31 - Das Logbuch
Ich schlage müde die Augen auf und richte mich langsam auf. Das Bett ist leer und ich seufze erleichtert auf. Trotzdem schaue ich nochmal durch das Zimmer. Aber ich bin tatsächlich allein.
Mein Blick bleibt einen Moment am Schreibtisch hängen. Dort, wo Lestat und Ote gestern den Schmuck meiner Mutter angegrabscht haben. Und dann hat Lestat mich anschließend wieder gefesselt und aufgehangen! Dieser Mann besitzt keinerlei Taktgefühl und hat mir vorgeworfen, ich seimaterialistisch. Dabei ist er derjenige, der nur ans Geld denkt!
Dabei sind es für mich Erinnerungsstücke. Hatte ich ihm davon erzählt? Oder war das nur ein Traum? Ich weiß nur noch, dass ich so schrecklich müde war, nachdem ich geweint hatte, weil sie mir das Erbe meiner Mutter weggenommen haben.
Um mich abzulenken, stehe ich auf und gehe zur Tür, um zu gucken, ob sie auch tagsüber abgeschlossen ist. Sie ist aber offen. Sogleich schließe ich sie wieder, denn ich wollte ja nicht raus. Meine Augen brennen etwas, weil ich so viel geweint habe und ich sehe sicher schrecklich aus.
Langsam drehe ich mich im Kreis. Auf dem Tisch steht etwas zu Essen und Wein, also nehme ich mir davon erst etwas. Dabei gleitet mein Blick immer wieder zu dem Schreibtisch und mir fallen die Worte von Nouel ein.
Ich muss herausfinden, wo und wann wir anlegen! Also stehe ich auf, gehe zum Schreibtisch und öffne leise die Schublade. Ein dickes, in Leder gebundenes Buch liegt dort und ich greife sofort danach. Ein Zettel fällt heraus, den ich direkt aufhebe und mir kurz ansehe.
Eine seltsame Zeichnung. Ist das eine Sternkarte? Oder Städte auf einer Landkarte? Die Punkte, die auf dem Zettel verteilt sind, ergeben für mich keinen Sinn, also lege ich den Zettel erstmal auf den Tisch.
Danach blättere ich das Buch durch, bis ich zum aktuellsten Eintrag komme und lese ihn schnell durch, während Übelkeit in mir aufsteigt. Lestat beschreibt dort, was gestern vorgefallen ist. Eine Frau wurde von sechs Männern vergewaltigt und schwer verletzt. Sie starb an dieser Verletzung und mit den Männern wurden die Haie gefüttert. Die Art, wie detailliert und zugleich sachlich Lestat diesen Vorfall beschreibt, lässt mich erschauern.
Ich sehe allerdings nicht, dass ein Reiseziel benannt wird und blättere daher ein paar Tage zurück. Dann finde ich einen Eintrag von dem Angriff auf die Vierge Marie. Darin steht, dass sie neben wertvoller Frachtauch zwei Gefangene mit an Bord genommen haben.
Nouel und mich ... Natürlich werden wir nicht namentlich erwähnt.
Hier steht auch, dass bei dem Angriff ein paar Männer starben. Die Namen stehen wiederum dabei. Zusätzlich werden noch die verwundeten Männer aufgelistet mit ihren Verletzungen. Und dann steht da noch, dass sechs Männer von der Vierge Marie bei der Black Curesana angeheuert haben.
Diese Männer wurden den Pulverjungen zugeordnet, bis sie sich bewährt haben. Sogar die Namen stehen ...
Moment!
Ich blättere wieder auf den gestrigen Eintrag und vergleiche die Namen. Und sie stimmen überein!
Entsetzt lasse ich mich auf den Stuhl sinken, springe aber sofort wieder auf. Nicht, weil mein Hintern schmerzt. Nun, er tut schon noch weh. Aber ich glaube ein Geräusch gehört zu haben.
Eilig lege ich den losen Zettel in die Seite und achte darauf, dass ich das Buch wieder an exakt dieselbe Stelle lege. Dann schließe ich leise die Schublade und gehe zum Bücherregal.
Es bleibt allerdings ruhig und niemand reißt die Tür auf. Also atme ich erleichtert auf, greife ziellos nach ein paar Büchern und blättere sie durch. Allerdings kann ich mich nicht auf den Text konzentrieren und denke immer wieder an Nouel. Eine leise Stimme in mir fragt sich, ob Nouel wirklich hätte für mich sorgen können. Immerhin sagte Nouel mir, das Geld würde reichen.
Die abfälligen Worte von Lestat fallen mir wieder ein. Und wie er den Schmuck meiner Mutter angefasst hat. Schmuck, der indessen die Piraten bereichert. Ebenso wie weitere Teile meiner Aussteuer.
Das Gold...
Mein Vater sagte, er hätte den Grafen bezahlen müssen, damit er mich nimmt. Und hatten die Piraten nicht nach Gold gesucht? Ich weiß noch, dass einer der Piraten schimpfte, als Lestat Nouel mit der Waffe schlug, weil sie wissen wollten, wo das Gold ist.
Hatte Nouel es versteckt? Wollte er das Gold nehmen, um sich mit mir ein neues Leben aufzubauen? Einen Moment bin ich von dem Gedanken entsetzt. Das wäre Diebstahl! Andererseits war es meine Aussteuer. Und hätte ich Nouel geheiratet, dann wäre es doch eh in seinen Besitz übergegangen. Ebenso wie der Schmuck.
Aber jetzt gehört alles den Piraten ... Diesem Dreckspack!
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich Schreie höre und lasse dabei fast das Buch fallen, das ich nun schnell zurück ins Regal lege. Die Schreie sind eindeutig von Frauen und ich glaube sogar, ich habe die Stimme von Guilia gehört.
Mir läuft es kalt den Rücken herunter, als ich die langgezogenen Schmerzensschreie höre. Sofort renne ich zur Tür und reiße sie auf. Die Schreie werden lauter und ich folge ihnen, bis ich vor der Treppe stehe, die hoch aufs Deck führt.
Mein Instinkt rät mir, mich umzudrehen und zurück in die Kajüte zu gehen. Ich glaube auch nicht, dass es Neugierde ist, die mich dazu treibt, die Treppe hinaufzugehen und die Tür zu öffnen, die aufs Deck führt.
Mein Magen rebelliert, als ich mehrere nackte Frauen sehe, die teilweise mit dem Rücken auf dem Boden liegen, teilweise mit den Händen an einem Mast gefesselt sind. Und die Männer ... Oh Gott! Sie vergreifen sich an den Frauen! Und Guilia ist unter ihnen!
Wie erstarrt bleibe ich an der Tür stehen und kann nicht glauben, was ich da sehe!
Plötzlich packt mich jemand von hinten und zieht mich mit einem Ruck von der Tür weg. Ich trete sofort um mich. Nein ...! Sie haben mich nun auch!
Doch dann höre ich die aufgebrachte Stimme von Lestat: "Hast du nicht mehr alle Latten am Zaun? Was machst du hier?"
Ich bin viel zu verschreckt von den Bildern und der Angst, dass ein Pirat mich dort ebenfalls hingezogen hätte. Und zeitgleich bin ich unendlich erleichtert und froh, Lestat zu sehen.
„Was...?" Ich kann nicht mal inWorte fassen, wie bestürzt ich bin und zucke zusammen, als ich einen spitzen Schmerzensschrei höre.
„Du hast hier nichts zu suchen!" Er packt mich und schmeißt mich wie einen nassen Sack über seine Schulter. Ich bin so perplex, dass ich gar nicht reagiere.
In der Kajüte lässt er mich wieder herunter und schaut mich wütend an. „Was hattest du da gerade vor?Wolltest du entjungfert werden und damit deinen Wert mindern?"
Ich öffne den Mund, klappe ihn aber sofort wieder zu. Die Schreie der Frauen ebben zum Glück etwas ab, aber es ist trotzdem unerträglich für mich. „Wert mindern...?", frage ich irritiert. Langsam entferne ich mich von Lestat und setze mich an den Tisch. Möglichst weit weg von ihm.
Er mustert mich mit einem stechenden Blick und steht einfach nur da. Dann schüttelt er den Kopf. „Ich sollte dich besser nicht mehr hier raus lassen. Du hast wirklich nur Mist im Sinn! Ist dir klar, was dir hätte passieren können, wenn ich dich nicht gesehen hätte?"
Ich senke den Blick und versuche diese schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben. Die Männer, die mit herunter gelassener Hose bei den Frauen waren. Und zeitgleich steigt unbändige Wut in mir hoch, weil Lestat nur an seinen Gewinn denkt und die Tatsache, dass ich weniger Wert wäre, wenn die Piraten da oben gerade mit mir...
Wieder höre ich einen schrillen Schrei und halte mir mit beiden Händen die Ohren zu. „Sie sollen aufhören!"
„Die Frauen sollen nur geschwängert werden. Halte dir ruhig die Ohren zu, aber das dauert noch eine Weile. In der Zeit wirst du hier bleiben und keinen Fuß mehr vor die Tür setzen!"
Er dreht sich um und ich sehe wie er seinen Schlüssel aus der Tasche zieht. „Ich kann jetzt nicht bei dir bleiben. Ich habe auch meine Pflichten." Mit dem Satz verlässt er die Kajüte und ich höre trotz der Schreie, wie er von außen abschließt.
Ich ziehe die Beine eng an meinen Körper, lege mein Kinn auf die Knie und versuche die Geräusche auszublenden, die dumpf herunter dringen. Nach einer Weile wird es tatsächlich leiser und irgendwann wird es sogar unheimlich still.
Mein Hintern ist schon längst eingeschlafen und ich überlege, ob ich etwas von der Salbe nehme. Aber die Schmerzen sind mittlerweile auszuhalten. Die Zeit vergeht nur langsam und ich schaffe es einfach nicht, mich aufzuraffen, um mir doch noch ein Buch zu holen, welches mir wenigstens etwas Ablenkung bieten würde.
Ich bin Jungfrau ... Und deswegen wohl viel Wert. Bestimmt bin ich nur deswegen hier bei Lestat und "genieße" seinen Schutz, wie Guilia es mal formulierte.
Mein Blick wandert wieder zum Schreibtisch. Aus dem Logbuch konnte ich nicht entnehmen wohin wir segeln. Wobei ich gerade ohnehin nicht zu Nouel kann, denn ich bin hier eingesperrt. Aber er wird sicher enttäuscht sein.
Wir müssen doch hier weg! Er muss sich doch um seine Familie kümmern. Ich lege die Hand auf meinen Bauch.
Ich muss stark sein! Für das Kind!
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