Aus tiefstem Herzen
„Mein liebster Faramir,
düster wird Dein Gemüt sein, wenn Du diese Zeilen liest, bedeuten sie doch, dass Ich nicht mehr bin. Es gibt nichts in Meiner Macht stehende, um Dir diesen Schmerz zu ersparen. Einen geliebten Menschen zu verlieren ist, als verlöre man einen Teil seiner selbst, Ich weiß davon nur zu gut. Doch trauere nicht zu lange, denn Dein Leben liegt vor Dir und mit der Herrin Éowyn an der Seite wird es ein erfüllendes werden.
Hast Du je gesehen, wie eine Schlange ihre alte Haut abstreift, sie hinter sich zurück lässt, um noch schöner und stärker hervorzugehen? Sieh dies als Symbol für den Prozess, der noch vor Dir liegt. Was vergangen ist hat Dich zu dem gemacht, der Du heute bist, doch es wird Zeit weiter zu ziehen und sich vom Alten zu befreien. Es geht nicht darum zu vergessen. Vielmehr wünsche Ich Dir, dass Du abschließen und im Guten auf die vergangenen Zeiten zurückblicken kannst, dass sie Dir Kraft geben für das, was kommen mag.
Es ist nicht Mein Tod, von dem Ich dir nun berichten werden, denn dieser liegt für Mich noch in der Zukunft, obgleich Ich seinen kalten Atem schon in Meinem Nacken zu spüren glaube.
Lass mich Dir von einem Menschen berichten, der Unser beider Leben um ein Vielfaches bereichert hat. Dem Mann, der Dich lehrte, Deinen eigenen Wert zu erkennen und Mich, was das Leben lebenswert macht. Er hat Uns beide aus tiefstem Herzen geliebt."
Faramirs Stimme erstarb und seine zitternden Finger ließen das Blatt sinken. Besorgt blickte Éowyn ihn an, legte eine kühle Hand unter das bärtige Kinn, um sein Gesicht ihr zu zuwenden. Unter ihren Fingern war warme Feuchtigkeit und erst in diesem Moment gewahrte die Tochter Eorls den Tränenstrom, der unaufhörlich in den rotblonden Bart mündete.
Bestürzt presste sich die Frau eine Hand vor den Mund, doch wie sie ihren Gemahl so weinen sah, stiegen auch ihr Tränen in die Augen. Der unsägliche Schmerz, den das so geliebte Gesicht zeigte, rührte die junge Fürstin zutiefst. Nur knapp gelang es ihr, ein Schluchzen zu unterdrücken, als Faramir seine Arme um ihre Mitte schlang, als wäre sie sein Fels in der Brandung. Ein Beben ging durch seine breiten Schultern und noch ein wenig fester wurde der Griff seiner Arme, doch kein Laut des Protests kam über ihre Lippen.
Sanft streichelte Éowyn durch das lange Haar, strich über die empfindsame Stelle hinter den Ohren, als beruhige sie ein ängstliches Pferd. Das erstickte Schluchzen in ihrem Morgenmantel wurde lauter, herzzerreißend. Unsicher, wie sie ihrem Gemahl helfen konnte, begann die Frau damit leise ein altes, rohirrisches Wiegenlied zu summen.
Faramirs Körper wurde noch immer von Schluchzern geschüttelt, doch verebbten diese nach und nach, während die warmen Finger unaufhörlich durch sein Haar fuhren und auf seinem Rücken beruhigende Kreise zeichneten. Éowyn spürte den warmen Lufthauch durch das dünne Gewandt, als ihr Gemahl einen tiefen Seufzer ausstieß.
Für einen Moment sank sein Kopf erschöpft gegen ihren Bauch, die Augen geschlossen, sammelte Faramir Kraft, seinen festen Halt aufzugeben. Dann drückte er sich ein wenig von dem warmen, weichen Frauenkörper weg, der ihm so viel Trost gespendet hatte und blickte aus grauen, verweinten Augen zu seiner Gemahlin auf.
In ihrem Blick lag kein Vorwurf, nur reinstes Mitgefühl und Faramirs Herz wurde mit einem Male von einer Welle warmer Zuneigung zu seiner Frau erfüllt.
Die hellen Finger wischten sanft die Spuren der Tränen von seinen Wangen. „Du musst sie sehr geliebt haben."
Es war keine Anschuldigung, viel mehr eine urteilsfreie Feststellung, die Éowyn aussprach. Faramir nickte ernst, nahm die zarten Hände seiner Gemahlin in seine großen und drückte sie leicht.
„Ja, das habe ich", erklärte er ehrlich und sah seiner Geliebten dabei fest in die Augen. „Sie war für viele Jahre die Einzige, der ich meine Träume erzählen konnte, welche so anders waren, als die Rolle, in die man mich gesteckt hatte. Die Erwartungen, die ich immerzu versucht habe auszufüllen, ohne es je zu Vaters Zufriedenheit zu schaffen. Beorid war meine Geheimniswahrerin und seit mein Bruder fort war, auch alles, was mich davon abhielt dem Wahnsinn zu verfallen, in den mein eigener Vater mich zu treiben versuchte und dem er letztendlich selbst anheimfiel. Man könnte wohl sagen, dass sie wie eine Schwester für mich gewesen ist."
Düstere Regenwolken zogen über Faramirs Gesicht, als er sich für einen Moment in den Erinnerungen verlor, dann klärte sich sein Blick wieder. „Aber das war es nicht, weshalb ich geweint habe. In ihrem Brief schrieb Beored von diesem Mann, der mich meinen Wert gelehrt hat. Ich wusste vom ersten Augenblick an, wen sie meint: meinen Bruder Boromir."
~ ⋘ ✞ ⋙ ~
Auf der Stirn stand noch immer der Schweiß, doch das Fieber war längst zurück gegangen, noch bevor das erste Grau des Morgens den Himmel gefärbt hatte. Nun lag der junge Mann entkräftet und in einen tiefen Schlaf versunken da, während die Heilerin und sein Bruder auf beiden Seiten des Bettes über ihn Wache hielten.
Die tiefen Ringe unter den Augen der jungen Frau zeugten von der Erschöpfung, welche die schlaflose Nacht und ihre Arbeit mit sich gebracht hatten, doch in den braunen Augen funkelte es zufrieden. Ihre Aufgabe hier war erledigt, es gab nichts weiter zu tun, als abzuwarten und zu hoffen, dass der junge Herr Faramir sich im Laufe der nächsten Tage erholen würde.
Unter den wachsamen Blicken seines älteren Bruders zog Beorid die Decke noch ein kleines Stückchen höher bis an das Kinn des Schalfenden, dann drehte sie sich um und wusch ihre Hände in der dafür bereitgestellten Schüssel.
Vor lauter Schreck wäre der Heilerin beinahe der Krug aus den Fingern gerutscht, so plötzlich vernahm sie die Stimme, die die gesamte Nacht über noch kein Wort gesagt hatte.
„Danke", mehr sagte Boromir nicht, doch es kam aus tiefstem Herzen, das spürte die Heilerin. Beorid neigte den Kopf vor dem jungen Mann, zum Zeichen, dass sie ihn gehört hatte und seinen Dank annahm.
Mit geübten Griffen war bald alles verstaut und mit Tasche und Mantel über dem Arm verließ die Heilerin nach einem letzten Blick auf ihren kranken Freund das Zimmer.
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