond. Darunter stand in grober Schrift: Mondpfoten-Klinik. Emilia blieb kurz stehen, als sie den Namen las. Ihr Herz schlug schneller, und sie konnte die feinen Muskeln in ihrem Körper spüren, die sich anspannten.
„Das ist also seine Praxis?" fragte sie leise und warf einen Blick zu den anderen.
„Ja", antwortete Alex knapp, während Jake ohne zu zögern an die Tür klopfte. Ein tiefes, raues „Herein" drang von innen heraus. Jake öffnete die Tür und trat ein, gefolgt von den anderen.
Die Wärme der Praxis schlug Emilia entgegen, während der würzige Geruch von Kräutern in ihre Nase stieg. Der Raum war groß, jedoch rustikal eingerichtet. Regale voller Bücher und Gläser mit seltsamen Substanzen und Kräutern säumten die Wände. In einer Ecke stand eine gepolsterte Liege, daneben ein niedriger Tisch mit sorgfältig angeordneten Werkzeugen und Schalen. Auf einem kleinen Holzbrett lag etwas, das wie ein zerlesenes Notizbuch aussah, daneben lagen ein paar verstreute Federkiele.
In der Mitte des Raumes stand er - die Sünde der Völlerei. Emilia konnte nicht anders, als kurz die Luft anzuhalten, als ihr Blick ihn erfasste. Er war ein stück größer wie sie, mit lockigen, braunen Haaren, die ihm leicht in die Stirn fielen, und einem offenen Arbeitskittel, der über einem einfachen schwarzen Hemd lag. Doch was wirklich auffiel, waren die dunklen Goldtöne seiner Augen - warm, aber zugleich unergründlich, wie glühende Kohlen im Halbschatten.
Sein Auftreten wirkte ruhig, fast entspannt, doch Emilia spürte die feine Spannung in seiner Haltung. Sein Blick schien alles zu analysieren, bevor er sich schließlich auf sie richtete. Ihre Instinkte schrien Alarm. Es dauerte nur Sekunden, bis sie die Wolfszüge bemerkte: die leicht spitz zulaufenden Ohren, die markanten Eckzähne, die bei seinem ersten leichten Lächeln aufblitzten, und die Krallen, die er offenbar unbewusst ein wenig ausfuhr.
Er ist ein Werwolf. Das Wissen aus Theresas Büchern und Geschichten hallte in ihrem Kopf wider: Werwölfe und Valkyrien waren natürliche Feinde, ihre Clans hatten sich seit Generationen bekämpft. Ihr Körper spannte sich an, ein natürlicher Reflex, doch Emilia ließ sich nichts anmerken. Jetzt verstehe ich, warum sie mir nicht mehr über ihn erzählen wollten.
Doch anstelle von Angst oder Misstrauen spürte sie etwas anderes - Mitleid. Er hat sich das nicht ausgesucht, in diesem Stamm wiedergeboren zu werden. So wie ich mir nicht ausgesucht habe, eine Valkyrie zu sein.
„Ah, die berühmten Gäste." Seine Stimme war tief und ein wenig rau, mit einem spöttischen Unterton. Sein Blick glitt über Jake und Alex, verweilte kurz bei Ash, bevor er schließlich bei Emilia landete. Seine Augen funkelten amüsiert, doch seine Haltung blieb angespannt.
„Du musst die Hüterin sein", sagte er schließlich. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als ob er ein Lächeln unterdrücken wollte. „Kleiner, als ich gedacht hätte."
Seine Worte ließen Emilias Augenbrauen zucken, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Und du bist die Sünde der Völlerei?" fragte sie mit ruhiger Stimme, auch wenn ihr Herz schneller schlug.
Felix grinste, wobei seine Eckzähne erneut aufblitzten. „Felix", stellte er sich vor. „Aber ja, die Völlerei. Schön, dass wir das gleich geklärt haben."
„Wir sind nicht hier, um zu plaudern", unterbrach Alex, sein Ton scharf. „Saphira braucht deine Hilfe."
Felix zog eine Augenbraue hoch und wandte sich langsam zu Alex. „Geduld, Hochmut. Erstmal schaue ich mir an, was überhaupt los ist. Bringt sie rein."
Emilia half der schwachen Vierpfote aus ihrer Kuscheloase. Saphira war in den letzten Stunden noch stiller geworden, ihr einst glänzendes Fell wirkte stumpf, und ihre Bewegungen waren träge. Sie war zu schwach, um sich selbst aufzurichten, und lehnte schwer an Emilias Arm, während diese sie sanft trug.
„Oh eine Lunara-Fourpaw, eine Seltene Rasse." Felix schien sicher in seiner Aussage, als er sie mit einem professionellen Blick musterte. Er trat näher, beugte sich leicht hinunter und fuhr mit den Fingerspitzen über Saphiras Kopf, ohne ihr direkt in die Augen zu sehen.
„Lunara..?" wiederholte Emilia fragend.
Felix nickte knapp. „Eine seltene Rasse. Stark mit Mondenergie verbunden. Ihre Verbindung zu dieser Energie macht sie anfällig für Überladungen- besonders, wenn sie verfluchte Mana-Ströme ausgesetzt war."
Alex schob sich näher. „Kannst du ihr helfen?"
Felix richtete sich auf, ein leises Lächeln auf seinen Lippen. „Das finden wir gleich heraus. Aber zuerst brauche ich mehr Informationen. Wo habt ihr sie gefunden? Und was genau ist passiert?"
.......
Felix beugte sich erneut zu Saphira hinab, musterte sie mit scharfem Blick und lauschte den Worten der Gruppe. Als Emilia begann zu erklären, dass sie der Vierpfote eine Mixtur aus der Silberlilie gegeben hatte, richtete er sich abrupt auf und stöhnte genervt.
„Haltet euch kurz!" Seine Stimme war scharf und schnitt durch die Luft. Sein Blick traf Emilias mit einer Mischung aus Frustration und Enttäuschung. „Also habt ihr ihr etwas eingeflößt, ohne überhaupt zu wissen, was sie wirklich ist? Oder wie sie darauf reagieren würde? Und du wusstest nicht mal ihre Rasse, richtig?"
Emilia öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, doch Felix ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Genau das ist das Problem, Mieze," fuhr er scharf fort, wobei er das Wort mit spöttischem Unterton betonte. „Die Silberlilie enthält einen hohen Anteil an gespeicherter Mondenergie - und dieser Gefährte?" Er deutete auf Saphira, die schwach an Emilias Seite lehnte. „Dieser Gefährte ist eine Lunara-Vierpfote. Ihre gesamte Physiologie basiert darauf, Mondenergie aufzunehmen und zu nutzen. Aber was passiert, wenn du einen übervollen Becher immer weiter füllst?"
Emilia wich seinem Blick nicht aus, obwohl sie innerlich die Schärfe seiner Worte spürte. „Ich... ich wusste es nicht. Ich dachte, ich helfe ihr-"
„Genau das ist der Punkt!" Felix schnitt ihr erneut ins Wort, seine goldenen Augen blitzten. „Du hast nicht nachgedacht, sondern dich von deinen Emotionen leiten lassen. Nur weil es beim ersten Mal funktioniert hat, hast du angenommen, dass es wieder klappt. Aber du hast keine Ahnung, wie komplex diese Rasse ist - oder wie gefährlich verfluchte Energie in Kombination mit Mondenergie werden kann."
Er kniete sich wieder hin, griff sanft nach Saphiras Pfote und drehte sie, während er ihre Muskeln und ihr Fell prüfte. Seine Berührungen waren routiniert, fast schon zärtlich, doch seine Stimme blieb streng.
„Diese Vierpfote wurde schon einmal von verfluchter Energie betroffen, oder?" fragte er, ohne aufzusehen.
Emilia nickte, während Alex antwortete: „Ja. Wir haben sie gerettet, aber ihr Zustand hat sich nie ganz stabilisiert."
Felix stieß ein leises Schnauben aus. „Natürlich nicht. Ihr Körper ist überfordert - sie ist gleichzeitig überladen mit Mondenergie und wird von den Nachwirkungen des Miasmas erschüttert. Es ist, als würde ihr Inneres gegeneinander kämpfen: das Licht des Mondes gegen die Dunkelheit des verfluchten Manas. Kein Gefährte kann das alleine aushalten."
Felix stand auf und wandte sich erneut an Emilia. „Weißt du, was das Problem ist, Hüterin? Du hast keine Ahnung, was du tust. Du lässt dich von deinem Herzen leiten - und das ist nicht immer schlecht - aber manchmal reicht das nicht. Du bist nicht unfehlbar, und das hier?" Er deutete auf Saphira. „Das ist ein Ergebnis deines blinden Vertrauens in eine Methode, die du nicht einmal verstanden hast."
Emilia presste die Lippen zusammen, ihre Augen funkelten vor Widerstand, doch bevor sie antworten konnte, trat Jake zwischen sie und Felix.
„Pass auf, Felix," sagte Jake mit drohendem Unterton. „Du kannst ihre Entscheidungen kritisieren, aber vergiss nicht, dass sie ihr Leben riskiert hat, um Saphira überhaupt zu retten. Sie handelt vielleicht emotional, aber sie handelt aus Mitgefühl - was mehr ist, als man von dir behaupten kann."
Felix' Blick wurde kühler, aber ein leises, amüsiertes Lächeln spielte um seine Lippen. „Beruhig dich, Zorn. Ich sage nur, wie es ist. Und wenn ihr wollt, dass ich ihr helfe, dann macht Platz und lasst mich meinen Job machen."
Ash trat neben Jake und verschränkte die Arme. „Wir sind nicht hier, um uns von dir belehren zu lassen, Felix. Emilia hat alles getan, was in ihrer Macht stand. Wenn du helfen willst, dann tu es. Aber du wirst sie nicht so behandeln."
Felix hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich sage nur, dass sie lernen muss, mehr zu hinterfragen. Das ist kein persönlicher Angriff - nur ein Fakt."
Alex legte eine Hand auf Emilias Schulter, seine Stimme war ruhig, aber fest. „Felix ist vielleicht direkt, aber wir wissen, dass du immer dein Bestes gibst. Lass dich nicht davon unterkriegen. Saphira wird wieder gesund, und das ist, was zählt."
Felix atmete tief durch und kniete sich erneut neben Saphira. „Hört zu. Ich werde sie stabilisieren, aber das wird Zeit brauchen. Ihr Körper braucht eine Methode, um die überschüssige Mondenergie abzuleiten, bevor sie weiteren Schaden anrichtet. Gleichzeitig muss ich die Rückstände der verfluchten Energie aus ihr entfernen, ohne ihr System komplett zu destabilisieren."
Er griff nach einem Notizbuch, das auf dem Tisch lag, und begann, schnell ein paar Skizzen und Notizen anzufertigen. „Wir brauchen eine Barriere, die die Mondenergie dämpft, aber gleichzeitig genug Raum lässt, dass sie sich regenerieren kann. Dazu eine Lösung, die die Reste des Miasmas neutralisiert - etwas, das ihr System nicht weiter belastet."
Emilia sah ihm aufmerksam zu, während er sprach. Trotz seiner scharfen Worte konnte sie die Leidenschaft und das Wissen spüren, die hinter jeder seiner Bewegungen lagen.
Felix sah auf und bemerkte ihren Blick. Er hielt inne, sein Gesichtsausdruck wurde weicher - für einen Moment. „Ich bin nicht hier, um dir das Leben schwer zu machen, Emilia. Aber wenn du etwas aus dieser Situation lernen willst, dann das: Emotionen sind wichtig, aber ohne Wissen und Vorbereitung können sie mehr Schaden anrichten als helfen. Das hier ist nicht deine Schuld, aber es ist deine Verantwortung."
Die Stille im Raum war nur von Felix' leisen, konzentrierten Bewegungen und dem Rascheln seiner Notizen durchbrochen. Er war offensichtlich tief in seine Arbeit vertieft, während die Gruppe ihn schweigend beobachtete. Die Minuten zogen sich, und Emilia konnte die Spannung in der Luft spüren. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
„Wenn du Barrieren brauchst, ich helfe dir," bot sie mit fester Stimme an. Sie trat einen Schritt vor, ihre Augen voller Entschlossenheit. „Ich werde alles tun, was ich kann, um zu helfen."
Felix hielt inne, sein Blick glitt langsam von seinen Unterlagen zu ihr. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, doch die leise Schärfe in seinen goldenen Augen verriet seine Gedanken.
„Wie gedenkst du zu helfen?" zischte er schließlich. „Warum denkst du überhaupt, dass ich deine Hilfe brauche?"
Emilia blinzelte, überrascht von seiner harschen Reaktion, doch sie hielt ihrem Impuls stand, zurückzuweichen. „Ich bin Schamanin," erklärte sie, ihre Stimme etwas fester. „Und ich besitze ein Medaillon, das Barrieren-Magie verstärkt. Ich könnte-"
„Oh, bitte." Felix schnitt ihr scharf ins Wort, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Eine tolle Schamanin bist du. Wirklich beeindruckend." Der Sarkasmus tropfte förmlich aus seinen Worten.
Emilia spürte, wie die Hitze in ihr aufstieg, doch bevor sie protestieren konnte, sprach er weiter, seine Stimme voller Bitterkeit. „Wenn du so eine herausragende Schamanin wärst, dann wäre dir gar nicht erst so ein Fehler passiert. Stattdessen hast du blindlings eine Mixtur verwendet, ohne auch nur die einfachsten Grundlagen zu beachten - wie die Verbindung zwischen der Rasse deines Gefährten und der Silberlilie."
Er machte eine spöttische Geste in Richtung von Saphira. „Und jetzt ist sie überladen und erschöpft. Und du kommst hier rein, spielst die Retterin und denkst, du kannst mir helfen?" Felix' Stimme wurde kälter. „Du kannst mir nicht helfen, Hüterin. Wenn ich hier nicht wäre, würdet ihr noch Stunden raten, was eigentlich schiefgelaufen ist."
Jake trat einen Schritt vor, sein Blick verengte sich gefährlich. „Pass auf, Felix," warnte er mit einer tiefen, drohenden Stimme. „Du kannst sie kritisieren, aber hör auf, sie wie einen Idioten zu behandeln. Sie hat alles getan, was sie konnte."
„Alles, was sie konnte?" Felix hob eine Augenbraue, seine Haltung war provozierend. „Und das ist genau das Problem. ‚Alles, was sie konnte' reicht nicht, wenn es um das Leben eines Gefährten geht."
Ash seufzte leise und trat ebenfalls näher. „Wir sind nicht hier, um uns mit dir zu streiten, Felix. Wenn du uns helfen willst, dann tu es. Aber Emilia so runterzumachen, bringt uns kein Stück weiter."
Felix sah Ash kurz an, bevor er ein leises Lachen von sich gab. „Immer der Diplomat, ,Ash'. Aber ich sage nur die Wahrheit. Wenn sie wirklich helfen will, dann sollte sie zuerst lernen, ihre Fähigkeiten richtig einzusetzen, bevor sie anderen in Gefahr bringt."
Emilia ballte die Fäuste, ihre Stimme zitterte leicht vor unterdrückter Wut. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Aber ich lerne daraus. Und egal, was du über mich denkst - ich werde Saphira nicht aufgeben. Also, wenn du nicht vorhast, mir eine Chance zu geben, dann mach weiter. Aber ich lasse mich nicht von dir einschüchtern."
Ihre Worte schienen Felix für einen Moment zu überraschen. Er betrachtete sie schweigend, als würde er etwas in ihr abwägen. Schließlich schnaubte er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. „Mutig, das gebe ich dir," murmelte er fast beiläufig. „Aber Mut allein reicht nicht aus, Mieze. Schau zu, lerne - und versuch, mich nicht zu stören."
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Saphira lag zusammengerollt in ihrer warmen Decke, die Augen halb geschlossen. Ihr Atem war ruhig, und das Zittern, das sie zuvor geplagt hatte, schien nachgelassen zu haben. Felix stand am Ende der Liege, die Arme verschränkt, während er mit einem kritischen Blick das Resultat seiner Behandlung musterte. „Ihr Zustand hat sich stabilisiert," murmelte er schließlich, ohne den Blick von Saphira abzuwenden. „Aber sie braucht noch viel Ruhe. Keine Belastung. Und keine weiteren Experimente." Emilia, die neben Saphira kniete und vorsichtig ihren Kopf streichelte, nickte eifrig. „Ich verstehe. Danke, Felix." Sie klang erleichtert, doch ein Hauch von Nervosität blieb in ihrer Stimme. Felix warf ihr einen kurzen Blick zu, sagte aber nichts weiter. Stattdessen griff er nach einem weiteren Werkzeug und begann, seine Utensilien zu reinigen. Alex, der an der Wand lehnte, sah zu Emilia hinüber. „Warum gehst du nicht ein bisschen raus? Frische Luft wird dir guttun."
„Das ist eine gute Idee," fügte Gray hinzu, während er sich streckte. „Wir kümmern uns hier um alles. Saphira schläft sowieso." Emilia zögerte kurz, dann nickte sie. „Vielleicht habt ihr recht. Ich werde mir das Dorf ein wenig ansehen. Ich bin neugierig, wie es hier aussieht." Jake, der am Fenster stand, drehte sich zu ihr um. „Bleib nicht zu lange weg. Es wird kalt, und der Schnee wird stärker."
„Keine Sorge," antwortete Emilia mit einem Lächeln, zog ihren Mantel enger um sich und richtete sich auf. „Ich will nur ein bisschen herumlaufen. Ich komme bald zurück." Sie warf einen letzten Blick auf Saphira, die inzwischen tief schlief, und wandte sich dann zur Tür. „Pass auf dich auf," sagte Alex noch, bevor sie die Praxis verließ.
Jake warf Orvan einen bedeutungsvollen Blick zu, der keine Worte benötigte - und Orvan nickte stumm, bevor er Emilia unauffällig folgte.
Die Tür fiel leise ins Schloss, und für einen Moment herrschte eine nachdenkliche Stille im Raum. Felix, der immer noch mit seinen Werkzeugen beschäftigt war, bemerkte, wie die Atmosphäre sich änderte. Schließlich sprach Jake, seine Stimme ruhig, aber bestimmt: „Felix, wir müssen reden."
Felix blickte kurz auf, sein Gesicht von Neugier und leichter Skepsis gezeichnet. „Über was? Und warum klingt das so ernst?" „Emilia," sagte Alex, sein Blick ernst. „Du solltest... ein wenig sanfter mit ihr umgehen." Felix legte das Werkzeug zur Seite, stemmte die Hände auf die Hüften und schnaubte. „Sanfter? Warum sollte ich das? Ich rede mit ihr, wie ich es immer getan habe. Sie ist stark genug, um das auszuhalten." „Das ist sie normalerweise," begann Gray vorsichtig, seine Stimme weicher. „Aber im Moment... ist sie nicht so stabil, wie du vielleicht denkst."
Felix runzelte die Stirn, seine goldenen Augen wanderten von einem zum anderen. „Was soll das heißen? Und warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt?" Sein Tonfall wurde schärfer, seine Geduld schwand. Jake verschränkte die Arme, sah Felix direkt an und erklärte: „Es ist kompliziert. Ihre Seele... sie hat in letzter Zeit einiges durchgemacht. Es war ein Fehler von uns, ihr nicht früher zu sagen, wer wir wirklich sind. Wir haben sie zu lange im dunkeln gelassen - und dann auf einmal alles auf sie geladen." Felix starrte ihn an, und langsam fiel ihm die Kinnlade herunter. „Ihr... habt ihr alles auf einmal gesagt? Alles? Ohne Vorbereitung?" Seine Stimme klang ungläubig. „Wie lange ist das her?"
„Nicht lange," gab Alex zu, seine Stimme leise. „Wir dachten, sie wäre bereit. Aber jetzt sehen wir, dass es sie mehr belastet, als wir erwartet haben."
Felix schnaubte, schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Werkzeuge klirrten. „Ihr seid die dümmsten Idioten, die ich je getroffen habe!" Er fuhr mit dem Finger auf Jake zu. „Und du - du bist normalerweise derjenige, der alles unter Kontrolle hat! Wie konntet ihr so fahrlässig sein?" „Wir hatten keine Wahl," warf Gray ein, doch Felix unterbrach ihn scharf. „Keine Wahl? Bullshit! Ihr hättet sie vorbereiten können, ihr Stück für Stück die Wahrheit sagen können, anstatt sie mit allem zu überwältigen!"
Alex sah Felix mit verschränkten Armen an, sein Blick wurde kühl. „Das hilft uns jetzt auch nicht weiter, Felix." Felix lachte bitter, die Augen vor Zorn funkelnd. „Nicht weiter? Soll ich euch klatschen? Ihr habt Glück, dass sie nicht komplett zusammengebrochen ist!" „Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben," sagte Jake, seine Stimme ruhig, aber schwer. „Und wir tun, was wir können, um es wieder gutzumachen."
Felix atmete tief durch, rieb sich mit einer Hand über das Gesicht und murmelte: „Ihr seid verdammt noch mal alle hoffnungslos." Dann richtete er sich auf, funkelte jeden einzelnen von ihnen an und knurrte: „Aber wenn ich sehe, dass ihr sie noch einmal so in Gefahr bringt, dann habt ihr es nicht nur mit mir zu tun, sondern mit meinem ganzen verdammten Rudel." Jake hob eine Augenbraue, doch ein kleines Lächeln spielte auf seinen Lippen. „Also ist sie dir nicht so egal, wie du tust."
Felix verdrehte die Augen. „Oh, halt die Klappe, Jake. Natürlich ist sie mir nicht egal. Aber das heißt nicht, dass ich euch nicht an die Wand klatschen will." Die Jungs tauschten einen kurzen Blick, und eine schwere Stille legte sich über den Raum, während jeder die Worte nachhallen ließ. Felix' Wut war berechtigt, doch zugleich war sie ein Beweis für die tiefe Loyalität, die ihn trotz allem mit der Gruppe verband.
Ash verschränkte die Arme und sah Felix ernst an. „Kannst du uns wenigstens versprechen, vorsichtiger mit ihr umzugehen? Sie hat genug durchgemacht." Felix schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. „Das kann ich nicht versprechen. Das wäre nicht authentisch - und Emilia braucht gerade Ehrlichkeit, keine gespielte Rücksicht. Außerdem", er deutete mit einer lässigen Handbewegung auf die Gruppe, „ihr betüttelt sie doch schon genug. Sie braucht nicht noch jemanden, der sie mit Samthandschuhen anfasst."
Jake runzelte die Stirn. „Das heißt nicht, dass du sie absichtlich provozieren musst. Du musst es nicht so weit treiben, dass sie dich hasst."
Felix grinste selbstgefällig und hob eine Augenbraue. „Mich hassen? Bitte, Jake. Wollen wir wetten, dass sie sich am Ende eher wie verrückt in mich verliebt?" Er ließ seine Worte einen Moment wirken, bevor er trocken hinzufügte: „Nicht, dass ich es darauf anlege, versteht sich."
Die Jungs warfen sich ungläubige Blicke zu, während Jake seinen Kiefer anspannte. „Felix, das ist kein Spiel. Sie ist unsere Emilia, und sie verdient Respekt." Felix ließ ein leises Lachen hören und schüttelte den Kopf. „Respekt? Glaubt mir, sie bekommt von mir mehr Respekt, als ihr denkt. Ich rede nicht mit ihr, als wäre sie aus Glas. Ich bin ehrlich - und das ist mehr, als ihr bisher für sie getan habt." Ash runzelte die Stirn, seine Stimme wurde kühler. „Felix, du verstehst nicht. Es geht nicht nur um Ehrlichkeit. Es geht darum, ihr Halt zu geben." Felix hob abwehrend die Hände. „Oh, ich gebe ihr Halt - auf meine Weise. Sie braucht keinen zusätzlichen Schutz, keine extra Streicheleinheiten. Sie braucht ein Ventil, jemanden, an dem sie ihre angestaute Aggression rauslassen kann. Und lasst uns ehrlich sein, ich bin perfekt dafür. Ich bin robust, ich halte das aus, und ich mache ihr klar, dass sie stärker ist, als sie glaubt."
Alex schüttelte langsam den Kopf. „Du riskierst, dass sie sich weiter von uns entfernt, Felix."
Felix lachte erneut, diesmal etwas düsterer. „Entfernt? Glaubt mir, sie braucht jemanden, der sie aus der Komfortzone drängt. Und wenn ich dafür der Bösewicht sein muss, dann ist das eben so. Ihr habt sie mit all euren Geheimnissen und eurer Vorsicht in diese Situation gebracht. Jetzt lasst mich meinen Teil tun.'' Jake trat einen Schritt näher, sein Blick durchdringend. „Und was, wenn sie daran zerbricht? Was, wenn sie dich nicht hasst, sondern... wirklich verzweifelt wird?"
Felix hielt dem Blick stand und sprach mit ungewohnt ernstem Tonfall. „Dann werde ich da sein, um sie aufzufangen. Ich bin vielleicht nicht sanft, aber ich bin loyal. Und ich lasse niemanden, den ich liebe, im Stich. Das wisst ihr."
Die Worte hingen in der Luft, und die Jungs schwiegen für einen Moment. Schließlich war es Gray, der die Spannung brach. „Na ja, wenigstens wissen wir, dass du dich nicht ändern wirst."
Felix grinste schief. „Keine Sorge, Neid. Authentisch bis zum Schluss - das bin ich."
Jake räusperte sich und trat näher an Felix heran, seine Stimme wurde leiser, aber eindringlich. „Felix, da wäre noch etwas. Es gibt viele Baustellen bei Emilia - und wir müssen darüber reden."
Felix hob eine Augenbraue, legte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte sich an den Tisch. „Ich höre." Jake warf Alex und Ash einen Blick zu, bevor er weitersprach. „Sie verlässt sich zu sehr auf ihre Schamanenkräfte. Das ist gut, aber... ihre Kampfkunst? Null. Früher war das anders. Früher hätte sie jedem die Stirn bieten können - jetzt ist sie körperlich kaum eine Bedrohung. Und das... das macht sie angreifbar." Felix schnaubte, seine goldenen Augen funkelten vor Ungeduld. „Das überrascht mich nicht. Sie hat eine Menge auf dem Schamanen-Gebiet drauf, aber wenn ihr sie so betüttelt habt, wie ihr sagt, ist das kein Wunder."
Jake ignorierte den sarkastischen Unterton und fuhr fort: „Und es gibt da noch Sedrick."
Felix hob eine Augenbraue. „Wer?"
Ash verzog das Gesicht, bevor er erklärte: „Ein Gestaltwandler, der sie belästigt. Ein Perverser, der sie verfolgt. Sie ist ihm schon ein paar Mal begegnet, und ehrlich gesagt, macht es uns allen Sorgen. Neulich... hat sie ihn nicht abwehren können. Früher hätte sie das locker geschafft. Aber jetzt..."
Felix ließ seinen Kopf sinken und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, bevor er Jake ansah. „Ihr sagt mir also, dass sie von einem Perversen verfolgt wird und ihr nichts dagegen unternehmt? Habt ihr überhaupt einen Plan, wie ihr sie schützen wollt?"
„Natürlich", knurrte Jake. „Aber es ist nicht so einfach. Er ist ein verdammter Wandler der sogar Gefährten- Formen annehmen kann..."
Felix unterbrach ihn mit einem abfälligen Lachen. „Euer Plan ist also, sie zu beobachten und abzuwarten? Großartig." Er richtete sich auf, seine Haltung war nun angespannt. „Ihr hättet mich schon viel früher holen sollen. Das hier ist kein Spiel."
„Das wissen wir", murmelte Alex, während er Felix' wütenden Blick standhielt. „Deshalb sind wir hier."
Felix nickte langsam, während er nachdachte, seine Hände zu Fäusten geballt. Schließlich sagte er: „Ich werde es tun. Ich werde sie unterrichten - und zwar richtig. Aber ich warne euch: Es wird hart für sie. Und ich werde nicht sanft sein." Ash seufzte erleichtert, während Gray ein trockenes Lächeln zeigte. „Na, wenigstens wird sie dann nicht mehr so ein leichtes Ziel sein." „Sie wird kämpfen können", sagte Felix entschlossen. „Und wenn dieser Sedrick noch einmal auftaucht... wird er es bereuen."
Jake nickte, seine Stimme war jetzt ruhiger. „Danke, Felix. Aber ich sage dir eines: Pass auf, wie weit du gehst. Sie ist stärker, als sie denkt, aber sie ist noch nicht vollständig stabil."
Felix grinste, ein Hauch von Selbstbewusstsein blitzte in seinen goldenen Augen. „Keine Sorge, Jake. Ich weiß, was ich tue. Sie wird vielleicht ein paar Mal fluchen, aber am Ende wird sie stärker sein - und das wird uns allen helfen."
Die Gruppe nickte zustimmend, während sich die Atmosphäre im Raum langsam entspannte. Felix streckte sich und warf den Jungs einen letzten Blick zu. „Also gut. Lasst mich meine Arbeit machen - und sorgt dafür, dass ihr euren Teil auch richtig macht." Jake grinste leicht. „Wir haben das verstanden." Die Stimmung lockerte sich ein wenig, und Felix wandte sich zurück an seinen Arbeitsplatz. Doch bevor die Jungs den Raum verließen, fügte er mit einem schelmischen Unterton hinzu: „Und noch etwas... Sedrick wird sie nicht mehr belästigen, wenn ich erst mit ihr fertig bin. Das verspreche ich euch."
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