80 - Sagt sie die Wahrheit?
Ich kann es kurz nicht glauben, was ich da höre. Für einen Moment stehe ich wie erstarrt da und mustere Aliseas nackten und perfekten Körper. Die Kratzer an den Armen und Beinen entstellen ihn keineswegs. Ihre Brustwarzen stehen noch hart hervor und ihre Beine zittern leicht vor Geilheit, genauso wie meine. Und dann kommt sie mit so etwas! Am liebsten würde ich sie jetzt packen und durchschütteln. Warum konnte sie damit nicht warten, bis ich mit ihr fertig bin?
Mein Blick geht zum Bett, in dem ich mir schon vorstellen konnte, sie von hinten zu nehmen. Ich muss mich jetzt aber zusammenreißen, denn was sie sagte, ist wichtiger als das. „Woher weißt du das? Hängst du da mit drin und hast jetzt Gewissensbisse? War die Sache mit dem Kanonier auch ein Teil eures Plans?"
Sie schaut mich mit großen Augen an, als ob meine Frage völlig abwegig wäre. Wenn ich meutern wollte, würde ich auch die Frau einbeziehen, die am nächsten am Kapitän ist.
„Nein!", antwortet Alisea gepresst. "Sie wollen die Frauen über Bord werfen und zurück nach Italien segeln. Sie wollen nicht mit Sklavenhandel in Verbindung gebracht werden!" Alisea weicht einen Schritt vor mir zurück, aber ihr Blick ist immer noch starr auf mich gerichtet.
„Und 'sie' ist wer? Namen? Ich will Namen!" Ich gehe einen Schritt auf sie zu, sodass sie in Griff weite von mir ist.
„Denkst du etwa, nachdem ich sie belauscht habe, gehe ich noch zu ihnen und frage, wie sie heißen? Ich weiß ja nicht mal, wie sie aussehen! Aber es sind fünf oder sechs Italiener. Und sie haben über einen Hamo geredet. Irgendwelche Mannschaften, die anders sind", erklärt sie.
Ich schaue sie forschend an. Mannschaften, die anders sind? Hamo? Er hat etwas geändert an der Konstellation. Sie weiß auf jeden Fall etwas. Meine Hand schnellt vor und sie duckt sich im ersten Moment. Das hält mich aber nicht davon ab, sie am Nacken zu packen und vor mich zu ziehen. Italiener... Oder will sie mich auf die falsche Fährte locken? „Du hast sie also belauscht. Was weißt du noch und wann hast du das gehört?"
Sie drückt ihre Hände gegen meine Brust und versucht, sich auf Abstand zu bringen, also lege ich die andere Hand auf ihren unteren Rücken und ziehe sie enger an mich.
„Ehm... Das erste Mal vor ein paar Tagen... Dann, als ich in dem Käfig eingesperrt war. Und heute wieder." Sie presst kurz die Lippen aufeinander. „Sie haben wohl ein paar Vorräte versteckt und nicht alles über Bord geworfen. Und sie wollen noch mehr Leute auf ihre Seite ziehen. Eigentlich wollten sie die Mannschaft erst mehr aushungern lassen, aber sie fürchten, sie schaffen dann den Weg zurück nach Italien nicht mehr."
Ich bemerke einen Anflug von Angst in ihrem Gesicht, aber keine Anhaltspunkte, dass sie lügt. Warum sie nicht früher etwas gesagt hat, brauche ich gar nicht zu fragen. Es ist jetzt auch nicht wichtig. Eigentlich hatte ich mir so etwas schon fast gedacht. Das sind sicher die Grünschnäbel.
„Dritte Tür bevor es zu den Frauenquartieren geht, richtig?", frage ich kurz angebunden.
Sie schaut kurz zur Seite und überlegt, bevor sie nickt.
„Heute Nacht, sagst du?", hake ich nach.
Wieder nickt sie.
„Gut, warten wir ab, was passiert", knurre ich. Und dann werde ich ja sehen, wer sich alles angeschlossen hat. Ich weiß zwar in etwa, wer es ist, aber ich will sie alle erwischen. So lasse ich Alisea los und ziehe mich wieder an. Mal sehen, ob sie überhaupt den Schneit dazu haben, heute Nacht zuzuschlagen. Als ich die Kajüte verlasse, steht Alisea noch an Ort und Stelle und hat sich noch nicht bewegt.
Mein erster Weg führt zu Ote, um ihn zu warnen. Danach erkläre ich ihm: „Wir werden heute einfach alles so machen wie immer. Wenn sie uns alle auf einmal erledigen wollen, müssen sie sich aufteilen. So erwischen wir sicher alle falschen Hunde. Anderenfalls wissen wir nicht, wer alles mitgemacht hätte oder nochmal einen Aufstand anzetteln würde."
Ote, sagt Pepin und Hamo Bescheid und ich gehe noch zu Enrico. Wir wollen nicht so viel Aufsehen erregen, weswegen wir uns aufteilen. Lisa liegt noch immer bei Enrico in der Kajüte.
Bevor ich ihm etwas über die Meuterei erzählen kann, berichtet der Arzt mir: „Ich weiß nicht, ob sie die Nacht übersteht. Es sah erst gut aus, aber jetzt fiebert sie hoch. Es kann sein, dass sie doch zu viel Blut verloren hat."
Ich gehe zu der Liege und schaue sie an. Schweiß perlt ihr von der Stirn und dennoch sieht sie bleich aus. Während ich sie betrachte, sage ich Enrico aber: „Die neuen Italiener wollen heute Nacht wohl meutern. Das hat mir Alisea erzählt. Sie hat sie belauscht."
„Meutern... hmm... Deshalb hat mich Alisea heute gefragt, ob ich mit dem Degen umgehen kann. Ich habe mich schon gewundert, warum sie mich das gefragt hat." Enrico sieht mich ein dringlich an. „Pass auf mit ihr. Vielleicht wollte sie es auch nur wissen, um es denen zu sagen. Frauen kann man nicht trauen."
Ich hebe kurz die Schultern. „Der Gedanke kam mir auch schon, aber warum sollte sie mich denn vorwarnen? Das macht dann keinen Sinn."
„Der Verstand einer Frau eben. Sie sind nicht besonders helle. Pass einfach auf, dass sie dich nicht plötzlich angreift."
„Das werde ich, keine Angst. Ich lasse mich sicher nicht von einer Frau umbringen. Wir werden jetzt jedenfalls warten. Die anderen wissen auch Bescheid. Wenn sie uns alle erledigen wollen, müssen sie sich aufteilen und mit ein paar Grünschnäbeln, kommen wir klar, oder?"
„Sicher. Ich bin die Nacht sowieso wach. Ich muss nach der Frau hier gucken und werde noch alles probieren, damit sie überlebt."
„Prima, dann sehen wir uns heute Nacht zum Schlachtfest, falls es diesen Angriff wirklich gibt."
„Mein Säbel ist gewetzt."
Ich verabschiede mich und gehe wieder zurück zu Alisea, damit kein Verdacht aufkommt, dass wir vorbereitet sind.
Sie hat sich mittlerweile wieder das Kleid angezogen und sitzt auf der Chaiselongue. Allerdings steht sie direkt auf, als ich die Kajüte betrete.
Ich schaue sie einen Moment an. Hat sie mir wirklich die Wahrheit gesagt? Aber ich halte sie nicht für so dumm, wie Enrico es tut. Es würde keinen Sinn ergeben, mir Bescheid zu sagen, um mich dann von hinten zu erstechen. Oder es ist deren genialer Plan, da sie wissen, wie gut ich mit dem Degen umgehen kann und sie mir nicht gewachsen sind.
Ohne etwas zu ihr zu sagen, gehe ich zum Bett und ziehe dort meinen zweiten Degen heraus. Ich darf nichts riskieren. Alisea sollte ihn nicht in die Finger bekommen. Ich kann sie auch nicht auf dem Sofa schlafen lassen, denn wenn sie wirklich nichts damit zu tun hat, könnten sie Alisea als Geisel nehmen. Gut, das könnten sie auch, wenn sie damit etwas zu tun hat, um mich zu bedrohen. Vielleicht ist sie ja auch nur eine gute Schauspielerin.
Wieder wandert mein Blick zu ihr. Sie steht viel zu nah an der Tür. Ich weiß ja nicht, wann sie kommen werden. Es wird schon dunkel. „Geh ins Bett. Jetzt!"
Ihre Augen werden groß. „Nein! Ich kann dort nicht zur Seite raus! Vielleicht der Bettkasten? Nein..." Sie schüttelt den Kopf und begreift wohl selbst, dass sie da drin ersticken würde. Ihr Blick wandert durch das Zimmer und gerade, als ich wirklich ungeduldig werde, setzt sie sich endlich in Bewegung, geht ins Bett und rutscht wieder ganz durch zur Wand.
Ich nehme den Degen und gehe zu meinem Schreibtisch. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie mir erschrocken nachguckt. Sie dachte wohl ich lege mich jetzt zu ihr, dabei wollte ich sie nur von der Tür weg haben. Ich werde sicher nicht ihr Leben riskieren.
Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch, stelle den Degen griffbereit und hole mein Logbuch heraus. Vielleicht kommen sie ja auch schon, bevor ich müde werde, aber vermutlich erst, wenn ich die Öllampe lösche.
So schreibe ich in aller Ruhe meinen Bericht vom heutigen Tag und der ist lang. Erst dann lade ich meine Pistole und lege sie mir griffbereit zurecht. Mit dem Degen in der Hand lösche ich das Licht und gehe zu Alisea ins Bett.
Diesmal ziehe ich mich nicht aus und verlange es auch von ihr nicht. Jetzt heißt es abwarten. Vielleicht mache ich noch ein wenig die Augen zu, denn ich habe ja ohnehin keinen festen Schlaf.
„Willst du jetzt wirklich schlafen?!" Ihre Stimme ist nur ein leises Flüstern und die Angst ist unüberhörbar.
„Mhhm", brumme ich nur und ziehe die Decke etwas hoch. Ich kann ohne nicht so gut schlafen und die Meuterer müssen ja nicht sofort sehen, dass ich angezogen bin.
Alisea dreht sich in meine Richtung. Trotz Dunkelheit kann ich erkennen, dass sie die Augen weit geöffnet hat. Ob sie nur darauf wartet, dass ich einschlafe?
Unter der Decke spüre ich eine Bewegung und sie greift nach meiner Hand. Dann zieht sie ihre Hand aber schnell wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Den Degen habe ich vor das Bett gelegt. Wollte sie fühlen, ob ich ihn in der Hand habe? Doch dann spüre ich, wie sie leicht zittert. Sie hat Angst. Das sieht nicht danach aus, als würde sie mit ihnen zusammenarbeiten.
Enrico hat mir diesen Floh nur ins Ohr gesetzt.
Ich würde sie jetzt liebend gern in meine Arme ziehen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen braucht, aber ich muss flexibel bleiben, wenn sie herein gestürmtkommen. Da kann ich sie nicht gerade festhalten.
So nicke ich sogar nach einiger Zeit ein.
...
Ich bin sofort hellwach, als ich das leise Quietschen der Tür höre. Dann vernehme ich leise Stiefelschritte. Zwei Männer also. Nein, drei.
Alisea greift unter der Decke wieder nach mir, als wenn sie mich wecken will. Aber ich ignoriere es, um mich auf die Schritte zu konzentrieren.
Einer der Männer geht wohl weiter in die Kajüte hinein, während die anderen beiden Meuterer auf das Bett zugehen.
Aliseas Fingernägel graben sich in meine Hand und ihre Atmung beschleunigt sich. Ich höre einen der Meuterer flüstern, der aber noch nicht in Reichweite meines Degen ist.
„Psssst.... Kleine..."
Er hat wohl bemerkt, dass Alisea wach ist. Wahrscheinlich guckt sie auch noch zu ihnen rüber.
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