98 - Einer der Neuen
Ich stehe mit Ote und Pepin an Deck. Noch immer gibt es keine Spur von Alisea und Ote geht nochmal kurz die Piraten durch, die in der letzten Nacht fehlten. Er meinte, davon wäre jeder verdächtig. Allerdings kamen sie alle wieder zurück. Wenn sie Alisea befreit hätten, dann wären sie doch mit ihr geflohen. Das macht alles keinen Sinn. Mittlerweile sind einige unserer Leute an Land und suchen nach ihr. Vor allem die, die Griechisch können.
Pepin schlägt mir auf die Schulter.„Wir finden deine Kleine schon! Wir können ja auch eine Belohnung aussetzen, dann wird sie nicht weit kommen."
Ich zische zwischen den Zähnen durch: „Sie ist nicht meine Kleine! Ich will an ihr verdienen und kein Geld für sie ausgeben! Sie ist nur verlorengegangene Ware!" Ich hasse es, wenn er so tut, als würde diese miese Verräterin mir etwas bedeuten. Das tut sie nicht! Es sollte mir egal sein wo sie ist. So egal ist es mir nur nicht, weil sie die Verlobte meines Vaters ist! UND weil sie so durchtrieben ist! Wer weiß, ob sie ihren Plan doch noch in Tat umsetzen würde und ihm ein Kuckucksei unterjubelt, der meinen Platz einnimmt. Meinen! Ich bin sein verdammter Sohn und habe ein Anrecht auf sein Erbe!
„Natürlich... wie dumm von mir. Natürlich ist sie nur verlorengegangene Ware... warum suchen wir sie noch gleich?" Dabei grinst Pepin schelmisch.
Ich schaue wütend zu Pepin. Langsam überspannt er den Bogen mit seinen Spitzen.
Allerdings mischt Ote sich ein: „Lass uns doch auf die neuen Anwärter konzentrieren und nicht streiten. Guck mal, da vorne kommt doch Hamo mit diesem Christos."
Ich schaue zu den beiden Männern. Christos ist genauso kräftig wie Hamo, aber lächelt im Gegensatz zu ihm, als er auf uns zukommt. Jedoch kann ja nicht jeder so ein Griesgram sein wie Hamo.
Der Neue streckt mir auch sogleich die Hand hin und spricht mich an: „Du muss Lestat sein! Der olle Halunke, von dem mir Hamo schon so viel erzählte! Ich bin Christos!"
Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Mir ist gerade nicht zum Lächeln zu Mute und schon gar nicht zum lustigen Händeschütteln. Wobei ich nicht dachte, dass Christos so gut Französisch spricht, das imponiert mir schon ein wenig.
„Ach, du hast ja denselben Humor wie Hamo." Mit den Worten zieht Christos seine Hand zurück.
Allerdings streckt Pepin ihm die Hand entgegen. „Ich bin Pepin! Und Lestat ist sonst nicht so, aber er hat wertvolle Ware verloren."
Christos runzelt kurz die Stirn.„Verloren? So? Was denn und wo muss man suchen?"
Ich wende mich meinem Navigator zu: „Lass den Scheiß Pepin, sonst haue ich dir gleich eine rein! "Seine Aussage bringt mich wieder zum kochen, doch dann tritt Ote vor und erklärt beschwichtigend: „Das geht dich noch nichts an, Christos, aber Hamo sagte uns, du wärst interessiert, unserer Crew beizutreten und eine Bereicherung für uns. Wir halten viel auf sein Wort, also... sag uns, was bewegt dich dazu ein Pirat zu werden?"
Kurz steht der Mann nur da und hält Blickkontakt zu Ote. Doch dann sieht er wieder zu mir. „Als Gauner auf griechischen Straßen, habe ich mir schon einen Namen gemacht. Ein Pirat auf der Black Curesana wäre eine Steigerung. Ich habe gehört, dass man unter deinem Kommando eine Menge Gold machen kann. Viel mehr, als bei all den anderen möchtegern Piraten. Du sollst es drauf haben. Stimmt das?"
Ich hebe nur kurz die Schultern. „Wenn es sich jeder erzählt, wird es auch einen wahren Kern haben, oder meinst du nicht?"
Christos starrt mir stur in die Augen. Das gefällt mir. Er ist kein Mann der klein beigibt. Und da er nichts darauf erwidert, frage ich geradeheraus: „Aber hast du es auch drauf, zu kämpfen?"
Christos zieht seinen Degen, doch auf halber Strecke, hat er schon die Waffen von Ote und Pepin am Hals.„Hey, ganz ruhig.... Er hat mich doch herausgefordert, oder nicht?"
Hamo brummt hörbar und schaut kurz in die Runde. „Christos ist sehr gut mit dem Degen."
Während ich zu meinem Degen greife, fixiere ich Christos. „Ote und Pepin, nehmt eure Degen herunter und lasst mich eine Kostprobe nehmen." Ich werde jetzt sicher keinen anderen für mich kämpfen lassen. Im Grunde hat Christos recht. Ich wollte doch sehen, was er drauf hat. So ziehe auch ich meinen Degen und nachdem Ote und Pepin bei Seite gehen, zieht Christos seinen ebenfalls. Ich nehme zur Kenntnis, dass die beiden dennoch ihren. nicht wegstecken und angespannt zu mir sehen.
Ich richte den Degen auf Christos und er wehrt meinen ersten Schlag sofort ab. Wir kämpfen eine ganze Weile, aber auch aus dem Grund, weil ich ihn nicht verletzen will und er mich wohl auch nicht. Es fühlt sich eher wie ein Übungskampf an. Jedoch erkenne ich seine Taktik recht schnell und hätte ihn schon mehrere Male ausschalten können, doch es macht mir zu viel Spaß, mich mit ihm quer über das Deck auszutoben.
Einige schaulustige Crewmitglieder haben sich auch schon versammelt, um uns zuzusehen.
Wir treiben uns beide mit scharfen Worten an und ich verspotte Christos: „War das schon alles, was du draufhast? Lächerlich!"
„Wenn ich gewollt hätte, wärst du schon tot!", kontert er gelassen.
Ich weiche wieder spielend leicht einem Hieb von ihm aus und drehe mich dabei um einen Mast. „Du glaubst doch selbst nicht, was du sagst", erwidere ich grinsend.
Da bleibt er plötzlich stehen und senkt den Degen. „Gut, du hast gewonnen. Ich kann nicht mehr."
Jetzt fällt mir erst auf, wie sehr er außer Atem ist. Er beugt seinen Oberkörper vor und ich bin sehr enttäuscht. Da hatte ich doch schon mehrfach die Möglichkeit, ihm meinen Degen an den Hals zu legen, doch habe sie nicht ergriffen, weil ich den Kampf zu sehr genossen habe.
Ich gehe auf ihn zu und senke auch meinen Degen. Dann sehe ich aber im letzten Moment wie er sich anspannt und hebe die Waffe wieder. Das Metall klirrt auf meinen.
Pepin schnappt hörbar nach Luft. „Hey, du sagtest, du gibst auf!"
Christos ruft Pepin, der sich uns schnell nähert, zu: „Was wäre ich für ein Pirat, wenn ich nicht mit miesen Tricks arbeiten würde?"
Da hat er jedoch meinen Degen vor seinem Hals. Er hat seine Deckung komplett außer Acht gelassen, um Pepin zu antworten, deshalb konnte ich nicht anders. Es wäre aufgefallen, wenn ich ihn nicht kampfunfähig gemacht hätte.
Er lässt seinen Degen fallen und sieht mich an, dann flüstert er mir zu: „Du hattest schon fünf Mal die Gelegenheit dazu. Warum hast du sie nicht genutzt?"
Hat er etwa mitgezählt, wie oft ich mich doch dagegen entschieden habe? „Es hat Spaß gemacht, mit dir zu kämpfen."
Ich senke den Degen und atme tief ein. Es war eine Abwechslung. Ich hatte beim Kampf nicht dieses dumpfe Gefühl in der Brust. Doch jetzt schlägt es wieder zu.
Ich hasse sie! Ich hasse Alisea! Das muss es sein, warum ich jetzt wieder so fühle. Sie hat mich verraten! Wenn ich sie finde, werde ich sie dafür bluten lassen! Ich werde sie brechen und ihr Herz versteinern! Sie sollte beten, dass ich sie niemals finde...
Christos reißt mich aus den Gedanken. „Warum bist du so wütend? Du hast doch gewonnen. Ich sollte wütend sein, wenn ich nicht wüsste, wie gut du mit dem Degen umgehen kannst. Das hat mir Hamo schon erzählt."
Ich schaue zu ihm auf und erst jetzt merke ich, wie ich meine eine Hand zu einer Faust geballt habe und die andere schon weiß hervorsticht, weil ich damit den Degen so heftig umklammere. Bestimmt habe ich dazu auch noch das passende Gesicht gezogen.
Bevor ich etwas erwidern kann, höre ich schon Pepin reden: „Ich sagte doch, er hat wertvolle W-"
Weiter kommt Pepin nicht, weil er meine Degenspitze an seinem Hals hat.
Ote legt mir beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Lestat, lass es gut sein!"
Jetzt ist die Schlampe schon weg und die vergiftet mir noch immer das Hirn! Ich nehme sofort meinen Degen herunter, weil Pepin mich erschrocken anstarrt. Diesen Gesichtsausdruck habe ich noch nie bei ihm gesehen.
Jedoch scheint er sofort wieder zu sich zu kommen und dreht sich zu Ote. „Halb so wild." Er geht ein paar Schritte von mir weg. „Das zeigt mir nur, dass ich recht habe."
„Recht mit was?", frage ich laut genug, dass er es noch hören kann.
Pepin bleibt tatsächlich stehen. Ich dachte schon, er hätte jetzt Angst, doch er dreht sich zu mir. „Muss ich das jetzt ausführen, vorallen Anwesenden? Hör auf Ote und lass es gut sein."
Mit den Worten dreht er sich wieder um und geht. Ich bleibe stehen und verstehe die Welt nicht mehr. Recht mit was? Denkt er, die Schlampe hat mir den Kopf verdreht? Ich rufe ihm so laut nach, dass es jeder hier hört: „Sollte die dreckige Baronesse noch mal auftauchen, werde ich sie mit Kusshand verkaufen und den besten Preis rausholen, da kannst du Gift drauf nehmen! Sie bedeutet mir nichts, falls du das denkst!"
Pepin geht weiter, aber Christos geht ein paar Schritte auf mich zu. „Ach, es geht hier um eine Frau? Da hätte ich gleich drauf kommen können. Ich habe da auch eine, der ich es noch unbedingt besorgen will, bevor wir hier ablegen." Er schaut zu mir und fügt in einem beinahe verschwörerischen Tonfall hinzu: „Also wenn ich dabei sein darf, meine ich."
„Wenn du magst, gerne! Kämpfen kannst du jedenfalls."
Ote kommt auf uns zu und nimmt ihn nochmal unter die Lupe. Ich habe gerade keinen Kopf für so ein Gespräch. Ich wende mich ab und trete an die Reling, um auf die Stadt zuschauen. Langsam lasse ich meinen Blick schweifen, aber ich sehe keine blonden Haare. Am Strand beobachte ich kurz ein paar junge Leute. Das Wasser dort ist so hell wie Aliseas Augen und ich frage mich, ob sie überhaupt noch lebt.
Vielleicht hat einer meiner Männer sie auch verkauft, immerhin gehört Griechenland ebenfalls zum osmanischen Reich, auch wenn hier kaum Muslime leben. Oder sie ist vor ihm weggelaufen. Dann hat sie bestimmt irgendein Kerl aufgeschnappt, vergewaltigt und ermordet. Ihre hellen Augen starren sicher in irgendeiner Gasse ins Leere.
Ich reiße meinen Blick vom Strand los und gehe zurück in meine Kajüte. Vielleicht finden die Männer, die. ich losgeschickt habe, ja doch etwas. Allerdings glaube ich nicht, dass sie die Nacht da draußen überlebt hat.
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