152 - Schnell eskaliert
Ich schwimme zurück in Richtung Strand und erst, als ich mit den Füßen den Boden berühren kann, mache ich langsamer und schaue über meine Schulter zurück. Allerdings ist Lestat nur kurz hinter mir. Wieder muss ich grinsen, denn ich hätte nicht gedacht, dass er eine so kindliche, verspielte Seite an sich hat, auch wenn er sich große Mühe gegeben hat, Ernst zu bleiben. Allerdings war er es auch, der mich zuerst ins Wasser schubste.
„Ich habe dich!" Mit den Worten greift er von hinten nach meinen Haaren und ich falle wieder ins Wasser, obwohl es schon ziemlich flach ist.
Ich lande auf meinem Hintern und tauche mit dem Gesicht wieder unter Wasser. Dabei greife ich schnell nach seinen Füßen, weil er an mir vorbeilaufen will.
Auch er fällt dadurch wieder ins Wasser und taucht mit einem lachenden Gesicht wieder auf. „Du willst ja nur vor mir am Strand sein!"
Nachdem ich wieder einen sicheren Stand habe, reiche ich Lestat die Hand und kann fast gar nicht aufhören, zu grinsen. „Dann komm, gehen wir zusammen an den Strand. Und wenn du so weiter machst, muss ich noch pitschnass zurück an Bord. Willst du wirklich, dass ich so über das Deck laufe?" Dabei deute ich auf mein Kleid, das an mir klebt.
Er neigt seinen Kopf zur Seite und schaut mich amüsiert an. Aber dann schüttelt er den Kopf. „Wir sollten uns wirklich noch ein wenig in die Abendsonne legen und dabei dein Kleid etwas trocknen." Lestat greift nach meiner Hand und hakt seine Finger zwischen meine. Wir gehen an den Strand, bis wir eine Stelle gefunden habe, auf der wir bequem auf einem flachen Felsen sitzen können.
Von hier aus haben wir einen wirklich schönen Blick auf den Sonnenuntergang und ich ertappe mich dabei, dass ich mich an Lestat anlehne. Selbst, als die Sonne schon untergegangen ist, bleiben wir sitzen. Es ist noch warm genug, sodass mein Kleid sogar halbwegs getrocknet ist.
Von der Seite mustere ich Lestat nachdenklich. „Darf ich dich etwas fragen?"
„Was willst du denn wissen?"
„Die Zeit, als ich meine Erinnerungen nicht hatte... Denkst du hin und wieder daran? Und wieso hast du mich da in dem Glauben gelassen, ich sei deine Frau?"
Sein Gesichtsausdruck wird schlagartig ernst und er schaut auf das Meer hinaus. Dann seufzt er leise. „Du hast es gedacht. Ich war mir nicht sicher, ob du mich verarschst." Er schließt seinen Mund wieder und beißt auf seiner Unterlippe herum.
Das kann doch nicht seine Antwort gewesen sein? „Hast du die ganze Zeit geglaubt, ich mache dir etwas vor?", hake ich daher nach.
„Nein." Wieder ist er still, aber jetzt sieht er zu mir. „Du hast eben anders gewirkt... unbeschwerter... vielleicht, aber nur vielleicht, wollte ich dir das nicht nehmen. Jedoch weiß ich das selbst nicht so genau. Genügt dir das als Antwort?"
Ich schweige einen Moment, denn die Antwort genügt mir nicht. Allerdings hat er mir ja noch nie gesagt, was er denkt oder fühlt. Und wenn ich ehrlich sein soll, so habe ich es auch nie gemacht. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich den ersten Schritt mache. „Ja, ich war glücklich, so ganz ohne Erinnerungen. Und ich fand, dass mein Mann wirklich gut aussieht und ich mich glücklich schätzen kann als seine Frau." Während ich weiterrede, mustere ich sein Profil und hoffe, ich kann darin wenigstens etwas lesen. „Du warst nett zu mir und hast viel gelacht. Ich hoffe, dass du mir an diesen Tagen nichts vorgemacht hast, sondern dass du tief in deinem Innern wirklich so bist. Denn manchmal wünsche ich mir Christoph zurück."
Lestat streckt seine Hand aus und streicht mir über die Wange, dabei gehen seine Mundwinkel etwas künstlich wirkend nach oben. „Ich werde niemals Christoph sein, weil ich den Namen wirklich schrecklich finde."
Ich seufze leise und kann mich gerade noch zurückhalten, um seine Hand nicht wegzuschlagen. Allerdings verdrehe ich die Augen. Offenbar werde ich wohl nie so recht erfahren, was in ihm vorgeht. Aber zumindest sagte er mir ja schon, dass er mich liebt. „Na komm, gehen wir zurück. Es wird nun doch ein wenig frisch und so ganz trocken bin ich auch noch nicht. Bevor ich mich noch erkälte."
„Es ist warm. Ich glaube kaum, dass du dich erkältest. Sicher, dass du nicht einfach nur verschwitzt bist?" Er greift nach meinem Kleid und fühlt danach. Es ist noch hier und da ein wenig feucht und klamm.
„Ich würde es zumindest gerne ausziehen, damit es über Nacht trocknen kann", entgegne ich.
Er steht plötzlich auf und reicht mir die Hand. „Ich habe nichts dagegen, wenn du es in meiner Kajüte ausziehst."
Ich fange laut an zu lachen und halte mir schnell eine Hand vor den Mund. Dieses Schlitzohr! Inzwischen hat er mich schon so oft nackt gesehen. Wird er diesem Anblick denn nie überdrüssig? Wahrscheinlich erst, wenn ich alt und grau bin. „Und ich habe nichts dagegen, wenn du mir dabei hilfst. Ohne es zu zerreißen!"
Mit einem Ruck zieht er mich seitlich in seine Arme und schaut mich mit seinen nun dunklen Augen an. Jedoch umspielt ein Lächeln seinen Mund. „Pass lieber auf, was du sagst, meine Verlobte... denn ich weiß schon genau, was ich gerne mit dir anstelle."
Ein heißer Schauer erfasst meinen Körper und ich beiße mir kurz auf die Unterlippe. „So? Und was muss ich tun, damit du mich übers Knie legst?" Meine Kinnlade rutscht mir herunter und ich frage mich, was da bloß über mich gekommen ist, dass ich das gefragt habe!
Lestat lacht kurz auf. „Als ob du das nicht wüsstest!" Mit den Worten drückt er mich weiter und läuft mit mir im schnelleren Schritt in Richtung Hafen.
Ich muss ebenfalls lachen. Vor allem, weil unsere Schuhe völlig nass sind und bei jedem Schritt lustige Geräusche von sich geben. Trotzdem verlangsamt Lestat seinen Schritt nicht. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, je näher wir seinem Schiff kommen, desto schneller wird er. Dabei überlege ich die ganze Zeit, wie ich gegenüber Lestat aufmüpfig sein kann, ohne es zu übertreiben. Ich möchte das, was sich da gerade zwischen uns entwickelt, nicht zerstören. Denn irgendwie mag ich es.
Auf dem Schiff von Lestat ist es sehr ruhig und wir begegnen an Deck kaum jemandem. Wahrscheinlich sind hier nur eine Handvoll Piraten als Wache, die uns kaum beachten.
Lestat zieht mich die Treppen hinunter und führt mich durch den Flur, bis wir in seiner Kajüte stehen. Dort schließt er die Tür und schaut ernst zu mir herüber. „Du brauchst also Hilfe beim Ausziehen? Ich habe gehört, dass du ein Paar neue Kleider hast?" Bevor ich etwas sagen kann, hat er mein Kleid zerrissen.
Aus Reflex will ich ihm eine Ohrfeige verpassen, aber ich kann mich noch rechtzeitig zusammenreißen und haue ihm bloß auf die Finger. Wir haben doch gerade eben erst darüber geredet, dass er mir das Kleid eben NICHT zerreißen soll! „Ein paar neue Kleider?! Denkst du, ich habe das Geld mit vollen Händen ausgegeben? Ich habe ein Kleid gekauft. Eins!" Ich merke, dass ich wirklich wütend werde, weil ich es einfach nicht mag, wenn er das macht. Also seufze ich kurz und atme tief durch, während ich mich aus den nassen Schuhen kämpfe. „Und das Hochzeitskleid. Aber das zählt ja nicht."
„Ich habe dir genug gegeben, um mehr Kleider zu kaufen. Also bist du selber schuld." Lestat zieht sich in aller Ruhe aus. Und dann stellt er sich so selbstgefällig, mit verschränkten Armen vor mich hin, als ob er provozieren will, dass ich ihm eine runterhaue.
„Oh, nun hör auf, mir die Schuld zuzuschieben! Ich habe nur das Nötigste gekauft. Immerhin sollte ich ja bloß ein Brautkleid kaufen. Oder soll ich das stattdessen anziehen?" Ich verschränke ebenfalls die Arme und presse die Lippen zusammen. Dabei achte ich darauf, dass ich ihm nur ins Gesicht schaue und mich nicht davon ablenken lasse, dass er nackt ist. Oder mich einschüchtern zu lassen, weil ich es bin.
Seine Lippen umspielen ein Grinsen. Oder macht er sich etwa über mich lustig? „Ich verstehe nicht, warum du wütend auf mich bist. Du wolltest es doch so. Ich habe dir keine Limits gesetzt. Aber ich habe gehört, dass es Unglück bringen soll, wenn der Mann seine Braut vor der Hochzeit in ihrem Kleid sieht. Wenn du es anziehst, müsste ich dich also auf der Stelle heiraten."
Ich verdrehe genervt die Augen und atme tief durch. Mir scheint, er will mich provozieren, damit ich etwas Falsches sage oder mache und er mich so übers Knie legen kann. Aber nicht heute! „Es geht hier ums Prinzip, Lestat! Du kannst doch nicht ständig meine Kleider zerreißen. Das Thema hatten wir doch schon einmal! Ich zerstöre doch auch nicht deine Sachen, oder?!" Ich seufze kurz und senke etwas meine Stimme: „Gut, das Logbuch habe ich zerrissen, es aber die letzten Tage Seite für Seite abgeschrieben. Denn das ist eine Sache von gegenseitigem Respekt, die Sachen des Anderen nicht zu zerstören!"
„Ich habe dir die Kleider doch bezahlt. Waren es dann nicht meine?"
„Nein! Oder willst du sie tragen?"
Seine Art macht mich gerade unbeschreiblich wütend und ich bücke mich, um einen Schuh aufzuheben und diesen nach ihm zu werfen. Dabei wollte ich wirklich ruhig und sachlich bleiben!
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