Kapitel 8
Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch das dichte Blätterdach des Farnweber-Waldes und tauchten die Lichtung in goldenes Licht. Emilia öffnete langsam die Augen, spürte den kühlen Morgentau auf ihrer Haut und nahm einen tiefen Atemzug der frischen Morgenluft. Für einen Moment lag eine friedliche Stille über allem, und der gestrige Tag wirkte fast wie ein Traum.
„Guten Morgen," erklang eine vertraute Stimme. Als sie den Kopf drehte, sah sie Alex, der bereits wach war und sie mit einem leichten Lächeln beobachtete.
„Guten Morgen," murmelte sie, noch ein wenig benommen vom Schlaf, und setzte sich langsam auf. Sie streckte sich, während die Wärme der Morgensonne auf ihrer Haut tanzte. „Es ist... seltsam ruhig. Findest du nicht?"
Alex nickte, sein Blick wanderte über die Lichtung. „Ja, der Farnweber-Wald ist morgens selten so friedlich." Sein Tonfall wurde nachdenklich, als er wieder zu ihr sah. „Vielleicht ist diese Ruhe ein gutes Zeichen. Sie könnte bedeuten, dass der Kraftort uns helfen will, den Knotenpunkt zu reinigen."
Emilia ließ ihren Blick über die Lichtung gleiten und spürte ein feines Prickeln in der Luft. „Es fühlt sich... anders an," sagte sie leise. „Fast so, als würde der Wald uns zur nächsten Aufgabe rufen."
„Vielleicht tut er das auch," erwiderte Alex mit ruhiger Stimme und richtete sich auf. „Bereit für die nächste Etappe? Der Kraftort ist nah, aber wir sollten vorbereitet sein."
Emilia nickte entschlossen. „Bereit wie nie zuvor."
Als sie den Lagerplatz verließen und tiefer in den Farnweber-Wald vordrangen, nahm Emilia die zunehmende Präsenz des Kraftortes deutlich wahr. Die Luft wurde schwerer, pulsierte förmlich, als würde das Mana um sie herum auf etwas reagieren, das sich ihrer Wahrnehmung entzog.
„Spürst du das?" fragte sie leise, ihre Hand glitt unbewusst zum Mal auf ihrer Brust.
Alex nickte, sein Blick scharf und wachsam. „Der Kraftort ist nicht mehr weit. Wenn wir ihn erreichen, musst du deine Energie bündeln und dich auf das Ziel fokussieren. Verunreinigte Knotenpunkte können unberechenbar sein."
Emilia hielt inne, schloss kurz die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Sie ließ die Energie durch ihren Körper strömen und rief sich die Worte von Theresa, ihrer Lehrmeisterin, ins Gedächtnis. „Nutze dein Inneres, um die äußere Kraft zu stabilisieren." Diese Lehre erschien ihr nun wichtiger denn je.
„Ich denke, ich bin bereit," flüsterte sie und öffnete die Augen. Ihre Stimme klang fest, ihr Blick war voller Entschlossenheit.
„Gut," sagte Alex mit einem anerkennenden Nicken. „Ich bin bei dir. Ich werde dafür sorgen, dass uns nichts stört."
Die Luft im Farnweber-Wald wurde immer drückender, und plötzlich begann die Energie um sie herum zu pulsieren. Schattenhafte Gestalten, kaum mehr als flimmernde Fragmente, schwebten durch die Bäume. Kleingeister - schemenhafte Überbleibsel der Verunreinigung - kreisten in dichten Wellen um Emilia und Alex, als wollten sie die Eindringlinge von ihrem Ziel fernhalten.
„Diese Geister... sie sind Fragmente der Verunreinigung," flüsterte Emilia, während sie ihre Aura zu stabilisieren versuchte. Das Mal auf ihrer Brust pulsierte sanft, stärkte ihren Manafluss und verlieh ihr Halt.
Alex blieb ruhig, seine scharfen Augen fixierten die geisterhaften Erscheinungen. „Wir müssen weiter. Ich habe eine Ruine in der Mitte des Waldes gesehen - dort könnte sich der Knotenpunkt befinden."
Emilia nickte. „Dann ist das unser Ziel. Dort wird die Energie am stärksten fließen, und nur von diesem Punkt aus können wir den Knotenpunkt reinigen."
Alex trat näher an sie heran, seine Hand auf der Klinge ruhend. „Bleib dicht bei mir. Wir beenden das hier."
Mit vorsichtigen, aber festen Schritten bahnten sie sich ihren Weg durch die verunreinigte Aura, während die Silhouette der Ruine in der dunstigen Ferne zwischen den Bäumen sichtbar wurde.
Je näher sie der Ruine kamen, desto dichter wurden die Kleingeister. Ihre schattenhaften Gestalten wirbelten wie ein chaotischer Sturm um sie, bedrängten Emilia von allen Seiten. Das Mana in ihrem Körper fühlte sich zersplittert an, und jeder Versuch, es zu bündeln, scheiterte an der überwältigenden Präsenz der Geister.
„Emilia, hör zu," begann Alex mit ruhiger Stimme und trat dicht an ihre Seite. „Bevor du die Reinigung vollziehst, musst du eine Barriere aufbauen, um die Geister abzuwehren. Ohne diese Barriere wird dein Mana ständig gestört."
„Aber... wie soll ich eine Barriere schaffen, die stark genug ist?" fragte Emilia, und Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit.
Alex zeigte eine kreisförmige Bewegung mit der Hand und erklärte leise: „Fang bei deinem Atem an. Leite dein Mana in die Luft um uns herum und visualisiere es als unsichtbaren Kreis, der uns schützt. Stell dir die Barriere wie eine zweite Haut vor - flexibel, aber stabil. Ihre Stärke hängt davon ab, wie klar du sie dir vorstellst und wie fest dein Wille ist."
Emilia schloss die Augen, atmete tief durch und ließ das Mana in sich aufsteigen. Sie stellte sich die Barriere vor, ein schimmerndes Schutzschild, das die Geister fernhielt. Doch je mehr sie sich bemühte, desto stärker drängten die Geister, und ihre Konzentration begann zu bröckeln.
Alex spürte ihre Anspannung und legte sanft eine Hand auf ihre Schulter. „Dein Mana ist stark, aber du musst es leiten - nicht zwingen," sagte er mit fester, beruhigender Stimme. „Stell dir vor, die Energie fließt aus deinem Herzen und umgibt dich wie eine weiche, aber undurchdringliche Hülle. Lass das Mal dir helfen. Es stabilisiert deinen Fluss und gibt dir Halt."
Emilia fokussierte sich auf das vertraute Pochen des Mals in ihrer Brust. Es fühlte sich an wie ein beruhigender Rhythmus, der ihr half, die Kontrolle zurückzugewinnen. Langsam spürte sie, wie die Barriere Form annahm, eine schimmernde Präsenz, die die Kleingeister an ihrem Rand abprallen ließ.
„Genau so," sagte Alex mit einem anerkennenden Ton. „Halte sie stabil. Sobald du bereit bist, konzentrierst du dich auf den Knotenpunkt. Wir sind jetzt geschützt."
Emilia öffnete die Augen und sah die schimmernde Barriere, die sie und Alex umgab. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, stolz und erleichtert zugleich. „Danke, Alex," flüsterte sie, während das Gefühl der Stärke und Ruhe sie durchströmte.
Die beiden drangen tiefer in die Ruine vor. Die uralten, von Moos überwucherten Steinmauern schienen die verunreinigte Energie regelrecht aufzusaugen und in sich zu speichern, als hätten sie Jahrhunderte lang Dunkelheit gehortet. In der bedrückenden Stille bemerkte Alex plötzlich ein flimmerndes Licht an der Wand vor ihnen: Ein Kristall, der halb verborgen in einer kleinen Vertiefung lag.
Der Stein war rau, ungleichmäßig geformt und schimmerte in einem unheilvollen Dunkelblau. Seine Aura war greifbar - wie ein zäher Nebel, der sich in die Luft ergoss und die Atmosphäre vergiftete. Die unruhigen Mana-Ströme des Ortes schienen förmlich auf ihn zu reagieren, sich um ihn zu winden wie Schlangen um ihre Beute.
Alex trat näher, seine Haltung angespannt, doch sein Blick blieb konzentriert. „Dieser Kristall ist stark verunreinigt," murmelte er, als er die Energie des Steins prüfte. „Er wirkt wie ein Parasit, der sich von der Umgebung nährt und dabei alles destabilisiert. Aber er ist nicht direkt mit dem Knotenpunkt verbunden - das macht ihn gefährlich, aber nicht unverzichtbar." Ein schmales Lächeln huschte über sein Gesicht. „Reinigen wir ihn und nehmen ihn mit. So etwas könnte auf dem Markt ein kleines Vermögen einbringen."
Emilia ignorierte seinen geschäftstüchtigen Ton, denn ihre Aufmerksamkeit war bereits ganz auf den Kristall gerichtet. Das Mal in ihrer Brust pulsierte, stabilisierte ihren Manafluss und verstärkte ihre Konzentration. Sie spürte, wie die Energie des Steins sich wie ein dorniges Netz um ihren Geist legte, sich wehrte, als würde sie ihre Reinigung antizipieren.
„Wenn wir den reinigen, beruhigen sich vielleicht auch die Geister," sagte sie leise. Die Kleingeister, die bisher nur wie Schatten gewirbelt hatten, wurden von der intensiven Energie des Kristalls angezogen. Sie begannen sich um den Stein zu sammeln, schienen seine Dunkelheit zu verteidigen.
Alex trat näher, sein Blick blieb ruhig und klar. „Ich werde deine Energie stabilisieren. Du konzentrierst dich nur auf den Kristall. Vertraue mir."
Emilia nickte, und ihre Augen trafen kurz seine. Er legte eine Hand auf ihre Schulter, und sofort spürte sie, wie seine Mana-Präsenz sich mit ihrer verband. Es war, als würde ein schützendes Netz sie einhüllen, ein sanfter, beständiger Fluss, der ihre Barriere verstärkte.
Emilia hob die Hände, und ein feines, goldenes Leuchten breitete sich aus. Sie schloss die Augen, ließ ihre Energie durch den Kristall strömen, suchte nach dem Knoten der Verunreinigung. Der Stein begann sich zu verändern - seine Aura flackerte, als ob sie mit Licht und Dunkelheit rang.
Doch plötzlich formierten sich die Geister, die von der Reinigung berührt wurden, zu einem großen, schattenhaften Wesen. Es war amorph, seine Gestalt wandelbar, und dennoch wirkte es bedrohlich. Sein Körper bestand aus flimmernder Dunkelheit, die wie verzerrte Gedanken pulsierte, und seine Präsenz drückte auf die Luft.
„Das ist kein Geist mit Seele," sagte Alex ruhig, seine Augen schmal. „Es ist nur ein Konstrukt - angetrieben von negativen Willensresten. Gedanken, die keine Form mehr finden, aber sich wehren wollen."
Emilia biss die Zähne zusammen, verstärkte ihre Barriere und konzentrierte sich erneut auf den Kristall. „Ich schaffe das," flüsterte sie und fokussierte sich auf das Licht, das von ihrem Mal ausging. Ihre Hände glühten, und sie leitete die reine Energie in den Stein, ließ sie die Verunreinigung durchdringen.
Der Schatten begann zu wüten, seine Form pulsierte und verzerrte sich, doch die Barriere hielt. Alex zog seine Klinge und trat vor sie, sein Körper angespannt wie eine gespannte Bogensehne, bereit, den Schatten zu verteidigen. „Bleib dran, Emilia. Es verliert an Kraft."
Der Kristall begann plötzlich hell zu leuchten. Ein klares, intensives Blau durchbrach die Dunkelheit, und mit einem lauten Knacken zersprang die schattenhafte Gestalt. Sie löste sich in kleinen Lichtpartikeln auf, die wie Sternenstaub in der Luft glitzerten, bevor sie vollständig verblassten.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Kristall aus der Mauer und rollte auf den Boden. Sein Leuchten war nun rein und klar, und die Umgebung wirkte sofort leichter - die bedrückende Dunkelheit wich einer ruhigen Stille.
Emilia sackte auf die Knie, ihre Hände zitterten, und sie spürte den stechenden Schmerz einer leichten Verbrennung auf ihrer Handfläche. Doch trotz des brennenden Schmerzes konnte sie ein stolzes Lächeln nicht unterdrücken. Sie hatte es geschafft.
Alex kniete sich neben sie, sein Blick prüfend. „Gut gemacht," sagte er leise und griff nach ihrer Hand. Seine Berührung war warm und beruhigend, als er sie vorsichtig betrachtete. „Du hast ihn gereinigt. Das war beeindruckend."
„Es... war anstrengend," murmelte Emilia, hob aber den Blick und traf seine Augen. „Aber ich habe es geschafft. Dank dir."
„Es war dein Wille, der das geschafft hat," erwiderte Alex mit einem sanften Lächeln. Er hob den gereinigten Kristall vom Boden auf, betrachtete ihn im Licht. „Wir sollten diesen Erfolg feiern - sobald wir hier raus sind."
Emilia atmete tief ein, spürte das erneuerte Mana um sie herum und nickte. Sie war erschöpft, aber die Klarheit des Kristalls und die Erleichterung in der Luft gaben ihr neue Kraft.
Nachdem sie die Ruine verlassen hatten, spürten sie sofort die Veränderung. Die Luft war klar und rein, der schwere, bedrückende Schleier hatte sich gelöst. Sonnenstrahlen bahnten sich durch das dichte Blätterdach, und ein sanfter Wind streifte die Blätter und trug den erfrischenden Duft von Moos und Erde mit sich. Der Wald wirkte heller, lebendiger - als hätte er nach langer Zeit wieder zu Atem gefunden.
Emilia blieb stehen, drehte sich zu Alex um und schenkte ihm ein warmes, dankbares Lächeln. „Danke. Ohne dich hätte ich das wohl nicht geschafft."
Alex erwiderte ihr Lächeln, doch sein Blick wanderte zu ihrer Hand, die die Spuren der Verbrennung trug. Die Sorge in seinen Augen war nicht zu übersehen. Mit einer sanften Bewegung nahm er ihre Hand in seine, drehte sie leicht und musterte die Verletzung mit gerunzelter Stirn.
„Das sieht nicht gut aus, Emilia," sagte er ruhig, aber bestimmt. „Du solltest das behandeln lassen, bevor es sich verschlimmert."
Emilia versuchte abzuwiegeln und zog ihre Hand leicht zurück. „Es ist wirklich nicht schlimm. Nur ein kleiner Kratzer."
Doch Alex ließ sich nicht beirren. „Nicht schlimm? Solche Verletzungen können tückisch sein, besonders wenn sie durch verunreinigtes Mana entstehen. Das weißt du genauso gut wie ich." Er griff in seine Tasche und zog eine kleine Dose mit Salbe hervor. „Darf ich?"
Emilia nickte zögernd, und ein sanftes Rot stahl sich in ihre Wangen, als Alex ihre Hand hielt. Seine Berührung war warm und vorsichtig, und als er die kühlende Salbe auf ihre Haut auftrug, fühlte sie eine sofortige Erleichterung. Der Schmerz ließ nach, während Alex mit einer Präzision arbeitete, die sie beinahe hypnotisierte.
Nachdem er die Salbe aufgetragen hatte, wickelte er ihre Hand in ein weiches Tuch und hielt sie für einen Moment zwischen seinen eigenen Händen. „Bleib ganz ruhig," sagte er leise, fast flüsternd. Seine Stimme hatte einen beruhigenden Ton, der Emilia dazu brachte, die Augen zu schließen. Sie hörte, wie er ein leises Mantra sprach:
„Licht, das heilt und stärkt, ströme durch das Leben. Verbinde und erneuere das, was erschöpft ist."
Ein sanftes, goldenes Leuchten drang durch das Tuch, und Emilia spürte eine angenehme Wärme, die durch ihre Hand und ihren Körper floss. Es war kein gewöhnliches Heilritual - es fühlte sich an wie eine tiefe, innere Regeneration. Als Alex das Tuch schließlich entfernte, war die Verbrennung vollständig geheilt, als wäre sie nie da gewesen.
Emilia starrte verblüfft auf ihre Hand, drehte sie und streckte die Finger. Der Schmerz war verschwunden, ihre Haut glatt und unverletzt. Sie sah Alex an, ihre Augen voller Neugier. „Wie hast du das geschafft? Und diese Worte... sie klangen anders als normale Heilzauber."
Alex lächelte, leicht amüsiert über ihre Verwunderung. „Die Worte waren nur zur Fokussierung. Der wahre Schlüssel war, deinen Manafluss zu stabilisieren und zu lenken. Als Vampir habe ich eine besondere Verbindung zum Lebensfluss - zum Blut, das durch einen Körper strömt. Dein Mana hat darauf reagiert, als ich es geleitet und zur Selbstheilung angeregt habe."
„Du hast also... mein Mana umgeleitet?" fragte Emilia, beeindruckt.
„Nicht nur umgeleitet," erklärte Alex, sein Ton ruhig, aber voller Wärme. „Ich habe ihm eine Richtung gegeben, eine Funktion. Blutheiler wie ich arbeiten oft so. Wir kombinieren Energie und Lebensfluss, um Regeneration zu fördern. Es ist ein Zusammenspiel, das Präzision und Kontrolle erfordert."
Emilia betrachtete ihre geheilte Hand und murmelte ehrfürchtig: „Regenerationszauber fallen mir immer schwer. Es war faszinierend, dir dabei zuzusehen."
Alex schmunzelte. „Dann solltest du genau hinsehen, wenn ich es wieder mache. Vielleicht lernst du etwas - auch wenn ich keine sanften Lehrer bin."
Emilia konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Du bist also nicht nur ein Blutheiler, sondern auch ein strenger Mentor?"
„Streng, aber effektiv," erwiderte Alex mit einem Hauch von Humor, der seine Augen aufleuchten ließ.
Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen. Emilia spürte, wie sich ihre Dankbarkeit und Bewunderung für Alex in ihrem Inneren vertieften. Er war mehr als ein Gefährte auf ihrer Reise geworden. Seine Fähigkeiten, seine Ruhe und sein Einfühlungsvermögen beeindruckten sie. Er brachte sie dazu, ihre eigenen Grenzen zu hinterfragen und sich neuen Herausforderungen zu stellen.
„Ich hätte nicht gedacht, jemanden wie dich auf meiner Reise zu treffen," sagte sie schließlich leise. „Jemanden, der so viel Geduld hat... und so viel beibringen kann."
Alex sah sie an, ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. „Dann solltest du dich darauf einstellen, dass meine Lektionen manchmal unberechenbar sind."
Emilia lachte leise, und die Spannung der letzten Stunden wich einem warmen Gefühl der Vertrautheit. In diesem Moment wusste sie, dass sie mit Alex einen Gefährten gefunden hatte, der sie nicht nur unterstützte, sondern sie auch wachsen ließ.
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Als sie den gereinigten Teil des Farnweber-Waldes verließen, öffnete sich die Landschaft vor ihnen. Ein kleiner, klarer Bach glitzerte im Sonnenlicht, das ungehindert durch das Blätterdach fiel. Die Luft war frisch und voller Leben, während friedliche Geräusche den Wald erfüllten. Aus dem Unterholz krochen Gefährten hervor - Schimmerpfoten, kleine, wendige Füchse mit leuchtenden Schweifen, die vorsichtig und neugierig in ihre Richtung spähten. In den Ästen über ihnen glitten Nebelhörnchen, deren buschige Schwänze wie wehende Fahnen durch die Luft tanzten. Die Tiere bewegten sich mit einer anmutigen Leichtigkeit, als ob sie die gereinigte Energie des Waldes spürten.
Über dem Bach schimmerten klare Fische, die Emilia sofort ins Auge fielen. Ihre durchscheinenden Schuppen funkelten wie Kristalle im Sonnenlicht - Glanzschuppen, bekannt für ihre unvergleichliche Eleganz. Der Bach hatte durch die Reinigung des Waldes seine Klarheit zurückerlangt und wirkte nun wie ein lebendiges Kunstwerk der Natur.
„Ein schöner Anblick," murmelte Alex neben ihr, während er entspannt einen tiefen Atemzug nahm. Seine Augen glitten über die friedliche Szene, bevor er sich am Ufer niederließ. Emilia setzte sich neben ihn und packte ein kleines Essen aus, während ihr Blick auf die Schimmerpfoten fiel, die ihre Köpfe neugierig neigten und die Fremden musterten. Die Nebelhörnchen sprangen von Ast zu Ast, ihre Bewegungen fast tänzerisch.
„Es ist wunderschön," flüsterte Emilia mehr zu sich selbst, ihr Blick ruhte auf den funkelnden Glanzschuppen im Wasser. Es war, als wäre sie in einen Märchenwald eingetreten, und für einen Moment konnte sie die Last ihrer Reise vergessen.
Alex sah sie mit einem leichten Lächeln an. „Also hat sich die Reise durch den Farnweber-Wald doch gelohnt, oder?" Sein Tonfall war spielerisch, und Emilia konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
„Ja, definitiv," antwortete sie und spürte, wie sich ihre Anspannung löste. Ihr Lächeln war ehrlich und ließ ihre Augen aufleuchten. „Ich hätte nie gedacht, all das mit eigenen Augen zu sehen. Es fühlt sich so... magisch an."
Alex legte eine Hand auf ihre Schulter, seine Berührung beruhigend und warm. „Dann genieß es. Manchmal ist der Weg das Ziel, und solche Momente zeigen uns, warum wir die Herausforderungen auf uns nehmen."
Emilia nickte, ließ ihren Blick über die friedliche Szenerie schweifen und atmete tief ein. Inmitten der Gefährten und der lebendigen Natur fühlte sie sich angekommen, als hätte der Wald sie willkommen geheißen.
Während ihrer Rast am Bach beobachtete Emilia fasziniert das Treiben der Gefährten. Schimmerpfoten tapsten vorsichtig näher, während die Nebelhörnchen ihre Sprünge mit spielerischer Leichtigkeit fortsetzten. Emilia entdeckte kleine Vierpfoten mit zarten, durchscheinenden Flügeln, die auf flachen Steinen am Ufer Platz nahmen. Ihre Bewegungen waren ruhig und elegant, und Emilia erkannte sie aus den Beschreibungen alter Texte wieder.
„Das sind Flussläufer," flüsterte sie ehrfürchtig, während sie die Gefährten betrachtete, deren Flügel in der Sonne schimmerten. Neben ihnen glitten Nachtfalter-Vierpfoten mit beinahe lautlosen Bewegungen über die Wasseroberfläche.
Alex, der ihren staunenden Gesichtsausdruck bemerkte, trat neben sie. „Flussläufer und Nachtfalter-Vierpfoten sind seltene Gefährten," erklärte er leise. „Sie beeinflussen ihre Umgebung durch die reine Energie ihres Manas. Man sagt, sie bringen Balance und Harmonie, wo auch immer sie verweilen. In Gegenden wie dieser wirken sie oft wie Schutzgeister."
Emilia nickte nachdenklich. „Theresa hat mir einmal erzählt, dass einige Schamanen ihren Geist in die Geisterwelt übertragen können, um eine Verbindung mit besonderen Gefährten einzugehen. Es gibt dort Wesen, die man nur in dieser Ebene sehen kann." Sie hielt kurz inne und lächelte verlegen. „Ich habe es bisher nie geschafft. Dieses Level habe ich noch nicht erreicht."
Alex blickte sie an, sein Ausdruck ruhig und nachdenklich. „Es erfordert mehr als Mana-Kontrolle," sagte er schließlich. „Es braucht absolute Synchronisation mit der spirituellen Ebene und eine innere Ruhe, die nur wenige finden. Schamanen, die das erreichen, können mit diesen Gefährten eine ewige Verbundenheit eingehen."
Seine Worte hallten in Emilias Gedanken nach. Sie betrachtete die Gefährten vor sich und stellte sich vor, wie es wäre, in die Geisterwelt einzutauchen und solche Verbindungen zu spüren.
Alex fuhr fort: „Vielleicht findest du in Eversum Prüfungen, die dir dabei helfen können. Viele Schamanen reisen dorthin, um Wissen zu erlangen und ihre Fähigkeiten zu stärken. Es könnte eine Herausforderung sein, die dir nicht nur helfen, sondern dich auch formen könnte."
Emilia sah zu ihm auf, ihre Augen voller Entschlossenheit. „Dann werde ich es versuchen. Ich möchte diese Verbindung erleben und meine Fähigkeiten erweitern."
Ein sanftes Lächeln zog über Alex' Gesicht, und er nickte. „Ich glaube, du wirst es schaffen. Du hast den Willen - und das ist der erste Schritt."
Emilia spürte, wie sein Vertrauen in sie wie eine wärmende Flamme in ihrem Inneren aufleuchtete. Der Gedanke, eines Tages die spirituelle Ebene zu betreten und mit Gefährten wie diesen eine Verbindung einzugehen, erfüllte sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vorfreude.
Emilia spürte, wie das Ziel in Eversum nun eine größere Bedeutung für sie gewann. In Gedanken malte sie sich die Prüfungen aus, die sie dort erwarten könnten. Ihre Neugier wuchs, und sie fragte schließlich: „Und was genau würde mich dort erwarten?"
Alex richtete seinen Blick auf den glitzernden Bach, während er nachdachte. „Es gibt Geschichten über eine Gilde speziell für Schamanen," begann er, „und sogar uralte Schriftrollen, die Techniken der Geisterreise und des Mana-Flusses lehren sollen. Manche der ältesten Schriften, die in Eversum aufbewahrt werden, beschreiben die Kunst, in Harmonie mit Gefährten wie diesen zu leben - und ihre Kräfte nicht nur zu verstehen, sondern zu nutzen." Sein Blick wanderte zu den Flussläufern, die sich geschmeidig durch das Wasser bewegten. „Man sagt, die Schriftrollen bergen Geheimnisse, die nur die Mutigsten und Begabtesten enthüllen können. Es ist keine Reise für Unentschlossene."
Emilia konnte nicht anders, als bei dieser Vorstellung ein aufgeregtes Kribbeln zu spüren. Der Gedanke, eines Tages solche Fähigkeiten zu meistern und tiefere Verbindungen zur spirituellen Ebene aufzubauen, füllte sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vorfreude. Ein versonnenes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, und sie schaute zu Alex. „Dann erwartet mich wohl noch einiges, wenn ich dir weiter folge."
Alex zwinkerte ihr zu und erwiderte mit einem leichten Grinsen: „Du wirst es nicht bereuen. Mit einem Blutheiler wie mir an deiner Seite wirst du mehr lernen, als du dir vorstellen kannst."
Emilia erwiderte sein Grinsen, bevor sie ihre Tasche schloss. Ihr Blick glitt noch einmal über die friedliche Szene vor ihnen, bevor Alex die gereinigte Ruine hinter sich betrachtete. Seine Hand ruhte für einen Moment an der Tasche, in der nun der blaue, gereinigte Kristall sicher aufbewahrt war. Der Kristall strahlte in einem hellblauen Licht, als ob er die Energie des Waldes in sich aufgenommen hatte.
„In Lantaris sehen wir, was wir mit dem Kristall machen können," sagte Alex, während er die Tasche sorgfältig verschloss. „Er könnte mehr Nutzen haben, als wir jetzt erkennen."
Emilia nickte. „Vielleicht ist er der Schlüssel zu etwas Größerem," murmelte sie und konnte den Gedanken an die Möglichkeiten kaum loslassen. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort, jeder mit einer leisen Vorfreude auf das, was noch kommen würde.
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Nach der Ruhe am Bach setzten sich Emilia und Alex auf weiches Moos, um das Essen vorzubereiten. Die klare Atmosphäre und das Plätschern des Wassers ließen Emilia entspannen. Sie beobachtete Alex, der Kräuter zerkleinerte und mit routinierten Bewegungen sortierte.
„Woher kannst du das so gut?" fragte sie, neugierig auf seine Fähigkeiten.
Alex hob den Blick und lächelte. „Man lernt einiges, wenn man unterwegs ist," sagte er mit einem Augenzwinkern, sein Blick für einen Moment auf ihr verweilend.
Emilia spürte ein leichtes Kribbeln und wandte sich dem Brot zu. Sie lachten über Anekdoten und vergaßen für einen Moment die dunklen Herausforderungen, die hinter ihnen lagen.
Das Essen war einfach, aber schmackhaft. Die Kräuter, die kühle Brise und das Licht, das durch die Bäume fiel, verliehen dem Moment etwas Magisches. Emilia bemerkte, wie wohl sie sich in Alex' Nähe fühlte - eine ungewohnte, aber beruhigende Vertrautheit.
Nach der Mahlzeit räumten sie gemeinsam auf. Alex' präzises Aufräumen fiel ihr auf, und sie beobachtete ihn mit einem nachdenklichen Lächeln.
„Zeit, weiterzugehen," sagte Alex schließlich und wies in die Richtung des Waldes. „Bis zur nächsten Lichtung ist es noch ein Stück, aber es sollte einfacher werden."
Emilia nickte. „Ich freue mich schon auf das, was vor uns liegt."
Ein sanfter Wind bewegte die Blätter, und Gefährten wagten sich neugierig aus den Bäumen hervor, bevor sie wieder verschwanden. Emilia folgte Alex, spürte mit jedem Schritt ihre Entschlossenheit wachsen und sah voller Vorfreude dem nächsten Kapitel ihrer Reise entgegen.
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Nachdem sie sich gestärkt und die Umgebung aufgeräumt hatten, breitete sich eine angenehme Stille zwischen Emilia und Alex aus. Emilia, in Gedanken versunken, spielte mit einem Grashalm, bevor sie leise fragte: „Alex... hast du schon einmal von einem Mal gehört, das tief in die Seele eingraviert ist?"
Alex hob den Blick, sein Gesicht ruhig und nachdenklich. „Ja, solche Male existieren. Sie sind selten und oft an eine Bestimmung gebunden." Er sah sie direkt an. „Warum fragst du?"
Emilia zögerte, dann sprach sie offen: „Weil ich so ein Mal habe. Es fühlt sich an, als würde es mich rufen, als hätte es... eine Bedeutung." Ihre Stimme wurde leiser, fast unsicher.
Alex hielt ihren Blick, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. „Male symbolisieren Verbundenheit oder ein Schicksal, das sich entfalten will. Vielleicht wirst du irgendwann Antworten finden."
Plötzlich spürte Emilia ein Brennen in ihrer Brust. Die Welt um sie herum schien zu verschwimmen, und vor ihrem inneren Auge tauchten schemenhafte Silhouetten auf - vertraut und warm, doch unvollständig. Eine von ihnen glich Alex, und für einen Moment erkannte sie, dass er ein Teil ihres Schicksals war. Doch etwas fehlte, als ob weitere Seelen notwendig wären, um ein Ganzes zu bilden.
Als die Vision verblasste, fand Emilia sich in der friedlichen Umgebung des Waldes wieder. Sie sah Alex an, der sie aufmerksam beobachtete, doch sie sprach die Vision nicht an. Etwas in ihr wusste, dass dies erst der Anfang war.
„Alex," begann sie schließlich leise. „Denkst du, dass es hier noch mehr Verunreinigungen geben könnte? Ähnlich wie die, die wir gereinigt haben?"
Alex ließ seinen Blick schweifen. „Das ist möglich. Verunreinigungen können lange unentdeckt bleiben und werden oft durch äußere Einflüsse aktiviert. Aber im Moment..." Er hielt inne, als ob er die Umgebung prüfte. „Spüre ich nichts Bedrohliches. Trotzdem sollten wir wachsam bleiben. Dieser Wald könnte jederzeit neue Energien freisetzen."
Emilia nickte, doch die Fragen in ihrem Inneren ließen sie nicht los. Schließlich sprach sie das aus, was sie wirklich wissen wollte: „Du hast gesagt, Male symbolisieren ein Schicksal. Glaubst du, dass mein Mal mich lenkt?"
Alex betrachtete sie mit einer Mischung aus Ernst und Wärme. „Male sind wie Fäden, die dich mit Seelen, Orten und Entscheidungen verbinden, die dein Schicksal prägen. Dein Mal scheint dich zu leiten - wohin, das kannst nur du herausfinden."
Das Pulsieren in Emilias Brust fühlte sich diesmal beruhigend an, wie ein sanfter Takt, der sie tröstete. Sie nahm seine Worte in sich auf, wissend, dass der Weg vor ihr voller Antworten war, die sie selbst entdecken musste.
Ohne weitere Worte brachen sie gemeinsam auf. Die Sonne drang durch das Blätterdach und tauchte den Weg vor ihnen in goldenes Licht, während die Luft frisch und rein wirkte. Der Wald, den sie hinter sich ließen, schien ein Kapitel zu schließen - und ein neues zu öffnen.
Während sie durch das sanfte Licht der Bäume wanderten, gingen Emilias Gedanken zurück zu ihrem nächtlichen Gespräch mit Alex. Seine Worte über Male und Bestimmungen hallten noch immer in ihr nach. Es war, als hätte er eine Tür in ihrem Inneren geöffnet, die sie selbst nie zu hinterfragen gewagt hatte. Sie brach die Stille, die zwischen ihnen herrschte.
„Alex," begann sie vorsichtig, „du hast neulich von Seelenwunden gesprochen. Von dem Schmerz, den du erlebt hast, und davon, wie er dich verändert hat. Gibt es jemanden, den du... nicht retten konntest?"
Alex hielt kurz inne, sein Blick wurde für einen Moment fern und nachdenklich. „Ja," sagte er schließlich leise. „Es gab Dämonen, die ich nicht beschützen konnte. Sie zu verlieren, hat mich gelehrt, wie wertvoll jede Seele ist. Das war der Antrieb, meine Fähigkeiten als Blutheiler zu meistern. Nicht aus Schuld, sondern um denjenigen zu helfen, die noch gerettet werden können."
Emilia spürte die Tiefe seiner Worte und fragte sich, wie viel Schmerz wohl hinter seiner ruhigen Fassade lag. „Das klingt so... schwer," flüsterte sie, fast zögerlich.
Alex lächelte schwach, aber seine Stimme blieb ernst. „Schwer, ja. Aber auch notwendig. Dieser Weg hat mich gelehrt, wie man das Leben schützt und stärkt. Das ist es, was zählt."
Emilia ließ seinen Blick nicht los. „Du hast diesen Weg also gewählt, weil du weißt, wie es sich anfühlt, jemanden zu verlieren."
Er nickte. „Verluste prägen uns, ob wir es wollen oder nicht. Aber sie können uns auch lehren, was wirklich wichtig ist. Für mich ist es, das zu bewahren, was andere nicht verlieren sollten."
Seine Worte berührten Emilia tief. „Vielleicht hast du recht," sagte sie schließlich leise. „Vielleicht hat jeder Verlust eine Bedeutung, auch wenn wir sie nicht immer sofort erkennen."
Alex schwieg einen Moment, dann legte er sanft eine Hand auf ihre Schulter. „Das Mal, das du trägst, wird dich führen, Emilia. Vielleicht ist es genau dieser Weg, der dich zu den Antworten führt, die du suchst."
Die klare Luft des Waldes schien Emilias Gedanken zu klären. Sie spürte, wie das Pulsieren ihres Mals sich mit jedem Schritt beruhigte - ein stilles Versprechen, dass sie auf dem richtigen Pfad war. Die Lichtung, die vor ihnen lag, wirkte einladend und friedlich, als ob sie einen Moment der Rast und des Nachdenkens bot.
„Danke, Alex," sagte Emilia schließlich, ihre Stimme von einer Mischung aus Ehrlichkeit und Dankbarkeit erfüllt. „Ohne dich hätte ich das alles nicht so sehen können."
Alex erwiderte ihr Lächeln mit einer Wärme, die mehr sagte als Worte. „Ich bin froh, hier zu sein. Und ich bin sicher, dass diese Reise nicht nur für dich Antworten bereithält."
Die sinkende Sonne färbte die Lichtung in ein warmes Gold, und für einen Moment fühlte Emilia, wie ihre Zweifel verblassten. Sie wusste, dass die Herausforderungen, die vor ihnen lagen, groß waren. Doch in diesem Augenblick spürte sie, dass sie nicht allein war - und dass der Weg, den sie ging, sie zu etwas Größerem führen würde.
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