47 | You can't runaway, honey.
┊┊Burak Yeter - Tuesday ft. Danelle Sandovals┊┊
Als ich meine Augen wieder aufbekomme, liege ich auf dem Boden und die Hände eines Mannes, die nicht Daniel gehören, fahren über meinen Körper. Als er bemerkt, dass ich wieder bei Bewusstsein bin, sieht er mich an. Mich durchfährt ein Schock und beginne, am ganzen Körper zu zittern wie Espenlaub. Es ist Pit. Pit, der Daniels Schwester in den Suizid getrieben hat.
"Keine Sorge, Süße. Ich schaue nur, ob du eine Waffe hast." Er selbst hält ein Messer in der Hand, das ich besser nicht in meinem Körper spüren möchte. Seine Armmuskeln zucken, als er mich absucht. Sein Nacken ist dicker als mein Oberschenkel. An der Wand der Tür lehnt die Axt. Diese beschissene Axt. Ist er jetzt vollkommen durchgedreht?
"Wenn ich die hätte, hättest du sie schon längst in deinem Gesicht", spucke ich ihm in sein Angesicht und richte mich langsam auf. Mein Rücken schmerzt. Hätte ich gewusst, dass wir Besuch von diesen ekelhaften Menschen bekommen, hätte ich mir irgendeine Waffe besorgt und das Haus verriegelt. Und verhindert, dass Daniel das Haus verlässt. Sorge durchflutet mich, weil ich nicht weiß, was mich da draußen erwartet. Aber wie mir scheint, muss ich mich erstmal Pit stellen. Dieser steht über mir und starrt mich an.
"Steh auf, ich kann dich nicht schlagen, wenn du am Boden liegst." Er fährt sich über den Kopf. Ich habe das Gefühl, als würden tausend kleine Schuppen auf mich niederregnen. Vielleicht ist es auch einfach nur Kalk aus seinem Hirn. Hat er überhaupt ein Hirn? Ich lege den Kopf schief und mustere ihn. Zugegeben, er wirkt äußerst einschüchternd, wie er über mich gebeugt steht, mit seinen geschätzten 1,80 m und den Muskeln, die immer wieder zucken. Aber ich kann meiner großen Klappe nicht verbieten zu plappern. So ausweglos die Situation auch ist.
"Ich bezweifle, dass du mich generell schlagen kannst." Ich richte mich langsam auf, bis ich auf zwei wackeligen Beinen stehe. "Wenn du hier bist, kann das Erbsenhirn Nils nicht weit sein. Wo ist er? Macht das kleine Baby mit seinen fünfzehn Freunden Daniel fertig, weil er es alleine nicht schafft?"
Er kommt mir bedrohlich näher und kurz verfluche ich meine große Klappe.
"Du solltest deine Klappe nicht so weit aufreißen, Honey." Sein Gesichtsausdruck macht mir Angst. "Es ist ja irgendwie ein bisschen niedlich, wie du dachtest, du könntest es deinem Vater und Daniel einfach offenbaren - und du wärst dann fein aus dem Schneider. Und wie süß ihr seid, euch so eine Hütte zu buchen. Mitten im Wald. Wir sind euch gefolgt und es ist euch nicht mal aufgefallen, weil ihr zu sehr mit euch beschäftigt wart. Aber, Honey, du und ich, wir werden jetzt erstmal ein bisschen Spaß haben, bevor Nils zu uns trifft. Er hat dir sicherlich auch noch einiges zu sagen, denn er ist stocksauer, dass du den Deal auf diese Art und Weise hast platzen lassen. Jetzt hat er so einiges mit dir geplant. Aber zuerst bin ich dran, Honey." Sein Grinsen wird breiter. Es tropft regelrecht vor Schadenfreude. Dann legt er seine Stirn wieder in Falten.
Er sieht wütend aus. Bedrohlich. Vor allem mit dem Messer in der Hand. Und ich frage mich, wie er es geschafft hat, dass sich Daniels Schwester in ihn verliebt. So, wie er jetzt guckt, hat er absolut nichts liebenswertes an sich. Er macht einem Angst, schüchtert einen ein. Ich versuche, mich unauffällig nach einem Fluchtweg umzusehen. Die Tür zur Küche steht auf, aber ich möchte nicht, dass er weiß, dass ich sie gesehen habe. Also sehe ich konzentriert auf die Tür hinter ihm, um ihm etwas vorzutäuschen. Ob es klappt, weiß ich nicht. Er setzt zum Sprung an. Aber ich werde alles auf eine Karte setzen.
"Nenn mich nicht so", protestiere ich und renne aus dem Wohnzimmer.
Oder versuche es.
"Oh, Honey, du kannst mir nicht davonlaufen", ruft er, springt ab, schlingt die Arme um mich und wirft mich mit sich zu Boden. Leider ist er schneller wieder auf den Beinen. Er steht über mir und ich rieche seinen ekelhaften Atem, der nach Zigaretten und Alkohol stinkt. Ich muss würgen. Fieberhaft überlege ich, was ich tun könnte. Denn ich möchte nicht so enden. Unter Pit. Und ihm und Nils ausgesetzt. Reflexartig ziehe ich meine Knie hoch, so gut es geht, und trete ihm ihn seine Kronjuwelen. Er krümt sich und ich schlage ihm mit der Kante der flachen Hand gegen die Schläfe. Gleichzeitig trete ich ein weiteres mal nach.
Pit fällt auf die Knie und sein Messer auf den Boden. Ich rapple mich gleichzeitig auf.
"Du hässliche Kröte! Scheiß drauf, was Nils will. Ich bin am Zug." Mühsam kämpft er sich wieder auf und stellt sich mir entgegen. Er atmet tief ein und kommt einen Schritt auf mich zu. Mein Pech ist, dass ich jetzt in der Ecke stehe. Links von mir ist der Kamin, rechts von mir der Esstisch. Ich bin eingesperrt und habe keinen Fluchtweg. Das einzige was mir bleibt, ist, ihn totzureden.
"So am Zug wie du es bei Marlene warst?", entfährt es mir.
Er stockt und runzelt die Stirn. "Ein kleiner bedauerlicher Nebeneffekt einer Wette." Pit zuckt die Schultern.
"Sie hat dir nichts bedeutet, oder?" Ich sehe mich nach einer Waffe um, die gut genug ist, um ihn für längere Zeit außer Gefecht zu setzen. Mir fällt das Kaminwerkzeug ins Auge.
"Doch, eigentlich hat sie das. Aber Nils bedeutet mir mehr." Pit springt vor. Er ist so schnell, ich habe nicht damit gerechnet. Er greift in meine Haare und zieht mich zu sich. Ich sehe Sterne.
"Weißt du, Honey, die Tatsache, dass du Daniel so viel bedeutet, macht dich unglaublich attraktiv."
Seine Hand an meinem Kopf drückt mich an ihn. Ich muss würgen, als er seine ekelhaften Lippen auf meine presst. Aber er ist abgelenkt und diesen Moment nutze ich, um nach dem eisernen Kaminbesteck zu greifen. In der Halterung ist nicht nur ein Gegenstand, sondern mehrere. Ich bekomme eins zu fassen, die anderen fallen leider alle scheppernd zu Boden.
"Was zur...?" Er stößt mich von sich, aber es ist zu spät. Ich halte die Waffe bereits in meinen Händen.
Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich darüber nachgedacht, jemanden zu töten. Aber jetzt, ihm vollkommen ausgeliefert, würde ich alles tun, damit ich zu Daniel kann. Es dauert inzwischen schon viel zu lange und ich will nicht wissen, was da draußen vor sich geht. Wer bei ihm ist. Wenn Nils mich brechen will, dann soll er es. Dann soll er von Daniel ablassen und seine Wut an mir auslassen.
"Leck mich doch!", rufe ich und hebe das eiserne Metallbesteck hoch. Pit sieht es, aber es ist zu spät. Ich lasse es auf seinen Rücken krachen und hole erneut aus. Ich schlage erneut auf ihn ein und als er wimmernd zusammensackt, lasse ich von ihm ab. Das schlechte Gewissen schiebe ich energisch beiseite. Irgendwann würde ich mich bei ihm entschuldigen. Vielleicht.
Das Besteck nehme ich mit. Während ich zitternd auf die Veranda trete, wähle ich auf meinem Handy den Notruf. Ich weiß nicht, ob der Anruf durchgeht und ich habe Angst, dass Pit wieder aufwacht, während ich anrufe. Aber ich muss. Daniel und ich schaffen das auf keinen Fall alleine. Der Wind hat sich jetzt inzwischen fast gänzlich gelegt und der Abend könnte eigentlich ganz idyllisch sein, wären da nicht diese wildgewordenen Erbsenhirne.
Die Verbindung ist mieserabel und ich verstehe die Frau am Telefon nicht. Alles was ich schaffe, ist, die Adresse durchzugeben und 'Einbrecher, bewaffnet' zu sagen, bevor die Verbindung gänzlich abbricht. Und natürlich weiß ich nicht, ob sie mich verstanden hat. Aber gut, Hannah. Du hast es versucht. Du gehst hier nicht kampflos unter.
Ich zittere, als ich auf die Veranda trete. Und ich kann nicht leugnen, dass ich Angst habe. Ich habe absolut keine Ahnung, was - und vor allem wer - mich dort draußen erwartet. Der Schnee dämpft meine Schritte ein bisschen. Meine Angst wird vom inzwischen sanften Wind fortgeweht. Langsam sehe ich um die Ecke der Veranda und muss beinahe kotzen. Nils und Daniel sind in einen wütenden Kampf verwickelt. Daniel schubst Nils zu Boden und will sich auf ihn stürzen, doch Nils ist zu schnell. Flink wie ein Wiesel steht er wieder auf beiden Beinen. Ich sehe mich um, aber außer den beiden ist niemand zu sehen. Erbsenhirn stürzt sich jetzt auf Daniel und ringt ihn nieder. Daniel fällt zu Boden und Nils lässt sich auf ihn fallen. Er schlägt immer wieder auf ihn ein. Daniel wehrt sich mit Händen und Füßen.
Meine Hände zittern. Die Kälte frisst sich unter meine Haut. Und die Angst, sie ist wieder da. Sie frisst sich durch meine Venen, wie Gift. Mit wackeligen Knien gehe ich auf die beiden zu. Ich versuche, so leise wie möglich zu sein. Daniel wehrt sich noch immer und ich nutze die Gunst der Stunde, dass Nils abgelenkt ist und laufe. Ich renne. Ich renne so schnell ich kann. Denn ich weiß, dass Daniel das nicht mehr lange aushält.
"Nils!", ruft Pit von der Veranda. Dieser dreht sich in dem Moment um, als ich das Eisenbesteck wütend auf ihn herabsausen lasse. Ich treffe ihn am Nacken, es knackt und er sackt sofort zusammen. Nils bleibt reglos liegen. Mir wird schlecht und ich starre auf die Waffe in meinen Händen. Sie zittern. Ich weiß nicht, ob vor Kälte oder vor Aufregung.
Fuck. Ich habe ihn getötet. Ich habe Nils umgebracht. Fuck. Ein metallischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Vorsichtig lecke ich mir über die Unterlippe. Sie ist aufgeplatzt. Scheinbar habe ich darauf herumgebissen. Mein Kopf schmerzt.
"Scheiße!" Pits Stimme hallt über die Wiese, nur der Schnee dämpft die Intensität. Ich höre schnelle Schritte auf uns zukommen und versuche mit aller Macht Daniel aufzurichten. Aber er bewegt sich nur sehr wenig. Und so sehr ich seinen Körper liebe, so sehr verfluche ich all seine Muskeln. Er ist irrsinnig schwer und ich kann ihn kaum aufrichten. Es ist utopisch, zu hoffen, dass ich ihn mit mir nehmen kann. Und wo sollen wir hin? Uns bleibt nicht mehr viel Zeit bis Pit da ist.
So gar nicht viel Zeit, wie ich gerade merke, als ich mich nochmal umdrehe. Ich hätte nie gedacht, dass Panik einen derart lähmen kann. Aber sie tut es. Mir fehlt die Luft zum Atmen und ich sehe Sterne. Ich kann Pit nur dabei zusehen, wie er immer näher kommt. Daniel liegt schlaff vor mir und ich kann ihn keinen Zentimeter bewegen. Mir ist so schlecht, dass ich kotzen könnte.
Schritte. Sie kommen näher. Das Knarzen des Schnees hat normalerweise eine beruhigende und reinigende Wirkung auf mich. Jetzt schürt es meine Angst und ich bin kaum noch in der Lage, aufrecht zu stehen. Mein Magen krampft sich zusammen. Und dann höre ich sie. Stille. Die Schritte sind verstummt. Lärmende Stille legt sich über uns.
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