53 - Das Geständnis
„Ja, die Frauen sind eben das schwächere Geschlecht. Es ist so und war schon immer so. Sie müssen beschützt werden oder ..." Er schaut mich eindringlich an, bevor er weiter spricht. „Oder sie werden von Piraten entführt. Wo ist denn dein Geliebter jetzt? Kann er dich schützen? Du hast dir den Falschen ausgesucht. Vielleicht hätte deine Mutter dir das mal sagen sollen."
Für einen Moment konnte ich wirklich vergessen, welcher Zukunft ich entgegen steuere. Es war schön, ein wenig an meine Kindheitstage zu denken. Auch, wenn sie oft schmerzhaft war. Aber ich war frei gewesen!
Und nun, wo Lestat wieder von Nouel spricht, spüre ich einen Stich der Enttäuschung in meinem Herzen. Nouel hat mich angelogen und mich glauben lassen, ich sei von ihm schwanger. Mein erster Instinkt ist, zu leugnen, dass Nouel mein Geliebter ist.
Oder war. Aber was spielt das für eine Rolle? Zumal es Lestat nun wirklich nichts angeht. Ich weiß ja selber nicht, warum ich Nouel am Port geküsst habe. Liebe war es sicher nicht. Vielleicht hatte ich gehofft, es könnte Liebe werden.
„Hätte mich überhaupt jemand beschützen können in dieser Situation? Vermutlich lässt sich Feuer nur mit Feuer bekämpfen."
Lestat lacht auf, aber es ist ein ehrliches Lachen, kein gemeines. Dann verstummt er aber und redet etwas ernster. „Ich hätte dich niemals in einer Holzkiste mit so einer Fracht mitgenommen. Es war doch klar, dass jemand von der Beute erfährt. Das war dumm und fertig!" Er schaut zu mir und lächelt, aber schüttelt kurz darauf den Kopf. „Zumal ein Schiffsjunge sich niemals herausnehmen sollte, eine Baronesse zu entführen. Warum bist du darauf eingegangen? Was war es? Die Abenteuerlust oder wegen ihm? Was hat er dir versprochen? Ich verstehe es nicht."
Das muss er auch nicht verstehen und ich will auch gar nicht, dass er all meine Sorgen und Wünsche kennt. Daher sage ich das Nötigste: „Ein Abenteuer. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich sprach er davon, dass wir uns eine Zukunft aufbauen könnten und er genug Geld hätte, aber wir wussten beide, dass ich diesen Grafen heiraten muss. In den Jahren zuvor konnte ich alle Anwärter vertreiben, aber diesmal war schon mein Kleiderschrank ausgeräumt."
Es klang alles so einfach, so verlockend, als Nouel mir davon erzählt hatte. Und ich vertraute ihm, weil er mein bester Freund ist.
„Er ist ein Träumer, der dir nichts gebracht hätte. Selbst wenn ihr es geschafft hättet. Wie hätte er dich schützen können? Vielleicht wärt ihr angekommen und dann? Ihr hättet nicht einfach mit dem Gold abhauen können, ohne verfolgt zu werden." Lestat macht eine Pause und ich weiß nicht ob ich dazu etwas sagen soll oder auch kann.
Doch dann redet er bereits weiter: „Dazu hättet ihr mehr gebraucht. Männer... viele Männer. Und dazu Loyalität. Mit Gold kann man sich Soldaten kaufen, aber keine Loyalität. Ote, Hamo und Pepin, sind enge Vertraute von mir. Wir haben Seite an Seite gekämpft und hätten unser Leben füreinander gegeben. Erst wenn es brenzlig wird, weißt du, wer wirklich an deiner Seite steht.
„Na, da kann ich ja froh sein, dass es für mich bisher nie gefährlich wurde. Naja, dieses eine Mal. Aber Nouel hielt zu mir. Und wie ich schon sagte, so wusste zumindest ich, dass ich nie mit ihm hätte durchbrennen können und ich sagte es ihm auch."
Ich schweige nun und sehe Lestat abwartend an. Ob ich ihn fragen soll, ob es typisch für einen Mann ist, Versprechungen zu machen, um eine Frau zu gewinnen? Aber er wird es wohl abstreiten. Andererseits sind ihm Frauen doch eh egal. „Du bist ein Pirat, du kennst natürlich die Gefahren. Ich kannte sie nicht. Und Nouel wollte mich wohl nur beeindrucken. Oder mir eine Freude machen, weil er weiß, dass ich schon immer mal auf einer Galeone segeln wollte."
„Tja, er war eben dumm. Er sagte mir schon wie sehr er dich liebt. Ich finde jedoch, wenn er das getan hätte, dann wärst du nie auf dem Schiff gewesen. er hätte dir zuliebe, dich loslassen müssen. Nicht nur Frauen müssen Opfer bringen. Männer müssen einsehen, wenn sie jemanden in Gefahr bringen." Lestat steht auf. Er wirkt jetzt angespannt und schaut zur Tür.
Ich blicke ebenfalls zur Tür und lege dabei leicht die Stirn in Falten. War da ein Geräusch? Oder warum ist er plötzlich so anders?
„Ich habe noch zu tun." Mehr sagt er nicht und geht plötzlich. Ich höre noch den Schlüssel von außen knacken.
Ich starre mehrere Minuten einfach nur die Tür an und weiß nicht, ob ich erleichtert oder traurig sein soll, dass er weg ist. Warum habe ich so lange mit ihm geredet und soviel über mich erzählt?
Es ist ihm doch alles egal. Habe ich mich wirklich so sehr nach einem Gespräch gesehnt, dass mir am Ende egal war, dass ich ausgerechnet mit ihm rede? Ich habe ja auch nicht besonders viel über ihn herausgefunden. Wir haben fast nur über mich gesprochen.
Seufzend stehe ich auf und gehe wieder zur Chaiselongue, um mich halbwegs bequem darauf zu legen. Während ich meine Periode habe, wird er mich wohl kaum in seinem Bett haben wollen. Zudem weiß ich nicht, wie dicht die Hose mit den Einlagen ist. Und ich bin tatsächlich gerade sogar ganz froh darum, dass ich meine Regelblutung habe.
Aber das führt mir wieder vor Augen, dass ich dringend mit Nouel reden muss. Allerdings sprach Lestat von einer verschwundenen Frau. Vielleicht meinte er ja das Mädchen? Aber hat Pepin ihm nicht schon alles erzählt? Was, wenn Pepin nur das Nötigste sagte? Das erklärt natürlich auch, warum Lestat mich noch nicht bestraft hat. Denn Rücksicht hätte er auf meine Gefühle sicher nicht genommen.
Immer wieder schaue ich zur Tür, aber er kommt nicht zurück und so schlafe ich nach einer Weile auf der Chaiselongue ein.
...
Ich werde wach, weil plötzlich Hände nach mir greifen und ich hoch gehoben werde. Sofort fange ich an zu strampeln und schlage auf die Person ein, obwohl ich so müde bin, dass ich nicht mal weiß, wohin ich schlage.
Ehe ich mich versehen kann werden mein Hände fixiert und ich höre Lestats laute, aufgebrachte Stimme: „Es reicht jetzt! Halt still!"
Und dann falle ich. Ein Schrei entweicht meiner Kehle und da merke ich erst, dass ich weich gelandet bin. Ich schaue mich um. Das Bett. Dann gucke ich zu ihm auf. Er steht davor und reibt sich über das Auge. Da sehe ich, dass es rot ist. Scheiße... hab ich ihm ein Veilchen gehauen?
Ich weiß, ich sollte mich eigentlich entschuldigen. Aber er kann mich doch nicht einfach wie ein Spielzeug behandeln und mich vom Sofa zum Bett tragen, nur, weil es ihm gefällt! Also setze ich mich im Bett auf und will wieder heraussteigen. „Ich habe meine Blutung! Ich werde drüben schlafen!"
Ich schleudere plötzlich zurück und merke erst den heftigen Schmerz in meinem Gesicht, als ich schon gegen die Wand geknallt bin. Er hat mich geschlagen! Kurz muss ich mich neu orientieren, weil sich für einen Moment alles dreht.
Seine Stimme ist wieder herrisch laut und lässt mein Blut in den Adern gefrieren: „Glaube nie wieder, dass du hier das Sagen hast, Prinzessin. Leg dich hin, sonst zeige ich dir gleich noch mal, wer und wo du bist!"
Ich lege eine Hand an meine schmerzende Wange und werfe ihm einen wütenden Blick zu. Aber ich lege mich hin. Dabei bleibe ich mit dem Rücken zur Wand, denn ich mag mich mit meinem schmerzenden Kopf nicht umdrehen.
Lestat sieht wütend zu mir und schnauzt mich weiter an: „Das wird wohl ein blaues Auge, was jeder sieht und das kann ich dir sicher nicht durchgehen lassen! Du bist wieder zu weit gegangen. Ich müsste dich dafür an Deck zerren und schlagen lassen, damit niemand auf die Idee kommt, dass ich mir so etwas gefallen lasse!"
Mit den Worten legt er sich zu mir ins Bett. Dann zieht er die Decke hoch, aber nicht über mich. Er umarmt mich diesmal auch nicht, sondern dreht sich von mir weg.
Sofort entgegne ich wütend: „Ich habe geschlafen!" Was erwartet er eigentlich? Ich bin auf einem Piratenschiff und er greift einfach nach mir! So, wie der Pirat vor ein paar Tagen nach mir gegriffen hatte, als ich das Mädchen festhielt!
Tränen sammeln sich in meinen Augen, aber ich schlucke sie runter. Immerhin war es seine Schuld! Er hätte mich einfach schlafen lassen können!
...
Am nächsten Morgen werde ich wach, als er gerade aufsteht. Erst tue ich so, als ob ich noch schlafe, aber als er angezogen ist und gehen will, richte ich mich auf.
Ich habe die Nacht kaum schlafen können. Zum einen, weil ich an das Mädchen und den Piraten denken musste. Und zum anderen, weil ich wirklich wütend auf Lestat bin.
Sein rechtes Auge ist gerötet und sogar leicht geschwollen und ich fürchte, es wird sich bald blau färben. Dabei dachte ich, ich hätte gar nicht so fest zugeschlagen.
„Darf ich heute mit Guilia reden?" Dabei kenne ich die Antwort doch schon. Trotzdem kann und will ich nicht so einfach aufgeben.
Er öffnet die Tür und sagt dabei:„Nein."
„Lestat! Warte!" Ach du meine Güte... Habe ich gerade wirklich seinen Namen laut gesagt?
Er hält inne und dreht sich zu mir um. „Nein, auch nicht wenn du bettelst! Die Antwort bleibt gleich."
Ich rutsche bis zur Bettkante und nehme all meinen Mut zusammen. Ich muss es endlich sagen! Er wird mich nicht verstehen, aber wenn er mich hier gefangen hält, wegen der Frau... Nein, wegen dem Mädchen, dann muss er die Wahrheit dahinter wissen! „Die vermisste Frau... es war ein Mädchen, nicht wahr? Jung, braune Haare, braune Augen, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt... Keine erwachsene Frau."
Er schließt die Tür wieder und schaut mich musternd an, sagt aber nichts, daher rede ich weiter: „Ich... Ich war an Deck an dem Tag."
Ich senke den Blick, weil ich fürchte, ich traue mich nicht mehr, weiterzusprechen, wenn ich ihn länger ansehe. „Ich dachte erst, ich kann vielleicht auf das andere Schiff flüchten in all dem Chaos. Aber es war viel zu voll und chaotisch an Bord."
Meine Stimme überschlägt sich fast, weil ich immer schneller rede, aus Angst, er unterbricht mich. Oder schlägt mich gleich wieder. „Ich wollte wieder zurück in die Kajüte. Wirklich! Aber dann sah ich das Mädchen, das über die Reling springen wollte und ich hielt sie fest. Aber ich wurde von ihr weggezerrt und sie sprang doch..."
Ich wische mir schnell die Tränen weg und rede weiter: „Sie konnte nicht schwimmen. Und da waren bestimmt wieder Haie ... Sie ... Sie ist einfach gesprungen..."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro