20 | Familienabenteuer der Nilfperde.
┊┊'N Sync - Tearin' Up My Heart ┊┊
"Du hast gesagt, du hast Hausarrest und darfst das Haus also nicht verlassen. Da ich dich aber gerne sehen wollte, habe ich mir gedacht, ich komme dich einfach besuchen. Ich hoffe nur, ich komme nicht total ungelegen?", erkundigt er sich. Der Himmel ist inzwischen tiefblau, nur einzelne Wolken sind am Himmel zu entdecken. Es ist so warm, dass niemand von uns eine Jacke bräuchte. Aber ich habe eine dünne Jacke an, wegen der Narben. Meine Familie kennt meine Narben - und auch Daniel tut es - aber ich fühle mich mit Jacke einfach wesentlich wohler. Weniger verletzlich.
Ich bin zu perplex als dass ich großartig viel sagen kann. Soll ich ihn reinlassen? Aber dann lernt er meine restliche Familie kennen. Und so wie ich Papa kenne, blamiert er mich erneut. Wie beim letzten Mal. Oder Mama holt die Fotoalben raus und zeigt ihm komische Babyfotos von mir.
"Nein, nicht ungelegen. Nur unerwartet." Nervös spiele ich mit meinen Haaren. Mensch, Hannah. Du wirkst wie ein kleines Kind wenn du das tust. Ja, das weiß ich. Aber ich bin einfach nervös. Er hat mich absolut überrascht und ich bin in keinster Weise darauf vorbereitet. Ich konnte mir keinen flotten Spruch zurecht legen. Außerdem habe ich Jogginghosen an und bin nicht schick gemacht, verdammt. Ich stehe hier, zur Salzsäule erstarrt und weiß nicht was ich tun soll.
"Hannah, wer ist das?", ich werde unsanft zur Seite geschubst und lande am Türrahmen. Aua. In der gleichen Sekunde weiß ich, dass es Nelli ist, die sich da vordrängelt und Daniel neugierig mustert, der sich am Treppengeländer festhält. "Ich bin Nelli. Wie heißt du?" Sie streckt Daniel ihre kleine Hand hin und sieht ihn abwartend an.
Er lächelt und beugt sich zu ihr hinunter. Vorsichtig nimmt er ihre Hand und schüttelt sie. "Ich bin Daniel. Ein Freund von Hannah." Die Sonne spiegelt sich in seinen Augen und lässt sie unatürlich hellblau funkeln. Sie sind fast durchsichtig, so hell sind sie im Licht der Sonne.
"Hannah ist meine Schwester. Wehe du tust ihr weh!" Sie schüttelt noch einmal energisch seine Hand und rennt dann wieder in das Haus. Oh God.
Daniel sieht mich an und richtet sich wieder langsam auf. Sehr langsam. Er lässt mich währenddessen nicht aus den Augen.
"Was meint sie damit, Hannah?" Eine Augenbraue zieht er nach oben, so steil, dass man darauf auch eine Skipiste eröffnen könnte.
"Nelli hat leider zu viel von meinem Exfreund mitbekommen und ist daher etwas voreingenommen was Jungs angeht, die ich mitbringe." Ich zucke nonchalant mit den Schultern.
Gerade als Daniel etwas erwidern möchte, werden wir erneut unterbrochen. Diesmal von niemandem geringerem als meinem Vater.
"Hallo, Daniel. Schön, dich wiederzusehen", plaudert er und sieht mich von der Seite an. "Du hast gar nicht gesagt, dass wir heute Besuch bekommen, Hannah."
Ich räuspere mich, aber Daniel ist schneller. "Es war auch eher ein Überraschungsbesuch. Ich dachte mir, da sie nicht raus kann, komme ich sie besuchen."
"Hast du dir also gedacht, so so." Papa verlagert das Gewicht auf das andere Bein und verschränkt die Arme.
Ich sehe ihn an und erkenne Härte in seinem Blick. Warum wirkt er so wütend? Als er mich jedoch ansieht, verschwindet die Härte und die gewohnte Sanftheit ist wieder da.
"Na, dann komm rein, Daniel." Papa tritt zur Seite, bleibt aber mit mir im Türrahmen stehen. Genau so, dass Daniel garantiert nicht das Haus betreten kann. Ich rolle mit den Augen und mache meinem Besuch Platz.
Ich warte, bis Daniel seine Schuhe ausgezogen hat und mir schließlich in das Wohnzimmer folgt. Nelli und Papa sitzen auf der Couch und beobachten uns interessiert. Mama kramt in irgendwelchen Kartons herum und wirft irgendwelche Dinge grunzend durch das halbe Wohnzimmer. Alles in allem ein vollkommen normaler Sonntagnachmittag.
"Mama, wir haben Besuch", murmle ich und weise ihn darauf hin, sich ebenfalls auf die Couch zu setzen.
Mama dreht sich um und sieht Daniel neugierig an. "Hallo. Ich bin Marina. Und du bist ...?"
"Daniel. Ich bin Daniel. Freut mich." Er steht sofort wieder auf und reicht ihr die Hand. Mh. Gut erzogen ist er auf jeden Fall.
"Möchtest du etwas trinken, Daniel?", fragt meine Mutter und kramt weiterhin in ihrem Karton.
"Gern, aber ich möchte keine Umstände machen", antwortet er und beißt sich auf die Unterlippe. Diese Lippen habe ich schon geküsst. Als ich an den Moment denke, wird mir ziemlich warm und ich bin mir sicher, dass ich rot anlaufe.
"Papa guck mal, Hannah wird rot wie eine Tomate", kichert Nelli und in dem Moment hätte ich ihr gerne eine Tomate in ihren Mund gestopft.
Daniel kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Komm, Danieleinchen, ich zeige dir, was wir hier so im Angebot haben."
In der Küche angekommen, reiße ich den Kühlschrank auf. "Also, wir haben O-Saft, Fanta. Hast du Lust auf ein Date? Cola, Wasser und Mangosaft. Was darf es denn sein?"
"O-Saft und Wasser bitte. "Auf ein Date? Mit dir? Gerne. Sag mir nur wo und wann." Daniels Stimme klingt nah. Zu nah. Und als ich mich umdrehe, wären mir Saft- und Wasserflasche fast aus der Hand gefallen. Upsi.
"Also eine O-Saft-Schorle, ja?", frage ich dümmlich und gehe auf die Date-Sache nicht mehr näher ein.
"Gut kombiniert, Sherlock." Seine Stimme dringt durch all meine Poren und erzeugt eine leichte Gänsehaut. Was ist das, Hannah? Hast du Fieber?
"Danke. Äh. Du müsstest mich vorbeilassen. Die Gläser sind in dem Schrank."
Daniel grinst, lässt mich aber schließlich vorbei. Herrgott ist das eine Hitze hier drin. Ich fange an zu schwitzen, also reiße ich das Fenster auf. Und ich bin mir sicher, dass ich auch jetzt wieder ein hübsches Tomatenrot angenommen habe. Während ich ihm die Schorle mische, versuche ich, mir heimlich Luft zuzufächern. Aber es gelingt mir leider nicht ansatzweise so heimlich wie ich es gerne hätte.
"Brauchst du Hilfe?" Daniels Gesicht wird von einem belustigtem Grinsen erhellt und ich bin plötzlich wieder so dämlich nervös, dass ich fast das Glas umkippe. Super, Hannah. Reiß dich zusammen. Es ist doch nur Daniel, verdammt.
"Nein. Nein. Alles gut. Komm, gehen wir ins Schlafzimmer."
"Ins Schlafzimmer?" Er lacht und ich seufze. Konzentriere dich, Hannah.
"Ja, ins Schlafzimmer. Damit du dich auskurierst. Du hast heute eine komische Laune."
Er grinst mich an und ich versinke für einen Augenblick in seinen blauen Augen. Seine Augen erinnern mich an das Meer, an das meine Familie früher desöfteren fuhr. Es war strahlend blau, manchmal noch eiskalt - zu kalt um baden zu gehen. Aber ich habe es immer geliebt, am Meer zu sitzen und es einfach nur zu beobachten.
"Wie lang dauert es denn, ein Getränk auszugeben, Hannah? Was macht ihr da drin?" Papa steht vor der Tür und lugt durch den kleinen Spalt.
"Wir rammen uns die Messer in den Bauch, Papa. Wie man das so macht. In einer Küche. Wir sind jetzt fertig und setzen uns wieder brav ins Wohnzimmer. Ja?"
"Sehr gut. Dann hab ich euch im Blick."
Ich rolle mit den Augen. "Warum willst du uns im Blick haben?"
"Machen Papas das nicht so?" Er reißt die Tür auf und macht sich so groß, dass er Daniel um zwei Zentimeter überragt. Wow, Papa.
Wir setzen uns zu Nelli auf die Couch. Sie ist gerade damit beschäftigt, ihre Buntstifte einzuordnen. Aber die Ordnungssysteme gefallen ihr anscheinend nicht, weil sie immer wieder von vorne anfängt. Sie seufzt und starrt die Stifte in den Boden. Papa verschwindet in der Zeit nach oben und die Luft ist sofort etwas leichter, entspannter. Ich atme auf und lehne mich zurück. Und ich bemerke, dass Daniel mich beobachtet. Fragend sehe ich ihn an, aber er grinst nur in sich hinein und senkt den Blick. Gerade als ich etwas sagen möchte, poltert Papa die Treppe herunter - beladen mit einer Menge an Brettspielen.
"Ich denke, es ist Zeit für Brettspiele. Nicht wahr?!", ruft er. Ehrlich jetzt, Papa? Muss das sein?
Nelli neben mir wirft quiekend die Stifte durch das Wohnzimmer und bohrt einen davon fast in Mamas Schädel. Daniel links von mir lehnt sich nach vorne um sein Glas abzustellen und streift dabei zufällig meinen Oberarm. Sofort stellen sich meine Haare auf. Innerlich fluchend stehe ich auf und nehme Papa die Kisten ab.
"Was wollen wir denn spielen?", fragt Mama und sieht Papa durchdringend an. "Ich denke, dass Hannah und Daniel vielleicht ein bisschen Zeit alleine haben wollen. Du weißt doch, wie das ist, wenn man frisch verliebt ist, Holger." Sie zwinkert und hilft mir, die Kisten auf dem Couchtisch zu verteilen.
"Ähm. Mama, wir sind nicht verliebt. Also wir sind nicht zusammen. Also nein. Also wir sind nur Freunde. So lange kennen wir uns ja nicht und so. Nämlich", stammle ich und werde - oh Wunder - erneut rot wie eine Tomate. Heute haben wir es aber mit den Tomaten.
Mama grinst und sieht zwischen Daniel und mir hin und her. Boden, tu dich auf und verschling mich. Bitte. Jetzt.
"Spielen wir Activity!", schreit Nelli und reißt den Deckel von besagtem Spiel.
Daniel, Nelli und ich gründen ein Team, während Papa und Mama zusammenspielen. Papa studiert konzentriert die Spielanleitung und weist uns an, die Plätze zu tauschen. Ich sitze zwischen Papa und Nelli, die rechts von mir sitzt. Daniel neben Papa und Mama auf dem Ohrensessel. Da Nelli an sich noch zu klein ist, um das Spiel zu spielen, sitzt sie neben mir, sodass ich ihr helfen kann. Es ist Daniels Aufgabe, ihre gezogenen Wörter zu erraten.
"Hannah. Du fängst an." Papa schiebt mir den Karton mit den Kärtchen vor die Nase und ich ziehe eine der Karten. Ganz toll, Papa. Danke. Ich betrachte das Stück Papier in meinen Händen und fahre mit meinen Fingern über den Rand. Toll. Wie soll ich das denn pantomimisch darstellen? Naschkatze. Was für ein tolles Wort.
"Okay", murmle ich, Mama dreht die Eieruhr um und ich stehe auf. Oh Gott. Ich atme einmal tief durch und dehne mich um wichtig auszusehen. Ich deute eine Zwei mit meinen Fingern an und versuche, zu zeigen, dass das ich das zweite Wort zuerst darstelle. Eindringlich sehe ich Daniel an. Dann gehe ich auf die Knie und bereue diese Entscheidung im selben Moment. Daniel grinst und zieht eine Augenbraue hoch. Meine Immitation einer Katze ist nicht halb so elegant wie das Tier selbst. Meine Gesten wechseln zwischem ernsten Katzenkrabbeln, leise prusten und den Kopfschütteln bis zur völligen Verzweiflung. Ich komme mir vor wie eine dieser leichtbekleideten Damen in einem Musikvideo, die raubkatzenhaft auf die Kamera zulaufen. Nur, dass ich auf Daniel zulaufe. Und meine Eltern mir dabei zusehen.
"Hund, Pferd, Elefant, Nudelsalat!", ruft Nelli rein.
Ich schüttle den Kopf und setze mich auf meine Beine. Den völligen Tiefpunkt erreiche ich, als ich anfange, meine Hände zu Pfoten zu krümmen, andeute sie abzulecken und meinen Kopf damit zu putzen. Beschämt schließe ich die Augen, als mein Blick zu Daniel fährt, der leise vor sich hinlacht. Na warte nur, du Doofkopf. Das ist gar nicht so einfach.
Schließlich erlöst er mich. "Katze", äußert er sich und ich nicke wie eine Verrückte.
Gut, jetzt nur noch das Naschen darstellen. Ich zeige mit meinem Zeigefinger die Eins.
Ich tue so, als würde ich eine Packung Schokolade öffnen und sie mit beiden Händen in meinen Mund schieben. Oh nein, so funktioniert das nicht. Also deute ich an, wie ich einen Lolli esse. Daniels Grinsen wird breiter, bevor er den Blick senkt und sich auf der Couch zurücklehnt.
"Eis! Lolli!", ruft Nelli. Daniel zwickt die Augen zusammen und erlöst mich schließlich ein zweites Mal. "Naschkatze!"
Ich reiße die Arme in die Luft und kann einen Aufschrei gerade noch verhindern. Gott sei Dank!
Wir rücken drei Felder vor - und stehen erneut auf einem Pantomime-Feld. Ich werfe meinen Kopf gegen die Couchlehne. Pantomime ist so schrecklich! Aber das ist dann Daniels Aufgabe.
Aber zuerst sind meine Eltern dran. Mein Vater beschreibt das Wort "Spiegelreflexkamera" - und das so gut, dass er nicht viele Wörter braucht und Mama errät, was er sagt.
Daniel steht auf und zieht seinen Pulli zurecht. Dabei ist kurz ein Stück seines Bauches zu sehen und ich starre für einen Moment zu lange auf den Punkt. Nelli wirft mir einen kurzen Blick von der Seite zu, den ich lächelnd erwidere. Aufgeregt knetet sie ihre Hände und beobachtet jede noch so kleine Bewegung von ihm.
Mama dreht die Eieruhr um und Daniel legt los. Er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse und fässt sich danach an den Hals. Was? Immer wieder verzieht er sein Gesicht. Es sieht fast so aus, als würde er schreien.
"Schreien! Hals! Schmerzen?", rufe ich und fuchtle aufgeregt mit meinen Händen.
"Halskette? Verschluckt? Aua?", schreit Nelli dazwischen und sieht Daniel gespannt an.
Daniel schüttelt den Kopf und macht immer wieder die gleiche Bewegung. Ich lege meinen Kopf schief und überlege. Okay, also er schreit und deutet anschließend auf seinen Hals. Schreien, Hals. Halsschreien? Schreienhals? Es dauert gefühlte Stunden bis der Groschen endlich fällt und die Zeit ist fast um. Daniel sieht mich verzweifelt an.
"Schreihals", antworte ich und auf seinem Gesicht taucht wieder sein schiefes Grinsen auf, als er beide Daumen in die Luft reckt.
Er setzt sich wieder hin und ich erlaube mir, ihn zu beobachten. Er trinkt einen Schluck aus seinem Glas und sieht gespannt in die Runde. Als er bemerkt, dass ich ihn ansehe, wackelt er mit den Augenbrauen und grinst mich an. Seine Grübchen sind so hübsch. Es ist ungewohnt still und plötzlich spüre ich alle Blicke auf mir. Oh nein. Heiliges Kanonenrohr!
"Hannah. Du musst die Eieruhr umdrehen. Starren kannst du später." Papa drückt mir besagtes Objekt in die Hand und stößt mir den Ellenbogen in die Taille. Ich seufze und drehe den Zeitmesser um.
Und während wir spielen, beschreiben, malen und Worte pantomimisch darstellen, kann ich nicht aufhören, Daniel zu beobachten. Seine Art, mit Nelli zu sprechen, seine Art zu lachen, sein Respekt meinen Eltern gegenüber - all das bringt mein Herz zum tanzen. Nur weiß ich nicht, ob ich diesen Tanz wirklich tanzen soll.
Was ist, wenn es schief geht? Was ist, wenn er mir das Herz bricht? Was ist, wenn er mir mehr bedeutet, als er sollte? Ich will mich nicht verlieben. Nie mehr.
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