195 - Auf in die Karibik
Wir haben doch einige Überläufer, nachdem ich den vorlauten Quartiermeister umgebracht habe. Sie kommen jetzt noch über die Planke. Ihre Hände sind zur Sicherheit gefesselt. Normalerweise würde sich jetzt Hamo um sie kümmern, aber er hat noch Nicole über der Schulter.
„Wohin soll ich die Schreckschraube hier bringen?", fragt dieser.
„Können wir ein Mannschaftsquartier räumen für die Frauen?", hake ich nach.
Hamo hebt die Augenbrauen. „Soll ich sie nicht in den Frachtraum bringen? Da ist doch alles, was die Frauen brauchen."
Ich schaue zu Guilia und schüttele den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich will nicht, dass es so aussieht, als wären die Frauen Freiwild. Das sind sie nämlich nicht. Und holt die Planken ein."
Ote reibt sich kurz am Hals. „Wir räumen ein Mannschaftsraum in der Nähe der Kapitänskajüte und die gehört natürlich wieder dir."
Ich schaue zu Ote, aber bevor ich widersprechen kann, grinst er mich breit an. „Komm schon, du bist doch wieder voll in deinem Element, Bruder."
Da hat er recht. Irgendwie fühlt es sich gerade an, als ob ich nie weg war. Nur, dass neben mir meine Frau steht. Die sehr verloren in die Leere starrt. Ich reiche ihr Cedric und sie schreckt etwas auf. „Nimm du ihn wieder und geh schon mal in die Kajüte."
Alisea streichelt Cedric und haucht ihm einen Kuss auf das Köpfchen. „Ich kümmere mich um das Zimmer für die anderen Frauen."
Die Frauen folgen ihr und auch Hamo geht ihnen hinterher, da er noch Nicole auf der Schulter hat.
Ote beugt sich etwas zu mir herüber und schlägt vor: „Wir sollten den Frauen einen Schlüssel zu ihrer Kajüte geben, damit sie nachts abschließen können. Und wir müssen unseren Männern klarmachen, dass die Frauen nicht zu ihrem Vergnügen an Bord sind."
„Da hast du recht, das müssen wir den Männern sagen und wenn wir außer Reichweite von Machands Schiff sind, können wir reden."
„Willst du es im Meer versenken? Wir haben kaum Wertsachen dort gefunden. Und die Frauen hatten wirklich nur eine Tasche als Gepäck dabei?" Ote zieht kurz die Stirn kraus und wir gehen zum Steuer, um das Schiff auf Kurs zu bringen.
Dort wartet Pepin schon und grinst mich breit an. „Was haben wir denn da aufgegabelt? Ich habe gedacht, ich traue meinen Augen nicht, als ich dich am Steuer gesehen habe."
„Ja, das ist eigentlich eine doofe Geschichte. Ich habe Marchand getötet und danach mussten wir die Beine in die Hand nehmen."
Pepin schmunzelt. „Dem trauert doch keiner nach. Und wohin wolltet ihr segeln?" Sein Gesicht ist kurz ernst, bevor er wieder grinst. „Oder willst du den Kleinen an Bord eines Schiffes großziehen?"
Ich rolle mit den Augen. „Mit Sicherheit nicht, aber uns blieb ja nichts anderes übrig, als das nächst beste Schiff zu nehmen. Wir wollten eigentlich Richtung Karibik. Was ein Schicksal, dass ihr gerade unser Schiff angreift. Wer weiß, wenn ich Marchand nicht getötet hätte, wäre er wahrscheinlich euch ins Netz gegangen. Euch hätte ich es auch gegönnt." Seufzend gebe ich zu: „Aber es tut mir auch nicht leid, ihn umgebracht zu haben. Er hat Alisea geschlagen und meinen Sohn bedroht. Da habe ich eben rotgesehen."
Ote kneift die Augen wütend zusammen und verschränkt die Arme, schweigt allerdings.
Pepin schaut kurz in den Himmel und sieht dann erst zu mir und danach zu Ote. „Also ich hätte nichts dagegen, wenn wir in die Karibik segeln. Was sagst du dazu, Ote?"
„Ich folge Lestat überallhin", erklärt Ote sofort. Dabei sieht er mich etwas länger an und ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. Er weiß ja, wo meine Mutter lebt und zählt bestimmt eins und eins zusammen.
Pepin grinst. „Also, wohin soll ich den Kurs setzen? Oder willst du das Steuer übernehmen, Lestat?"
„Wir müssen noch einen unauffälligen Halt machen, wenn ihr versteht, was ich meine?! Ich konnte auf die Schnelle nicht genug Geld mitnehmen." Ich brauche mein gespartes Gold, damit es meiner Familie gut geht. Wozu sollten wir es zurücklassen? „Danach steuern wir einen Hafen in Portugal an, wo wir unser Proviant auffüllen, denn die Überfahrt wird sicher sechs bis acht Wochen dauern.
„Aye, Kapitän." Er grinst bis über beide Ohren und reicht mir das Steuer, um ins Bett zu gehen.
Ote entschuldigt sich auch, um für die Frauen ein Quartier leerzuräumen. Da Beatrice schon etwas älter ist, bekommt sie von Ote sogar das Bett, während er sich eine Hängematte ins Zimmer hängt.
Die anderen Frauen kommen mit den Hängematten zurecht und sie bekommen auch einen Schlüssel zu ihrer Kajüte, die nur ein paar Türen weiter ist.
...
Nachdem wir unsere Schätze an Bord geholt haben, geht es weiter nach Portugal, wo wir noch einen Zwischenstop machen. Die Frauen kaufen sich dort auch noch ein paar Dinge, vorrangig Stoffe, denn sie wollen die Überfahrt nutzen, um sich Kleider zu nähen.
Auch Alisea hat für Cedric noch einige Stoffe gekauft, um Mützen, Kleidung und Decken zu nähen.
Meinen Männern habe ich schon am ersten Tag klargemacht, dass sie die Finger von den Frauen lassen sollen. Entsprechend groß war wohl auch der Andrang bei den Freudenhäusern.
Die Überfahrt nach Südamerika war leichter, als wir gedacht haben. Wir kamen in kein großes Unwetter und auch unser Proviant reichte locker aus, bis wir Land entdeckten.
Viele stehen an Deck und schauen fasziniert an die Küste. Es wirkt fast so, als ob wir es gerade selbst entdecken, wie Christoph Columbus. Aber nach so einer langen Reise sind die Meisten nur froh, dass wir endlich am Ziel sind.
Der Hafen, bei dem wir ankommen, ist nicht groß genug für meine Galeone. Wir müssen davor vor Ankergehen und mit dem Beiboot an Land.
Mein erstes Ziel mit Alisea und Cedric ist ein gutes Stück vom Hafen entfernt. Wir finden aber jemand, der uns für ein paar Taler mit einer Kutsche da hinbringt. Durch Alisea weiß ich, dass sich meine Mutter eine Plantage aufgebaut hat. Ich habe ganz schwitzige Hände als wir an der Plantage vorbei zum Hausfahren.
Alisea sitzt, mit Cedrik im Arm, neben mir und schaut auch fasziniert aus der offenen Kutsche. Die Hitzemacht mir nichts aus, denn im Mittelmeer kann es auch ziemlich heiß werden. Und Cedric hat eine Mütze auf, die ihn vor der heißen Sonne schützt.
„Ob sie mich noch erkennen wird?" Je näher wir dem großen Haus kommen, je mehr steigt meine Nervosität.
Alisea lächelt mir zu und drückt meine Hand. „Es ist lange her, aber ich bin mir sicher, dass sie wissen wird, wer vor ihr steht."
Obwohl es richtig warm ist, schläft Cedric selig auf ihrem Schoß. Dabei verpasst er die schöne Fahrt in der Kutsche, die uns nach einer guten halben Stunde zur Zuckerrohrplantage meiner Mutter geführt hat.
Auf den Feldern sehe ich schwarze Sklaven arbeiten. Es gibt ein großes Haus am Rand und mehrere kleinere Häuser auf der anderen Seite. Dazwischen sind ebenfalls einige Häuser.
Es wirkt eher wie ein kleines Dorf und nicht wie ein Anwesen. Sogar Kinder laufen etwas weiter an den Häusern vorbei und ihr Lachen dringt zu uns herüber.
Wir bleiben vor dem Haupthaus stehen und bevor ich aussteigen kann, sehe ich meine Mutter. Sie kommt gerade aus dem Haus. Ihre Kleidung wirkt vornehm, aber in einem schlichten Braun. Ihr Gesicht hat sich kaum verändert und strahlt immer noch dieselbe Herzensgüte aus, die ich so an ihr vermisst habe. Ihre Gesichtszüge sind sanft und das dunkelbraune Haar hat ein paar graue Strähnen.
Mein Blick klebt an ihr und ich greife zum Türgriff, um auszusteigen. Sie steht einfach nur da und sieht zu mir herüber.
Alisea bleibt mit Cedric in der Kutsche sitzen, sodass ich meiner Mutter ganz alleine gegenüber stehe.
Nur langsam kommt meine Mutter auf die Kutsche zu und nur einmal huscht ihr Blick in die Kutsche, aber sofort danach sieht sie wieder zu mir. „Lestat...?"
Sie hat sich kaum verändert. Selbst ihre Stimme ist immer noch so, wie ich sie in Erinnerung habe.
Ich nicke nur, weil mir die Worte fehlen. Sie hat mich erkannt. Irgendwie habe ich mir nicht einmal Gedanken gemacht, was ich zu ihr sagen will. Aber ich kann ja nicht einfach nur hier herumstehen. So gehe ich auch einen Schritt auf sie zu. „Ich habe die Adresse von meiner Frau bekommen", erkläre ich zögernd.
Wieder geht ihr Blick kurz zu Alisea, aber dann sieht sie mich wieder an und überwindet die letzten Meter, in denen sie fast rennt. „Oh, gültiger Gott...!", ruft sie schluchzend. „Mein Junge!" Tränen schimmern in ihren Augen und im nächsten Augenblick umarmt sie mich und drückt mich fest an sich. „Du bist es wirklich! Mein lieber Lestat!"
Also lieb würde ich mich jetzt nicht nennen .... dennoch ziehe ich auch die Arme um sie und drücke sie. Ich habe sie so vermisst und nachdem ich einmal tief eingeatmet habe, erkenne ich sogar wieder ihren Geruch. Ich löse mich nach einer kleinen Weile wieder von ihr. „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich dich wieder sehe, aber die Geschichte kann ich dir später erzählen."
Ich drehe mich leicht zur Seite und zeige auf Alisea und Cedric. „Das sind meine Frau und mein Sohn. Alisea kennst du ja schon und das ist Cedric Belial Matthieu. Unser Sohn."
Erst jetzt rutscht Alisea von der Bank und steigt aus der Kutsche. Sofort bin ich bei ihr, um ihr zu helfen.
„Alisea", flüstert meine Mutter ergriffen. „Es ist so schön, dich wiederzusehen." Sie geht auf Alisea zu und stockt, als sie Cedric sieht. „Er ist ja noch so klein!"
„Ja", erwidert Alisea lächelnd, „er ist erst zwei Monate alt." Sie dreht den schlafenden Cedric vorsichtig und reicht ihn dabei meiner Mutter, die ihn mit einem erfreuten Seufzer auf ihre Arme nimmt. „Ihr müsst mir alles erzählen!"
Alisea schaut zu mir und hebt kurz ihre Augenbrauen. Danach zwinkert sie kurz und lächelt.
Ich nicke knapp. „Das werden wir. Aber gehen wir doch erst rein."
„Ja, natürlich, ihr müsst sehr erschöpft sein. Kommt rein." Wieder ihre Stimme zu hören und ihr Lächeln zu sehen, wirkt gerade so unwirklich auf mich. Ich kann es noch gar nicht recht glauben, dass ich jetzt wirklich bei meiner Mutter bin. So lange habe ich um sie getrauert und sie war die ganze Zeit am Leben.
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