97 - In der Taverne
Ich habe am Stadtrand eine hübsche Gaststätte gefunden, die in den Nachmittagsstunden relativ ruhig ist. Natürlich wollte uns der Inhaber zuerst verscheuchen, aber nachdem ich ihm vorschlug, für ihn zu arbeiten und im Gegenzug nur einen Schlafplatz für mich und Nouel haben wollte, willigte er ein. „Na gut, aber nur ein paar Tage! Ich bin übrigens Andreas."
„Freut mich sehr, Andreas. Vielen Dank für diese Gelegenheit. Wir wissen das wirklich sehr zu schätzen." Ich deute kurz auf Nouel und dann auf mich. „Mein Bruder, Nouel und ich heiße Alisea. Wir kommen aus Frankreich und wollen mit dem nächsten Schiff wieder dorthin.
Andreas stellt zum Glück keine weiteren Fragen, auch wenn er uns noch einmal genauer mustert. Dabei entgeht ihm natürlich nicht, dass ich keine Schuhe trage. Aber er schweigt auch dazu und denkt sich wohl seinen Teil.
Der Mann zeigt uns das Innere der Taverne, die Terrasse und die Treppe, die nach oben zu den Schlafzimmern führt. Fünf Schlafzimmer hat die Gaststätte und derzeit sind auch alle belegt. Also geht er mit uns weiter zur Küche. „Ihr könnt in der Küche schlafen, hier ist es auch nachts warm und die Türen werden abgeschlossen, bevor ich gehe. Und bedient euch an dem Essen, welches die Gäste auf den Tellern gelassen haben. Dafür hilfst du mir draußen und dein Bruder geht dem Koch zur Hand."
Ich erkläre es noch mal Nouel, weil er kein Wort verstanden hat und fragend neben mir steht.
Er schaut zur Spüle und fragt mit hochgezogenen Augenbrauen: "Geschirr abwaschen? Was bekommen wir denn dafür?"
„Nun, nicht nur Geschirr abwaschen. Du musst einfach nur machen, was der Koch dir sagt. Also, er zeigt dir vorher alles." Ich seufze leise und deute dann auf den Küchenboden. „Dafür können wir hier kostenlos schlafen und dürfen die Reste essen."
Nouel schaut mich mit großen Augen an. „Was? Wir bekommen nichts dafür, außer einen kalten Steinboden? Nein! Wir sollten weitergehen. Sonst hätte ich doch gleich in meiner Zelle bleiben können!" Er sieht sich um. „Gemütlich ist es hier auch nicht. Außerdem verstehe ich den Koch nicht."
Nouel verschränkt die Arme und das, wo der Wirt noch neben uns steht. Wo ist denn sein Benehmen hin? „Es ist doch nur für ein paar Tage, Nouel! Dann verlassen wir das Land und segeln zurück nach Frankreich."
Ich schaue zu dem Koch und lächle ihm entschuldigend zu. „Mein Bruder kann leider kein Griechisch. Du musst ihm zeigen, was er machen soll. Aber er lernt schnell." Dann wende ich mich wieder Nouel zu und seufze leise. „Komm, lass dir einfach zeigen, was er von dir will."
„Nein! Ich bin doch kein Küchenjunge. Das ist Frauenarb..." Er unterbricht seinen Satz und drückt die Lippen zusammen. Da hat er wohl selbst gemerkt, dass er gerade dummes Zeug redet. Dann spricht er etwas leiser: „Wir sollten einfach weitergehen und warten bis die Black Curesana weg ist. Dann nach einem französischen Schiff Ausschau halten. Da kann ich wenigstens etwas anständiges arbeiten und die zahlen auch!"
„Und was willst du essen? Wo willst du schlafen? Oder soll ich vielleicht noch für dich anschaffen, damit du ein gemütliches Bett hast?" Ich hole tief Luft und kann nicht fassen, das Nouel nun anspruchsvoller ist, als ich es bin. „Ich bin hier die Person, die adelig geboren wurde, also hör auf zu jammern! Denn das ist ja bekanntlich auch Frauensache!"
Kurz starrt mich Nouel mit leicht geöffneten Mund an, aber dann verzieht er das Gesicht. „Du spinnst doch total. Ich lasse dich doch nicht anschaffen gehen. Wobei blasen sollst du ja gut können. Wohl sogar besser, als dich wie eine Adlige zu verhalten. Das konntest du ja noch nie!" Er dreht sich von mir weg und sieht zum Koch. „Was soll ich tun?" Dann schaut er aber über die Schulter noch mal zu mir und macht klar: „Ich mache das nur, um dich nicht zu blamieren, aber morgen werde ich eine andere Unterkunft suchen!"
Der Koch zeigt auf ein geköpftes Huhn, das noch gerupft werden muss. Also wende ich mich ab. „Schön, dann such morgen etwas Besseres. Aber wenigstens muss ich diese Nacht nicht draußen im Freien schlafen und riskieren, dass ich geschändet werde."
Ich verlasse die Küche, damit ich nicht mit Nouel streite. Er ist einfach nur unzufrieden mit der Situation, denn sonst würde er nie so reden und ich weiß, dass er sich bei nächster Gelegenheit bei mir entschuldigen wird.
Vorne in der Taverne ist der Inhaber und er zeigt mir, wo die Tischdecken sind. Zudem bekomme ich noch eine Schürze und schon soll ich zu den Gästen gehen und ihre Bestellungen entgegen nehmen. „Bloß nicht schüchtern sein!", gibt er mir noch als Ratschlag mit und lacht leise.
...
Der Nachmittag vergeht und am Abend wird es richtig voll. Zudem kommen auch die Gäste wieder, die oben in den Zimmern schlafen. Da sie oben zu speisen wünschen, muss ich die schweren Tabletts auch noch die schmale Treppe hochtragen.
Hin und wieder schaue ich in der Küche vorbei und sehe, dass Nouel wenigstens kein hoffnungsloser Fall ist. Zwar schimpft der Koch oft, aber das ist bei Griechen normal. Die Sonne geht unter und dennoch ist es noch unglaublich warm und die Gäste trinken reichlich Wein.
Und je später der Abend wird, je anzüglicher werden die Gäste. Sie wollen mich auf ihren Schoß ziehen oder mir an den Arsch fassen. Aber ich drehe mich jedes Mal heraus und gehe zum nächsten Tisch. Dabei bleibe ich höflich und setze ein Lächeln auf.
Zum Glück wird ziehen mit dem Sonnenuntergang ein paar Wolken auf und die ersten Gäste gehen. Allerdings kommt nun einer der Gäste aus seinem Zimmer und setzt sich draußen auf die Terrasse, obwohl ich schon alle Tische sauber gemacht habe. „Hallo, hübsches Mädchen. Wie ist dein Name?"
Ich gehe zu ihm hin und seufze tief, bleibe aber höflich. „Was darf ich dir zu trinken bringen?", erkundige ich, ohne auf seine Frage einzugehen.
„Der Rotwein hier ist gut. Trinkst du ein Glas mit mir?"
„Danke, nein. Also ein Glas Wein." Bevor er weiterspricht, drehe ich mich schon um und gehe wieder zurück in die Taverne, um das Glas zu holen.
Kaum stelle ich es auf den Tisch, nervt er aber schon wieder. „Woher kommst du? Dein Akzent ist wirklich niedlich. Frankreich, oder?"
„Sonst noch etwas?", frage ich und gehe einen Schritt auf Abstand, bevor er noch auf die Idee kommt, mich anzugrabschen. Das ist mir heute leider viel zu oft passiert.
„Ein Kuss", verlangt der fremde Mann unverschämt und grinst breit.
Nun verdrehe ich doch die Augen und gehe rein. Mittlerweile sind meine Füße wieder eiskalt, weil ich immer noch barfuß bin. Aber sie schmerzen nicht mehr so stark und ich hoffe, es entzündet sich nichts. Ich sollte schauen, dass ich sie heute noch sauber mache.
Da höre ich aber wieder seine Stimme. „Hey, blonder Engel. Bring mir gleich noch ein Glas!" Er schaut in meine Richtung, hält sein leeres Glas hoch und macht einen Kussmund.
Der Inhaber der Taverne klopft mir aber bloß auf die Schulter und deutet in die Küche, die mittlerweile schon zu ist. „Komm, du hast heute lange genug gearbeitet. Evangelos ist schon nach Hause und deinem Bruder ist es in der Küche sicher langweilig. Ruh dich aus, Alisea." Andreas nimmt ein Glas und eine Flasche Wein und setzt sich draußen zu seinem Gast.
Erleichtert gehe ich in die Küche und sehe Nouel, der gerade den Boden auf allen Vieren schrubbt.
„Oh, du bist noch nicht fertig?", frage ich verwundert.
Er schaut zu mir hoch und wieder auf den Boden. Es kommt mir vor, als ob seine Bewegungen jetzt schneller geworden sind. Ist er wütend? Gerade als ich den Mund aufmache um ihn zu fragen, lässt er den Lappen los, schaut wieder auf und redet sehr leise: „Das was ich vorhin gesagt habe... also... ähm... das mit ... du weißt schon... dass du gut... mhm... kannst... es tut mir leid. Ich habe so viel Mist gehört, bei den Piraten. Lestat hat soviel erzählt und..." Er sieht zur Decke und atmet tief ein. „Ich wollte das nicht. Du bist eine Adlige und benimmst dich auch nicht schlecht. Ich bin nur ein Schiffsjunge. Es stand mir nicht zu..."
Ich beuge mich zu ihm herunter und lege ihm den Zeigefinger auf den Mund, damit er endlich aufhört zu sprechen. „Vergessen wir das einfach, ja?" Ich höre, dass ein Wasserkessel pfeift und schaue zu dem Herd. „Oh, heißes Wasser! Kann ich mir davon etwas nehmen?"
Nouel steht sofort auf und schüttet einen Teil davon in einen Eimer. Den Rest kippt er auf den Boden und schrubbt eine weitere Ecke in der Küche.
„Gibt es hier auch saubere Tücher?", frage ich und sehe mich suchend um.
„Ja, da vorne im Schrank." Vorsichtig gehe ich rüber, allerdings umgreift Nouel mich plötzlich von der Seite und schiebt mich auf einen Stuhl. „Ich habe deine Füße ganz vergessen. Zeig mal her!"
Ich schließe die Augen und lege einen Fuß hoch, sodass Nouel gucken kann. Er greift ganz vorsichtig danach und sieht es sich an. „So kannst du nicht mehr herumlaufen. Warte, ich säubere sie dir!" Nouel legt meinen Fuß ganz vorsichtig ab und holt ein Tuch, sowie den Eimer mit dem heißen Wasser. Dann kniet er sich vor mich und greift wieder nach meinem Fuß. „Das wird sicher ein wenig brennen, da sie schon etwas offen sind, aber ich muss sie sauber machen."
„Ja, mach ruhig." Ich beiße die Zähne zusammen, während Nouel meine Füße sauber macht. Er muss hin und wieder sogar Sand und feine Steine herauskratzen. Aber ich gebe keinen Ton von mir und nachdem er fertig ist, wickelt er noch saubere Tücher um meine Füße. Dann hilft er mir an eine saubere Ecke, in der Nähe vom Ofen.
„Ruh dich aus, Liebste. Morgen suche ich uns eine bessere Bleibe!" Nouel hilft mir, mich zu setzen und hält meine Hand fest, während er sich zu mir setzt. Er sieht mich eindringlich an und zieht mich plötzlich in seine Arme. „Heirate mich, Alisea! Wenn wir Mann und Frau sind, kann ich dich besser beschützen!"
„Ach Nouel. Ich könnte dich niemals heiraten. Du bist mein bester Freund!" Der Gedanke, mit Nouel intim werden zu müssen, sobald wir verheiratet sind, behagt mir nicht und ich rutsche von Nouel weg, auch wenn er mich nur widerwillig loslässt.
„Aber du musst mich heiraten, Alisea! Nur so können wir beide zurück nach Marseille! Ansonsten denkt dein Vater noch, du hättest gesündigt!"
Ich halte die Luft an, um Nouel nicht auszuschimpfen. Warum sollte ausgerechnet ICH etwas sündhaftes getanhaben? Ich wurde entführt! Allerdings kommt mir in den Sinn, dass sich selbst unter den Piraten hartnäckig das Gerücht hielt, ich wäre mit Nouel durchgebrannt. Obwohl es mir nicht behagt, sehe ich leider die Logik hinter diesem Vorschlag. Nouel würde meine Ehre retten. Aber nur die Ehre einer Frau. Wäre ich nicht adelig, würde es vielleicht sogar funktionieren.
Daher seufze ich tief. „Mein Vater wird mich verstoßen, Nouel. Er wird mich niemals wieder willkommen heißen."
„Nein, das wird er nicht! Vertraue mir, Alisea! Ich bringe uns zurück nach Hause und ich habe auch schon einen Plan!"
Ungläubig schüttele ich mit dem Kopf. Wie kann Nouel nur so naiv sein? Eine Heirat mit ihm rettet mich nicht, sondern sorgt dafür, dass ich gebrandmarkt bin. Eine Ehe, um einen Fehler zu vertuschen. Wenn ich Nouel heirate, dann wäre es ein Zugeständnis meiner Schuld. Ein Geständnis meiner Sünde. Ich würde damit zugeben, dass ich mit Nouel durchgebrannt bin. Und jeder würde hinter vorgehaltener Hand tuscheln, dass ich nicht als Jungfrau geheiratet habe. „Ich kann dich nicht heiraten, Nouel."
„Denke gut darüber nach, Alisea! Ich meine es wirklich ernst damit!" Nouel steht auf und streicht sich die Haare zurück. Danach räumt er noch etwas die Küche auf.
Ich rolle mich zusammen und schaue zu dem Feuer, das ich nur aus den Schlitzen des Ofens erahnen kann. Nouel löscht noch die Öllampe und dann höre ich nichts mehr. Ich schaue über meine Schulter, um zu sehen wo er ist.
Er liegt einige Meter weiter vor der Küchenzeile und schaut zu mir herüber. „Schlaf gut. Ich passe auf dich auf."
„Danke. Gute Nacht."
Ich drehe mich wieder um und hebe meinen Blick. Es ist ein schöner Mond draußen. Was Lestat wohl gerade macht? Sucht er mich schon? Und was wird er tun, wenn er mich findet? Mich umbringen? Mich am Ende doch verkaufen? Was, wenn er doch in Erwägung zog, mich zurück zu meinem Vater zu bringen?
Nein, dann hätte Lestat nicht immer wieder betont, dass ich nur Dreck bin in seinen Augen und er aus mir eine Sklavin machen will. Mein Herz zieht sich zusammen und ich schließe die Augen, weil ich plötzlich um meine Fassung kämpfen muss. Warum denke ich jetzt an Lestat? Und warum schmerzt mein Herz so sehr, wenn ich an ihn denke?
So war es auch, als ich um meine Mutter getrauert habe und ich vermisse sie immer noch so schrecklich. Aber Lestat kann ich nicht vermissen. Er will mich doch verkaufen! Und wenn er es nicht täte? Wenn ich bei ihm bleiben könnte? Wenn ich mich jede Nacht an ihn schmiegen und seine Nähe genießen könnte? Ach, was denke ich da nur? Das ist Wunschdenken!
Sofort setze ich mich auf und lege eine Hand an meinen Mund. Wunschdenken?! Nein! Wieso denke ich denn so etwas? Und warum vermisse ich ihn so schmerzlich? Habe ich mich verliebt? In dieses Monster?! Unmöglich!
Es fällt mir schwer, meine Tränen zurückzuhalten. Wie konnte das nur passieren? Und mir wird nun klar, dass ich ihn auch hasse. Allerdings die Tatsache, dass er meine Gefühle nicht erwidert und in mir nur Ware sieht, die er verkaufen will. Dabei dachte ich so oft, er versteht mich und meine Gefühle. Vor allem nach der Meuterei habe ich geglaubt, dass er mich zumindest mag und als Mensch, als Frau respektiert.
Nein... Die Flucht war das Beste, was mir passieren konnte. So komme ich endlich von ihm weg und kann mir einen Mann suchen, der mich wirklich und wahrhaftig liebt. Ein Mann, der mich auf Händen tragen würde.
Schwer seufzend lege ich eine Hand an meine Brust und wünschte, der Schmerz würde nicht ganz so tief gehen. Ich wünschte, ich würde nicht so für Lestat empfinden, denn es fühlt sich nun an, als hätte ich ihn verraten. Dabei ist er es, der mich verraten hat. Denn er denkt ja gar nicht daran, mich meinem Vater zurückzubringen und will mich stattdessen verkaufen!
Aber hätten wir uns unter anderen Umständen kennengelernt, hätte ich mich wohl wirklich in ihn verliebt.
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