164 - Wieder auf Kurs
Die hohen Wellen peitschen der Black Curesana entgegen. Pepin lenkt das Schiff geschickt durch das Unwetter, während ich mich an der Reling festhalte und die Mannschaft im Auge behalte. Ich will keinen mehr verlieren. Wir haben die Tage genug Tote dem Meer übergeben.
Die Piraten hier an Bord stehen alle geschlossen hinter mir und meinem Vorhaben, Alisea zurückzuholen. Das habe ich auch Pepin und Hamo zu verdanken, die mit vielen geredet haben, nachdem wir es zum nächsten Hafen geschafft hatten, um unser Schiff zu reparieren und unsere Verwundeten anständig zu verarzten.
Wir haben einige Gerüchte gehört, dass mein Vater die Piraten anheuerte, um Alisea und mich zu finden. Ich bin mir sicher, dass er meine Verlobte lebend haben will, im Gegensatz zu mir. Mich wollte er lieber tot sehen, wie ich hörte. Mein Kopfgeld soll wohl lohnenswert hoch sein. Wie viel er genau angeboten hat, konnten wir jedoch nicht in Erfahrung bringen.
Eine hohe Welle kommt auf die Seite des Schiffes zu und ich sehe einen Mann, der gerade nach einem Seil greift. Er wird sicher verschluckt. „ACHTUNG BACKBORD, WELLE!", rufe ich, während ich schon lossprinte, um den Mann zu retten.
Wie ich schon vorhergesehen habe, ist er viel zu langsam und schafft es nicht mehr, sich festzuhalten, bevor uns die Welle trifft. Ich bekomme aber noch seinen Arm zugreifen und kann mich gerade noch an der Takelage festhalten. Die Wassermassen drohen uns mitzuziehen, aber ich schaffe es, uns beide zu halten. „Heute wird niemand sterben!"
Nachdem das Schiff etwas kippt und wieder zurück in die Ausgangsposition steuert, bin ich erleichtert, als ich den Segelflicker wieder loslassen kann. „Danke!", kommt es erleichtert über seine Lippen.
„Kein Problem."
Das Unwetter legt sich erst am nächsten Tag wieder. Pepin wirkt ziemlich müde, aber steuert immer noch das Schiff.
„Lass mich übernehmen", sage ich knapp, während ich auf das Ruder zugehe.
„Du brauchst auch etwas Schlaf", entgegnet Pepin.
„Wir haben durch das Unwetter zu viel Zeit verloren. Ich möchte nicht schlafen. Ganz und gar nicht. Alisea ist uns ein paar Tage voraus. Ich will wenigstens versuchen, sie einzuholen."
„Du musst ausgeruht sein, wenn wir in Korsika sind." Er gähnt kurz und deutet zu der aufgehenden Sonne.„Lass mich noch segeln, bis die Sonne am Horizont steht. Dann übernimmst du, einverstanden? Und grüß Ote von mir!"
„Ich sollte wirklich mal nach ihm gucken, nicht dass er aus dem Bett geflogen ist." Mit den Worten gehe ich direkt zu meiner Kajüte und sehe nach meinem Freund.
Ote liegt in meinem Bett, da ich ihn nicht aus den Augen lassen wollte. Wir haben noch immer einige Verletzte, um die sich Enrico kümmert. Ote hat er jedoch schon aufgegeben und scheint ihm auch egal zu sein. Dass er noch lebt, grenzt an ein Wunder, sagte Enrico zu mir. Jedoch will ich
nicht glauben, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Ote stirbt.
Er stöhnt immer mal wieder auf, auch wenn er noch nicht wach geworden ist. Ich fühle seine Stirn und rede ihm gut zu: „Dein Fieber scheint wieder etwas besser zu werden. Du schaffst das!
Unkraut vergeht nicht, das sind doch deine Worte."
Ich nehme die Tücher von seinen Beinen, tauche sie in den Eimer Wasser und wickele sie wieder um seine Waden. Am liebsten würde ich es wie Alisea machen und auch seinen ganzen Körper mit den kalten Tüchern einwickeln.
Bei dem Gedanken an Alisea muss ich kurz schmunzeln, aber im nächsten Augenblick brennen meine Augen und ich halte mühsam die Tränen zurück. Scheiße! Ich habe noch nie geweint! Aber ich vermisse die Kleine und ertrage den Gedanken nicht, dass sie mir entrissen wurde. Und nun stirbt auch mein besterFreund...
Ich seufze tief, fülle einen Becher mit Wein und flöße Ote einen Schluck nach dem anderen ein, bis der ganze Becher leer ist. „Du musst kämpfen, Ote! Du musst dich beiden Schweinen rächen, die dir das angetan haben. Und du musst mein Trauzeuge sein!"
Ich kann nicht aufgeben! Ich werde Alisea wiederfinden und ihr endlich ein stabiles Umfeld geben. Sie soll endlich glücklich werden, wie sie es sich schon immer gewünscht hat. An meiner Seite!
Ote stöhnt wieder auf und seine rechte Hand verkrampft sich im Bettlaken.
Ich warte einen Moment und hoffe, dass er die Augen aufschlägt, aber das passiert nicht. Seine Hand entspannt sich wieder und seine Atmung wirkt ruhig. Ich seufze auf.„Ich soll dich von Pepin grüßen. Er glaubt fest daran, dass du wieder aufwachst. Ich selbst hoffe jeden Tag, dass du einfach mal die Augen aufmachst. Ich brauche dich!"
Ote seufzt hörbar und ich beobachte ihn einen Moment kritisch, aber er regt sich nicht. Also wechsle ich erneut die Wadenwickel. Für den Moment kann ich nichts weiter für meinen Freund machen.
Ich decke ihn zu und plötzlich höre ich seine Stimme: „Lestat", flüstert er schwach. „Bist du es wirklich?" Seine Stimme ist ganz dumpf und rau und ich höre, dass es ihm schwerfällt zu reden.
Völlig überrascht schaue ich zu ihm. Er blinzelt mich an. „Ote! Du bist wach! Ich wusste doch, dass du nicht aufgibst! Wir müssen uns noch gemeinsam an diesen elenden Piraten rächen und ich hoffe, es freut dich, dass wir schon eine Spur haben."
„Die miesen Schweine... Sie haben Alisea...", murmelt er so leise, dass ich mich vorbeugen muss, um ihn zu verstehen. Er hustet und verzieht dabei das Gesicht.
„Ja, ich weiß. Reg dich nicht auf. Wir sind ihnen auf den Fersen. Du musst aber zuerst gesund werden. Ich hole schnell Enrico." Mit den Worten drehe ich mich um und eile so schnell ich kann zum Arzt.
Jetzt bin ich gespannt, was er sagt. Er hatte Ote ja schon aufgegeben. Enrico behandelt gerade einen verletzten Piraten, als ich sein Zimmer betrete. „Ote ist aufgewacht. Du musst mit mir kommen!"
Enrico schaut kurz von dem Mann auf. Enrico musste ihm den linken Unterarm abnehmen und kontrolliert gerade den Verband. „Ist er bei Verstand?"
„Natürlich, er sagte mir ja auch direkt, dass die Scheißkerle Alisea haben, also ja! Und jetzt komm. Du sagtest, er hat keine Chance und du hattest Unrecht! Jetzt kümmere dich auch um ihn, sonst schleif' ich dich an den Haaren da hin!" Meine Zähne knirschen übereinander. Ich muss mich wirklich zusammenreißen. Wozu habe ich denn einen Arzt, wenn er nicht helfen will?
„Wenn du meine Hilfe willst, dann hör gefälligst auf, mir zu drohen!" Der Arzt wirft mir einen wütenden Blick zu, wendet sich seinem Patienten zu und klopft diesem auf die Schulter, während er aufsteht. „Komm morgen wieder vorbei." Dann wendet sich der Arzt zu mir und greift dabei nach seinen beiden Arzttaschen. „Ich folge dir."
Seine Art ärgert mich tierisch, aber ich kann ihm auch nicht den Kragen umdrehen und das weiß dieser miese Penner ganz genau. Ich brauche ihn nun mal. So stampfe ich in schnellen Schritten zurück zu meiner Kajüte und gehe direkt zum Bett. Ote hat die Augen wieder zu.
Ich fasse ihm an den Arm, um ihn etwas zu rütteln. „OTE! Hey, werd wach! Enrico ist hier."
Allerdings rührt Ote sich nicht mehr.
Enrico stellt seine Taschen ab, geht neben mir in die Hocke und verpasst Ote eine heftige Ohrfeige.
Wieder rührt sich Ote nicht. Er gibt nicht mal einen Ton von sich. Sonst hat er zumindest immer leise gestöhnt.
Enrico greift zu einer Tasche und holt eine kleine Flasche heraus, die er direkt öffnet und Ote unter die Nase hält.
Diesmal hustet Ote und verzieht das Gesicht. Aber er schlägt nicht die Augen auf.
„Ote! Hörst du mich?"
Nichts. Ote gibt keine Antwort.
Enrico legt eine Hand an die Stirn von Ote und schüttelt leicht den Kopf, während er zu mir schaut. „Das Fieber ist wieder gestiegen. Das war's nun. Er wird nicht mehr aufwachen."
„Aber er war eben wach! Ich lüge doch nicht!" Völlig geschockt schaue ich zwischen Ote und Enrico hin und her und versuche kurz, seine Worte zu realisieren. Sagte er:'Das war's nun?' Nein, das kann doch nicht wahr sein! Ote war ein letztes Mal wach und ich bin weggelaufen, um Enrico zu holen, anstatt bei ihm zu bleiben? „Bitte, untersuch' ihn nochmal... ich bitte dich!"
Enrico seufzt schwer und sieht mich eindringlich an. Dann nickt er langsam. „Weil du es bist." Er wendet sich wieder Ote zu, dreht ihn mit meiner Hilfe auf die Seite und klopft seinen Rücken ab.
Obwohl Ote mit dem Messer in den Bauch gestochen wurde, ist sein ganzer Rücken rot und blau. „Ich kann noch einen Aderlass versuchen. Aber das könnte ihm auch den Rest geben."
„Wenn er dadurch eine Chance hat zu überleben, dann tu es! Ich vertraue dir, das weißt du!"
...
Enrico macht alles, um Ote zu helfen. Die nächsten Tage spreche ich sogar gelegentlich ein paar Wörter mit Ote, aber immer wieder dasselbe. Die Hoffnung in mir schwindet langsam, dass er es überlebt, dafür kommen wir aber Korsika immer näher.
Ich hoffe, wir finden die Piraten und somit auch meine Verlobte, bevor mein Vater sie heiraten kann...
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