31 | Papa im Wunderland.
┊┊Concorde - Just Kiss Her┊┊
Meine Wut verraucht in der Sekunde in der ich ihn lächeln sehe. Gott, Hannah. Du bist so dumm.
"Hallo Hannah." Er beugt sich so nah zu mir, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren kann. Ein Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus.
"Wo ist denn deine Freundin?" Ich kann die giftigen Worte nicht zurüchhalten, und ich kann auch nicht verhindern, dass die Eifersucht in den Worten zu lesen ist. Wenn ich bei Daniel bin, sind meine Gefühle ein offenes Buch für ihn. Ich versuche, meine gesprochenen Worte rückgängig zu machen und überrolle ihn mit weiteren Worten. "Hast du gewusst, dass es in Lesotho die meisten Fußabdrücke von Dinosauriern gibt? Spannend, oder? Und wusstest, du, dass das längste deutsche , veröffentlichte Wort 'Donaudampfschifffahrtselektrizitätenhauptbetriebswerkbauunterbeamtengesellschaft' ist? Der Wahnsinn, oder? Wer denkt sich sowas denn aus? Sag das mal dreimal hintereinander. Da brichst du dir ja die Zunge ab. Ich versuch's mal. Donaudampfschifffahrtselektrizitätenhauptbetriebswerkbauunterbeamtengesellschaft. Donaudampfschifffahrtselektrizitätenhauptbetriebswe-"
Er unterbricht mich, in dem er die Lücke zwischen uns schließt, seine Hände an meine Wangen legt und mich küsst. Seine Lippen sind weich und passen perfekt auf meine. Ich bin zu perplex, als dass ich seinen Kuss erwidere und bleibe deswegen, steif wie ein Brett, stehen. Daniel löst sich von mir und sieht aus wie ein verwirrtes Eichhörnchen und in meinem Kopf ertönt eine Alarmanlage, inklusive hektisch blinkender Lichter. Vielleicht sollte ich etwas sagen. Nein, ich sollte nicht - ich muss.
"Danke", sage ich nur. Ich bin verwirrt und nervös und weiß nicht, was ich tun soll. "Tschüss", füge ich also hinzu und drehe mich um. Du bist so peinlich, Hannah. What the Fruchteis machst du da?
Daniel fasst nach meinem Arm und dreht mich wieder zu sich. Er grinst. Scheinbar weiß er ganz genau, was er gerade mit mir angestellt hat. Er legt den Kopf schief, runzelt die Stirn und überlegt, als wäre das mit dem Kuss nie passiert. "Ach, du meinst die tanzende Hüpfdohle? Die hab ich stehengelassen, sie war mir dann doch etwas zu anhänglich. Und das dulde ich schließlich nur bei einer ganz bestimmten Person." Sein Lächeln lässt mein dummes Herz hüpfen und ich will mich kopfschüttelnd umdrehen.
Ich spüre jedoch eine Hand, die mein Handgelenk sanft umschließt und mich am Gehen hindert. "Bitte bleib und tanz mit mir, Hannah." Sein Blick lässt mich nicht los, er lässt mich nicht gehen. Und ich möchte auch gar nicht mehr gehen. Also ziehe ich ihn auf die Tanzfläche, auf der sich die tanzenden Besucher des Clubs mehr oder weniger gut präsentieren. Daniel nimmt meine Hände und legt sie sich um den Hals. Wir tanzen langsam, in unserem ganz eigenen Takt und ich wäre gerade nirgendwo lieber als hier, bei ihm.
Ich werde wach, als mir jemand die Bettdecke wegzieht. "Hanni, du musst aufstehen!" Nellis Engelsstimme schallt durch mein Zimmer. Murrend öffne ich ein Auge. Sie steht mit hochrotem Kopf vor meinem Bett, meine Bettdecke liegt verknäuelt auf dem Boden meines Zimmers. Die Morgensonne taucht den Boden in goldenes Licht. Schläfrig schnappe ich mir mein Handy und stelle fest, dass ich nur drei Stunden geschlafen habe.
"Komm, Hannah. Mama sagt, du sollst aufstehen. Wer feiern kann kann auch arbeiten, hat sie gesagt."
"Lass mich, Nelli", murre ich und drehe mich um. Als ich nach meiner Bettdecke greifen will, fällt mir wieder ein, dass sie auf dem Boden liegt. Seufzend richte ich mich auf und öffne nun auch das andere Auge. Heute ist Papas Geburtstag und all unsere Verwandten kommen zu Besuch. Gestern hat Daniel dich geküsst. Sofort bin ich hellwach. Und du dumme Nuss hast ihn nicht zurückgeküsst, standest nur da wie ein starres Nilpferd und hast nichts getan. Nichts. Verärgert schürze ich die Lippen und stütze meinen Kopf auf meiner Hand ab.
Nelli steht vor mir und mustert mich. "Warum guckst du so, Hannah?"
"Wie guck ich denn, Mäuschen?" Ich wuschle ihr durch das Haar, was sie wütend aufgrunzen lässt. Hach, meine Schwester ist ein kleines Schweinchen. Wie perfekt. Meine Eltern müssen stolz auf uns sein. Ein Nilpferd und ein Schweinchen, das ist die Kombination aus Kindern auf die Eltern stolz sein müssen.
"Du guckst wie jemand, der kein Stück vom Kuchen bekommen hat." Sie stemmt ihre kleinen Hände in die Hüfte und sieht mich neugierig an.
Ich lache und stehe auf. "Wann kommen die Gäste?", erkundige ich mich.
"Später", sagt sie nur und verlässt mein Zimmer. Aber nicht, ohne mich noch einmal mit gerunzelter Stirn von oben bis unten zu mustern. Sie geht dabei rückwärts und läuft geradewegs gegen den Türstock. Nelli lässt sich jedoch nichts anmerken und geht weiter. Gruselig! Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, sie ist ein Teil eines Horrorfilms. Aber wer weiß? Vielleicht ist mein Leben ja ein Horrorfilm und es ist mir gar nicht bewusst? Da ich möglichst gut aussehen möchte, sollte ich heute meinen Mörder treffen, mache ich mich ans Werk und stelle mich zuerst unter die Dusche.
Daniel hat dich geküsst. Und du hast ihn einfach nicht zurückgeküsst. Wütend über meine aubleibende Reaktion ihm gegenüber schrubbe ich wie verrückt das Duschgel von meiner Haut. Seufzend stehe ich vor dem Spiegel und schminke mich. Ich bin leider kein wirklicher Freund von Familienfeiern. Versteht mich nicht falsch - ich liebe meine Familie. Aber man muss sich bei solchen Veranstaltungen ständig den immergleichen Fragen der Verwandtschaft aussetzen und ich ertrage das einfach nicht mehr. Ich werde immer über mein Liebesleben ausgequetscht. Traurig ist nur, dass sich daran nichts ändert und meine Antworten somit stets die gleichen sind und sich daran auch nichts ändern wird. Vor allem nicht, wenn ich den Mann nicht zurückküsse, der mich küsst und der mein Herz zum tanzen bringt.
Papa steht in der Küche, mit einem Geschirrtuch in der Hand, und starrt aus dem Fenster.
"Guten Morgen, Geburtstagskind! Was starrst du so aus dem Fenster? Läuft da dein junges Ich vorbei?"
Grinsend dreht er sich um und wirft mir das Geschirrtuch gegen den Kopf, welches ich auffange, bevor es zu Boden fällt. Papa so grinsen zu sehen macht mich glücklich. Er hat es verdient, glücklich zu sein. Und ich werde alles tun, um das Gegenteil zu verhindern. Ich umarme ihn fest und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.
"Alles Gute zum Geburtstag, Papa. Wie fühlt man sich so, als alter Mann?"
"Gut, muss ich sagen. Ich habe mein Leben im Griff, eine wunderbare Ehefrau, eine wunderschöne Tochter, die gerade mit ihrer Mutter beim Bäcker ist und die andere Tochter ist auch ganz okay." Er grinst verschmitzt und wuschelt mir durch die Haare. Gespielt wütend sehe ich ihn an und versuche, mein Grinsen zu verstecken. Doch Papa kennt mich zu gut.
"Danke, Papa. Du bist immer so charmant."
Er nickt und beugt sich über die Arbeitsplatte. "Ich weiß. Und heute darf ich alles tun - was ich will. Heute ist mein Geburtstag und ich bin der König."
"Ja, genau. Du bist der König der Welt."
"Es reicht mir schon, wenn ich dein König bin. Und das bin ich. Schon allein weil ich dein Vater bin. Also sprich mich bitte mit 'Eure Hohheit an' und bereite das Frühstück, Prinzessin Hannah!" Er setzt sich aufrecht und mit gespielt ernstem Gesicht auf seinen Stuhl und legt die Fingerspitzen aneinander. Kopfschüttelnd hole ich Wurst, Käse, Marmelade und so einiges anderes aus unserem Kühlschrank und richte es ansehnlich auf Tellern an. Gerade als ich die Gurke in Scheiben schneide und mich darauf konzentriere, mich nicht in den Finger zu schneiden, schiebt Papa den Stuhl zurück und erschrickt mich damit so, dass ich mit dem Messer abrutsche. Gerade noch kann ich meine Hand wegziehen, bevor ein blutiges Malheur passieren kann. Das würde mir gerade noch fehlen! Dann wäre ich Hannah ohne Finger.
Ich trinke einen Schluck Wasser und kann nicht verhindern, an Daniels Lippen zu denken.
"Und, wen hast du gestern so geküsst?" Papa stellt sich neben mich und beobachtet mich interessiert, mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.
Ich verschlucke mich so sehr an meinem Wasser, dass ich Sterne sehe und sich hinter meiner Stirn ein unangenehmer Druck aufbaut. "Niemanden", krächze ich. Was ja genau genommen nicht gelogen ist. Denn ich habe ja niemanden geküsst. Ich wurde geküsst. Aber ich habe niemanden zurückgeküsst.
Zum Glück kommen Mama und Nelli gerade die Tür herein, bevor Papa mich mit weiteren unangenehmen Fragen in die Mangel nehmen kann. Nelli zieht sich die Schuhe aus und hopst durch die Küche auf Papa zu. Sie wirft sich ihm entgegen und umarmt ihn stürmisch.
"Geburtstagspapa! Wir haben dir eine tolle Überraschung mitgebracht. Es sind Schokocroissants! Toll, oder?" Stolz hält sie eine Papiertüte in die Luft und hätte es ihm beinahe ins Gesicht geklatscht. "Und gleich bekommst du unser Geschenk!"
"Kommt, meine Herzensdamen, wir frühstücken", sagt Papa leise und hektisch blinzelnd. Er ist sichtlich gerührt, wie wir alle um ihn herumscharwenzeln und versucht dies zu überspielen, in dem er höchst interessiert die Packung Butter in die Hand nimmt und die Inhaltsangabe liest.
Unser Geburtstagsfrühstück ist eine Familientradition. Mama, Papa, Nelli und ich verbringen das Frühstück an unseren Geburtstagen immer zu viert. Ich genieße die Zeit mit meiner Familie und freue mich, dass wir Papas Geburtstag feiern können. Vor einiger Zeit sah es nicht so aus, als könnten wir das je wieder tun; als könnten wir je wieder eine normale Familie sein. Zum Glück hat sich das Blatt gewendet - und ich werde auch alles in meiner Macht stehende tun damit das so bleibt.
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