171 - Gute Miene zum bösen Spiel
Ich zwinge mich in die Schuhe und stöhne unter Schmerzen auf. Dabei halte ich nur mühsam die Tränen zurück und lege den Kopf leicht in den Nacken, um sie wegzublinzeln. Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte und beiße dabei die Zähne zusammen. Ich gucke in den Spiegel und zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl ich am liebsten weinen möchte.
Ninette hat mir heute früh wieder das Essen gebracht, meine Haare frisiert und mir in das Kleid geholfen. Danach ist sie gegangen und ich habe den ganzen Morgen gebraucht, bis ich meine Übelkeit in den Griff bekommen habe. Hoffentlich ist das bald vorbei mit der Übelkeit, denn selbst der Geruch vom Blut lässt mich mittlerweile würgen. Dabei muss ich mir am Tag fünf bis sechs Mal im dem Fuß schneiden, um meine Blutung vorzutäuschen.
Ich atme tief durch und lege eine Hand auf meinen Bauch. „Und wenn ich mir den Fuß abhacken muss, damit ich so das Kind behalten kann! Es ist alles, was ich von Lestat noch habe!"
Auch wenn es mir schwerfällt, aber ich muss mich zusammenreißen. Kritisch schaue ich in den Spiegel. Keine Tränen, sehr gut. Es wäre fatal, wenn man mir meine Schmerzen ansieht. Wobei ich mich frage, ob die körperlichen Schmerzen wirklich überwiegen.
'Kopf hoch und lächeln, Alisea. Immer schön lächeln.'
Langsam gehe ich zur Tür und bereite mich dabei jedes mal auf den Schmerz vor, damit ich mich nicht durchs humpeln verrate. Dann öffne ich die Tür, verlasse mein Zimmer und gehe zur Treppe. Scheiße, die muss ich ja auch noch hinunter gehen. Und später wieder hoch.
Ganz vorsichtig setze ich einen Bein nach dem anderen und halte mich dabei an dem Geländer fest. Zum Glück ist meine Hand nicht gebrochen, aber die Finger sind trotzdem noch ganz blau. Daher trage ich blickdichte, dunkelblaue Handschuhe, passend zu meinem Kleid.
Eine halbe Ewigkeit später bin ich endlich unten im Foyer angekommen. Ich muss schneller gehen, damit es nicht auffällt, wie stark die Schmerzen sind. Ich gehe ein paar Schritte in das Foyer hinein und sehe mich um. Wo entlang geht es zum Garten? Allerdings bleibt mir eine lästige und schmerzhafte Suche erspart, denn ich sehe gerade Ninette, die aus einem Zimmer kommt und stockt, als sie mich sieht. „Kann ich Euch helfen?" Sie kommt auf mich zu.
Ich schaue zu Ninette und lächle sie an. Wie gern würde ich sie fragen, ob sie mir von dem jungen Lestat erzählen mag. Aber ich darf mich ihr gegenüber nicht verraten.
'Sei deinen Freunden nah und deinen Feinden noch näher.'
Daher nicke ich und mache dabei eine ausladende Geste. „Ich wollte nun doch in den Garten gehen. Aber ich möchte dir keine Umstände bereiten. Ich muss nur die Richtung wissen." Langsam gehe ich auf Ninette zu und schaue dabei in die Richtung der großen Zimmer zur meiner rechten Seite.
„Oh, da müsst Ihr am Jagdzimmer vorbei. Folgt mir!" Sie lächelt mir zu und deutet ausgerechnet zu der Tür, die am weitesten entfernt ist. Also beiße ich die Zähne zusammen und folge ihr. Dabei betrachte ich wieder die Wände und gebe vor, die Gemälde zu bewundern, um langsamer zu gehen. „Sind das Vorfahren von Graf deRoux?"
„Ja, wobei ein Großteil der Familie vor vielen Jahren nach Amerika auswanderte. Aber dort sind sie in den Krieg geraten, der vor einigen Jahren war."
„Ja, auch ich habe Verwandte verloren beim Siebenjährigen Krieg. Frankreich hat zwei herbe Niederlagen einstecken müssen."
„Nun, mit Politik habe ich mich nicht viel befasst. Aber vor etwa zehn Jahren hat der Graf erfahren, dass seine beiden Brüder und deren Familien gestorben sind. Er ist nunder einzige, männliche Nachfahre vom Haus de Roux."
„In meiner Familie ist das ebenfalls so. Meinem Vater waren Söhne vergönnt, daher ruht die Hoffnung auf mir, dass ich einen Sohn zur Welt bringe." Lestats Sohn! Ich will kein Kind von dem Grafen! Schlimm genug, dass ich mich bald zu diesem widerlichen, alten Sack legen muss. Aber ich werde es erdulden, um das Kind in mir zu retten.
„Auch dem Grafen ist daran gelegen, einen Erben zu zeugen. Wobei er ja schon einen Sohn hat. Er müsste nur Lestat als Sohn anerkennen." Sie seufzt schwer und geht noch etwas langsamer neben mir her, worum ich wirklich dankbar bin. Und die Tatsache, dass sie wieder Lestat anspricht, schmerzt sehr. Sie kann es einfach nicht auf sich beruhen lassen und hofft sicherlich, irgendwelche Informationen aus mir herauszulocken.
„Ja, Lestat erzählte mir davon." Mehr sage ich dazu nicht und bin gespannt, ob der Graf mich darauf ansprechen wird. Wobei er die letzten Tage kein Wort mit mir gewechselt hat. Außer gestern, als ich ihn dazu genötigt habe. Wahrscheinlich plant er, mich bis zur Hochzeit zu ignorieren. Wobei ich nichts dagegen hätte, wenn er mich auch darüber hinaus ignorieren würde. Es reicht, bald die Ehe mit ihm vollziehen zu müssen. Der Gedanke an regelmäßigem Beischlaf erfüllt mich mit Ekel. Aber zum Glück kann ich ja recht schnell sagen, ich sei schwanger. Aber was, wenn er es nicht so eilig mit der Hochzeit hat?
„Wo habt ihr euch kennengelernt?" Ninette greift nach einer Tür und dreht sich zu mir um. Dabei ruht ihr Blick neugierig auf mir.
„In Piräus." Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet Piräus sage. Wahrscheinlich, weil ich dort mein Brautkleid gekauft habe. Weil ich dort mit Lestat am Strand spazieren ging und dieser Abend der wohl schönste in meinem Leben war. Ein Abend, den ich gerne wiederholt hätte. Aber nun bleibt es eine Erinnerung.
Da ich nichts weiter sage, öffnet Ninette die Tür und ich betrete das Jagdzimmer. Große, ausgestopfte Tierköpfe und riesige Geweihe verunstalten die Wände und ich beachte sie nicht weiter. Denn von weitem sehe ich schon die große Tür, die zum Garten hinausgeht.
Ninette seufzt verhalten. „Ich mag dieses Zimmer auch nicht. Früher war hier der große Salon mit vielen Möglichkeiten, um Dame, Schach oder Backgammon zu spielen."
Wir durchqueren den Raum und ich betrete kurz darauf den Garten und halte einen Moment inne, um die Aussicht zu genießen.
Meine Zofe schaut kritisch in den wolkenverhangenen Himmel. „Das Wetter könnte etwas besser sein. Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen."
Das Wetter ist perfekt! Soll es doch regnen. Dann rennen die feinen Leute sofort ins Haus und ich kann hier draußen für mich alleine sein. Der Garten ist tatsächlich sehr schön, mit vielen Hecken und bunten Blumenbeeten. Kleine Wege dazwischen laden zum Spazieren gehen ein. Nicht allzu weit entfernt beginnt ein Wald und ich verliere mich einen Moment in diesem Anblick. Von weitem höre ich allerdings das Rauschen des Meeres.
Es ist schön, die Natur vor mir zu haben und festen Boden unter mir zu spüren. Die Wochen auf dem Schiff waren die reinste Folter. Umgeben von Wasser, das einfach kein Ende nahm. Hatte ich früher noch Fernweh verspürt, wenn ich das Meer sah, so empfinde ich mittlerweile nichts Positives mehr damit und bin froh, das herrlich satte Grün der Wiesen und Wälder vor mir zu sehen.
Ninette räuspert sich kurz und ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder auf den Garten. Etwas weiter hinten sehe ich drei junge Frauen, die miteinander reden und neugierig zu mir und Ninette herüber starren. Aber nur eine von ihnen kommt auf uns zu.
„Das ist Nicole", flüstert Ninette leise. „Sie alle sind Mätressen des Grafen. Die vierte Mätresse von ihm sehe ich allerdings nicht."
Die junge Frau bleibt dicht vor mir stehen, mustert mich von Kopf bis Fuß und hebt dabei stolz ihr Kinn. Sie ist vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich, hat schönes, rotblondes Haar und braune Augen. Ihr Kleid ist silbergrün und der Ausschnitt ist viel zu tief. Dadurch, dass ihr Korsett eng geschnürt wurde, werden ihre Brüste beinahe aus dem Ausschnitt gedrückt.
„Mein Name ist Nicole de Grandidier. Sehr erfreut. Ihr seid Alisea de Marchand, nehme ich an."
Ich nicke kurz. „Das ist korrekt."
Nun knickst Nicole kurz und mustert mich wieder, wobei ihr Blick etwas zu lange an meinem hohen Ausschnitt hängen bleibt. „Wollt Ihr Euch uns anschließen, meine Dame?"
Ich neige höflich meinen Kopf und folge Nicole zu den beiden anderen Frauen, die mir als Céline und Désirée vorgestellt werden. Während ich versuche, mir meine Schmerzen nicht anmerken zu lassen, höre ich dem Gespräch zu, welches sich um Oberflächlichkeiten dreht. Ein neues Kleid, das Abendessen, eine Partie Dame und das Wetter. Aber mit keinem Wort fällt der Name von Graf de Roux.
„Oh", meint Nicole überschwänglich und lehnt sich zu mir herüber, „Ihr müsst heute Abend mit mir Dame spielen, Alisea! Ich habe bisher niemanden gefunden, der mir ebenbürtig ist!"
Die anderen beiden Mätressen lächeln höflich und senken dabei den Blick. Und Ninette nickt mir sofort eifrig zu.
Allerdings lehne ich höflich ab: „Ich fürchte, ich bin derzeit etwas unpässlich. Aber die Tage werde ich gewiss auf Eure Einladung zurückkommen." Ich habe genug gesehen, will mich wieder hinlegen und meine Füße ausruhen. Also verabschiede ich mich freundlich und gehe zurück zum Haus.
Der Weg ist doch weiter, als gedacht. Daher bleibe ich alle paar Meter stehen und gebe vor, die Blumen zu betrachten. Der Ausflug war eine dumme Idee und ich bereue ihn bitterlich. Aber ich musste einfach mal hinaus, um frische Luft zu schnappen. Jeder Schritt schmerzt entsetzlich und es fällt mir unglaublich schwer, meine Maskerade aufrechtzuerhalten. An den Treppen stocke ich kurz und wende mich an Ninette. „Kannst du mir bitte eine Bettpfanne fertig machen? Mein Unterleib zieht entsetzlich."
Ninette runzelt kurz die Stirn, nickt dann aber und eilt sofort los.
Erleichtert atme ich aus, gönne mir an der Treppe eine kurze Pause und gehe dann langsam, Stufe für Stufe, hinauf. Meine Beine zittern schon vor Erschöpfung, weil ich meinen rechten Fuß völlig verkrampft habe. In meinem Zimmer angekommen, steige ich vorsichtig aus den Schuhen und kann mir einen Schmerzenslaut nicht verkneifen. Dabei lasse ich mich schwerfällig auf das Bett fallen. Ich wickele den Verband um meinen Fuß ab und betrachte kurz die Sohle „Scheiße..."
Obwohl die Schmerzen bestialisch sind, verbinde ich den Fuß einfach wieder, hebe meine Röcke an und ziehe das dicke Höschen etwas herunter, um den blutigen Verband hineinzulegen.
Seufzend bringe ich mein Kleid in Ordnung, schlüpfe in die Hausschuhe und gehe hinüber zur Frisierkommode. Allerdings sehe ich im Spiegel Ninette, wie sie mit der Bettpfanne an der Tür steht und mich mit offenem Mund anstarrt.
Nein! Was hat sie gesehen? Nur den Verband am Fuß? Oder, dass ich den blutigen Verband in das Perioden-Höschen gelegt habe? Was weiß sie?!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro