~ Das Vergehen der Hoffnung II ~
„Warum lächelst du so, Boromir?", fragte Pippin, der den rudernden Menschen mit irritiertem Blick musterte.
„Dieser Strom führt in meine Heimat, ich kann sie bereits fühlen", antwortete der Mann, dessen Augen glückselig funkelten. „Und dort wartet ein Wunder auf mich, das Geschenk meines Lebens."
„Und was ist das für ein Geschenk? Pfeifentabak oder gar ein Festessen?", drang der Hobbit weiter, brachte seinen Freund zum Glucksen über die Unbedarftheit der Halblinge.
„Pip, ich glaube kaum, dass Boromir dieselben Wünsche hat wie du oder ich", warf Merry ein, den Menschen mit einem breiten Grinsen musternd, „ich glaube fast eher, dass es irgendwas mit Liebe zu tun hat."
Verwirrt blinzelte sein jüngerer Vetter ihn an, die ursprüngliche Frage völlig in Vergessenheit geraten: „Wie kommst du denn darauf?"
„Er hat diesen verträumten Blick, wie ein Esel, der nichts versteht, aber mit sich selbst und der Welt sehr zufrieden ist. Den haben alle Verliebten."
Boromir lachte schallend auf. Wahrlich, er war glücklich wie ein dämlicher Esel und es machte ihm nichts. „Ja, Zuhause wartet meine Verlobte auf mich und wie die Herrin Galadriel mir soeben verriet, wird es höchste Zeit für meine Heimkehr, denn meine Liebste erwartet ein Kind von mir."
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Hoch ragten die steinernen Statuen der Könige der altvorderen Zeit auf, als streife ihr Haupt den Himmel selbst. Von Ehrfurcht ergriffen betrachteten die Gefährten das Denkmal lang vergangener Tage, dessen Prächtigkeit erahnen ließ, welche Verehrung die Vorbilder aus Fleisch und Blut ihrer Zeit genossen hatten.
Schmerzlich sehr wünschte Boromir, er selbst könne seine Heimat wieder in das Licht dieser Tage zurückführen, sie im Glanze von Frieden und Glück erstrahlen lassen, wie diese Könige es vermocht hatten. Seine Kinder sollten in einer Welt aufwachsen fern ab vom Gräuel des Krieges und dem Leid, was dieser mit sich brachte.
Das Herz schlug dem Mann sehnsuchtsvoll in der Brust als er sich vorstellte, welch ein erhebendes Glücksgefühl ihn durchströmen würde, wenn er seine Verlobte endlich wieder in die Arme schloss.
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Nachdem die anfängliche Freude über die Neuigkeiten abgeebbt war, hatten sich Zweifel im Herzen des Menschen breit gemacht. Wie sollte er es fertigbringen ein guter Vater zu sein, wenn all seine Fähigkeiten sich auf die Kriegstreiberei beschränkten? Würde es ihm überhaupt gelingen die Liebe seiner Tochter zu erringen? Und wie erging es seiner geliebten Beorid, nun mit einem Kind ganz auf sich allein gestellt, ohne die Möglichkeit einen legitimen Vater vorweisen zu können? Tratschen würden man über seine Liebste und die bloße Vorstellung versetzte sein Blut bereits in Wallung!
„Ich heirate dich, koste es, was es wolle. Im Zweifel auch gegen den Willen meines Vaters", schwor Boromir in hilflosem Zorn, welcher in den Ängsten des Mannes reichlich Nahrung fand. Er würde nicht tatenlos danebenstehen und zusehen, wie die Welt der Menschen unterging! Er würde kämpfen bis zum allerletzten Atemzug, um seiner Familie ein Leben in Frieden zu ermöglichen, ohne den allzeit drohenden Schatten Mordors. Boromir würde Gondor wieder ans Licht führen!
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„Was habe ich getan?"
Zitternd und mit tränennassen Wangen lag Boromir im Laub. Was bei allen guten Geistern Mittelerdes hatte ihn dazu getrieben Frodo den Ring mit Gewalt abnehmen zu wollen?
Der Halbling hatte recht behalten, Boromir war nicht er selbst gewesen, irgendetwas hatte in diesem Moment des Wahnsinns Besitz von ihm ergriffen. Der Ring hatte ihn in Versuchung geführt und der Mann hatte ihm nicht widerstehen können. Dies machte ihm Angst, Angst vor sich selbst.
Hatte er doch bloß an das Überleben seiner Verlobten mit dem gemeinsamen Kind gedacht und an das Schicksal seines Heimatlandes! Vor dem inneren Auge des Mannes waren Bilder aufgetaucht von den Trümmern seiner Stadt, zerstört durch die Kreaturen Saurons, und Vorstellungen von seiner Familie, abgeschlachtet, vertrieben, heimatlos.
„Die Welt der Menschen wird untergehen", hatte eine Stimme in seinem Kopf geflüstert, bevor der Wahnsinn Boromir übermannte und der Soldat in blinder Panik versuchte das zu schützen, was er am meisten liebte auf dieser Welt.
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Das Geständnis kam als schmerzerfülltes Keuchen über die fahl gewordenen Lippen. Die erdrückende Bürde des begangenen Verrates lastet auf Boromirs Brust und erschwerte das Atmen noch mehr. Einsame Tränen rannen über seine schmutzverschmierten Wangen, die von der tiefen Reue zeugten, welche der Mann empfand, dem Loyalität stets das oberste Gebot gewesen war.
Es war vorbei, Boromir konnte es spüren. Der Lebenshauch verließ seinen Körper bereits und in baldiger Zukunft würde auch die Sippe der Menschen Gondors untergehen.
„Lass!", beschwor er den Dúnadan, welcher noch versuchen wollte die Pfeile aus dem Brustkorb des Verwundeten zu ziehen, obwohl in den grauen Augen des Thronerbens bereits von seiner Kenntnis zu lesen war, dass es keine Rettung für den Verletzten geben würde.
„Die Welt der Menschen wird untergehen. Alles versinkt im Dunkel und meine Stadt liegt in Trümmern." Boromir hatte es gesehen, immer wieder waren ihm die grässlichen Bilder im Traum erschienen und in letzter Zeit sogar während des Wachens. Keinen Schlaf hatten sie ihm gelassen, keine Ruhe gestattet außer dem unruhigen Dämmerzustand, in welchen er verfiel, sobald die Müdigkeit überhandnahm, doch auch aus diesem war der Krieger zumeist mit Schrecken erwacht. Ein dunkler Schatten der Angst hatte sich um ihn geschlungen, ihm die Luft zum Atmen geraubt, während hinter seinen geschlossenen Lidern Gespinste vom Tod seiner Liebsten und der Zerstörung seines geliebten Heimatlandes warteten.
„Ich weiß nicht welche Kraft ich aufbringen kann, doch weder wird die weiße Stadt fallen, noch wird unser Volk versagen!", schwor Aragorn eindringlich, die Augen dunkel und voller Ernst.
Ein mattes Lächeln kämpfte sich ob dieser Wortwahl auf Boromirs Lippen und ein Schimmer lang verlorener Hoffnung erfüllte den Menschen, obwohl er wusste, dass er selbst nicht mehr sein würde, um die Tage dieser besseren Welt zu erleben.
„Unser Volk! Unser Volk!", wiederholte der Sterbende das Versprechen, während er nach dem Heft tastete. Die Finger des Waldläufers schlossen sich um die seines Gefährten und drückten das Schwert an die sich nur noch unregelmäßig heben und senkende Brust, damit der Mann wie der ruhmreiche Krieger sterben konnte, der er Zeit seines Lebens gewesen war.
Viel zu lange hatte der Gondorer die Augen davor verschlossen, welch ein Mann dies war, in dessen Adern Isildurs Blut floss. Doch nun, da er selbst im Sterben lag, erkannte Boromir in Aragorn all die Tugend und Kraft, die er nicht hatte wahr haben wollen, weil sie seine eigenen Qualitäten bei weitem überstiegen.
„Ich wäre dir gefolgt mein Bruder, mein Hauptmann, mein König!", sprach der Sohn des Truchsesses mit letzter Kraft, aber voller Nachdruck aus, was er von Beginn an gefühlt, doch erst in diesem Moment bereit war einzugestehen. Aragorn war dazu bestimmt den Thron zu besteigen und ihr Land unter seiner Flagge zu vereinen. Diesem vom Äußerlichen zunächst unscheinbare Waldläufer wohnte die Stärke inne, Gondor wieder ans Licht zu führen, dessen war sich der Sterbende mit einem Male sicher.
Und dieser Funke Hoffnung machte es dem Krieger leichter zu gehen, obwohl ein tiefes Bedauern seine Seele erfüllte. Er hatte seinen Auftrag nicht erfüllt und damit seinen Herrn enttäuscht, schlimmer als je zuvor. Doch gleich welchen Kummer ihm dieses Versagen auch bereiten mochte, es gab Dinge, die weit schwerer wogen als die Wünsche seines Vaters.
Nie hatte Boromir seine Tochter zu Gesicht bekommen, würde nie das Versprechen der Rückkehr halten können, welches er seiner Liebsten gegeben hatte.
„Beorid...", der Name kam als letzter Hauch über die aufgesprungenen Lippen, während das Sichtfeld des Sterbenden bereits dunkel wurde. Er würde dahinscheiden, ohne zu wissen, ob es ein Morgen für die gab, die er endlos liebte...
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Klirrend zerbarst die Schale in dutzende Scherben, als sie der Heilerin aus der Hand rutschte und auf dem Boden der Terrasse aufschlug. „Verzeih, mir meine Ungeschicklichkeit", bat die junge Frau, doch ihr Begleiter lächelte der Schwangeren bloß nachsichtig zu, bevor er sich daran machte, die einzelnen Teile zusammenzuklauben.
Zärtlich strichen Beorids Hände über ihren runden Leib, von wo aus sie soeben die Bewegung gespürt hatte, welche Schuld an ihrem Missgeschick gewesen war. Langsam, aber sicher wurde das Kind unruhig, womöglich war ihm der Platz in ihrem auf das Äußerste geschwollenen Bauch zu eng, mutmaßte die Heilerin.
Eine Hand noch immer liebevoll streichelnd, wanderte der Blick der Frau über die Stadt hinweg in die Ferne, wo sich am Horizont dunkel die Gebirgsketten abzeichneten. Der Garten der Häuser der Heilung bot ob seiner hohen Lage im sechsten Ring einen vortrefflichen Ausblick über das Land, bis nach Mordor reichte die Sicht. Beorid jedoch strafte den Schatten im Osten mit Missachtung, wandte sich ihr suchender Blick doch stets nur gen Westen, von wo aus sie die Rückkehr ihres Verlobten erhoffte.
„Bald, bald wird er da sein, dein Vater", flüsterte die Frau so leise, dass niemand die Worte hören würde und strich beruhigend über den Leib, in dem ihr Kind sich erneut vorfreudig regte.
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Die Worte zerbrachen sie. Ihre kleine Welt zersplitterte in ein endloses Scherbenmeer, aus dem es kein Entrinnen gab. Die Luft zum Atmen wurde ihr genommen, sie wollte schreien, doch aus ihrer Kehle kam kein Laut. Er würde nie zurückkehren. Haltsuchend griff Beorid nach etwas, irgendetwas, doch da war nichts, nur alles verschlingende Leere und der brüllende Schmerz in ihrer Brust.
Boromir war tot.
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