Kunde aus Gondor
Nachdem der Diener, welcher das Kaminfeuer entfacht hatte, den Raum verlassen hatte, begann Fedogart zu erzählen. „Viel vermag ich Euch nicht zu berichten, mein Herr. Die Heilerin vertraute mir kurz vor ihrem Tode ihr Kind und den Auftrag an, euch dieses zu überbringen. Ich stehe tief in ihrer Schuld, denn nur ihrer Weigerung mich aufzugeben ist es zu verdanken, dass ich heute hier sitze. Die anderen Heiler hatten mich bereits als nicht mehr zu retten bezeichnet, doch sie, obwohl so kurz vor der Niederkunft, pflegte mich weiter."
Éowyn nickte, sie erinnerte sich noch gut, wie vehement die junge Frau sich geweigert hatte, die besonders schweren Fälle ihrem Schicksal zu überlassen. Auch an ihrem eigenen Lager hatte die Heilerin Wache gehalten, hatte es gar geschafft, ihren Bruder Éomer dazu zu bewegen, sich stundenweise zur Ruhe zu legen. Selbstredend hatte dieser ihr zuvor jedoch das Versprechen abgenommen, gut auf seine Schwester achtzugeben und ihn sofort rufen zu lassen, sollte sich etwas am Zustand der Verwundeten ändern.
„Woran ist sie gestorben?", wollte Faramir mit einem kaum wahrnehmbaren Zittern in der Stimme wissen.
Der dunkelhaarige Soldat zuckte verlegen die Schultern, räusperte sich, bevor er antwortete: „Ich bin kein Heiler, mein Herr. Alles was ich weiß, ist aus zweiter Hand von den anderen Heilern. Man sagte mir, Heilerin Beorid hätte sich nach der Geburt nie wirklich erholt und sei wohl an den Folgen dieser Niederkunft gestorben. Ich selbst war wenige Tage vor ihrem Ableben bei ihr. Da nahm sie mir das Versprechen ab, ihr Kind zu Euch zu bringen, sollte ihr etwas zustoßen.
Wenn Ihr mir diese Vermutung gestattet: es schien mir, als hätte sie geahnt, dass es mit ihr ein baldiges Ende nehmen würde. Bleich war sie und kühl ihre Hand. Weshalb zu Euch und nicht zu ihrem Bruder, fragte ich sie, doch sie gab darauf keine Antwort, sagte bloß, Ihr würdet es wissen und gab mir diesen Brief. Mehr kann ich Euch nicht berichten mein Herr. Es tut mir leid."
Faramir nickte. Aufmerksam hatte er den Worten des Mannes gelauscht, nun wanderte sein Blick in den Schatten des zu dieser Tageszeit nur spärlich erleuchteten Zimmers. Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn, so konzentriert dachte er nach.
Eine Weile herrschte Schweigen. Faramir war so tief in Gedanken versunken, wie Éowyn es noch nie erlebt hatte, doch sie beschloss, dass es besser wäre, ihn nicht zu stören. „Habt Dank für Eure Bemühungen, Fedogart. Ich lasse Euch ein Zimmer richten, damit Ihr Euch heute Nacht ausruhen könnt. Hat Heilerin Beorid Euch eine Bezahlung in Aussicht gestellt, dafür dass Ihr die Mühen der weiten Reise auf Euch nehmt und das Kind sicher her bringt?"
Beinahe wirkte der Soldat ein wenig beleidigt, als er diese Frage von sich wies und antwortete, dass er für eine Lebensschuld niemals eine Entlohnung nehmen würde.
Éowyn geleitete ihn hinaus und tat was sie versprochen hatte.
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Als sie eine gute halbe Stunde wieder in das Studierzimmer zurück kehrte, saß ihr Gemahl immer noch dort, wie sie ihn zurück gelassen hatte. Zwischen seinen Fingern steckte der noch ungeöffnete Brief. Unstet glitt sein Blick über die Gestalt seiner Gemahlin hinweg, ohne sie wirklich wahr zu nehmen, doch als er bemerkte, dass ihr Arm leer war, kam wieder Leben in ihn.
„Wo ist das Kind?", verlangte er zu wissen. Éowyn zuckte ob der ungewohnten Heftigkeit, seiner Worte zusammen, fasste sich jedoch recht schnell wieder.
Beruhigend legte sie eine Hand auf seinen Arm und antwortete: „Ich habe es meiner Zofe Gritt gegeben. Sie wird das Kleine füttern und ihm dann einen Schlafplatz zurecht machen."
Daraufhin entspannte Faramir sich sichtlich und legte seine eigene Hand über die seiner Gemahlin. „Es tut mir leid," erklärte er ihr und öffnete die Arme, damit sie sich auf seinen Schoß setzen konnte, wie sie es gerne tat. Doch in diesem Moment war Éowyn nicht nach dieser Vertrautheit. Zu schwer lasteten Sorgen auf ihren schmalen Schultern, derer sich die Frau nicht erwehren konnte.
Faramir, der ihre Unsicherheit gespürt hatte, blickte fragend zu ihr auf. In seinen Augen stand noch immer der Schmerz über den unerwarteten Verlust, doch sein Blick wurde bereits wieder weich, wie immer, wenn er seine geliebte Gemahlin ansah. Éowyn war eine tapfere Frau, doch die Frage, die ihr auf der Seele brannte, erforderte all ihren Mut und als sie sich die Worte endlich zurecht gelegt hatte, um ihren Gemahl zu fragen, kam dieser ihr zuvor: „Nein, meine Liebste, dies ist nicht mein Kind."
Die Röte schoss Éowyn in die Wangen und verlegen ob ihrer unausgesprochenen Unterstellung senkte die Weiße Herrin den Blick. Faramir jedoch nahm keinen Anstoß daran, seine Freundschaft zu der Heilerin war bereits viele Male von Außenstehenden in Zweifel gezogen worden, zu innig erschien die Verbindung. Keine Geheimnisse sollten zwischen ihnen stehen, das hatten sie sich einst geschworen und viele Jahre schien dieser Packt beständig. Doch seine oft monatelange Abwesenheit während des Krieges hatte sie entzweit.
Faramir seufzte: „Niemand weiß, wer der Vater ist. Wahrscheinlich hat Beorid dieses, wie auch so viele andere Geheimnisse, mit in ihr Grab genommen."
Verwirrt schüttelte der Mann den Kopf, versuchte klarer zu sehen, aber so lange er auch nachdachte, es wollte sich ihm einfach nicht erschließen, weshalb Beorid das Kind in seine Obhut hatte geben wollen. Ihr Bruder Beregond hatte selbst zwei Kinder und das Dritte war bereits unterwegs, wäre es nicht der naheliegendste Einfall gewesen ihm ihre Tochter anzuvertrauen?
„Wir waren Freunde seit wir dem Kindesalter entwachsen waren", erklärte Faramir und vor seinem geistigen Augen tauchte das ernste Gesicht des Mädchens auf, das sich voller Hingabe ihrer Ausbildung als Heilerin widmete. „Zunächst war Beorid nur die kleine Schwester Beregonds, eines gleichaltrigen Kameradens und später vertrauten Freundes von mir. Es war seine Idee, Beorid meine Blessuren behandeln zu lassen, die ich vor meinem Vater geheim zu halten gedacht. Und als sie dies tatsächlich tat und Stillschweigen behielt, änderte sich mein Blick auf die junge Frau. Und in dieser Zeit wurde auch sie zu einer Art Vertrauten für mich. Ihr konnte ich alles erzählen, sie hätte nie ein einziges Wort davon preisgegeben, da bin ich mir bis heute gewiss."
Noch immer zierte eine leichte Röte die Wangen seiner Gemahlin, als diese zwei Kerzen entzündete, um ein wenig mehr Licht in das dunkle Zimmer zu bringen, doch ihre Zweifel waren längst ausgeräumt. Nie hatte sie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, ihr Gemahl wäre ihr untreu gewesen. Gewiss war Faramir der treueste Mann, den man sich nur wünschen konnte, doch von seiner Vergangenheit hatte sie in dem halben Jahr, welches sie einander nun kannten, noch reichlich wenig erfahren. Vermutlich hätte sie ihm auch ein uneheliches Kind aus dieser Zeit ohne großes Federlesen verziehen, so sehr liebte sie ihn. Doch so wie die Dinge tatsächlich standen, war es Éowyn unvergleichlich lieber.
„Es wäre wohl an der Zeit ihn zu öffnen...", murmelte Faramir und blickte unsicher auf den Brief, der noch immer ungelesen zwischen seinen Fingern ruhte. Éowyn sagte nichts, doch ihre warme Hand auf seiner Schulter gab ihm die Kraft, seine Ängste vor dem Ungewissen zu überwinden. Für einen Moment schmiegte der Mann seine bärtige Wange an die weiche Haut, schloss die Augen und gab sich der Empfindung hin, die ihn dabei erfüllte. Nie zuvor hatte er einen Menschen so sehr geliebt wie seine Gemahlin. Mit ihr an seiner Seite war er zu allem fähig.
Ein leises Ratschen erklang, als der silberne Brieföffner in den dicken Umschlag hineinglitt und diesen fein säuberlich aufschlitzte. Zum Vorschein kamen gleich ein gutes Dutzend Seiten des gelbstichigen Papieres, welches in den Häusern der Heilung für Bestellungen und Bestandsaufnahmen verwendet wurde.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf Faramirs Gesicht, manche Dinge änderten sich wohl doch nie.
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