42 | Ein würziger Abend.
┊┊Nothing But Thieves - Amsterdam ┊┊
Ich packe mein Gepäck aus und fülle den Schrank mit meinen Klamotten. Als ich ihn öffne, riecht er nach Holz und verströmt Gemütlichkeit. Ha, gemütlich wird es hier in diesem Zimmer vermutlich nicht. Natürlich lasse ich auch Platz für Daniels Sachen und freue mich, dass sich wenigstens die Klamotten im Schrank nah sind, wenn sich Daniel schon von mir distanziert. Vielleicht kann ich nachher die Ärmel unserer Pullis verknoten, so, als würden sie Händchen halten. Die Tür geht auf und knallt leicht gegen die Wand dahinter.
"Suchst du deine Ehre, Hannah? Tut mir leid, ich glaub, die hast du verloren."
Ungläubig drehe ich mich zur Tür und sehe Felix an, der grinsend vor mir steht.
"Scherz", fügt er nur hinzu.
Ich schüttle den Kopf und sehe ihn abwartend an. "Was brauchst du?"
"Ida und Max kochen und ich wollte fragen, ob du dir mit mir das Haus ansehen möchtest?"
Nach kurzem Überlegen stimme ich nickend zu und folge ihm aus dem Zimmer. Die drei Zimmer sind in einem Flur, der wiederrum zum Wohnzimmer führt. Hier steht auch der Esstisch. Er hat eine Tischplatte aus robustem Stein und Metallbeine, in denen sich das Feuer spiegelt. Es riecht sehr nach Kaminfeuer, als wir es betreten. Daniel sitzt auf der Couch und unterhält sich mit Tom. Er lacht und ich kann nicht aufhören ihn anzusehen. Ob er jemals wieder für mich so lachen wird? Ich seufze.
Sachte stupst mir Felix seinen Ellbogen in die Seite. "Hannah. Du starrst", sagt er leise.
Doch nicht zu leise, denn Daniel hat es natürlich gehört. Sofort dreht er sich zu uns und sein Lachen ist ihm aus dem Gesicht gewischt. Sein Blick ist kühl, so, als würden wir uns überhaupt nicht kennen. Ich halte seinem Blick nicht stand und schlage die Augen nieder. Der Fußboden ist aus Fliesen und das tanzende Feuer spiegelt sich auch hier darin. Ich höre Ida und Max in der Küche lachen und folge Felix in den Raum. Das Fenster ist gekippt und frische Luft dringt durch den Spalt. Ich freue mich für Ida und Max, so sehr. Aber es bricht mir das Herz, wie sie nebeinander stehen und gemeinsam kochen. Sie stehen so dicht, dass sie sich bei jeder Bewegung berühren und nahe sind. Die Zwiebeln brutzeln in der Pfanne und Max gibt das Hackfleisch dazu. In der Pfanne zischt es, als das kalte Hackfleisch den heißen Topfboden berührt. Der Geruch nach gebratenen Zwiebeln und Hackfleisch füllt die Küche.
"Was kocht ihr beiden denn?", erkundigt sich Felix.
"Chili con carne", antwortet Ida und wirft uns kurz einen Blick über die Schulter zu.
"Cool", meine ich nur und flüchte aus der Küche.
Im Wohnzimmer angekommen, treffen sich Daniels und mein Blick kurz, aber ich sehe schnell wieder weg. Ich ertrage es nicht, die Abneigung in seinen Augen zu sehen.
Felix zeigt mir unsere beiden Badezimmer. Es ist in neutralem Weiß gehalten. Eines hat eine Badewanne und das andere eine Dusche. Die mit Dusche ist näher an unserem Zimmer, worüber ich mich sehr freue, denn ich liebe Duschen. Leider hat die Türe eine Macke und man kann sie nicht abschließen, aber das wird kein Problem sein. Wir haben wohl auch noch einen Keller, aber den betrete ich nicht, wenn es dunkel ist. Und es ist dunkel. So dunkel wie die Nacht. Und wie Daniels Blick, als wir wieder in das Wohnzimmer kommen. Felix setzt sich neben Tom. Neben Daniel ist zwar noch Platz, aber ich wähle den Ohrensessel direkt am Kamin. Mich durchzieht eine Kälte von innen, die mich frösteln lässt. Ich ziehe die Beine an und lege meinen Kopf auf die Knie, weil ich das Gefühl habe, er wiegt Tonnen. All diese Gedanken schwirren unaufhaltsam darin herum, dass mir ganz schwindelig wird. Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll, aus diesem Grund starre ich die ganze Zeit ins Feuer. Die tanzenden Flammen faszinieren mich und ich kann den Blick erst wieder davon abwenden, als Ida zum Essen ruft.
"Die Teller haben wir auf den Tisch gestellt. Vielleicht mag jemand von euch Tisch decken?"
"Wir gehen Holz holen!", ruft Felix eilig und zieht Tom hinter sich her. Und Daniel und ich bleiben alleine zurück.
Wütend lege ich den Kopf in den Nacken und atme zittrig aus. Mit tapsenden Schritten nähere ich mich dem Tisch und will gerade nach den Tellern greifen, als eine wunderschöne männliche Hand schneller ist. Natürlich. Also nehme ich das Besteck. Die Teller werden scheppernd auf dem Tisch platziert.
"Mich wundert es gerade, dass du meinen Teller nicht auf den Couchtisch gepfeffert hast", sage ich beiläufig und lege ganz konzentriert die Gabel neben den Teller. Er ist mir einige Schritte voraus, aber ich folge ihm die Runde um den Tisch. Natürlich ist Daniel aber darauf bedacht, genügend Abstand zwischen uns zu halten. Mir fällt eine Gabel auf den Tisch, die ich aufhebe. In der Zeit ist Daniel noch weitergegangen, so, dass ich ihn kaum einholen kann.
"Nun, ich habe kurz überlegt, aber selbst das würde dich nicht davon abhalten, Personen mit deinem verbalen Laserschwert zu verletzen. Also habe ich deinen Teller auch auf den Tisch, zu den Erwachsenen, gestellt." Daniel steht am anderen Ende vom Tisch und legt die Servietten auf die Teller.
"Ehrlich gesagt frage ich mich, wer von uns beiden erwachsener ist", fauche ich. Jetzt bin ich es, die die Gläser scheppernd auf den Tisch knallt. Kurz habe ich Angst, dass sie in meiner Hand platzen und ich mit blutender Hand vor ihm stehe. Selbst dann würde er mich vermutlich links liegen lassen.
"Naja zum Erwachsensein gehört, dass man zu seinem Verhalten steht und gar nicht erst dumme Entscheidungen trifft. Von daher kann ich ruhigen Gewissens sagen, dass du hier das Kind bist." Er lächelt übertrieben falsch und dreht sich um.
"Gut, dann bin ich lieber ein Kind. Kinder sind ehrlich und sagen, was sie denken." Wütend stemme ich die Hände in meine Hüfte.
Daniel tut so, als würde er überlegen. "Nein, ein Kind kannst du also auch nicht sein. Ehrlich bist du ja nicht. Nicht wahr, Süße?"
Süße? Bah, ich hasse diese Bezeichnung. "Nenn mich nicht so!", rufe ich.
"Wie soll ich dich denn sonst nennen? Han No Go?" Er lächelt süffisant.
Wieder fällt mir die Kinnlade runter, aber keine Worte wollen meinen Mund verlassen.
"Blubb Blubb. Fällt dir nichts mehr ein? Ist auch besser so." Eiskalte Blitze treffen mich, als Daniel mich ansieht, bevor er die Küche betritt und mich im Wohnzimmer alleine lässt. Soll das jetzt die ganze Zeit so weitergehen? Unschlüssig stehe ich am Tisch und wünsche mich wieder nach Hause, in mein Bett. Nirgends fühle ich mich so sicher wie dort. Aber in dem Bett hast du schon mit Daniel rumgeknutscht. Ergeben senke ich den Kopf. Ich werde ihn vermutlich nie wieder küssen. Ganz sicher nicht, so wie er sich jetzt verhält. Er ist eiskalt.
Ich bin nicht lange allein. Felix und Tom betreten vollbepackt das Haus. Sie befreien ihre Schuhe mit einem lauten Stampfen von Schnee und poltern ins Wohnzimmer. Dort laden sie das gehackte Holz in den dafür vorgesehen Korb neben dem Kamin. Ihre Wangen leuchten rosig und ich könnte schwören, dass sie da draußen nicht nur Holz geholt haben. Das würde auch Felix' Grinsen erklären.
"Ähm, weißt du, ob jemand die hier draußen vergessen hat?" Tom hält eine blaue Kulturtasche hoch. "Darin befindet sich aber nur ein Rasierer."
Kopfschüttelnd nehme ich sie entgegen. "Komisch. Ich frag mal eben nach. Und ihr macht da weiter wo ihr vorhin aufgehört habt."
Felix streckt mir die Zunge raus und ich kichere leise, als ich das Wohnzimmer verlasse.
"Hat die jemand von euch verloren?"
Das Gespräch endet abrupt und ich weiß sofort, dass sie über mich gesprochen haben.
Alle drei schütteln den Kopf und sehen mich dann abwartend an. Die Stille, die mir entgegenschlägt, lässt mich völlig fehl am Platz fühlen.
"Schon gut, ich geh ja wieder", fauche ich. Schlägt sich Ida jetzt auf seine Seite? Ein Stich durchfährt mein Herz.
Ich knalle die Tür hinter mir zu und Felix und Tom springen erschrocken von der Couch auf.
"Ups. Äh, sorry. Also die gehört niemandem. Die muss irgendjemand hier wohl vergessen haben."
"Okay, dann sagen wir morgen der Vermieterin Bescheid. Falls jemand seinen rostigen Rasierer vermisst." Tom grinst.
"Leute, das Essen ist fertig!", Max trägt den dampfenden Kochtopf aus der Küche und stellt ihn auf die Topfuntersetzer, die Ida noch schnell auf den Tisch legt.
Das Essen ist köstlich. Ich liebe Chili con Carne und dieses hier hat die perfekte Schärfe. Ich sitze neben Tom, Ida und Max sitzen uns gegenüber. Daniel sitzt am Kopfende zu meiner Linken und Felix zu meiner Rechten. Mir fehlt etwas Salz, aber natürlich steht der Salzstreuer bei Daniel. Ich könnte selbstverständlich auch Max fragen, aber er unterhält sich gerade angeregt mit Ida, da möchte ich nicht stören. Also räuspere ich mich.
"Daniel, entschuldige, könntest du mir bitte den Salzstreuer reichen?" Meine Stimme ist ungewohnt zittrig.
Daniel sieht nicht einmal auf, als er mir den Streuer mit einer Geschwindigkeit hinschiebt, dass der Streuer fast umgekippt wäre. Gerade noch kann ich ihn auffangen. Verschüttetes Salz bringt schließlich Unglück.
"Danke", sage ich leise und würze mein Essen nach. Ich verschlinge den ersten Teller in wenigen Minuten und hole mir sofort Nachschlag.
Hach, Essen. Du enttäuscht mich nie. Und du lässt mich nie im Stich.
"Wie wäre es, wenn wir nach dem Essen einen Spieleabend machen?" Felix lehnt sich in seinem Stuhl zurück, streichelt sich seinen Bauch und sieht uns abwartend an.
"Food Baby", meint er, als er meinen Blick auf seine Hand bemerkt. Ich muss grinsen.
"Ja, voll gern. Ich liebe Spieleabende. Was wollen wir spielen?" Ida springt auf.
"Zuerst sollten wir uns um die Küche kümmern. Zumindest die, die nicht gekocht haben", merke ich an.
"Nicht nötig, das Gröbste hat Daniel bereits erledigt." Ida lächelt Daniel dankbar an.
Ich sehe diesen an, er lächelt Ida an und mich durchfährt ein Stich von Eifersucht. Mensch, Hannah. Sei nicht neidisch auf Ida, verdammt.
"Ich finde, dann darf Daniel aussuchen was wir spielen." Tom lehnt sich vor, um an mir vorbeisehen zu können.
Der Mann mit den schönen blauen Augen und dem wunderschönen Lächeln überlegt kurz.
"Ich denke, wir sollten 'Ich hab noch nie' spielen."
Es macht mich traurig, dass all sein Lächeln nur den anderen gilt. Immer wenn sein Blick auf mich fällt, bricht das Lächeln weg. Als wäre ich kein Grund zu lächeln. Vielleicht bin ich das ja auch nicht.
Felix, Tom und ich räumen den Tisch ab und spülen dann das restliche Geschirr doch noch schnell. Die anderen bereiten den Tisch für das Spiel vor. Wein wird geöffnet, Weingläser werden auf dem Tisch verteilt und Kerzen werden angezündet. Der Geruch von Streichhölzern füllt den Raum und ich atme ihn lächelnd ein. Er erinnert mich immer an meine Großeltern, die jeden Tag Kerzen angezündet haben.
Es geht reihum, bei uns gegen den Uhrzeigersinn, und jeder sagt einen 'Ich hab noch nie'-Satz. Entweder man muss trinken oder nicht. Eine Zeit lang ist es friedlich und ich beginne, mich zu entspannen. Aber ich habe mich natürlich zu früh gefreut. Wie immer.
"Ich habe noch nie jemandem etwas vorgespielt und ihn angelogen und ihm somit die Wahrheit verschwiegen" Daniels Augen sind kalt wie Eis. Herausfordernd sieht er mich an.
Fassungslos starre ich ihn an. Ich umklammere mein Glas, so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Daniel zieht eine Augenbraue hoch und starrt mich weiterhin zu Boden.
Ich weiß, dass ich verloren habe, also trinke ich einen Schluck aus meinem Glas. Dabei lasse ich Daniel allerdings keine einzige Sekunde aus den Augen. Die Blicke, die sich die anderen zuwerfen, bemerke ich nur aus den Augenwinkeln, nehme sie aber nicht so wirklich wahr. Die Stimmung ist ab da im Keller und wir lösen uns leider relativ schnell auf. Ich bleibe noch einen Moment sitzen und sammle meine Kraft. Wut durchfährt meinen Körper und lässt mich zittern. Der Stuhl schabt über den Boden, als ich mich endlich dazu aufraffen kann, in unser Zimmer zu gehen. Ich habe Angst vor meinen Worten, wenn ich wütend bin, werden sie zur Waffe. Wobei Daniel da ja auch kein Blatt vor den Mund nimmt.
"Musste das sein, Daniel? Ich weiß, dass du mich scheiße findest - aber musst du denn direkt den anderen den Abend versauen?" Ich knalle die Tür hinter mir zu und stelle mich vor ihn.
"Entschuldigung, aber die Wahrheit muss man ja aussprechen oder wie siehst du das? Oh, warte." Er sieht mich nur an, ein Mundwinkel ist leicht nach oben gezogen.
Mir platzt der Kragen. "Daniel, ich habe News für dich: Die Welt dreht sich nicht nur um dich, Mr. Superschlau!" Gut, das war mit Sicherheit nicht meine beste Beleidigung, aber immerhin kontere ich. Das ist immerhin ein Anfang.
"Ich habe auch welche für dich, Hannah: Und die Welt sich auch nicht um dich, Ms. MöchtegernHanSolo." Er macht einen großen Schritt auf mich zu und steht jetzt direkt vor mir.
Mir klappt die Kinnlade auf. "Für den Spitznamen kann ich nichts. Gott, du bist unerträglich, wenn du sauer bist."
Daniel schluckt und kurz wird sein Blick weich. "Ich bin nicht sauer. Ich bin verletzt. Das ist ein Unterschied, Hannah."
Wir stehen uns so nah, dass wir die gleiche Luft atmen. Wenn ich mich ein bisschen auf die Zehenspitzen stellen würde, könnten wir uns küssen. Die Luft um uns ist gespannt, wie die Saiten einer Gitarre. Ich kann nicht aufhören, auf seinen Mund zu starren. Auch Daniel wirkt angespannt und sein Blick wechselt zwischen meinen Augen, in die er wütend blickt, und auf meinen Mund. Aber vermutlich wirkt er nur angespannt, weil er wütend auf mich ist. Er wirkt wie ein Magnet auf mich und ich kann nicht verhindern, dass ich mich langsam auf meine Zehenspitzen stelle, um ihm noch näher zu sein. Er bewegt sich nur um Millimeter. Nur noch ein bisschen. Mein Herz springt aufgeregt in meiner Brust. Doch dann stockt er und grinst.
"Und jetzt gehe ich duschen", fügt er hinzu und lässt mich zurück. Inmitten der gerissenen Gitarrensaiten, die gefährlich herumwirbeln.
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