176 - Hochzeit
Ich stehe vor einem riesigen Spiegel in einem Nebenraum der Kirche und kann nicht aufhören, mein Spiegelbild anzusehen. Meine Haare sind hochgesteckt und ich bin sogar leicht geschminkt. Die grüne Kette meiner Mutter ziert meinen Ausschnitt und ich trage das Kleid, welches ich zusammen mit Pepin in Piräus gekauft habe.
Kritisch schaue ich in meinen Ausschnitt und ziehe den Umhang an, der sich vorne schließen lässt. Nur Lestat soll mich in diesem Kleid sehen - später.
Bei dem Gedanken an die Hochzeitsnacht wird mir ganz anders. Die letzten Tage war Lestat unglaublich fürsorglich und umsichtig. Was genau passiert ist, konnte ich ihm nicht sagen. Noch nicht. Aber er hat mich auch nicht dazu gedrängt.
Er kam jeden Morgen und jeden Abend in mein Zimmer. Wir haben im Bett gelegen und er hat mich einfach nur festgehalten. Dabei hat er mir erzählt, was er den ganzen Tag über macht und wie die letzten Tage für ihn waren.
Die Mätressen des alten Grafen waren auch täglich bei mir. Es steht Ihnen frei, zu gehen. Aber Ihre Adelstitel sind verarmt und sie haben keine Chance, einen respektablen Mann zu heiraten. Daher möchten sie meine Freundinnen sein, was mir wirklich schwer gefallen ist.
Pepin, mein Trauzeuge, räuspert sich leise. „Bist du soweit?" Der Pirat hat sich richtig schick gemacht. Das muss er aber auch sein, denn ich wollte Pepin an meiner Seite haben. Und er hat mir bei einer Überraschung für Lestat geholfen. Er und Ninette, die das Meiste für mich organisiert hat.
Wir haben in der Nähe vom Hafen die größte Gaststätte gemietet. Dort werden wir heute feiern. Nicht im Schloss, denn ich weiß, dass sich Lestat dort nicht wohl fühlt.
Zudem habe ich die Kirche für die Hochzeit öffnen lassen. Nach außen hin machen wir eine Speisung für die Armen im Anschluss an die Trauung. In Wirklichkeit ist fast die komplette Besatzung von Lestat in der Kirche. Sie tragen ihre schönsten Hemden, wie Pepin mir versichert hat. Dennoch sehen die meisten von ihnen sicher aus wie Bettler.
„Alisea?", fragt Pepin, um mich daran zu erinnern, dass ich heute besser nicht trödeln sollte.
Ich hole tief Luft und drehe mich zu Pepin um. Mittlerweile kann ich besser laufen. Lestat hat sogar Enrico geholt, weil ich den Hausarzt vom alten Grafen nicht in meiner Nähe haben wollte. Seltsam, dabei fand ich Enrico immer grobschlächtig und unsensibel. Aber seine Medizin hat geholfen. So blieb mir erspart, dass der Fuß erneut aufgeschnitten werden musste, um ihn zu behandeln. Enrico hatte mich trotzdem ausgeschimpft, denn es hätte sich entzünden können und dann hätte ich das Kind verloren.
„Lassen wir die Gäste nicht länger warten."
Pepin reicht mir seinen Arm und ich hake mich bei ihm ein. Draußen im Flur steht mein Vater, der mich wie die letzten Tage kaum beachtet. „Alisea", begrüßt er mich verhalten.
Ich mache einen leichten Knicks und ergreife die Hand meines Vaters. Natürlich traut er sich in Anwesenheit eines Piraten nicht, seine Meinung zu sagen. Denn er ist der Meinung, ich heirate den falschen Mann. Aber ich weiß, Lestat ist der Richtige.
Mein Vater kam vor drei Tagen in Korsika an und gestern ist auch mein Großvater im Schloss angekommen. Sie alle sind über die Entwicklungen überrascht. Mein Großvater hatte gestern Abend noch ein langes Gespräch mit Lestat geführt und ich hätte gerne an der Tür gelauscht. Mein Vater hat missbilligend die Augenbrauen zusammen gekniffen, als er erfuhr, dass ich den Sohn heirate, der inzwischen der neue Graf de Roux ist. Ich fürchte, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, aber in Anwesenheit von meinem Großvater wird er die Füße stillhalten müssen.
Ich gehe mit meinem Vater einen Nebengang entlang, bis wir ganz vorn am Eingang der Kirche sind. Die Orgel fängt an zu spielen und ich zucke bei dem Lärm heftig zusammen.
Die ganze Kirche ist voll, aber ich sehe nur Lestat vorne am Altar stehen. Er sieht unglaublich gut aus, auch wenn es ungewohnt ist, ihn in so feiner Kleidung zu sehen. Sein Blick ruht auf mir und ich habe das Gefühl, dass seine Haltung ganz steif geworden ist.
„Komm", mosert mein Vater, „bringen wir die Maskerade hinter uns."
Ich hebe kurz die Augenbrauen. Meinem Vater ist es ein Dorn im Auge, dass ich Lestat heirate. Es passt ihm gar nicht, dass Lestat nun ein Graf ist und daher in Rang und Titel über ihm steht. Neben meinem Vater schreite ich zum Altar, wo er meine Hand an Lestat übergibt und sich zu meinem Großvater in die erste Reihe setzt.
Der Priester fängt mit seiner Rede an, die komplett in Latein ist. Trotzdem sind alle in der Kirche ganz still und andächtig, als wenn die Gäste jedes Wort aufsaugen. Dabei bin ich mir sicher, dass nicht jeder der Piraten Latein versteht.
Lestat sieht mich die ganze Zeit über an und mit jeder weiteren Minute die verstreicht, wird mir bewusst, dass ich endlich am Ziel bin.
Ich heirate tatsächlich, obwohl ich es nie wollte. Ich werde Mutter, obwohl ich es nie wollte.
Lestat und ich müssen niederknien, damit der Priester uns segnen kann und erst dann senkt er die Stimme und bittet um die Ringe. Lestat hatte mir einen Verlobungsring gekauft, damit er mir nun offiziell den Ring meiner Mutter über den Finger streifen kann. Und auch Lestat hat einen schönen Siegelring, der allerdings nicht von seinem Vater ist, sondern von Belial, wie er mir erzählte.
„Wollt Ihr, Lestat Phillipe Gilbert Graf de Roux, die hier anwesende Alisea Valèrie Elise de Marchand zu Eurer Frau nehmen? Sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?"
Lestat nickt ernst, wobei er mich nicht einen Moment aus den Augen lässt. „Ja ich will, mit Gottes Hilfe!"
Nun wendet sich der Priester an mich und wiederholt seine Worte: „Und wollt Ihr, Alisea Valèrie Elise de Marchand, den hier anwesenden Graf Lestat Phillipe Gilbert de Roux zu Eurem Gemahl nehmen? Ich lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?"
„Ja, ich will. Gott ist mein Zeuge." Meine Stimme zittert und ich bekomme ganz weiche Knie.
Die Eheringe werden gereicht und ich nehme den Ring, um ihn Lestat an den Ringfinger zu stecken. Dabei sind meine Finger so verschwitzt, dass mir der Ring fast aus der Hand fällt. Und ich schaffe es erst im dritten Versuch, ihm den Ring anzulegen.
Lestat nimmt nun den Siegelring meiner Mutter von Ote entgegen und streift ihn über meinen Ringfinger. Danach hält er meine Hand noch etwas länger fest und drückt sie ganz leicht. Er lächelt mir zu und ich erwidere das Lächeln flüchtig, glaube aber, dass es mir völlig missglückt.
Dabei hatte ich mich doch wirklich auf diese Hochzeit gefreut und konnte es kaum erwarten, Lestat das Ja-Wort zu geben. Allerdings wollte ich auch, dass er möglichst bald seinen "Pflichten" als Piratenkapitän nachkommt und ich daheim bleiben und mich um Haus und Kinder kümmern kann.
Mittlerweile will ich nicht mehr, dass er geht. Ich möchte, dass er an meiner Seite bleibt. Aber das wäre egoistisch von mir und er würde wahrscheinlich eingehen, wenn er den Rest seines Lebens in einem Schloss wie diesem verbringen müsste. Kann ich wirklich mein Glück über das eines anderen stellen?
Der Priester spricht weiter und weiter. Lestat und ich müssen erneut niederknien, bis wir endlich den heiligen Bund der Ehe eingegangen sind und uns als Mann und Eheweib erheben dürfen.
Sofort greift Lestat wieder nach meiner Hand. Er sieht glücklich aus und ich hoffe, ich tue es auch.
Wir verlassen Hand in Hand die Kirche und steigen in eine schöne, offene Kutsche, die uns zu dem Gasthaus führen wird, das ich eigens für die Feier gemietet habe. Denn ich möchte, dass Lestat mit seinen Freunden feiert. Das Schiff war wie sein Haus und die Crew wie seine Familie. Ich werde gar nicht erst versuchen, mich dazwischen zu schieben.
Die Bediensteten werden an der Kirche bleiben, um sich dort um die Armenspeisung zu kümmern. Mit den Piraten ist besprochen, dass sie noch länger im der Kirche bleiben und nur im kleinen Gruppen zum Gasthaus gehen. Aber einige Piraten waren gar nicht erst in der Kirche, sondern wollten direkt zum Gasthaus.
„Wirst du schon bald weitersegeln?", frage ich Lestat und versuche, den Wehmut in meiner Stimme zu verbergen. „Oder hast du noch viel zu tun mit der Erbschaft?"
Er schaut mich völlig verwundert an.„Willst du mich etwa ganz schnell wieder loswerden oder warum fragst du das ausgerechnet an unserer Hochzeit?"
Ich öffne den Mund, schließe ihn aber sofort wieder und schaue hinaus auf das Meer, an dem wir gerade entlang fahren. Aber das Gefühl von Abenteuerlust und Fernweh ist fort, wenn ich das Meer sehe. „Eher andersrum. Ich würde dich am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Aber das wäre egoistisch. Das Meer ist deine Heimat, Lestat. Und es schmerzt mich, dass du wegen mir darauf verzichten musst."
Er greift um meine Schulter und zieht mich dichter zu sich. „Ich habe dir doch versprochen, bei der Geburt dabei zu sein und bis dahin weiche ich dir nicht von der Seite. Keine Angst, meine Kleine."
„Aber das sind doch Monate! Du wirst dich doch schon bald langweilen, wenn deine Crew wieder fort ist, um Abenteuer zu erleben." Ich drehe meinen Oberkörper leicht, um ihn besser ansehen zu können. „Ich möchte nicht, dass du bald bereust, mich geheiratet zu haben."
Lestat grinst mich an. „Jetzt genieße einfach den heutigen Tag, mein Eheweib." Dann gibt er mir ein Kuss auf die Stirn. „Ich werde mich schon nicht langweilen und du wirst mich so schnell nicht los."
Seufzend lehne ich meinen Kopf an seine Schulter und greife nach seiner Hand. Lestat hat mich drei Mal verloren und ich sollte mittlerweile wissen, dass er mich um nichts in der Welt mehr hergeben wird.
Wir kommen an dem Gasthaus an und ich sehe, dass davor schon einige Piraten von der Black Curesana stehen, die sich weigerten, ein Gotteshaus zu betreten. Sie jubeln uns zu, als die Kutsche hält und heben freudig ihre Fäuste in die Luft.
„Lestat!"
„Ein Hoch auf Lestat!"
Ich schaue zu Lestat und hoffe, dass meine Überraschung geglückt ist. Ich weiß nämlich nicht, ob er gemerkt hat, dass sogar einige Piraten in der Kirche waren, denn er hatte nur Augen für mich.
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(Etwas spät, sorry. Waren im Kino. 😅)
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