35 | Schwing' dein Röckchen, Schneeflöckchen
┊┊Cigarettes After Sex - Please Don't Cry┊┊
"Ida?" Meine Stimme krächzt und ich muss mich räuspern.
"Ja, Hannah?" Sie drückt kurz meine Hand.
"Können wir bitte nicht zu mir fahren? Ich möchte nicht, dass Papa mich so sieht. Oder Mama. Oder Nelli."
Wieder drückt meine beste Freundin meine Hand. "Klar."
Ich lehne mich an Idas Schulter und schließe die Augen. Wir sitzen auf dem Rücksitz des Taxis, Felix auf dem Beifahrersitz. Ida hält meine Hand und streichelt mit ihrem Daumen über den Handrücken. Der Fahrstil des Taxifahrers macht mich nervös. Man sollte nicht mit geschlossenen Augen bei jemandem mitfahren, dessen Fahrstil man nicht kennt. Er bremst und beschleunigt sehr oft, lässt das Gas zwischendurch aber wieder los, wodurch wir im Auto immer wieder nach vorne geruckelt werden. Mein Fenster ist geöffnet, obwohl es eisig kalt ist, und der Fahrtwind tanzt mit meinen Haaren. Es riecht nach Winter und nach Schnee. Und obwohl jeder immer sagt, man kann den Schnee nicht riechen - ich rieche ihn. Und ich rieche es, wenn es kurz davor ist zu schneien. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es heute noch den ersten Schnee des Jahres geben wird.
Das Taxi hält an und irgendwie schaffe ich es, Idas Zuhause zu betreten. Schweigend gehen wir in ihr Zimmer, in dem sie mich auf ihr Bett verfrachtet und mich in eine Wolldecke einwickelt. Sie kratzt ein bisschen auf meiner Haut. Verloren fahre ich die Maschen der hellblauen Wolle nach und verfolge die Bewegung mit meinen Augen.Das Bett sinkt ein wenig ein, als Ida und Felix sich jeweils neben mich setzen.
"Du musst zur Polizei!" Ida klingt angespannt, als wäre sie eine Saite einer Gitarre.
"Sehe ich auch so, Hannah", pflichtet Felix ihr bei. Sein Knie berührt meines und bis vor wenigen Tagen hätte mich das so genervt, dass ich den Platz gewechselt hätte. Aber inzwischen kenne ich Felix' Geheimnis und das ändert irgendwie alles.
"Ich kann nicht", flüstere ich und verkrampfe meine Hände in der Decke.
"Du musst, Han", äußert Ida nachdrücklich.
"Das geht nicht. Dann verstoße ich ge-", ich unterbreche mich selbst, doch es ist zu spät. Ich habe mich - mal wieder - verplappert. Und mit Ida und Felix habe ich das Pech, dass die beiden garantiert nicht lockerlassen werden.
"Okay, Hannah. Du hörst mir jetzt mal bitte gut zu." Felix richtet sich kerzengerade auf und starrt mich an. Ich sehe ihn zwar nicht direkt an, aber ich spüre seinen Blick wie tausend Dolche, die sich in meine Brust bohren. "Entweder du erzählst uns jetzt, was das mit dir und Nils zu bedeuten hat, oder wir holen die Polizei und du erzählst es ihnen."
"Nein, keine Polizei. Bitte", sage ich leise. Ich kann meine Stimme kaum finden, als wäre sie mit meinem Bleistift vor Tagen aus dem Fenster geflogen und als hätte unsere schrullige Nachbarin sie mitgenommen, als sie die Schnecken aus ihrem Garten aufsammelte.
"Dann sprich mit uns." Auch Ida starrt mir jetzt Dolche in die Brust.
Ich weiß natürlich, dass ich es niemanden sagen darf. Aber ihr müsst verstehen, dass ich mir gerade vorkomme wie vor Gericht. Und Ida und Felix sind keine geduldigen Richter. Beide nicht. Ich seufze.
"Hast du jetzt Luft geholt um endlich anzufangen?" Ida drückt meine Hand und bohrt ihre Nägel in meine Haut.
"Au!", rufe ich empört.
"Ja, ruf du nur. Wenn du jetzt nicht gleich anfängst, drücke ich die andere Hand", entgegnet Felix nur.
"Also gut." Ergeben nicke ich und erzähle ihnen die ganze Geschichte. Ich kann nicht anders. Und irgendwie tut es gut, sich alles von der Seele zu reden. Auch wenn ich nicht glauben kann, dass ich es wirklich tue. Und falls Nils Wind davon bekommt, möchte ich mir die Konsequenzen nicht ausmalen.
Nachdem ich erzählt habe, springt Ida auf, wie ein Flummi. "Daniel", sagt sie nur und sieht mich verzweifelt an.
"Ich mag ihn wirklich, Ida. Das ist ja das Problem. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll." Verzweifelt werfe ich die Hände in die Luft.
"Du magst ihn wirklich?", erkundigt sie sich und tritt an mich heran.
"Ja, verdammt. Ich mag ihn sehr. Ich ... ich habe mich wirklich in ihn verliebt." Tränen schießen mir in die Augen und ein Druck baut sich in mir auf. Ich habe Angst. Angst ihn zu verlieren, Angst, dass ich alles kaputt mache. Obwohl ich weiß, dass ich das bereits getan habe, als ich mit Nils diesen bescheuerten Deal eingegangen bin.
Felix seufzt erleichtert auf. "Gut, das ist gut."
Heftig schüttle ich den Kopf. "Nein, ist es nicht. Weil ich ihn verletzen werde und dann ist er weg. Und mein Herz auch."
"Wir kriegen das schon hin, Hannah. Irgendwie bekommen wir das schon hin." Beruhigend streichelt Ida mir über den Rücken.
Mein Handy vibriert und ich werfe einen Blick auf das Display. Es ist eine Nachricht von Daniel. Gedankenverloren öffne ich sie.
Daniel: Hallo Hannah, morgen öffnen die Weihnachtsmärkte. Hast du vielleicht Lust, morgen mit mir hinzugehen?
Mein Herz springt und ich kann nicht verhindern, dass sich mir ein Grinsen ins Gesicht stiehlt, obwohl mir eigentlich so überhaupt nicht danach ist. Ida stupst mich fragend an und ich halte ihr mein Handy vor das Gesicht, so energisch, dass ich es ihr beinahe gegen die Nase knalle. Und wir wissen alle, wie weh es tut, wenn einem das Handy ins Gesicht fällt. Wie oft liege ich mit meinem Smartphone im Bett, die Hand mit diesem Teil über mein Gesicht - bis es mir irgendwann herunterfällt und es mitten in meinem Gesicht beinahe einen Krater hinterlässt.
"Oh mein Gott. Sag zu. Los!" Sie quietscht und grinst. Also tippe ich auf meinem Handy herum.
Hannah: Nur, wenn es dort auch Essen gibt.
Daniel: Wie kann man nur ans Essen denken?
Hannah: Weil es nichts Besseres als Essen gibt.
Daniel: Wir werden selbstverständlich dort auch etwas essen. Alles, was du willst.
Hannah: Klingt gut. Wann, wo?
Daniel: Um 18:00 Uhr am Rathaus?
Hannah: Gärtner.
Daniel: Wie bitte? Ich bin kein Gärtner. Ist aber bestimmt ein spannender Beruf. Aber auf dem Weihnachtsmarkt kann er leider nicht gärtnern. Das ist schade.
Ich rolle mit den Augen und grinse. Er ist so bescheuert. Wie ich.
Hannah: Sorry, Autokorrektur. Gerne. Dann bis morgen, Daniel.
Daniel: Würde ich jetzt auch sagen. :D Bis morgen, Hannah. Ich freu mich.
Ida quietscht und quetscht mir den Arm. "Er freut sich! Schreib, dass du dich auch freust. Los!"
Da ich weiß, dass man Ida eher selten widersprechen sollte, tippe ich ein 'Ich mich auch.' ein und schicke es ab.
Morgen gehe ich also mit Daniel auf den Weihnachtsmarkt. Auf den Weihnachtsmarkt. Mit Daniel. Glühwein, gebrannte Mandeln, Zuckerwatte, ausgestellte Kunst zum Verkauf. Weihnachtsmarkt mit Daniel. Daniel. Plötzlich werde ich nervös. So nervös, wie ich es nur bei ihm werde. Ich freue mich darauf, ihn endlich wieder zu sehen und mit ihm alleine zu sein. Also, naja, nicht wirklich alleine. Aber etwas alleine mit ihm zu unternehmen. Der Gedanke an Daniel lässt mein Herz schneller schlagen. Und dann taucht Nils' Gesicht vor meinem inneren Auge auf und die Stimmung ist dahin. Das Wort 'Deal' blinkt wie eine Neonreklame auf und ich versuche, es wegzublinzeln. Ich muss aussehen wie eine Verrückte. Aber gut, ich bin ja auch verrückt. Ich greife wieder mein neues Hobby auf und fahre das Muster der Decke nach. Die Maschen sind unregelmäßig und die Lücken zwischen ihnen sind unterschiedlich groß. Ich betrachte meine Freunde. Ida hält noch immer meinen Arm und hält mit der anderen Hand ihr Handy, auf dem sie herumtippt. Sie bemerkt meinen Blick und legt es wieder weg, nachdem sie die Nachricht abgeschickt hat. Dann fällt ihr Blick auf Felix und auch ich sehe ihn nun an.
Felix steht am Fenster, starrt konzentriert hinaus und überlegt. Mit seinen Fingernägeln tippt er immer wieder gegen den Fensterrahmen und macht dabei einen Rhythmus, den er selbst aber gar nicht wahrzunehmen scheint. Beinahe kann ich die Zahnräder hören, die sich in seinem hübschen Kopf drehen und dabei knarzende Geräusche machen. Ich hole Luft und kann zum ersten Mal seit Langem wieder besser und leichter atmen. Schließlich dreht sich Felix wieder zu mir um und sieht mich ernst an.
"Du musst es deinem Papa sagen. Damit nimmst du Nils den Wind aus den Segeln, dein Papa ist immerhin das Druckmittel. Und sobald dein Vater Bescheid weiß, kann er dir helfen, die ganze Sache zu regeln. Richtig zu regeln."
Energisch schüttle ich wieder meinen Kopf. "Das kann ich nicht machen. Papa würde sich opfern und sich der Öffentlickeit stellen. Ich will mir die ganzen Kommentare meiner Nachbarn nicht ausmalen."
"Das werden wir sehen. Aber ich finde die Idee gar nicht schlecht. Doch das kannst du dir auf jeden Fall nochmal überlegen. Dein Papa wüsste auf jeden Fall was zu tun ist."
"Das kann ich Papa nicht antun." Fahrig wische ich mir über mein Gesicht und werfe einen Blick aus dem Fenster.
Was soll ich nur tun?
Vor dem Fenster von Idas Zimmer steht eine Straßenlaterne. Und in ihrem Licht tanzen die Schneeflocken. Sie wirbeln und fallen, legen sich wie weißer Puderzucker auf den Boden. Der Boden ist noch zu warm, als dass sie dort liegen bleiben würden. Aber es schneit. Und mal wieder hatte ich Recht mit meinem Riecher. Die Frage ist nur, ob ich jetzt auch Recht habe. Wenn ich Papa nichts davon erzähle und mich nicht an ihn wende um mir Rat einzuholen - tue ich dann etwas Falsches? Wenn ich es Papa erzähle und er die Sache mit seiner Vorgeschichte öffentlich macht - tue ich dann das Richtige? Meine Gedanken wirbeln umher wie die Schneeflocken vor Idas Fenster und finden einfach keinen Platz um sich niederzulassen.
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Was denkt ihr?
Soll Hanah es ihrem Papa sagen?
♥
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