157 - Böse Überraschung
Ich stütze mich an der Reling ab und schließe einen Moment die Augen, dabei lasse ich mir den Fahrtwind um die Ohren wehen und denke an meine Kleine. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich sie mal wieder so glücklich sehen kann, wie jetzt. Ich wünschte mir, diese Seereise würde nie enden. So könnte ich ewig mit ihr leben.
Wobei ich mir nur etwas vormache. Wir können unsere Kinder nicht auf meinem Schiff großziehen.
Plötzlich spricht mich Jaques an. „He, Lestat.", begrüßt mich einer meiner Segelflicker. „Kann ich dich mal etwas fragen?"
Ich öffne meine Augen wieder und schaue zu ihm. „Wo drückt der Schuh?"
„Es geht um...", druckst er herum und räuspert sich kurz. „Nun, um Alisea. Sie hatte nach Stoffen gefragt und mir scheint, dass sie die letzten Tage viel genäht hat. Und wir könnten Hilfe bei den Segelflickern gebrauchen."
Ich verdrehe die Augen. „Nein!" Sofort drehe ich mich wieder zum Meer, aber im nächsten Moment schaue ich ihn wieder an. „Welche Stoffe? Was näht sie?"
„Keine Ahnung. Aber sie hat hauptsächlich weißen Stoff aus der Truhe genommen. Aber viel ist ja eh nicht mehr darin." Er seufzt leise und reibt sich kurz am Hals. „Du kannst sie doch nicht ewig in deiner Kajüte halten. Ich weiß, dass wir sie nicht anfassen dürfen. Gönn ihr wenigstens etwas Abwechslung."
„Nicht jeder ist so pflichtbewusst wie du", entgegne ich. „Sie bleibt, wo sie ist.", knurre ich unzufrieden. Er hat vielleicht nicht unrecht, aber ich bin ihr Verlobter und werde sie sicher keiner Gefahr aussetzen.
Jaques hebt beschwichtigend beide Hände. „Ja, alles gut! Es ist nur das Gerede einiger Piraten." Er seufzt kurz. „Es wird nur viel gemunkelt und es gibt sogar Gerüchte, dass du sesshaft werden und sie heiraten willst."
Woher kommen die Gerüchte? Es wundert mich schon, dass es zu ihm durchgedrungen ist. Und wenn es schon Gerüchte gibt, sollte ich die Wahrheit offenlegen. „Vielleicht ist ja auch etwas an den Gerüchten dran. Ich werde sie heiraten."
Jaques hebt überrascht beide Augenbrauen. Aber er sieht freudig überrascht aus, denn im nächsten Moment lächelt er. „Oh, wirklich? Dann hast du also..."
Er stockt und kneift leicht die Augen zusammen. Aber im selben Moment höre ich schon die Glocke, die nur in Notsituationen geläutet wird. Ohne zu überlegen laufe ich los, um hoch zum Steuer zu kommen, wo Ote steht und frage sofort nach: „Was ist passiert?"
Er sieht mich sehr besorgt an. „Da nähern sich zwei Schiffe und sie haben die Piratenflagge gehisst." Ote deutet hoch zum Ausguck und reicht mir dabei das Fernrohr. „Sie verfolgen uns schon eine Weile, aber gerade eben haben sie ihre Absichten klar gemacht!"
„Sind die Segel gehisst und bekommen wir noch mehr Fahrt drauf?", frage ich, jedoch will ich gar keine Antwort, dafür ist keine Zeit. Ich greife nach dem Fernrohr und schwinge mich so schnell ich kann auf das Deck zurück, um den Mast hochzuklettern. Das muss ich mir ansehen! Haben wir jetzt Barbaresken am Arsch? Gleich zwei?
Es dauert nicht lange, bis ich oben im Ausguck angekommen bin und durch das Fernrohr sehe. Ein Schiff ist etwas größer, das andere ist kleiner als die Black Curesana. Zwei Kriegsschiffe... verdammt! Ich nehme nicht die Leiter, sondern rutsche am Mast herunter, um schneller wieder bei Ote zu sein. Bevor ich ihn erreiche, rufe ich ihm zu: „Haben wir alle Segel gehisst?"
„Ja, aber es geht kaum Wind", erwidert er knurrend. „Sie sind einfach schneller, wie auch immer das möglich sein soll."
Hamo kommt hinzu und sieht ebenfalls zu den beiden Schiffen. „Verdammter Dreck...! Soll ich gleich die Kugeln mit den Ketten klarmachen?"
„So schnell es geht!" Ich drehe mich um und rufe laut: „Ich will jeden, der kämpfen kann, an Deck und alle Kanoniere an ihrem Platz! JETZT! GEBT ES WEITER!" Dann wende ich mich wieder zu Hamo und Ote. „Das sind keine Barbaresken, das sind europäische Kriegsschiffe! Vielleicht haben sie diese aber auch gekapert!"
Ote brummt unzufrieden und nimmt mir das Fernrohr ab, um selbst hindurch zu schauen. „Zu Spanien gehören die nicht."
„Mir egal, woher die kommen", meint Hamo und zuckt mit den Schultern, „denn landen werden sie in der Hölle!" Er wendet sich ab und eilt die Treppen hinunter. Dabei höre ich ihn schon laut durch das Innere des Schiffes rufen. „Kanonen klar machen zum GEFEEECHT!"
Ich schaue zu Ote. Er sieht sicher meine Unsicherheit. Aber bei ihm ist es mir egal, ich sehe auch seine. Er hat die Schiffe gesehen. Eins davon ist unserem gewachsen. „Wo zum Teufel kommen die her? Wir können nur hoffen, dass wir mehr Kanonenkugeln haben, als die!"
„Scheiß auf die Kugeln!", knurrt Ote. „Wir können gar nicht oft genug nachladen, um eins der beiden Schiffe zu versenken. Bei dem Tempo werden sie uns in der nächsten Stunde eingeholt haben." Er schaut wieder durch das Fernrohr und reicht es mir dann zurück. Dabei deutet er auf das vordere, kleinere Schiff. „Sieh mal, sie versammeln schon ihre Männer an Deck."
Ich atme tief ein. Das Letzte, was meine Mannschaft jetzt braucht, ist ein Kapitän der schon aufgibt. Deshalb haue ich Ote auf die Schulter und meine: „Wir waren schon oft in der schlechteren Position. Jetzt kommt es auf unser Können an. Die werden uns nicht klein bekommen. Das lasse ich nicht zu. Ich habe gerade meine Traumfrau gefunden."
Ote schmatzt genervt, aber nickt mirzu.
Ich schaue mich kurz an Deck um, wo schon die meisten kampffähigen Piraten sind und ziehe meinen Degen. „Wir sind die besten Kämpfer und werden die Black Curesana mit unserem Leben verteidigen! WIR SIND DIE BLACK CURESANA!"
Meine Männer sehen zu mir hoch und ziehen auch ihre Degen, um sie in die Luft zu heben. Sie schreien mir zustimmend entgegen.
„Lasst uns Blut vergießen und unser Schiff verteidigen!" Ich drehe mich wieder um und gucke, ob ich die zwei Schiffe schon besser sehen kann, aber sie sind noch zu weit weg. „Schärft eure Degen und Messer. Sie werden uns nicht besiegen!"
An Deck wird es hektisch. Es werden alle losen Gegenstände verstaut, Taue und Leinen werden ordentlich festgezurrt, damit das Deck bei einem Kampf nicht zur Stolperfalle wird.
Auch unter Deck ist es hektisch und ich höre, dass schon die Kanonen für die erste Salve geladen werden. Hamo lässt extra die Kette anbringen, mit denen zwei Kugeln aneinander befestigt werden, um bei einem Treffer möglichst viel Schaden anzurichten. Wenn diese Geschosse den Mast des Gegners treffen, kann der Mast knicken und das gegnerische Schiff damit erheblich ausbremsen.
Bis auf die Kanoniere haben alle Piraten ihre üblichen Aufgaben fallen gelassen und ich habe zwei kräftige Männer abgestellt, die bei Enrico bleiben und ihm helfen werden. Und die ihn mit dem Leben beschützen werden.
Ich übernehme das Steuer und lenke das Schiff, um uns eine perfekte Ausgangsposition zu geben, wenn wir die erste Salve abfeuern. Und ausgerechnet jetzt trennen sich die beiden Schiffe.
Ote flucht ungehalten. „Scheiße, die wollen uns von zwei Seiten angreifen!"
Ich greife fester nach dem Steuerrad. „Wir haben keine andere Möglichkeit. Wenigstens eins erwischen wir!"
Ote zieht seinen Degen und will an Deck zu den anderen Männern, allerdings halte ich ihn zurück: „Tu mir einen Gefallen: Geh eben zu Alisea und öffne ihr den Bettkasten. Leg ihr auch die Pistole aus meinem Tisch raus und stell ihr einen Piraten zur Seite." Am liebsten würde ich mehrere Piraten zum Schutz von ihr abstellen, aber ich brauche hier jeden Mann für die Schlacht. Ich hoffe ja, die Piraten werden nicht so weit kommen.
„Du willst ihr eine Waffe geben? Ernsthaft? Sie wird sich damit selbst verletzen!" Ote schnauft laut und schüttelt vehement den Kopf. „Vergiss es! Wenn sie unbewaffnet ist, wird ihr nichts passieren. Aber mit einer Waffe in der Hand, wird sie als Bedrohung angesehen und dann erst recht angegriffen!"
Ich drehe weiter bei, damit wir die perfekte Position zum größeren Schiff haben und die Kanonen zünden können. Mir bleibt nicht viel Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen, ob Otes Aussage verkehrt ist. Aber er hat recht, dass sie als Bedrohung angesehen wird und wie ich Alisea kenne, würde sie auch noch rausstürmen und mitkämpfen wollen. „Du hast recht, Ote. Sie sollte vielleicht eingesperrt werden. Nicht, dass sie noch hinausläuft."
„Ich kümmere mich darum und bleibe bei ihr. Sie ist deine Braut und ich werde sie beschützen, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!" Er legt eine Hand auf meine Schulter und sieht mir ernst in die Augen. „Mach dir keine Sorgen um Alisea und konzentriere dich hier oben ganz auf den Kampf!"
Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, wenn einer unserer besten Kämpfer nicht an Deck ist, aber ich will auch Alisea nicht in Gefahr bringen und er hat es ja selbst vorgeschlagen. Zumindest wäre ich beruhigter und könnte mich besser auf den Kampf konzentrieren. „Danke! Pass auf sie auf, mein Bruder."
„Natürlich!" Ote wendet sich von mir ab und verlässt das Steuerrad.
Kritisch beäuge ich die Schiffe und lenke die Black Curesana so, dass nur das große Schiff uns eine volle Breitseite verpassen kann.
Natürlich korrigiert das kleinere Schiff sofort seinen Kurs und versucht, die Black Curesana in die Mitte zu nehmen, damit wir von zwei Seiten beschossen werden können. Aber der Wind geht immer noch nicht und diesmal ist das für uns von Vorteil.
Hamo kommt die Treppe hoch gerannt. Schweiß glänzt auf seiner Stirn und sein Gesicht ist schon fast schwarz, als hätte er sich mit Schießpulver gepudert. „Die Männer sind bereit und warten auf dein Kommando! Sollen wir es darauf anlegen, das Schiff zu versenken? Oder nur manövrierunfähig machen?"
„Hauptsache wir treffen sie", antworte ich mürrisch und füge hinzu: „Nicht vorschnell schießen. Wir brauchen Kanonenkugeln für zwei Schiffe. Wenn sie uns einkeilen, müssen wir von beiden Seiten schießen. Halte dich bereit. Ich gebe das Kommando, sobald die Reichweite stimmt."
„Aye! Ich habe beide Seiten besetzen lassen. Wir können dir daher erst hier oben helfen, wenn sie uns entern wollen. Falls es dazu kommt." Er schaut zu den beiden Schiffen. Das kleinere Schiff haben wir für den Moment abgehängt, aber es wird nachsetzen. Das verschafft uns wenigstens einen kleinen Vorteil.
„Wir werden Glück brauchen. Und davon reichlich."
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