
Der Schmerz der Liebe
Die Zeilen verschwammen bereits vor seinen müden Augen, doch den Brief bei Seite zu legen kam für ihn in keinster Weise in Frage. Müde rieb Faramir sich über das Gesicht, ließ einen weiteren Schluck Wein seine Kehle befeuchten, ehe er fortfuhr vorzulesen:
„Der erste Tag des Maies war von traumhaftem Wetter. An diesem besonderen Tag fand die Krönung unseres Königs statt, auf die wir alle schon so lange gewartet hatten. Doch für meine Familie hatte dieser Tag noch eine andere Bedeutung, denn Aragorn wollte als erste Amtshandlung Beregonds Bestrafung für seine Taten, den Eidbruch, wie auch die Entweihung der heiligen Stätte, verkünden.
Es war ein Tag der mein Leben von Grund auf für immer veränderte, doch will ich es mir schenken, Dir alle Einzelheiten zu schildern, denn meine Hände beginnen bereits zu zittern und die Anstrengung diesen Brief zu verfassen setzt meinem Körper zu, wenngleich so viele Dinge noch geteilt werden könnten. Aus diesem Grunde muss Ich mich kürzer fassen, wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt.
Viel mehr will ich dir von diesem Tag berichten als jenem, an dem ich meine Familie für immer verlor.
Nachdem unser geleibter König Elessar meinen Bruder vor dem Tode bewahrt hatte und ihn stattdessen aus Minas Tirith verbannte...
Im Taumel der Erleichterung schloss Beregond mich in die Arme, doch gleichwohl auch ich froh war, ihn in Sicherheit zu wissen, schmerzte die Aussicht meine Heimat und all die Erinnerungen hinter mir zu lassen doch sehr. Trotzdem er um diesen Kummer wusste, hatte mein Bruder doch nicht einen Gedanken an die Möglichkeit verschwendet, mich in Minas Tirith zurückzulassen. Nichts war mehr dort, was ihn hielt in der zerstörten Stadt. Doch diese Mauern waren seit jeher mein Zuhause, die Menschen hinter ihnen am Leben zu erhalten, meine Bestimmung gewesen und der Gedanke, all dies nun für immer hinter mir zu lassen, ängstigte mich.
„In Ithilien werden sie ebenso eine gute Heilerin wie dich zu schätzen wissen", versuchte Beregond mir die Zweifel zu nehmen, nachdem ich ihm von diesen berichtete hatte. „Wir bauen uns ein neues Leben auf und suchen dir und deiner Tochter einen anständigen Mann." Er verkündete dies in der vollen Überzeugung, damit meinen Herzenswunsch auszusprechen, doch wie du dir sicherlich denken kannst, lag mein Bruder damit vollkommen falsch und bald gerieten wir beide in den schlimmsten Streit, den wir jemals hatten.
Meine Weigerung, mich ihm auf seinem Weg nach Ithilien anzuschließen, fasste Beregond als Treuebruch auf und keinen Vorwurf will ich ihm deswegen machen, denn womöglich wäre es mir an seiner Stelle nicht anders ergangen. Als Kinder glaubten wir beide stets, nichts könne uns trennen, doch als Erwachsene mussten wir erfahren, wie sich immer mehr Geheimnisse zwischen uns gesellten und diese Treue auf eine harte Probe stellten, die sie nicht zu bestehen schien.
Dennoch trafen mich seine letzten Worte tief. „Beorid, ich verstehe dich nicht mehr. Es ist als, würden wir einander in keinster Weise kennen und ich weiß nicht mehr, wer vor mir steht. Ich bitte dich, komm mit mir!" Doch ich schüttelte den Kopf, unfähig ihm zu erklären, was mich an diese Stadt fesselte, der ich mein Leben zu widmen geschworen hatte. „Dann kann ich dir nicht mehr helfen", sprach Beregond und fügte bitter hinzu: „Ich wünsche dir, dass du hier glücklich wirst, aber erwarte kein Mitleid, sollte es anders kommen."
Dieser fürchterliche Streit zerriss mir das Herz, doch ich hielt mein letztes Versprechen an Boromir.
Meine Eltern verstanden meine Entscheidung ebenso wenig wie mein Bruder, doch wie hätten sie auch meine Beweggründe erraten sollen? Ein tränenreicher Abschied folgte, als auch sie sich schickten, ihre Vergangenheit in der weißen Stadt hinter sich zu lassen, um eine neue Zukunft in Ithilien zu beginnen.
Ich bin mir nicht sicher, ob man dich darüber informiert hat, dass mein Vater den Krieg widererwarten überlebte. Schon immer hat er die Güte in deinem Herzen gelobt, davon gesprochen, dir in vollstem Vertrauen sein Leben in die Hände legen zu können. Dir nach der Ernennung zum Fürsten folgen zu dürfen, war eine Ehre für ihn und gleichwohl sein Dienst kurz war, bin ich gewiss, dass er diesen voller Stolz erfüllte.
Ithilien hätte meinem Vater gefallen, die sonnenwarmen, zedernduftenden Sommer, die milderen Winter... In meinen Träumen wandelt er durch die lichten Wälder, trinkt aus den frischen Bergquellen und beglückt meine Mutter mit zahllosen Blumensträußen. Doch leider erreichte mein Vater sein Ziel nie. Ein Überfall versprengter Orks auf die ziehenden Siedler hat ihn schließlich doch noch das Leben gekostet, nachdem er den Schrecken des Krieges entkommen war.
Doch nicht um dich mit Gram zu erfüllen, erzähle ich dir davon, denn auch wenn der Angriff auf deinem Hoheitsgebiet geschah, so lag es wohl nicht in deiner Hand, dies zu verhindern, denn ansonsten hättest du dies getan. So lass mich dich von dieser Schuld freisprechen, die nicht die deine ist. Die Pläne der Valar sind nicht zu ergründen und die Verantwortung für die Welt auf den Schultern zu tragen, weit mehr als ein Mensch leisten kann."
Ein tiefer, von all seinen Sorgen erzählender Seufzer entkam dem Fürsten. Gut konnte er sich an den Überfall erinnern, gleichwohl er nicht selbst vor Ort gewesen war, um die Scheusale zu erschlagen, welche seine Schutzbefohlenen angriffen. Die erschöpften Reisenden waren ihnen wohl als leichte Beute erschienen, denn unvorsichtig waren die Angreifer gewesen. Nichtsdestotrotz, zwölf Menschenleben hatte der Angriff gekostet, darunter Kinder und Alte.
Es war die erste Bewährungsprobe des jungen Fürsten gewesen, mit der ihm anvertrauten Macht umzugehen. Wer hätte auch erahnen können, wie gewaltig der Unterschied sein würde zwischen der Verantwortung als Heerführer über das Leben tausender Soldaten zu entscheiden, zu jener die ihm gegenüber tausenden Bürger anvertraut worden war?
Beide Bürden gingen mit schweren Entscheidungen einher und doch blickten die Leute voller Vertrauen zu ihm auf, dessen Faramir sich fürchtete nicht gerecht werden zu können. Er steckte all seine Kraft in diese Aufgabe, bemühte sich redlich um Gerechtigkeit und Güte. Dennoch starben Menschen unter seiner Verantwortung und dies hatte er erst einmal lernen müssen, zu akzeptieren...
Gänzlich in Erinnerungen versunken registrierte der Fürst nur am Rande, wie ihm der Brief aus den Fingern gezogen wurde. Mit weicher Stimme fuhr seine Gemahlin fort, las vor, wie Beorids Mutter im Kummer versank, ihr Geist von Trauer derart umnebelt, dass Beregond nun auch für sie sorgen musste.
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