159 - Gewinner & Verlierer
Die Piraten haben uns mit beiden Schiffen eingekeilt und wir haben es nicht geschafft, beide Seiten zu sichern. Einige Piraten sind mit Planken zu uns herüber gekommen. Wir haben nicht die volle Mannschaftsstärke zur Verteidigung, da mein Schiff einen schweren Treffer am Bug kassiert hat und einige meiner Männer den Schaden reparieren, damit wir nicht sinken.
„Tötet dieses ehrlose Dreckspack von Engländern! Ahhhr...!", fluche ich vor mich hin, während ich mich wie im Blutrausch durch die Menge metzele. Noch nie wurde die Black Curesana geentert. Ich werde nicht zulassen, dass sie mein Schiff bekommen. Eher werde ich sterben!
Einer der feindlichen Piraten kommt mit seinem gezogenen Degen auf mich zugesprungen, während mich zwei andere versuchen abzulenken. Ich kann ihn gerade noch aus den Augenwinkeln sehen und drehe mich zur Seite, sodass er fast seinen eigenen Mann erwischt.
„Vorsicht, Lestat!", warnt mich Jacques.
Ich mache einen großen Ausfallschritt und kann dadurch einem Degenstich von hinten gerade noch ausweichen. Mir fehlt Ote, der sonst immer in der Nähe ist und meine rechte Seite deckt. Ich schaue wieder zu dem großen Schiff, welches wir wenigstens beschädigt haben. Keine einzige Planke führt von dort auf unser Schiff und ich knirsche wütend mit den Zähnen.
Das große Schiff war nur ein Köder! Ich hätte schon misstrauisch werden müssen, als ich sah, dass sich die Meute nur auf dem kleineren Schiff an Deck versammelt hat! Hätten wir unser Feuer mehr auf das kleinere Schiff konzentriert, hätten wir es vielleicht sogar versenkt.
Ein fremder Pirat kommt auf mich zugestürmt und ich weiche seinem Angriff mit Leichtigkeit aus. Dabei sehe ich kurz über mein Deck, auf dem ein erbitterter Kampf tobt.
„Nehmt Gefangene, wenn es möglich ist!", rufe ich laut, denn ich will wissen, an wem ich mich später rächen muss und ich kann mit Gefangenen meine Crew wieder auffüllen.
Wieder kommt einer auf mich zugesprungen, aber diesmal sogar direkt von vorne. Knapp, aber rechtzeitig kann ich meinen Degen zum Blocken hochhalten und mich etwas zur Seite ducken. "Wie willst du sterben, du Verräter?", fordere ich ihn auf Englisch heraus und gehe dabei etwas rückwärts. Es scheint mir, als ob er den Kampf beherrscht.
„Du wirst sterben!" Er holt mit seinem Degen aus, aber ich sehe, dass er mit der anderen Hand nach seiner Pistole greift. In einer schnellen Bewegung schlage ich meine Waffe gegen seine Hand.
Blut spritzt auf und der Pirat hält sich schreiend die Hand. Er lässt die Pistole fallen und schlägt mit dem Degen in seiner anderen Hand nach mir. „Das wirst du bereuen!" Mit einem lauten Knurren dreht er den Degen und holt erneut aus, direkt auf meine ungeschützte rechte Seite. Aber der Angriff wird von einem meiner Männer pariert. Sofort holt der Gegner erneut aus und sein Degen landet im Brustkorb von dem Mann, der mir zur Hilfe kam.
Dann erst erkenne ich Jaques, der aufschreit, bevor er zu Boden sinkt.
„NEIN!", brülle ich wütend. „Du verdammte Ratte!" Mit den Worten versenke ich meinen Degen in dem Piraten, nur leider viel zu spät, wie ich merke. Jaques liegt regungslos am Boden. Ich starre einen Moment zu lang dahin.
Jaques sieht mit toten Augen zu mir auf. Ich hätte schneller sein müssen. Aber ich habe jetzt keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ein weiterer Pirat eilt auf mich zu und hebt angrifflustig seinen Degen. Aber einer meiner Männer rammt ihm seine Waffe in den Bauch und bringt den Gegner damit zum straucheln.
Ich ducke mich unter dem Angriff weg und gebe ihm den Rest, indem ich meinen Degen quer über seine Kehle ziehe.
„Zurück!", brüllt ein Angreiferin englischer Sprache über das Deck. „Zurüüück!"
Ich sehe mich kurz um und erkenne, dass die Angreifer sich langsam zurück auf das kleinere Schiff kämpfen. Warum ziehen sie sich zurück? Haben wir sie doch in die Flucht treiben können? Aber ich sehe weitaus mehr Leichen von meinen Männern, als von ihnen.
Die meisten von denen sind schon drüben. Ihr Rückzug geht schnell. Ist mein Schiff zu stark beschädigt?
Ich schaue mich nach Hamo um, der gerade seine Pistolen leerschießt und daher ist kaum zu überhören, wo er steht. Schnell bewege ich mich auf ihn zu. „Wir müssen die Kanonen wieder besetzen!"
Doch Hamos Blick wirkt nicht erfreut. „Sie waren unter Deck und haben das Schießpulver unbrauchbar gemacht! Wir können nur eine handvoll Kanonen bedienen, wenn überhaupt!"
Er schießt wieder und ich sehe, wie ein Pirat getroffen zu Boden sackt und sich dabei an die Seite greift. Direkt vor seiner Nase wird die Planke eingezogen und genutzt, um es gegen unser Schiff zu drücken, um etwas auf Abstand zu kommen. „Verflucht! Sie haben auch irgendwas mitgenommen. Allerdings hat mir Enzo davon berichtet, gesehen habe ich nichts."
„Was sollten sie mitgenommen haben?", frage ich verwundert. „Sie können die Kanonen doch nicht rausschleppen. Unsere Schätze haben wir doch gar nicht hier auf dem..." Ich stocke. Was ist mit Alisea? Haben sie sie gefunden? Nein, sonst wäre doch Ote zu mir gekommen... oder nicht? „Ich muss etwas überprüfen!" Mit den Worten sprinte ich los, um zu meiner Kajüte zu kommen.
Schon auf dem Weg dorthin sehe ich überall die Kampfspuren. Einschlüsse und Kratzspuren sind an den Wänden und ich muss darauf achten, nicht auf dem Blut auszurutschen.
Hin und wieder muss ich über stöhnende und wimmernde Piraten steigen und kann nicht klar erkennen, wer Feind und wer Freund ist. Ich sehe Paco und halte ihn kurz am Arm fest. „Warte, Paco! Sieh nach, wer vom Feind noch lebt und nimm ihnen die Waffen ab! Wer nicht zu schwer verletzt ist, landet in den Zellen!"
„Was, ist der Kampf schon vorbei? Ich war gerade hier unten und habe verhindert, dass diese Arschkrampen eins unser Pulverfässer in die Luft jagen! Die anderen Fässer haben sie mit Wasser übergossen."
„Danke. Zum Glück warst du da, sonst wären unsere Ärsche auf Grundeis gegangen. Ich muss jetzt weiter!" Mit den Worten gehe ich endlich zu meiner Kajüte und sehe sofort, dass die Tür aufsteht. Hoffentlich hat Ote Alisea wo anders hingebracht! Doch bevor ich meinen Raum betrete, sehe ich schon Ote, der auf meinem Schreibtisch liegt. „NEIN!"
Sofort laufe ich zu ihm und greife nach ihm. „Ote! Bruder!" Schnell lasse ich ihn wieder los, als er sich nicht regt und sehe an ihm herab. Er ist voller Blut und ich weiß nicht, woher es kommt!
Dann röchelt er und öffnet blinzelnd die Augen. „Lestat..." Er hustet und greift sich an den Bauch.„Sie haben Alisea..." Ote ächzt laut und verzieht unter Schmerzen das Gesicht.
Scheiße... sie haben meine Alisea? Ich schaue zurück. Am liebsten würde ich jetzt losrennen, aber ich kann Ote hier nicht liegen lassen. Ich schaue auf seine Hände und sehe, wie Blut aus einer Wunde an seinem Bauch sickert. Sofort eile ich zu meinem Schrank und ziehe ein paar Hemden heraus. Eines davon drücke ich direkt auf seine Wunde, um die Blutung zu stoppen.
„Ich werde es nicht packen, Lestat..." Er greift nach meinem Arm, als wenn er der Meinung sei, dass meine Mühe sinnlos sei. „Die Männer wussten ihren Namen. Ihren Nachnamen."
„Ihren Namen... hmmm... das ist jetzt cnicht wichtig. Du wirst heute nicht sterben... hörst du!" Ich werde das nicht zulassen! Daher drehe ich mich um und stürme in den Flur, um zu rufen: „ICH BRAUCHE HIER SOFORT ENRICO!"
Ich sehe einige Piraten, die zum Heck torkeln und teilweise stützen sie sich gegenseitig. Einer von ihnen bleibt stehen und lehnt sich schwer atmend an die Wand. „Enrico ist im Arztzimmer voll ausgelastet. Den wirst du da nicht wegkriegen, Lestat. Er verlangt wieder, dass die Verletzten zu ihm geschafft werden. Wer den Weg nicht packt, verschwendet dadurch nicht seine Zeit."
Ich knurre leise, denn ich weiß, dass Enrico sich nur um die Verletzten kümmert, die eine Überlebenschance haben. Wer zu stark verletzt ist und zu viel Blut verliert, wird von Enrico gar nicht beachtet.
Ich gehe zurück zu Ote, der nur noch keucht und nicke ernst zu. „So, du musst die Zähne zusammenbeißen!" Mit einem Ruckpacke ich ihn über meine Schulter. Er wehrt sich ein wenig, weil es wahrscheinlich höllisch weh tut. Ich hoffe nur, ich mache es dadurch nicht noch schlimmer. „Halte durch, ich bringe dich jetzt zum Arzt!"
Ote ruht schwer auf meiner Schulter und die Tatsache, dass er wie ein nasser Sack darüber hängt, macht es nicht einfacher. Aber ich werde ihn hier nicht krepieren lassen!
„Hör zu, Lestat: Es waren Engländer. Ich glaube, Black Arthus."
„Schone deine Stimme! Sie sind schon weg... Wir werden Alisea wiederbekommen!" Werde ich das? Werde ich sie wiedersehen? Mit Sicherheit, aber zuerst muss ich meinen Freund retten. ICH hätte auf Alisea aufpassen sollen, dann wäre ich jetzt an seiner Stelle. Er hat es für mich getan, deshalb werde ich ihn jetzt nicht im Stich lassen! „Wenn sie wussten wer sie ist, werden sie sie nicht umbringen. Mach dir keine Sorgen, Ote."
Ich komme vor dem Arztzimmer an und da ist die Hölle los. Enrico läuft über den Flur und sortiert wohl gerade aus, wer es sowieso nicht mehr schafft. „Enrico! Ich habe einen Notfall! Ote hat es erwischt!"
Der Arzt dreht sich zu mir um und sieht dann zu Ote. „Lass mal sehen."
„Warte, ich lege ihn ab." Mit einem Ruck lasse ich Ote runter und lege ihn auf den Boden. „Ich weiß nicht, wo er verletzt ist. Da ist überall Blut."
Ote stöhnt unter Schmerzen auf und greift sich sofort wieder an den Bauch. Enrico zieht das vollgeblutete Hemd weg und tastet Otes Bauch ab, dann steht Enrico allerdings wieder auf. „Wirf ihn über die Reling oder verpass' ihm den Gnadenstoß. Er wird es nicht packen, Lestat."
Im ersten Moment bin ich sprachlos und schaue ihn nur entsetzt an, doch dann knurre ich wütend. „Das ist OTE! Und ich bin dein Kapitän! Behandele ihn!"
„Um die Blutung zu stillen, brauche ich zu lange, Lestat. Hier warten noch andere Männer! Soll ich etwa drei von ihnen sterben lassen, um Ote zu retten?!" Der Arzt wischt sich kurz über die Stirn und verschmiert sie dadurch mit Blut. Dann deutet er zu einer ruhigeren Ecke. „Nimm ein Glüheisen und brenne die Wunde aus. Wenn er danach noch lebt, kümmere ich mich um ihn."
Ich schaue nochmal zurück in den Flur. Überall sind Schmerzensschreie zu hören und viele meiner Männer sind verletzt. Ich kann meine Mannschaft nicht im Stich lassen und Enrico in Beschlag nehmen. „Ich werde mein Bestes versuchen, versorge die anderen."
Enrico wendet sich bereits wieder ab und beugt sich über den nächsten Piraten. Diesem bindet er mit einem Tuch das Bein ab und geht zum nächsten Mann.
Ich sehe wieder zu Ote, der mittlerweile die Augen geschlossen hat. Sein Brustkorb hebt und senkt sich aber. Noch...
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