27 | Wenn das Chaos ausbricht.
┊┊BANKS - Underdog┊┊
Ich denken an unseren ersten Kuss zurück. Der so drängend und forschend war. Wie kurz davor wir damals waren miteinander zu schlafen. Das Gefühl seines Mundes auf meinem. An Daniels Lüge die mich davon abhielt, einen Schritt weiterzugehen.
Und ich denke an mein Herz, das bei dem Gedanken, Daniels Herz zu brechen, selbst in tausend Splitter zerfällt. Er hat das nicht verdient.
Die Stimmung im Auto ist so eigenartig, dass ich sie mit Worten nicht beschreiben kann. Einerseits ist sie aufgeladen mit Wünschen - aber andererseits mit Ängsten und Vorsicht. Es schüchtert mich ein, welchen Einfluss Daniel auf mich hat. Wie er mich umwirft und immer wieder überrascht.
Inzwischen stehen wir mit seinem Auto vor meinem Haus und ich weiß nicht, wie ich mich von ihm verabschieden soll. Soll ich ihn umarmen? Soll ich einfach 'Tschüss' sagen? Soll ich ihm einen Kuss geben? Auf den Mund? Auf die Wange? Was soll ich tun? Verloren sitze ich neben ihm und klammere mich an dem Haltegriff an der Tür fest.
"Danke für den schönen Abend", äußert er und fährt mit seinen Händen langsam über das Lenkrad. Seine Hände faszinieren mich und ich wünsche mir, dass ich seine Hand endlich wieder halten darf. Dass ich mit meinen Fingerspitzen über seinen Handrücken fahren darf.
"Danke auch für den schönen Abend", entgegne ich und sehe ihn an. Er weicht meinem Blick aus. Und ich habe keine Lust mehr zu warten. Die Spannung ist nahezu greifbar und ich halte es einfach nicht mehr aus. Ich öffne die Tür und sehe ihn an. Aber noch immer ist sein Blick auf das Lenkrad gerichtet.
"Also Tschüss dann", sage ich leise, steige aus und schließe die Tür.
"Hannah, warte." Daniel steigt aus dem Auto aus und kommt auf mich zu. Mein Herz schlägt Purzelbäume und plötzlich bekomme ich weiche Knie. Zielstrebig läuft er auf mich zu, mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Mein Herz flattert und mein Mund kribbelt in der freudigen Erwartung unseres Kusses.
Benommen schlucke ich, als er lediglich seine Arme um mich legt und umarmt. Es ist die Art von Umarmung, in der man sich sicher fühlen kann. Er drückt mich fest an sich und hält mich so für eine Weile an sich gedrückt. Auch wenn ich solche Umarmungen liebe - ich hätte mir von ihm jetzt etwas Anderes gewünscht. Okay. Ich versuche, mir die Enttäuschung nicht zu sehr anzumerken und setze ein Lächeln auf, als wir uns wieder trennen.
"Bis dann", platzt er heraus und sprintet zum Auto. Er lässt mich vor meiner Haustür stehen und fährt in die Nacht. Ich komme mir vor wie im falschen Film.
Habe ich etwas falsch gemacht? Ach, Hannah. Du bist so naiv. Ich bitte dich. Sieh dich doch nur an. Als würde Daniel jemanden wie dich auch nur ansatzweise toll finden.
"Wie war dein Date?" Mama tippt mit ihren Finger am Türrahmen und strahlt mich an während ich aus meinen Schuhen schlüpfe. Mein Blick gleitet zu Papa, der mich genauso ansieht. Beide stehen da und warten auf meine Antwort, als wäre ich irgendeine interessante Attraktion auf dem Jahrmarkt. Ich habe keine Lust auf Reden.
"Es war nett. Gute Nacht", sage ich deswegen nur und flüchte in mein Zimmer.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es bereits 23 Uhr ist und ich dringend schlafen sollte, wenn ich es morgen früh pünktlich zur Schule schaffen möchte. Außerdem entdecke ich eine Nachricht von Ida. Sie möchte wissen, wie das Date war. Ich antworte auch ihr eher kurz und bin froh, als ich endlich in meine Bett liege.
Nils steht vor mir und grinst mich feixend an. Ich bin so geladen, dass ich ihm am liebsten den Stuhl auf dem ich sitze in seine hässliche Fratze werfen möchte. Sein selbstgefälliges Grinsen macht mich so wütend.
"Na, wie läuft es mit deinem Herzbuben, Hannah?", erkundigt er sich. Felix, der neben ihm steht und angespannt in sein Handy starrt, sieht verwundert auf. Sein Blick springt zwischen Nils und mir hin und her.
"Wirst du schon noch früh genug erfahren, du Erbseneintopf."
"Na, na, Hannah. Sei mal ein bisschen netter zu mir." Er grinst und ich möchte ihm das Grinsen aus dem Gesicht wischen. Mit einem Vorschlaghammer.
Ich stehe mit Ida auf unserem Schulhof. Ratlos fummle ich am Reißverschluss meiner Jacke herum und starre auf den Boden. Ida wartet bis ich weiterspreche. Gerade bin ich dabei ihr von dem gestrigen Abend zu erzählen. Als ich fertig bin schiebe ich meine Unterlippe vor und starre Löcher in den Boden.
Ida überlegt. "Ich verstehe das nicht. Als er dich gestern abgeholt hat hat er dich so angestrahlt. Es ist nicht zu leugnen, dass er dich mag."
"Wie es auch nicht zu leugnen ist, dass Max dich mag", schiebe ich ein und Ida grunzt verlegen. Selbst das Grunzen klingt bei ihr süß.
"Ja, klar", entgegnet sie nur.
"Boah, Ida. Du bist wirklich blind, oder? Max mag dich. Sehr. Und es wird Zeit, dass ihr jetzt endlich mal zusammenkommt. Ich ertrage diese sabbernden Blicke die ihr euch heimlich zuwirft nicht mehr."
Ida schlägt mir auf den Oberarm und versteckt sich dann hinter ihren Händen. Ihr Gesicht ist rot und sie ist verlegen. Kopfschüttelnd boxt sie mich noch einmal und versucht dann mich wütend anzusehen. "Ich sehe ihn nicht sabbernd an." Schmollend verschränkt sie die Arme vor der Brust.
"Aber du leugnest nicht, dass du ihn magst?" Ich ziehe meine Augenbraue nach oben.
Sie sieht mich an und dann betreten auf den Boden. "Du weißt ganz genau, wie sehr ich ihn mag."
Was Ida nicht weiß, ist, dass Max hinter ihr steht und das ganze Gespräch mit angehört hat. Ich bin eine böse Freundin, denn ich hätte sie vorwarnen müssen. Aber manchmal muss man Leute zu ihrem Glück zwingen. Vor allem wenn es um Ida geht.
Ich grinse Max an und er setzt sich neben Ida. Sie sieht aus, als würden sich ihr Körper weigern, weiterhin Luft in ihre Lungen zu pumpen. Auch Max sieht sichtlich nervös aus, aber weitaus sicherer als Ida. Vorsichtig nimmt er ihre Hand zwischen seine Hände und streichelt ihr mit dem Daumen über den Handrücken. Dieser Moment ist so intim, dass ich aufstehe und gehe. Ich weiß, dass Ida bei Max in guten Händen ist. Und wenn sie glücklich sein kann, dann ist es alles was ich möchte. Kurz drehe ich mich um und sehe, wie Max Ida eine Strähne aus dem Gesicht streicht.
Die letzten Schulstunden bringe ich wie in Trance hinter mich. Ich habe einen Entschluss gefasst. Ich werde Daniel besuchen. Es ist eigentlich absoluter Blödsinn, dass ich es tue. Weil ich ihm nachlaufe. Aber es hat gestern wehgetan, wie er mich vor meinem Haus stehen hat lassen. Und vielleicht hat ihm der gestrige Abend ja auch gezeigt, dass ich nicht sein Typ bin und er ist deswegen so schnell davon. Dann hat sich das Problem, dass ich ihm das Herz breche, sowieso erübrigt. Es ist eine absolute Schnappsidee und es macht überhaupt keinen Sinn. Nichts macht Sinn. Aber ich möchte ihn sehen. Vielleicht ist das der Grund. Vielleicht macht das ja Sinn. Ich hoffe es.
Ich steige in den Bus und nehme im hinteren Teil des Fahrzeuges, am Fenster, Platz. Der Bus ist bis auf wenige Passagiere leer. An der nächsten Bushaltestelle steigt nur ein Typ ein. Als er in meine Richtung geht mustert er mich, als wäre ich ein Stück Fleisch. Er bleibt stehen und tippt in sein Handy. Auf seinem Gesicht erscheint ein Grinsen und er sieht mich an. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Vor allem nicht, als er mich anzwinkert und sich schräg hinter mich niederlässt. Ich fühle mich beobachtet. Auch wenn ich Daniel überraschen möchte - sodass er nicht vor mir flüchten kann - ich entscheide mich dafür, ihm zu schreiben. Wenn er mich abholt, fühle ich mich weitaus sicherer als wenn ich alleine durch die Dämmerung laufe. Denn ich mache mir Sorgen, dass der Gruseltyp aus dem Bus mit mir aussteigt.
Daniel stimmt erfreulicherweise zu, mich abzuholen und so lehne ich mich jetzt etwas entspannter in meinem Sitz zurück. Die nächste Haltestelle ist meine. Also stehe ich auf und gehe zur Tür. Der gruselige Typ bleibt sitzen und starrt in sein Handy. War also doch nur Fehlalarm, Hannah. Alles gut.
Der Bus hält und ich steige aus. In freudiger Erwartung drehe ich mich um und suche Daniel und dann sehe ich, dass, kurz bevor sich die Bustüren schließen, der Typ aus dem Fahrzeug springt. Er kommt auf mich zu.
Als ich mich von ihm wegdrehe, stehen mir zwei weitere Typen gegenüber. Von Daniel ist weit und breit nichts zu sehen. Mir wird schlecht und ich kann die aufkeimende Angst nur schlecht unterdrücken. Die Straße ist ansonsten leider leer. 'PP' würde Papa es jetzt nennen - Persönliches Pech. Ich gehe auf die Typen zu um an ihnen vorbeizugehen. Nur ist das scheinbar nicht möglich.
Sie grinsen mich allesamt an und stellen sich so hin, dass ich nicht ausweichen kann. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und versuche, die Panik, die sich in mir ausbreitet, zu unterdrücken. Doch als ich die Typen mustere, wird mir wieder schlecht. Sie alle sehen aus, als würden sie in das Fitnessstudio gehen - und zwar regelmäßig. Ich hätte keine Chance gegen sie. Ihre Jacken spannen unter der drohenden Masse an Muskeln.
"Was wollt ihr?", entfährt es mir und ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme zittert.
"Du bist doch die Kleine von Daniel, oder?", erkundigt sich der eine mit einer erstaunlich hohen Stimme, die gar nicht zu ihm passt.
"Wer will das wissen?", kotze ich ihm vor die Füße. Doch dann erkenne ich sie, als ich sie von Nahem sehe. Es sind die Typen aus dem Imbiss. Sie sehen mich an. Mustern mich. So intensiv, dass ich zurückweiche. Aber natürlich folgen sie mir. Inzwischen stehe ich mit dem Rücken zur Wand. Der Typ aus dem Bus feixt und schubst einen der Typen in meine Richtung.
"Also Pübbi. Ich würde vorschlagen, wir haben hier jetzt mal ein bisschen Spaß. Wobei ich es hier gar nicht so schön finde", seine Stimme ist tiefer. Er greift meinen Arm und drückt ihn fest, als er mich in eine Seitengasse zerrt. Ich bin zu starr um mich zu wehren. Zu starr um zu schreien. Die Angst hat sich in meinem Körper breit gemacht und lässt mich in Schockstarre zurück.
"Mach schon, Pit!" Der Typ mit der hohen Stimme ruft dem der vor mir steht zu.
Pit hebt seine Hand und fährt mir damit über mein Gesicht, meine Wange. So zärtlich, dass ich kotzen möchte. Ohne Vorwarnung greift er mit der einen Hand grob nach meinem Kinn und reißt meinen Kopf mit der anderen an meinen Haaren zurück. Ich keuche vor Schmerz auf. Er löst die Hand aus meinen Haaren, öffnet meine Jacke und legt sie auf mein Schlüsselbein. Langsam fährt er damit in Richtung meiner Brust und erneut keuche ich auf. Vor Angst.
Doch weiter kommt er nicht.
"Nimm deine dreckigen Drecksgriffel von ihr, Pit, oder ich schwöre, ich mache dich kalt." Daniels Stimme ist schneidend und kalt. Und doch ist sie warm wie ein Licht während ich benommen durch die Dunkelheit irre.
Daniel ist kaum zu erkennen, da er im Dunkeln steht. Er tritt in den Lichtkegel und seine Augen sind schwarz wie zwei Onyxe. Er würdigt mich keines Blickes. Und ich bin froh, denn sein Blick könnte töten, so wütend wie er ist. Seine Wangenmuskeln zucken. Ich reiße mich von Pit los, der kurz wie eine Salzsäule erstarrt ist. Doch keine Sekunde später regt er sich, schubst mich gegen die Wand und geht auf Daniel zu. Piepsstimme stellt sich neben mich und hält mich am Arm fest, sodass ich nicht weglaufen kann. Der Typ aus dem Bus steht neben Pit und ich habe Angst um Daniel.
"Geh, Sven. Das hier ist eine Sache zwischen mir und meinem Danielbaby. Stell dich zu dem Flittchen", motzt er und zeigt in meine Richtung. Sein Fehler ist, dass er Daniel nicht im Blick hat und so bekommt er den ersten Fausthieb mitten in sein Gesicht.
Pit lässt das allerdings nicht auf sich sitzen und schlägt zurück. Und in kurzer Zeit hat sich eine Schlägerei entwickelt. Erstaunlicherweise hat Pit keine Chance gegen Daniel. Vielleicht ist er auch einfach nur zu baff, dass Daniel sich erfolgreich gegen ihn wehren kann. Daniel sitzt auf ihm und schlägt auf ihn ein. Piepsstimme und Bustyp ziehen Daniel schließlich von Pit weg und verpissen sich so schnell wie es ihnen möglich ist. Aber natürlich nicht, ohne mir nochmal vor die Füße zu spucken.
Daniel sitzt auf dem Boden und sieht zu mir hoch. Sein Gesicht ist mit Blut bedeckt, das aus seiner Nase läuft. Doch seine Augen strahlen dunkel. Er lächelt und das Lächeln ist alles was ich mir in diesem Moment wünsche.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro