168 - Endlich in Korsika
Hamo sitzt schon am Tisch, als ich die Kneipe zum roten Stuhl in Korsika betrete. Bevor ich zu ihm gehe, schaue ich mich um. Hier sind überwiegend Halunken und die arme Bevölkerung. Niemand würde mich hier verraten, geschweige erkennen.
Langsam gehe ich zu dem Tisch. Hamo schaut auf und bestellt mir sofort bei der Kellnerin einen Wein. Ich setze mich zu ihm. „Und? Hast du etwas herausfinden können?"
„Das Schiff von Black Arthur ist immer noch am Hafen. Aber angeblich ist die Besatzung seit Tagen nicht mehr aufgetaucht. Sie haben mit französischer Flagge angelegt." Hamo lehnt sich etwas zurück und schaut dabei zur Tür. „Was Roux oder Alisea angeht, so habe ich nichts in Erfahrung bringen können. Tut mir leid, mein Freund. Vielleicht gab es auf dem Schiff eine ansteckende, tödliche Krankheit, die jeden dahingerafft hat."
„Dann hätten sie ja nicht angelegt. Ich habe mich auch umgehört. Es heißt, dass sie alle beim Grafen eingeladen waren und nicht zurückkehrten." Ich lehne mich etwas vor und senke meine Stimme: „So wie ich ihn kenne, hat er Black Arthur und seine Männer umgebracht oder einsperren lassen. Wir sollten uns auf deren Schiff wagen und da nachfragen, wenn da noch jemand ist. Zur Not nehmen wir den letzten Überlebenden mit, den wir gefangen haben."
„Klingt nach einem Plan. Black Arthur wird sicher eine handvoll seiner Männer am Schiff gelassen haben. Kein Pirat lässt sein Schiff unbewacht."
Die Bedienung kommt zurück und reicht uns die beiden Gläser Wein. Nachdem sie weg ist, trinkt Hamo einen Schluck und wischt sich danach über den dichten Vollbart. „Ich dachte, den letzten Mann von Black Arthur hast du am Leben gelassen, weil der Jammerlappen davor geschrien hat wie ein Mädchen. Dabei haben wir ihm doch nur die Nase abgeschnitten."
Ich zucke mit der Schulter. Natürlich haben wir die gefangenen Piraten von Black Arthur gefoltert, um an Informationen zu kommen. Dabei konnte ich einige Tage meiner Wut freien Lauf lassen. „Das sind Weicheier. Die halten eben nichts aus und dumm sind sie auch noch. Welcher Pirat denkt schon, dass Graf Roux sie wirklich bezahlen würde und mit dem Leben davon kommenlässt?" Ich schüttele den Kopf. „Er ist doch bekannt dafür, Piraten nicht ausstehen zu können. Nur hoffe ich, dass sie meine Verlobte heil zu ihm gebracht haben. Wir müssen sie jetzt nur wieder daraus holen."
Ich seufze leise und greife zu meinem Glas Wein. Wir sind jetzt hier, aber ich habe noch keinen konkreten Plan, wie ich in Roux' Schloss komme. Bis jetzt gibt es aber noch keine Gerüchte, dass er heiratet hat und ich weiß nicht, ob ich das als gutes oder schlechtes Zeichen werten soll.
„Wir werden sie schon finden, wenn sie bei dem alten Sack ist."
„Dein Wort in Gottes Ohr."
„Gott hat damit nichts zu tun", entgegnet Hamo und schnauft.
„Da hast du recht!" Wir stoßen an. „Ich hoffe Ote kommt bald wieder auf die Beine."
„Es ist ja schon ein Wunder, dass er überhaupt wieder bei Verstand ist."
„Wohl wahr. Enrico hatte ihn schon aufgegeben und ich auch fast." Hoffentlich bekommt er seine Rache noch. Zur Not müssen wir Arthur aus dem Gefängnis holen. Ich tausche mich noch eine Weile mit Hamo aus und trinke einige Gläser Wein, bevor wir die Kneipe wieder verlassen.
Hamo streckt sich und gähnt laut. „Ich gehe zurück zum Schiff."
„Mach das. Ich höre mich noch etwas um."
„Pass aber auf dich auf."
Ich schlage ihm auf die Schulter. „Natürlich, mein Freund. Ich bin vorsichtig, aber du auch auf dem Weg zurück."
„Mir wird schon nichts passieren. Ich hole mal den Jammerlappen, um dann zu Arthurs Schiff zu gehen."
„Ich erwarte dich dann später dort."
Er nickt und setzt seinen Weg fort. Ich bleibe stehen und sehe ihm einen Moment nach. Die Gegend, in der wir angelegt haben, ist weiter weg vom Hafen. Wir konnten es nicht riskieren, aufzufallen. Die Black Curesana wäre wohl sofort erkannt worden. Deshalb ist er sicher eine Weile unterwegs.
Auch ich muss mich etwas bedeckt halten. Es könnte sein, dass mich doch jemand erkennt. Wobei es schon Jahre her ist, als ich das letzte Mal hier war. Mit meiner Kleidung falle ich kaum auf, da ich mich extra etwas herausgeputzt habe. So kann ich zum Markt schlendern und komme dem Schloss von meinem Vater immer näher, welches auf einer Anhöhe nahe am Waldrand steht.
Ich weiß aber genau, dass ich nicht einfach hineinspazieren könnte. Ich muss mir etwas einfallen lassen, um einen Weg zu finden. Es gibt nicht einmal einen Geheimgang hinein. Roux war schon damals paranoid und hat sich komplett abschotten können. Nur ein paar Bedienstete durften das Schloss verlassen und der Rest lebte wie Gefangene bei ihm. Damals war das für mich ganz normal, erst heute stört mich der Gedanke, dass er seine ganz eigene Welt dort aufbaute und seine Leute an sein großes Schloss gebunden hatte.
Alisea wäre eine Gefangene. Es ist sicher nicht besser als in einem Harem. Sie darf nicht raus. Alles was meinem Vater wichtig war, hat er behütet; oder soll ich sagen: eingesperrt? Ich seufze leise während ich nach einem Apfel greife.
„Den müssen Sie aber jetzt auch kaufen. Sie haben ihn angefasst", mosert der Obstverkäufer.
Ich schaue zu ihm auf und grinse dreckig. Jedoch weiß ich, dass ich kein Aufsehen erregen sollte. Deshalb werfe ich ihm ein Geldstück entgegen. „Behalte den Rest."
Ich drehe mich um und laufe gegen jemanden.
„Hey! Passen Sie doch auf, Sie Rüpel!", schimpft eine wütende Frauenstimme.
Ich kenne die Stimme und auch die Frau. „Ninette?", frage ich daher überrascht. Sie ist die Tochter der Köchin im Schloss und sie hat immer dafür gesorgt, dass ich genug zu essen bekam. Vor allem dann, wenn mein Vater mich wieder grundlos bestraft hat.
Die Frau kneift kurz die Augen zusammen und mustert mich einen Moment. „Kennen wir uns?" Dabei schaut sie nur kurz an mir herunter und mustert erneut mein Gesicht.
„Es ist schon sehr lange her, aber ich bin mir sehr sicher, dass du mich kennst. Ich bin es: Lestat."
Sie reißt die Augen auf und ihre Kinnlade klappt sogar herunter. Ihr fassungsloser Blick ist Gold wert. „Lestat! Du meine Güte! Du bist es wirklich!" Ninette kreischt erfreut auf und fällt mir direkt um den Hals.
So kenne ich sie überhaupt nicht. Ich lege meinen Arm nur verhalten um sie und trete sofort einen Schritt zurück, nachdem sie mich wieder losgelassen hat. Das ist aber meine Chance etwas über Alisea herauszufinden. „Arbeitet deine Mutter noch für den alten Graf?", frage ich im Plauderton, als wenn wir immer noch Vertraute wären.
„Ja, sie ist immer noch Köchin bei ihm. Wieso fragst du? Vermisst du ihre Pasteten?" Sie strahlt über das ganze Gesicht und mustert mich dabei wieder. „Mensch, du schaust echt gut aus. Und wir dachten alle, wir sehen dich nie wieder! Wurdest du zur Hochzeit eingeladen? Der alte Graf hat nie wieder von dir gesprochen."
Zur Hochzeit? Meint sie mit meiner Verlobten? Das kann der alte Sack vergessen! Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, aber ihre Aussage macht mich etwas nervös. „Bin ich denn noch rechtzeitig? Das Datum war etwas verwaschen in der Einladung."
„Vielleicht wollte er dich früher bei sich haben. Die Hochzeit wird erst in ein paar Wochen sein. "Sie verzieht nun das Gesicht, kommt etwas näher und senkt die Stimme. „Schrecklich, wegen dem Mädchen. Sie tut mir so leid."
Ich senke auch die Stimme. „Warum, was ist mit ihr?"
„Sie isst kaum etwas und verlässt das Zimmer nicht. Obwohl ich sie täglich frage, ob sie in den Garten gehen möchte." Ninette seufzt leise. „Der Graf will mit der Hochzeit warten. Angeblich, weil sie keine Jungfrau mehr ist und er vermutet, dass sie schwanger ist. Und dann waren da noch die Piraten..." Nun hebt sie aber wieder den Kopf und sieht mich an. „Die Leute erzählen sich auch die wildesten Gerüchte über dich und sagen, du bist ein Pirat! Dabei wissen wir doch, dass du von deinem Vater nach England auf die beste Universität geschickt wurdest!"
Einen kurzen Moment schaue ich sie anund überlege, ob ich ihr die Wahrheit sage. Ich will doch am liebsten alles wissen. Was ist mit den Piraten und warum geht es meiner Kleinen so schlecht? Jedoch kommt nur eine Frage über meine Lippen: „Seit wann hörst du auf Gerüchte?"
„Es kursierten schon immer viele Gerüchte, vor allem unter dem Gesinde, dass weißt du doch." Sie lächelt mich an und hebt dabei leicht die Schultern. „Es ist nur manchmal schwer, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Vor allem über dich kursierten lange Zeit die wildesten Gerüchte."
„Dabei ist mein Leben nicht halb so aufregend verlaufen, wie sich bestimmt erzählt wird. Aber mit einem hast du recht. Ich kenne Alisea und es wundert mich, dass sie nicht in den Garten will. Sie liebt frische Luft und geht gerne spazieren." Ich atme tief ein und lehne mich etwas nach vorne. Ich muss sie das jetzt einfach fragen. Vielleicht ist es meine Chance. „Gibt es eine Möglichkeit, dass du eine Nachricht von mir an sie weitergibst? Kommst du an sie ran, ohne dass der Graf es mitbekommen würde, dass ich Kontakt zu ihr aufnehme?"
Das Gesicht von Ninette erhellt sich sofort. „Ich bin sogar ihre Zofe! Ich bin täglich bei ihr, bringe der jungen Dame das Essen und helfe ihr, sich anzukleiden. Nun, wenn sie denn mal aus dem Bett aufsteht." Sie greift in eine Rocktasche und holt zwei Briefe hervor. „Die hat Alisea mir gegeben. Ein Brief geht an ihren Vater, Baron de Marchand. Der andere Brief geht an ihren Großvater, den Marquis du Sade." Dann dreht sie sich im Kreis und sieht sich dabei um. „Ich habe allerdings keinen Kohlestift dabei. Aber ich kann ihr etwas ausrichten und wir treffen uns morgen wieder hier!"
Ich greife nach den Briefen und nehme sie ihr damit aus der Hand. Sie schaut mich etwas irritiert an. „Ich wollte auch gerade ein paar Briefe wegbringen. Zwei mehr stören mich nicht." Mit den Worten stecke ich sie in meine Innentasche. Bevor sie sich beschweren kann, rede ich weiter: „Bitte richte Alisea aus, dass ich sie gerne treffen möchte. Vielleicht kannst du etwas heimlich einrichten. Der Graf darf davon nichts erfahren, er darf nicht einmal wissen, dass ich hier bin. Versprichst du mir das?"
„Oh, verstehe. Aber keine Sorge, ich bin verschwiegen. Du bleibst doch noch eine Weile, oder?"
„Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe. Du würdest mir auf jeden Fall einen riesigen Gefallen tun. Sehen wir uns Morgen hier wieder?"
„Du hast so viel für mich und meine Mutter getan, als sie so schwer krank war... Das vergesse ich dir nie. Wir hätten sonst unsere Anstellung verloren. Treffen wir uns morgen um dieselbe Uhrzeit. Am selben Ort. Soll ich etwas mitbringen?"
Am liebsten Alisea, aber das wird siewohl nicht schaffen. „Es reicht mir, wenn du dann ein Treffen mit Alisea und mir einrichten kannst. Vielleicht vor dem Schloss oder du schleust mich durch die Küche ein."
„Das sollte möglich sein. Ich bringe dir morgen eine Livre mit, die du tragen kannst. Wir bekommen demnächst wieder frische Lebensmittel geliefert. Dann ist es am einfachsten, dich einzuschleusen."
Ich verabschiede mich von Ninette und bleibe noch eine Weile stehen, um ihr nachzusehen. Ich habe ihre Mutter gemocht. Nicht nur, wegen der Extra Portion Essen, wenn mein Vater mich grundlos bestraft hat, sondern weil sie und Ninette immer freundlich und zuvorkommend waren. Es war selbstverständlich, dass ich ihr geholfen habe, als sie krank geworden ist. Mein Vater hätte sie sonst auf die Straße gesetzt und ihre Tochter Ninette gleich mit. Er sagte immer, er brauche keine kranken Diener.
Und Ninette ist schon immer eine feine Dame gewesen. Ich weiß noch, dass sie damals davon träumte eine Zofe zu werden. Das hat sie jetzt geschafft und doch tut sie mir ein wenig leid. Sie kam sicher nie raus. Ninette wurde im Schloss geboren und war, wie ich in meiner Kindheit, nur dort. Es wundert mich sogar ein wenig, dass sie mittlerweile raus auf den Markt darf. Das war früher undenkbar. Wir lebten in unserer kleinen Welt, so wie es mein Vater vorgab.
Nachdenklich hebe ich meinen Kopf und schaue hinauf zum Schloss, indem ich aufgewachsen bin. Ohne Ninette und meine Mutter wäre meine Kindheit dort sehr trostlos gewesen.
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