26 | Sternenkinder.
┊┊Shura - White Light┊┊
Daniel kaut und überlegt. "Schwierig. Aber ich denke, dass ich es nicht wissen möchte. Ansonsten würde ich mein Leben vermutlich komplett anders leben, beeinflusst von meinem Wissen und dann würde ich meine Zukunft ja wissentlich ändern. Und wer weiß, was das Schicksal noch so für mich bereithält. Dann ist ja die ganze Überraschung weg", antwortet er nachdenklich, als er runtergeschluckt hat. Zustimmend nicke ich und nehme einen Schluck von meinem Getränk. Ich würde es auch nicht wissen wollen. Zu sehr würde ich mein Leben danach leben und es unwissentlich verändern - sodass die Zukunft, die ich gesehen habe, gar nicht eintreten kann. Ich beobachte Daniel während er nach einer Frage sucht und dabei seine Nudeln aufspießt.
"Gut, meine nächste Frage an dich: Gibt es etwas das du schon immer mal machen wolltest? Warum hast du es noch nicht getan, was hat dich davon abgehalten?", möchte er wissen und sieht mich abwartend an.
Während ich esse überlege ich. "Ich würde gerne einmal durch Mittelamerika reisen. Getan habe ich es noch nicht weil ich ein Schisser bin und nicht alleine reisen möchte. Aber Ida hat da keine Lust drauf. Sie sagt, es sei zu gefährlich für zwei Mädels allein. Theoretisch könnte ich auch alleine durch Mittelamerika reisen aber ich selbst stehe mir im Weg. Wie immer", sage ich leise und trinke einen weiteren Schluck Wasser damit ich etwas habe hinter dem ich mich verstecken kann. Daniel sieht mich nachdenklich an und macht mich damit verlegen. Ich winde mich unter seinem Blick und rutsche nervös auf meinem Stuhl hin und her.
Dabei fällt meine Serviette auf den Boden. Wie soll es auch anders sein? Daniel möchte sie mir aufheben aber ich winke ab und tauche unter dem Tisch ab. Hier könnte ich bleiben. Sicher vor blöden Blicken. Daniels Füße tauchen vor meinem Blickfeld auf und ich bewundere kurz seine schönen Schuhe. Ich greife nach der Serviette und krieche unter dem Tisch hervor. Allerdings habe ich es so gar nicht drauf, Höhen und Tiefen zu schätzen. Aus diesem Grund schlage ich meinen Kopf mit voller Wucht an der Unterseite des Tisches an. So sehr, dass ich überhalb von mir Geschirr klirren höre. Und Daniel.
"Hannah?", ruft er erschrocken.
Ich sehe Sterne die auch nach mehrmaligem Blinzeln nicht verschwinden. Also setze ich mich auf den Boden.
"Hannah?", fragt Daniel erneut aber ich bin zu benommen um zu antworten.
Kurze Zeit später wird die Tischdecke beiseite geschoben und Daniels Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld. Mein Kopf pocht und mir ist schummrig. Ich schließe meine Augen weil sich alles dreht.
"Hannah? Was machst du denn für Sachen?" Daniel kniet sich vor mich. Es ist ihm scheinbar egal, dass wir uns inmitten eines gut besuchten Restaurants befinden. Sanft und vorsichtig legt er seine Hände an mein Gesicht, um mich zu zwingen ihn anzusehen. Schließlich sehe ich ihn an. Besorgnis ist in sein Gesicht geschrieben.
"Du hast Sterne im Gesicht. Bist du in eine Galaxie gefallen?", kichere ich als wäre ich betrunken und blinzle mehrmals. Langsam lösen sich die funkelnden Sterne vor mir auf.
Daniel schmunzelt und legt mir eine Hand an die Stirn. "Hast du Fieber?"
Ich schüttle den Kopf. Fehler. Mir wird wieder schwummrig. "Nein. Du bist heiß genug."
Er lacht und schüttelt kurz den Kopf. "Bist du betrunken?"
"Ja, von dir", entgegne ich nur und schlage mir die Hände vor den Mund. Verdammt, was ist nur los? Es ist so gefährlich wenn mein Mund schneller spricht als ich denken kann. Scheinbar habe ich die Verbindung zwischen meinem Gehirn und meinem Hirn zerbrochen.
Daniel grinst. "Komm, Hannah, wir müssen hier wieder raus."
Mühsam klettere ich unter dem Tisch hervor, darauf bedacht, niemandem ins Gesicht zu sehen. Mein Gesicht ist inzwischen sicherlich so rot wie eine Tomate. Fast schon angstvoll wage ich einen Blick auf den Tisch. Aber es steht alles noch an seinem Platz. Erleichtert seufze ich auf. Meiner Pizza geht es gut.
Um die Peinlichkeit zu überspielen, räuspere ich mich und stelle meine nächste Frage. "Worauf achtest du beim anderen Geschlecht?"
"Auf die Augen. Und das Lachen. Und ich finde es wahnsinnig anziehend wenn sie selbstbewusst ist und kontern kann. Wenn sie lustig ist und vielleicht auch ein bisschen tollpatschig. Die positive Ausstrahlung ist, meiner Meinung nach, das erste, was man wahrnimmt." Er nickt, anscheinend zufrieden mit seiner Antwort und kurz stiehlt sich ein Lächeln auf sein Gesicht. "Gut, meine nächste Frage wäre: Was würdest du dir eher wünschen: Geliebt zu werden oder viel Geld zu haben?" Abwartend sieht er mich an.
"Ersteres", antworte ich schlicht und beiße in meine Pizza. Dass ich jedoch Angst vor dem Gefühl geliebt zu werden habe, sage ich nicht. Mal davon abgesehen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man sich in mich verlieben könnte. Ein trauriges Lächeln stiehlt sich für wenige Sekunden in mein Gesicht, ehe ich es verdränge und noch einen Schluck von meinem Getränk nehme. Wenn das so weitergeht sitzt du den halben Abend auf Toilette. Mein Kopf pocht leise aber ich sehe zumindest keine Sterne mehr. Ich atme tief durch und stelle meine nächste Frage.
"Hast du schon mal Drogen genommen?", möchte ich wissen. Diesmal bin ich diejenige, die ihn nicht aus den Augen lässt. Er windet sich unter meinem Blick und sieht zur Seite. Ich deute das mal als 'ja'.
Daniel seufzt ergeben und nickt. "Ja, das habe ich."
"Welche?", frage ich neugierig.
"Keine Extrafragen, Hannah. Deine Regeln." Er zwinkert mir zu und lächelt. Doch das Lächeln erreicht seine Augen nicht. Daniel widmet sich dann konzentriert seinem Essen ehe er seine nächste Frage stellt.
Inzwischen warten wir auf das Dessert und haben so einiges über den jeweils anderen gelernt. Unter anderem habe ich Fragen nach einer möglichen Superkraft gestellt, nach Weihnachten, nach seinen Eltern und seinem Lieblingsessen. Er hat sich, unter anderem, nach meinem Lieblingseis erkundigt, welche peinlichen Geschichten ich auf Lager habe, wovor ich wahnsinnige Angst habe und was ich in meinem Leben schätze.
Erneut ist Daniel an der Reihe. Er nimmt einen Schluck von seiner Cola und sieht sich im Restaurant um. Sein Gesicht erhellt sich als er sich scheinbar für eine Frage entschieden hat. Er lächelt. "Was ist der bescheuertste Anmachspruch mit dem je ein Typ sein Glück versucht hat?"
Ich lache kurz laut auf. Hach, dein elegantes Nilpferdlachen. Wie immer. "Oh, da gibt es, lustigerweise, eine ganze Menge. Zum Beispiel 'Du musst der wahre Grund für die globale Erderwärmung sein.' oder 'Hallo! So wie du aussiehst, hast du nur auf mich gewartet.' und auch 'Merk dir meinen Namen - du wirst ihn die ganze Nacht schreien.' Wirklich wunderbar, oder?"
Daniel bricht in schallendes Gelächter aus. "Sowas musst du dir anhören? Ihr armen Frauen. Oh Gott, da schämt man sich direkt, ein Mann zu sein. Ich fass es nicht."
Ich kann ihn nur anstarren, weil ein echtes Lachen einen Menschen so schön macht. Es ist ansteckend, und keine zwei Sekunden später, sitze ich ihm lachend gegenüber. Meine Kopfschmerzen sind vergessen. "Tja, so ist das mit euch Kerlen. Unmöglich! Unmöglich! Mach dich bereit für die nächste Frage, Daniel. Worauf bist du in deinem Leben besonders stolz?", möchte ich wissen.
Der Kellner bringt unseren Nachtisch, heiße Himbeeren mit Vanilleeis. Ich liebe Eis. Seufzend schnappe ich mir einen Löffel und schiebe mir sogleich Eis in den Rachen. Daniel überlegt und sucht nach einer Antwort auf meine Frage.
"Ich denke, ich bin stolz darauf, dass ich den Absprung von bestimmten Menschen und Substanzen geschafft habe. Auch wenn es schwer war, aber ich habe es geschafft. Und ich bin stolz auf mich", sagt er leise. Nachdenklich und schüchtern sammelt er Himbeeren und Eis auf seinen Löffel.
"Ich auch", entgegne ich ebenso leise und lege kurz meine freie Hand auf seine. Er sieht mich an und sein Blick ist so intensiv, dass ich Gänsehaut bekomme. Daniel lächelt mich an und widmet sich anschließend wieder dem Dessert. Hey, ich bin auch Dessert!
Die Rechnung kommt und wir zahlen - und ich bestehe darauf, selbst für mein Essen aufzukommen, denn es war nie die Rede davon, dass er mich einlädt. Mal davon abgesehen, dass ich es hasse, jemandem auf der Tasche zu liegen. Nach einer kleinen Diskussion - die ich natürlich gewonnen habe - gibt er sich geschlagen. Ich bin stolz auf mich, dass ich die Diskussion gewinne obwohl mein Kopf leise vor sich hinpocht.
Wir verlassen das Restaurant mit vollen Bäuchen. Mein Kopf ist aber mindestens genauso voll. So viele Informationen über Daniel habe ich erfahren, worüber ich nachdenke, als wir durch die Nacht laufen. Schweigend gehen wir den kurzen Weg durch die Dunkelheit, die nur durch einige Straßenlaternen unterbrochen wird, zu seinem Auto. Die Nachtluft ist frisch und tut gut nach der stickigen Hitze in dem Restaurant. Ich genieße es, meine Lungen damit zu füllen.
Daniel öffnet mir auch jetzt wieder die Tür, wartet, bis ich eingestiegen bin und begibt sich dann schließlich auf den Fahrersitz. Er startet den Motor. Doch er fährt nicht los.
"Hannah, eine Frage die nicht zu meinen restlichen drei Fragen gehört: Wäre es schlimm wenn wir nicht ins Kino gehen? Ich finde die Unterhaltung, die wir gerade haben, viel zu toll um sie zu unterbrechen."
"Ich auch", stimme ich ihm zu. "Aber was machen wir stattdessen?"
Ein freches Grinsen stiehlt sich in sein Gesicht, was mich dazu veranlasst, ihm auf den Oberarm zu schlagen. Gespielt böse sieht er mich an, doch er sehr bald muss er erneut grinsen. "Spaß. Ich wüsste da was. Wie gut, dass ich immer eine große Decke im Auto habe."
Daniel fährt durch die Nacht und Musik füllt das Auto. Immer wieder wirft er mir einen Blick zu, den ich nur zu gerne erwidere. Irgendwann hält er an. Wir parken am Stadtrand, auf einem kleinen Hügel und haben eine perfekte Aussicht. Vor uns liegt die ganze Stadt, ein großes einziges Lichtermeer. Und über der Stadt, über uns, flackert eine Unendlichkeit an Sternen. Das Schweigen, das uns seit einigen Minuten umhüllt, ist kein unangenehmes Schweigen. Es legt sich eher sanft über uns, wie die Decke, die Daniel gerade über uns legt. Zu ergriffen sind wir von dem Anblick. Noch sind nicht alle Fragen gestellt und ich freue mich auf den Rest, der irgendwann noch kommt. Aber in diesem Augenblick genieße ich Daniels Gegenwart und die Ruhe die uns umgibt.
"Wünsch dir was, Daniel", sage ich leise während ich fasziniert die Sterne betrachte. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er mich betrachtet.
"Hab ich schon." Seine Stimme klingt näher als erwartet. Sein Kopf lehnt an seiner Kopfstütze und ist keine 50 Zentimeter von mir entfernt. Ich kann sein Aftershave riechen und versuche, seinen Duft so unauffällig wie möglich zu inhalieren. Sein Blick springt zwischen meinen Augen und meinem Mund hin und her. Es kribbelt in mir und ich wünschte, ich hätte den Mut, ihn einfach an mich zu ziehen und zu küssen. Aber das traue ich mich nicht. Nicht mehr.
Daniel lächelt schüchtern und wendet seinen Blick schließlich gen Himmel. Ich lehne meinen Kopf gegen das Fenster und beobachte ein blinkendes Flugzeug, das über die Stadt fliegt.
"Weißt du, Muriel Rukeyser hat einmal gesagt: 'Das Universum besteht aus Geschichten, nicht aus Atomen.' Und irgendwie finde ich diesen Gedanken so wahr. Und so wunderschön." Er fährt mit seinen Händen über das Lenkrad. "Wie dich", fügt er schon fast flüsternd hinzu.
Und mein Herz wird in sattes Gold getaucht.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro