24 | Das Vorspiel.
┊┊Ruelle - The Other Side┊┊
"Hallo Schönheit, wie geht es dir?" Daniels Stimme zerrt an meinem Herzen und zupft es in Stücke.
"Hallo Daniel", flüstere ich und klammere mich an meinem Handy fest.
"Alles gut bei dir, Han Solo?", erkundigt er sich.
Ich lehne mich an die Wand und schließe die Augen. "Ja, klar. Und bei dir?"
"Ach, alles gut. Ich erfreue mich nur deines Anrufs." Er lächelt, das kann ich in seiner Stimme hören. Eine Sekunde erlaube ich mir, ebenfalls zu lächeln.
"Was machst du denn am Donnerstag?", möchte ich wissen und wandere in meinem Zimmer auf und ab. Mein Bett ist ungemacht und in meinem Kopf kann ich Mama schon mahnend mit dem Finger winken sehen. Ich lasse mich darauf fallen und setze mich im Schneidersitz zwischen die Laken.
Er stutzt. "Am Donnerstag? Bis jetzt nichts. Warum denn?"
Es wird dunkel draußen und ich sehe einen unseren Nachbarn mit seiner Trethupe Gassi gehen. Dieser Hund ist so klein, dass ich jedes Mal Angst habe, auf ihn draufzutreten. Das Geräusch das er dabei machen würde möchte ich mir gar nicht vorstellen. Ich habe ein leises Klingeln in den Ohren.
"Äh. Vielleicht hast du ja Lust mit mir ins Kino zu gehen?" Meine Stimme zittert etwas. Es nervt mich, dass ich meine Nervosität nicht besser verstecken kann. Du strengst dich nicht genug an, Hannah.
Daniel sagt nichts. Es ist still und ich höre nicht einmal seinen Atem durch das Telefon. Kurz habe ich Angst, dass er aufgelegt hat. Aber dann höre ich ihn leise lachen.
"Gern, Han Solo. Was willst du gucken? Star Wars?" Er lacht.
"Blödmann. Wie wäre es mit 'Conjuring 2'?" Ich schürze die Lippen und kann ein Grinsen nicht verhindern. Abwartend zähle ich die Blumen auf meiner Bettdecke. Es ist eine Decke von Ikea, meinem Lieblingsmöbelhaus - und meinem Dekorationsdealer par excellence. Ich habe unzählige Bettwäsche und Kerzen von Ikea. Von Pflanzen ganz zu schweigen. Nur dass diese irgendwie häufig vom Zeitlichen gesegnet werden. Ich werde von Daniels Stimme beim Denken unterbrochen.
"Ein Horrorfilm? Mh, na gut. Aber du musst mich dann beschützen falls unheimliche Gestalten bei uns in der Sitzreihe auftauchen. Versprochen?"
Ich muss schmunzeln. "Na gut. Einverstanden."
"Hannah, hättest du Lust, dass wir vorher noch etwas essen gehen?"
Natürlich stimme ich dem zu und so verabreden wir uns für kommenden Donnerstag. Er besteht darauf, mich abzuholen. Als wir aufgelegt haben muss ich erst einmal seufzen. Wie kann es sein, dass er sich in so kurzer Zeit in meinen Kopf geschlichen hat? Ich bin doch bis dato eigentlich ganz gut damit gefahren, alleine zu sein und Freundschaften mit gewissen Vorzügen zu genießen - und stets mein Herz zu verstecken. Aber Daniel hat etwas an sich das mich fasziniert. Und vielleicht versteht das nicht jeder. Vielleicht finden es manche eigenartig, dass ich ausgerechnet ihn faszinierend finde, aber da ist etwas in seinen Augen das mich nicht loslässt und mich Eisberg schmelzen lässt. Und hätten wir am Donnerstag unter anderen Umständen ein Date, würde ich versuchen, ihm mein Herz zu schenken und seines zu gewinnen.
Meine Gedanken springen zu Felix und zu unserem Gespräch das wir hatten bevor mir meine Hand ausgerutscht ist und ich ihm ausversehen einen etwas festeren, nett gemeinten, Schlag ins Gesicht gegeben habe. Ich frage mich, warum er so eine Abneigung gegen gleichgeschlechtliche Liebe hat.
Und eigentlich müsste ich, die die immer so um Toleranz bittet, auch seine Meinung tolerieren. So komisch sie auch ist. Nur macht mich seine Einstellung einfach so wütend. Und all die Äußerungen die er tätigt. Ich ertrage das nicht. Aber gut, das rechtfertigt nicht, dass ich ihn schlage.
Es klopft und die Tür wird geöffnet. Nelli schiebt ihren Kopf in mein Zimmer. "Hallo Hannah. Wollen wir was spielen? Oder was malen? Ich bin fertig mit den Hausaufgaben und mir ist langweilig." Sie grinst mich an.
Wir gehen in ihr Zimmer, wo auf ihrem Tisch schon Malutensilien bereitstehen. Nach kurzer Überlegung malen wir einen Zoo. Ich soll die Tiere malen und sie malt sie aus.
"Können wir Musik hören, Hanni?" Mit ihren Kulleraugen blinzelt sie mich an, sodass ich nicht anders kann als zustimmend zu nicken.
Also malen wir nun einen Zoo zu den Klängen von Rolf Zuckowski, dessen Texte Nelli erstaunlich gut beherrscht. Konzentriert füllt sie die Linien eines Elefantens, der mich eher an Nils erinnert als an einen Elefanten, aus und spricht dazu leise den Text der Lieder mit. Eine Welle an Zuneigung überkommt mich und am liebsten möchte ich sie knuddeln. Sie bemerkt mein Starren.
"Was guckst du denn so wie ein Fisch? Das darfst du nicht. Das bleibt dir sonst, hat Mama gesagt. Und du sollst nicht so hässlich werden wie dein Gesicht jetzt aussieht." Sie reißt ihre Augen auf und nickt bestimmend.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Na gut, du hast ja Recht. Entschuldigung."
Kurze Zeit später ruft Mama uns zum Abendessen und den Rest des Abends verbringe ich mit dem Büffeln für Mathe und Geschichte. Auch wenn ich mich noch immer frage, warum wir Mathe lernen müssen. Später haben wir doch sowieso einen Taschenrechner mit dem wir im Büro rechnen dürfen. Und wer braucht schon komische Formeln die sich kein Schwein merken kann?
In Anbetracht der Tatsache, dass das Date bereits am Donnerstag ist, vergeht der Mittwoch wie im Flug. Angespannt und angestrengt gehe ich dem Primaten Nils aus dem Weg, so gut es geht. Was mir mittwochs gut gelang, will mir am Donnerstag so gar nicht gelingen. Typisch.
Ich hoffe, ich schaffe den heutigen Tag ohne Nils' dumme Kommentare. Die ertrage ich heute einfach nicht. Aber natürlich gelingt es mir nicht so wie ich es mir wünsche. So habe ich es zwar geschafft, ihm während des gesamten Schultags aus dem Weg zu gehen und immer im geeignetsten Augenblick zu flüchten, aber jetzt steht er vor den Schultoren und grinst mich ekelerregend an.
Ich möchte im Dreieck kotzen, so wütend macht mich sein Anblick. Die Vorstellung eines vollgekotzten Dreiecks finde ich allerdings nicht wirklich weniger ekelnd also konzentriere ich mich auf die Straße hinter Nils. Nur leider schiebt er seinen Primatenkopf genau in mein Blickfeld. Seufzend versuche ich, an ihm vorbeizugehen und fühle mich direkt zurückversetzt in die Situation als er mich zum Deal gezwungen hat. Da hat er mich auch nicht gehen lassen.
"Was willst du, Nils? Merkst du nicht, dass du nervst? Du bist genauso unnötig und sinnlos wie Spam-Mails!"
Nils grunzt und wirft seinen Primatenfreunden einen Blick zu. Felix steht auch vor mir und sieht mich einfach nur an. Seine Augen funkeln und ein amüsierter Zug liegt um seine Lippen. Vermutlich kann ich von ihm heute keine Unterstützung erwarten. Wie denn auch? Hast du dir ja selbst zuzuschreiben.
Ergeben lege ich den Kopf in den Nacken und atme durch die Nase aus.
"Wie läuft es denn mit unserem Traumprinz?", erkundigt er sich und fährt sich durch seine fettigen Haare. Ob in seinem Schädel Löcher sind um sein mickriges Gehirn durchzulüften?
"Ich bin dran", presse ich nur zwischen den Lippen hervor und dränge mich endlich zwischen den Jungs durch.
Als ich zu Hause bin, atme ich erleichtert durch. Aber die Erleichterung verschwindet ziemlich schnell. Denn heute ist es soweit: Das Date mit Daniel steht vor der Tür. Verloren werfe ich mich auf mein Bett und starre gen Zimmerdecke. Früher hatte ich dort Leuchtsterne kleben aber in einem Anflug von pubertierender Coolness habe ich sie alle weggeworfen. Heute vermisse ich sie.
Mein Handy klingelt und ich stöhne laut auf, denn das Handy liegt noch in meiner Schultasche. Und die liegt neben meinem Schreibtisch. Seufzend richte ich mich auf und bewege mich schlurfend an den Tisch. Eilig krame ich in meiner Tasche nach dem Handy. Es ist Ida.
"Hallo Hasepups, wann soll ich heute vorbeikommen um dich fertig zu machen?" Ihre fröhliche Stimme dringt in meinen Gehörgang und verätzt alles mit Sonnenstrahlen. Ich verziehe mein Gesicht.
"Was meinst du? Du machst mich doch jeden Tag fertig", entgegne ich nur.
Ida lacht leise. "Oh, da ist jemand aber ziemlich nervös. Du stehst auf ihn oder? Ist aber auch verständlich. Er ist ein ziemliches Sahneschnittchen. Mit ihm kann man bestimmt so einiges anstellen." Ich kann ihr freches Grinsen schon fast vor mir sehen.
"Halt die Klappe und konzentriere du dich mal lieber auf Max, Madame Hasenöhrchen!" Meine schlechte Laune hat sich definitiv verkrümelt und ich muss grinsen.
"Blablablabla. Mimimi. Ich bin in einer halben Stunde da. Tschüssi!" Sie schmatzt noch zwei Küsse in den Höhrer und legt auf ehe ich widersprechen kann.
Kopfschüttelnd werfe ich mich wieder auf mein Bett und versuche, meinen Herzschlag zu beruhigen. Seit ich dem Date immer näherkomme, schlägt es wie verrückt in meiner Brust. Herrgott, Hannah. Es ist doch nur Daniel. Entspann dich. Ich schließe die Augen und werde keine zwei Sekunden später unsanft gerüttelt.
"Prinzessin, aufstehen. Was soll das - du schläfst?" Ida steht über mich gebeugt an meinem Bett. Ihre blonden Haare fallen wie weiche Wellen - und mitten in mein Gesicht. Pustend schiebe ich sie zur Seite und setze mich auf.
"Wieso schmollst du denn jetzt, Hannah Banana? Heute ist der große Dateabend!" Das 'e' von Abend zieht sie nervig in die Länge und sie kann dem Kissen gerade noch ausweichen das ich nach ihr werfe. Sie setzt sich neben mich und mustert mich. "Du bist nervös", stellt sie fest.
Mein Schweigen ist Antwort genug. "Oh mein Gott", quietscht sie, "du magst ihn wirklich."
Augenrollend stehe ich auf und öffne meinen Kleiderschrank. Ich drehe mich um als ich ein rhythmisches Poltern hinter mir höre. Ida hüpft auf der Stelle auf und ab und grinst.
"Hilf mir lieber bei der Auswahl meines Outfits als dumm wie ein Flummi in der Gegend rumzuhüpfen." Verzweifelt wühle ich in meinem Schrank und finde nichts als Müll - obwohl er bis oben hin vollgestopft ist. "Ich habe nichts zum Anziehen", jammere ich.
Ida schiebt mich sanft beiseite. "Geh du jetzt erstmal duschen. Wir machen das schon. Wir haben noch zwei Stunden. Das reicht locker." Sie deutet auf meine Zimmertür also folge ich ihrem Rat und stelle mich unter das heiße Wasser.
Eine halbe Stunde später sitze ich in meinem Bademantel auf meinem Schreibtischstuhl und lasse mich von Ida schminken. Wir hören Musik und ich wippe mit meinem Fuß im Takt. Ida sieht mich konzentriert an, als sie mit dem Beauty Blender das Make Up verteilt. Fünfundvierzig Minuten - eine gefühlte Ewigkeit also - später bin ich geschminkt und darf endlich in den Spiegel sehen. Gespannt warte ich, bis Ida mir den Handspiegel reicht. Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht, denn Ida hat ganze Arbeit geleistet. Meine Augen werden von sanften Braun- und Rottönen umspielt. Bei dem Lippenstift war sie sich etwas unsicher.
"Sonst küsst er dich vielleicht nicht, weil er Angst hat, dass er deinen Lippenstift verschmiert", meinte sie. Jetzt steht sie vor mir und trägt einen etwas dezenteren Farbton auf. Entzückt betrachte ich mich im Spiegel.
"Danke, Idaschatz."
"Gerne, Hannahbanana. Jetzt müssen wir dein Outfit aussuchen. Los, los, los! Wir haben nicht mehr so viel Zeit!"
Nervös stelle ich mich neben sie vor meinen Schrank.
"Okay, ich finde, Schwarz geht immer. Was denkst du?" Sie sieht mich nicht einmal an, sondern reißt eine schwarze Skinny Jeans aus dem Regal und hält sie mir hin.
"Anziehen, los!" Sie klatscht in die Hände und ich schlüpfe, unter Druck gesetzt, in die Jeans. Ich habe Probleme, in die Beine zu schlüpfen und springe auf und ab. Dabei knalle ich mit voller Wucht gegen die Schrankwand und kippe beinahe vollends um. Gerade nochso kann ich mich abfangen. Ida lacht und kramt währenddessen nach einem schwarzen Shirt, das sie mir ebenfalls hinhält.
"Ganz in Schwarz? Dann denkt er doch, wir gehen auf eine Beerdigung", entfährt es mir.
Grummelnd schlägt sie nach mir. "Entspann dich, du Hasenfuß!", meckert sie, während sie nach einem cremefarbenen, leichten Poncho greift. Der Poncho ist mit Schmetterlingen und Blumenranken verziert und legt sich sanft um meine Taille sowie meine Arme.
Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht und mustert mich von oben bis unten. "Dazu ziehst du deine schwarzen Stiefel an, das müsste passen. Warte kurz." Ehe ich etwas sagen kann ist sie nach unten geflitzt und wieder in meinem Zimmer. Wüsste ich es nicht besser würde ich denken sie sei Flash.
Ich schlüpfe in meine Stiefel und sehe sie abwartend an. Noch einmal mustert sie mich und dann stiehlt sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Fertig."
Als ich mich im Spiegel betrachte, habe ich plötzlich nicht mehr ganz so viel Angst vor dem Date. Vielleicht wird es ja ganz gut. Vielleicht kann ich das Gute wenigstens ein bisschen genießen. Auch mit dem Gedanken an den Deal im Hinterkopf.
"Hey, guck nicht so. Du siehst toll aus. Er wird dir zu Füßen liegen, Hannah. Verzaubere ihn, ja?" Ida drückt mich an sich und sieht mich mahnend an. Ich nicke und muss schlucken. Nervös knete ich meine Hände an denen sich nun sogar Ringe befinden. Wann hat sie die denn angebracht?
Sie kramt ihr Handy aus der Hosentasche, wirbelt aufgeregt in meinem Zimmer umher und strahlt mich an wie diese Mütter in den Teeniefilmen, deren Töchter zum Prom gehen. "Gleich müsste er da sein. Ich bin so aufgeregt", quietscht sie.
Just in dem Moment klingelt es und mein Herz sackt mir durch die Fußknöchel, auf die andere Seite der Erde.
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