~ Frieden finden III ~
Einen Becher warmen Gewürzweins in den vor Nervosität bebenden Fingern, saß Beorid dem zukünftigen König an seinem kleinen, jedoch kunstvoll geschnitzten Tischchen gegenüber, den Blick starr auf die rote Flüssigkeit geheftet. So lange hatte sie von diesem Moment geträumt, doch nun da er endlich gekommen war, fehlten ihr die zuvor sorgsam zurechtgelegten Worte.
„Wir sind einander bereits begegnet", stellte der Erbe Isildurs fest und musterte die ihn überrascht anblickende Frau voll warmen Interesses. „Ihr habt an Faramirs Seite gewacht und auch Euch ist es zu verdanken, dass die vom Schwarzen Atem Befallenen überlebten. Verzeiht, doch Euer Name muss mir entfallen sein..."
Leicht beschämt musste die Heilerin feststellen, dass ihr in all der Aufregung die guten Manieren abhandengekommen waren und sie versäumt hatte, sich vorzustellen, was die Frau nun hastig nachholte.
„Beorid...", wiederholte Aragorn und ein überraschtes Funkeln trat in die grauen Augen des Mannes, welche die junge Frau nun noch interessierter betrachteten. „Nun denn, Beorid, wollt Ihr mir verraten, welch dringliches Anliegen Euch zu dieser späten Stunde noch umtreibt?"
Seine Miene war freundlich, doch die Heilerin spürte, dass der Mann ihr gegenüber mehr von ihren Beweggründen ahnte, als er vermuten ließ. Nur kurz zögerte die junge Frau, wog sorgsam ihre Worte ab, denn viel stand für sie und ihre Familie auf dem Spiel.
„Um das Leben meines Bruders Beregond wage ich zu bitten, mein Herr. Verzweifelte Liebe und Ergebenheit führten seine Hand, während sein Handeln zur gleichen Zeit Leben nahm, wie es bestrebt war, Leben zu retten. Die Schuld quält seit jenem Moment sein treues Herz und wird dies bis ans Ende seines Lebens. Ich flehe Euch an, mein Herr, bitte verschont das Leben meines Bruders."
Die gütigen Augen des Thronerben ruhten voll ernsthafter Nachdenklichkeit auf der jungen Heilerin, welche vor Aufregung zitternd sein Urteil über ihren Bruder erwartete. Doch auch der künftige König ließ sich mit seiner Antwort Zeit, legte sich seine Worte sorgsam zurecht, wissend dass eine solch schwierige und schwerwiegende Entscheidung nicht aus dem Moment und einer Laune heraus getroffen werden durfte.
„Die Entscheidung über Beregonds Strafe liegt noch vor mir und kein Richterspruch wird diese Nacht fallen. Meine Herrschaft soll auf dem soliden Pfeiler der Gerechtigkeit fußen, drum bin ich es deinem Bruder schuldig, ihn zu Wort kommen zu lassen, ehe ein Urteil gefällt wird", erklärte sich der künftige König der Bittstellerin, welche verstehend nickte, obwohl aus ihrem blassen Gesicht noch immer die Sorge herauszulesen war.
„Die Familien und Freunde der Getöteten hat er aufgesucht, um Verzeihung bittend. Doch gleichwohl einige Verständnis für Beregonds Tat aufbringen konnten, Vergebung hat er nicht erfahren", berichtete Beorid mit leiser Stimme.
Da schenkte der König ihr ein Lächeln: „Verliert nicht den Mut, Beorid! Recht und Gerechtigkeit gehen Hand in Hand miteinander und kommen doch so oft auf unterschiedlichen Wegen. Lasst mich Euch versichern, dass ich eine aufrichtige Seele erkenne, wenn sie vor mir steht. Mehr will ich in dieser Nacht nicht über diese Angelegenheit sprechen. Doch sagt, seid ihr mit noch einem weiteren Anliegen zu mir gekommen, meine Liebe?"
Ein wenig hatte sich bei diesen beruhigenden Worten der kalte Griff der Furcht um das Herz der jungen Frau gelockert, denn nichts als aufrichtiges Wohlmeinen ließ sich in ihn den ernsten Augen des Thronerbens entdecken. Deutlich war Aragorn gewesen und keiner noch so großen Bemühung wäre es geglückt, sein Urteil in dieser Nacht noch weiter zu beeinflussen. Gleichwohl dennoch hoffte Beorid, dass ihre Fürbitte Gehör gefunden hatte und ihren Bruder ein milderes Urteil als der Tod erwartete.
Obwohl sie nur vermuten konnte, woher die Annahme des einstigen Waldläufers stammte, so lag er doch richtig, dass noch ein weiteres Anliegen die junge Mutter umtrieb. Den Schlaf hatten ihr diese Fragen ebenso geraubt wie die Alpträume von der Hinrichtung ihres Bruders. Froh, die Gelegenheit zu erhalten, endlich Licht in das Dunkel zu bringen, trug die Heilerin vorsichtig ihr Anliegen vor: „Von Euch Antworten zu erhalten, hatte ich gehofft, denn man sagte mir, ihr seid in der Stunde seines Todes an der Seite Boromirs gewesen."
Das Ausbleiben der Überraschung auf seinem Gesicht verriet ihr bereits, dass ihr Ansuchen nicht um sonst gewesen war und geduldig wartete die Frau auf all jene Erinnerungen, welche der zukünftige König bereit war mit ihr zu teilen. Der einstige Waldläufer schwieg für einen langen Moment und sein Blick wurde glasig, da sein Geist in eine Vergangenheit reisten, die der Heilerin fremd war.
Lange Zeit herrschte Stille im Zelt, so lange, dass die Heilerin bereits fürchtete, in dieser Nacht keine Antwort auf all die quälenden Fragen zu erhalten.
Ein tiefes Seufzen ließ den Körper des Mannes erbeben, ehe sich der Blick aus blauen Augen klärte und in die Wirklichkeit zurück fand. Geduldig saß die junge Mutter da, die Hände im Schoß um den Becher gefaltet, wartend bis Aragorn sich bereit fühlte, das Erlebte zu Teilen.
„Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr bereits einiges über unsere Reise gehört habt?", erkundigte sich der Erbe Isildurs und fuhr fort, da ein Nicken der Heilerin ihn in seiner Vermutung bestätigte. „Wie ein dunkler Schatten hatte die Gegenwart des Ringes bereits seit Wochen über unserer Gemeinschaft gelegen, ein kühler Hauch, der unser aller Herzen verfinsterte und Zweifel in unserem Geiste säte. Nachdem wir die goldenen Wälder Loriens verlassen hatten und einige Tage flussabwärts gefahren waren, mündete unser Weg schließlich an den Fällen des Rauros."
Mit ruhiger Stimme berichtete Aragorn von dem Geschehen, welches sich dort im Wald zugetragen hatten, wie er das Fehlen Boromirs und Frodos entdeckt uns sich auf die Suche nach den Beiden begeben hatte. Mit bedrückter Miene erinnerte sich der Mann, wie der in seinem Vertrauen erschütterte Ringträger ihm von dem Übergriff Boromirs berichtete, welcher ihn endgültig die Entscheidung alleine weiterzureisen hatte treffen lassen.
Aufmerksam beobachtete Aragorn die junge Frau vor sich, doch gleichwohl Bestürzung sich in ihren Augen spiegelte, war doch kein Anzeichen von Verurteilung in ihrem Gesicht zu entdecken.
„Es gibt keine Entschuldigung für das Hintergehen der eigenen Gefährten. Das Einzige worauf man zu hoffen wagen kann, ist Vergebung", verkündete die Heilerin bedrückt, als der einstige Waldläufer sie bat, ihre Gedanken mit ihm zu teilen.
Ein leises Lächeln schlich sich ob dieser weisen Aussage auf sein bereits von Falten durchzogenes Gesicht, bevor die Nachdenklichkeit es rasch verdrängte. „Diese Absolution hat er meines Wissens von Frodo erhalten und weder ich noch die anderen Mitglieder unserer Gemeinsacht hegen keinen Groll gegen Boromir. Die Macht des Ringes war eine dunkle Verführung, der keiner mit Leichtigkeit zu widerstehen vermochte. Boromir hatte ein gutes Herz und gleichwohl seine Tat unentschuldbar bleibt, so will ich doch meinen, dass er aus dem Motiv der Liebe zu seiner Heimat und seiner Familie heraus gehandelt hat."
Für einen Moment herrschte Schweigen, da jeder von ihnen den eigenen Erinnerungen an den Sohn des Truchsesses nachhing, dann begann Aragorn erneut zu erzählen, berichtete vom Überfall der Orks und mit welcher Unerbittlichkeit Boromir versuchte seine Freunde zu beschützen. Ein düsterer Schatten legte sich über die blauen Augen, als er der still lauschenden Frau von den letzten Worten ihres Geliebten berichtete.
„Euer Name lag noch auf seinen Lippen, da Boromir seinen letzten Atemzug tat. Eure Liebe mag er mit ins Grab genommen haben, doch seine Liebe lebt in euch weiter, unendlich und kraftvoll wie seit jeher."
Stumm liefen die Tränen ihr über das zarte Gesicht, tropften auf die Hände, welche noch immer den Becher mit dem inzwischen erkalteten Wein umklammert hielten. Bedrückt schüttelte der künftige König den Kopf und beichtete der jungen Heilerin aus tiefster Seele: „Gern würde ich die Erinnerungen an jenen unheilvollen Tag beiseiteschieben, mein Herz vor dem Schmerz und dem Bedauern verschließen, denn gleichwohl es nicht in meiner Macht stand Boromir zu retten, so will doch mein Gewissen mir keine Unschuld zugestehen.
Gandalf hatte mich zum Anführer unserer Unternehmung ernannt, ehe er in den Schatten stürzte, und unter meiner Verantwortung schließlich zerbrach die Gemeinschaft. Unter meiner Führung starb Boromir, Denethors Sohn, und es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, es wäre anders gewesen. Euch hier zu sehen, die Euch die Liebe offen aus den Augen leuchtet, schmerzt mich mehr als ihr zu ahnen vermögt, denn meinem Versagen ist es geschuldet, dass er nie zu Euch heimkehren wird."
Tränen glitzerten noch immer in den Augen der jungen Mutter, da sie seinen reuevollen Worten aufmerksam lauschte. Die Traurigkeit hatte sich tief in die feinen Züge ihres Gesichtes gegraben und hatte doch nicht vermocht die Güte daraus zu vertreiben.
„Dann lasst mich Euch von dieser Schuld freisprechen, mein Herr Aragorn", bat Beorid und ergriff sachte die Hände des zukünftigen Königs. Die blauen Augen des Mannes erwiderten ihren Blick, offenbarten ihr den tiefen Schmerz seiner Seele.
„Boromir wusste, welche Gefahren seine Reise mit sich bringen würden und hat sich doch aus freien Stücken dazu entschlossen. Euch trifft keine Schuld." Die Aufrichtigkeit mit der diese Worte gesprochen waren, versetzte Aragorn in Staunen, kein noch so kleiner Funke Groll über den sie derart tief treffenden Verlust schwang darin mit und auch in den sanften Augen der Frau war nichts dergleichen zu finden.
Für einen Moment schloss der Mann die Augen, spürte wie ihr Sanftmut und die Wahrheit in ihnen Worten zum ersten Mal wahrhaftig seinen Kummer linderten. Ein innerer Frieden überkam den einstigen Waldläufer und als er die Lider wieder aufschlug, ruhte sein Blick voller staunen auf der schmalen Gestalt vor ihm, welche mit unvorstellbarer Güte gesegnet war.
„Ihr seid wahrlich eine Heilerin, nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Es fällt erstaunlich leicht, euch das Herz zu öffnen, denn eure Augen schwören bedingungsloses Stillschweigen zu wahren", verkündete der Mann voller Staunen.
„Das werde ich. Habt vielen Dank für Euer Vertrauen, mein Herr", flüsterte die Heilerin und neigte tief das Haupt vor ihrem künftigen König.
„Nein, ich bin es, der sich zu bedanken hat", erwiderte Aragorn und verneigte sich ebenfalls vor der heilkundigen Frau. „Ihr habt vermocht, einen Schatten von meiner Seele zu nehmen, von welchem ich nicht einmal ahnte, dass er mich verfolgte. Doch nun da die Last der Vergangenheit fort ist, fällt das Atmen mir leichter."
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