113 - Sie ist reizend
Ich schaue mich an Deck um. Die Segel werden gerade eingezogen. Pepin ist der Meinung, dass bald ein Unwetter auf uns zukommt. Obwohl ich schon so lange auf See bin, kann ich da noch keine Vorboten wahrnehmen. Ich vertraue aber Pepin und unterstütze alle Maßnahmen, die er bis jetzt vorgeschlagen hat. Er lag nur einmal falsch und da ist das Unwetter scheinbar abgedreht, denn als wir anlegten hörten wir von einigen Schiffen, die in unserer Nähe in Seenot geraten waren.
Ich gehe zum Steuer, wo Pepin steht und auch dieser Christos. „Wie sieht es aus?", frage ich an Pepin gewandt, der auch direkt antwortet: „Wenn wir Glück haben, dann wird es nur etwas ungemütlich."
Christos brummt leise und sieht zwischen mir und Pepin hin und her. „Es bremst uns einen Tag aus, nicht wahr? Wir hätten morgen Abend in Smyrna anlegen können."
„Ja, lieber einen Tag später und dafür mit einem intakten Schiff", entgegnet Pepin grinsend.
„Wir haben ja auch keine Eile oder kannst du es nicht erwarten, wieder festen Boden unter den Füßen zuhaben, Christos?" Ich schaue zu dem Mann und mustere ihn das erste Mal richtig. Sein als Schlitzohr eilt ihm voraus. Er kann ein unheimlich vertrauenswürdiges Gesicht ziehen und gut reden. Kein Wunder, dass er alle um den Finger wickeln kann. Selbst ich war fasziniert von ihm, als ich ihn kennenlernte.
Christos grinst breit und hebt dabei leicht die Schultern. „Nun, wenn ich ehrlich bin, so könnte ich ein Freudenhaus aufsuchen. Vielleicht kann Ote ja eins empfehlen."
Pepin lacht leise. „So schlimm, ja? Du hast doch zwei gesunde Hände."
Ote kommt dazu und klopft Christos auf die Schulter, während er zu mir herüber sieht. „Wenn er so weiter macht, sollten wir ihm sowieso bald den Grünschnabelstatus abgeben lassen. Er war bisher eine große Hilfe, sie zu trainieren."
„Ja, er kann gut kämpfen", entgegne ich. Dennoch bin ich nicht mehr so überzeugt von ihm, aber das sage ich nicht, sondern begrüße Ote mit einem Kopfnicken.
Christos hebt beide Hände. „Nein, macht wegen mir bitte keine Extraregeln! Wo kämen wir denn hin, wenn es plötzlich Ausnahmen gibt?", fragt er betont lässig. Dabei hebt er leicht die Arme und sieht zu Pepin. Natürlich verstehe ich sofort den Seitenhieb, immerhin wollte Christos ja noch diese Ausnahme, als es um seinen Würfelbecher ging, den Pepin ihm abgenommen hat.
Ote wendet sich an mich: „Bleibst du am Steuer, Lestat? Ich wollte gerade unter Deck und dafür sorgen, dass die Kisten und Fässer festgezurrt werden und Pepin gehört ins Bett, der war wieder die Nacht am Steuer."
„Vor allem, wenn es ein Unwetter gibt. Dann geh mal etwas schlafen, Pepin." Ich nehme ihm das Steuer ab und Pepin und Ote verlassen das Deck.
Christos stellt sich neben mich und lässt mit verschränkten Armen den Blick schweifen, schweigt aber.
„In spätestens zwei Tagen, werden wir wieder anlegen. Hat es denn nicht funktioniert, mit deinem blonden Engel?" Kaum habe ich das ausgesprochen, kommt mir ein dummer Gedanke. Er redete doch von einem Wirtshaus und einer blonden Frau. Meinte er damit...? Nein, das glaube ich nicht! Er hätte doch etwas gesagt oder hat er Alisea deshalb so angesehen?
Christos starrt mich länger einfach nur an und hebt dabei die Augenbrauen. Dann grinst er allerdings wieder und lehnt sich an. „Mein blonder Engel... Nun, sie ist einfach davon geflogen. Aber es gibt ja auch einige hübsche, blonde Frauen hier an Bord."
„Sie ist verschwunden. Wohin?" Habe ich Alisea vor seiner tollen Nacht aufgegriffen? Wollte sie die mit diesem Widerling verbringen? Sie wollte doch Nouel heiraten. Nein, das passt nicht. Ich spinne mir da etwas zurecht.
Sein Grinsen wird noch etwas breiter, aber dann hebt er leicht die Schultern und sieht an mir vorbei auf das Meer. Wir segeln gerade auf die Insel Chios zu. „Sie ist zurück nach Hause. Aber mir scheint, dass du auch keine guten Erfahrungen mit Frauen hast. Wer ist das Mädchen in deiner Kajüte?"
Ich hätte beinahe aufgeknurrt, kann es aber gerade noch unterdrücken. Das geht ihn gar nichts an! Er hat sie auch nicht anzusehen, geschweige... Kurz muss ich durchatmen. Christos darf nicht erfahren, dass sie ein wunder Punkt bei mir ist. Ich traue ihm zu, dass er das gegen mich verwendet. Also versuche ich so gleichgültig wie möglich zu antworten. „Die hat nichts mit meinen Erfahrungen mit Frauen zu tun. Sie steht unter meinem Schutz und wird demnächst verkauft, wie alle anderen auch."
„Verstehe. Und sie ist wirklich noch Jungfrau?" Seine Haltung ist nun nicht mehr so entspannt und ich merke, dass sein Blick immer wieder zu mir huscht, bevor er wieder aufs Meer sieht. „Dann ist sie bestimmt unbezahlbar."
„Die Eunuchen werden sicher einiges für sie bezahlen, um den Harem ihres Herren mit ihr zu schmücken."
„Eunuchen? Du willst sie an die Muslime verkaufen?" Er hebt die Augenbrauen. „Das ist doch Verschwendung. Nur ein Kerl?"
Ich sehe zu ihm. „Ich wüsste nicht, dass Bordelle so viel für Jungfrauen zahlen. Außerdem ist mir egal, was sie dann mit den Frauen machen. Hauptsache sie zahlen."
„Ach, die Frauen versauern dort. Zum Glück ist Alisea hübsch genug und sie bleibt sicher nicht lange Jungfrau, sobald sie erst verkauft wurde."
Ich schiele unauffällig zu ihm, dabei iverkrampfen sich meine Hände fast am Steuerrad. Ich kann mich aber gerade noch zügeln. Er darf nicht sehen, wie sehr mich seine Aussage aufregt. Nicht, dass er sie als hübsch bezeichnet hat stört mich, sondern die Tatsache, dass er sie beim Namen nannte. Ich habe ihn nie erwähnt!
Entweder hat er schon mit jemandem über sie geredet oder sie ist der blonde Engel, von dem er redete. Aber warum sagt er es dann nicht einfach? Die Gelegenheit hatte er ja. Vielleicht interpretiere ich aber auch einfach zu viel hinein. Die Kleine vernebelt mir erneut die Sinne.
Wieder fällt mir ein, was Christos in Verbindung mit dem blonden Engel sagte. Er redete von einer Sirene. Vielleicht ist Alisea eine, zumindest für mich. Ich darf mich nicht von ihr in den Abgrund ziehen lassen. Sie wollte schließlich Nouel heiraten. Noch immer weiß ich nicht, ob sie auch wusste, was er vorhatte.
Christos seufzt leise. „Ich glaube, das Mädchen lässt dich nicht so kalt, wie du tust."
Ich zucke viel zu schnell mit dem Kopf in seine Richtung. Da muss ich jetzt gegensteuern! Er ist nicht dumm, das muss ich ihm lassen. Ich bin aber auch nicht blöd. „Wie kommst du darauf? Sie ist schön und kann gut blasen. Warum sollte sie mich nicht kalt lassen? Natürlich habe ich sie nicht ohne Grund bei mir, bis sie verkauft wird. Sie ist eben ein blonder, unbefleckter Engel und deshalb sehr reizend."
Ich grinse ihm ins Gesicht. Wohlwissend, dass ich sie habe. Sie gehört mir! Ich bin der Kapitän und er nur ein Grünschnabel. Von ihm lasse ich mich sicher nicht in die Enge treiben!
„Reizend, ja", stimmt Christos zu. Er räuspert sich kurz und setzt wieder sein charmantes Lächeln auf. „Der Wind wird stärker. Ich schaue mal, wo Ote ist und gehe ihm ein wenig zur Hand." Christos neigt kurz seinen Kopf und geht.
Ich schaue ihm noch nach, aber konzentriere mich dann auf das Steuer, bis Ote nach ein, zwei Stunden wieder auftaucht. Daher frage ich direkt: „War dir Christos eine Hilfe?"
„Christos? Der war nicht bei mir. Vielleicht hat Hamo ihn abgefangen. Der hat ganz schön geflucht, weil die Kanonen noch gesichert werden mussten."
Ich übergebe Ote das Steuer. „Übernimmt mal. Ich muss noch etwas abklären! Ich komme bald wieder."
Ote nickt knapp und übernimmt direkt das Steuer. „Klar. Ruh dich etwas aus. Falls der Sturm dreht, wird das eine ungemütliche Nacht."
Mein Weg führt mich sofort zu meiner Kajüte. Vor meiner Tür bleibe ich kurz stehen. Ob Christos auch Schlösser öffnen kann? Er ist immerhin ein Dieb. Ich drücke die Türklinke herunter und versuche die Tür zu öffnen, aber sie ist verschlossen.
Erleichtert atme ich auf, denn das Aufknacken ist einfach, aber er bekommt das Schoss wohl kaum wieder zu. So hole ich meinen Schlüssel raus und mache die Tür auf. Mein Blick schwenkt durch die Kajüte. Ich kann Alisea nicht sehen und kurz bleibt mein Herz stehen. Bis ich einen Schrei fahren lasse „Alisea?!"
Unter dem Tisch sehe ich eine Bewegung und sie rutscht dort halb hervor. „Ich... Ehm." Sie presst die Lippen zusammen und krabbelt auf allen Vieren unter dem Tisch hervor. Dabei sehe ich, dass ihre Füße wieder verbunden sind.
Vor Enrico hat sie sicher keine Angst, aber ich ahne schon, warum sie sich versteckt hat. Ich gehe zu ihr und packe sie am Arm, um sie auf die Beine zu bringen. Sie verzieht aber sofort schmerzverzerrt das Gesicht, weshalb ich sie hochhebe.
Ihr entweicht ein kurzer, überraschter Aufschrei, dabei trage ich sie nur zum Sofa und setze sie dort wieder ab. Da fühlt sie sich immer am wohlsten, während ich mich an meinem Schreibtisch setze, um etwas Abstand zwischen uns zu bekommen.
Dann drehe ich meinen Stuhl in ihre Richtung und betrachte sie eingehend. Sie richtet den Unterrock, der unter ihre Brüste gerutscht ist, als ich sie getragen habe. Das rosa in ihrem Gesicht verrät mir, dass ihr sowas vor mir immer noch peinlich ist.
Ihre kleinen Finger bewegen sich hastig. Sie hat mit Sicherheit Angst gehabt, sonst hätte sie sich nicht versteckt und wäre jetzt nicht so durch den Wind. Aber diese Angst hat sie nicht vor mir.
Ich lasse sie in Ruhe alles zurechtzupfen, bevor ich sie anspreche. „Du kennst Christos, richtig?"
Sofort versteift sie sich, aber sagt kein Wort.
„Du hast ihn in dem Gasthaus getroffen oder liege ich falsch?"
„Ja, er war dort Gast." Mehr sagt sie nicht, sondern drückt bloß ihre Hände gegen ihren Bauch und hält den Blick gesenkt.
Also ist es wahr! Sie ist sein blonder Engel gewesen! Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Er redete die ganze Zeit von meiner Alisea und ich habe den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen! Warum habe ich ihm nicht zugehört? Er wollte sie ficken! Wollte sie es auch? Hat sie deshalb Angst, dass er sie verrät? Aber warum hat er dann nichts gesagt? „Hast du dich mit ihm verabredet?"
Sie reißt die Augen auf und starrt mich entsetzt an. „Nein! Ich bin nur wegen ihm weg! Dabei hatten Nouel und ich dort einen sicheren Schlafplatz. Wir hatten ein Dach über dem Kopf und genug zu essen!" Ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie bricht den Blickkontakt ab. „Ich wurde oft angesprochen von den Männern, aber sie haben ein Nein akzeptiert. Alle, außer Christos."
Ich atme tief ein. Das kann ich mir bei ihm gut vorstellen. Ich erinnere mich wieder, wie er mir sagte, dass sie eine harte Nuss sei, sein blonder Engel...! Pah... nicht seiner! Meiner! „Hat er dich angefasst?" Die Vorstellung, dass er seine dreckigen Griffel an ihr hatte, macht mich nervös. Am liebsten würde ich jetzt herausrennen, ihn suchen und umbringen! Und dieser scheiß Taugenichts von Schönling hat nichts dagegen unternommen, dass meine Kleine belästigt wurde! Ich könnte gerade kotzen!
„Am Anfang... Aber er ließ es sein und ich dachte, er hat kein Interesse mehr an mir. Bis er mir ein Ultimatum stellte: Entweder verbringe ich eine Nacht mit ihm oder er tötet Nouel. Also sind wir weg." Sie hat den Blick immer noch nach unten gerichtet und ihr ganzer Körper ist angespannt.
Ich nicke, obwohl sie mich nicht sieht. Die Erpressung überrascht mich nicht. Nouel war eben auch das perfekte Opfer für Christos. Man brauchte ihn nur ansehen und wusste, dass er Alisea niemals beschützen kann. „Vielleicht sollte ich Christos danken. Ohne ihn wärst du mir nicht mehr über den Weg gelaufen."
Alisea schaut mich plötzlich geschockt an und jegliche Farbe ist ihr aus dem Gesicht gewichen. In Wirklichkeit würde ich Christos am liebsten qualvoll töten, aber das sage ich ihr mit Sicherheit nicht. Sie ist abgehauen und wollte mit Nouel durchbrennen. Das kann ich nicht einfach vergessen! Hätte sie noch eine Möglichkeit zu fliehen, würde sie diese sofort ergreifen. Das weiß ich.
Dabei will ich sie gar nicht mehr verkaufen. Zur Not werde ich sie höchstpersönlich auslösen. Aber auch das werde ich ihr sicher nicht sagen, bevor ich keinen konkreten Plan habe und es auch umsetzen kann.
Alisea gehört mir und kein Mann wird sie jemals wieder anfassen! Ich kann sie nicht mehr hergeben!
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