16 | Das Gold der Freundschaft.
┊┊Imagine Dragons - Whatever it takes┊┊
"Wie wäre es damit, Hannah?" Ida hält ein pinkes T-Shirt in die Luft auf dem ein Einhorn abgebildet ist, welches mit Glitzer verziert ist. Sie grinst. Es ist ein Kinder-T-Shirt. Ich bin zwar nicht gerade groß, aber ein Kinder-Shirt? Ida ist einfach unmöglich.
Ich rolle mit den Augen, kann mir aber ein Schmunzeln nicht verbeißen. "Wo hast du das denn her?" Meine Hände fahren über die Bügel in den Kleiderständern und greife nach einem Oberteil.
"Das würde Nils bestimmt gefallen. Er hätte zwar immer noch keinen Blick auf deine Oberweite, aber immerhin könnte er deinen Bauch sehen."
Ich schlage mit dem Oberteil nach ihr, das ich in der Hand halte, und stimme in ihr Lachen ein.
"Du weißt, dass Rache süß ist, Idaleinchen. Und ich bin die Königin der Rachepläne." Gespielt trotzig recke ich das Kinn in die Luft. Wir sind so albern. Herrlich albern.
"Verzeih mir, Königin", entgegnet sie und lässt sich theatralisch, mit in die Luft gestreckten Händen, auf die Knie fallen. Mitten im Laden. Vor der Kasse. Die Leute, die an uns vorbeigehen betrachten uns missmutig. Bekämpfe Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit, Hannah! Also beginne ich, die anderen Leute dümmlich anzugrinsen, zu knicksen und ihnen ein 'Hallo' entgegenzuschreien. Die Verkäuferinnen beobachten uns abwartend. Für Menschen die uns nicht kennen ist dieses Schauspiel vermutlich mehr als angsteinjagend. Aber so sind wir. Und genau das macht unsere Freundschaft aus: Die Tatsache, dass wir so sein können wie wir sind und wir zusammen absolut verrückt sein können.
Ohne Ida wäre ich in einigen Kapiteln meines Lebens absolut verzweifelt und egal wie oft ich sie weggeschubst habe, sie hat sich nie von mir abgewandt. Sie akzeptiert mich auch mit meinen Schwächen und meiner großen Klappe. Was gibt es besseres? Nichts. Absolut gar nichts.
"Ida, steh auf." Ich zerre an ihren Armen und schaffe es schließlich, dass sie endlich aufsteht.
"Das war lustig", kichert sie und dreht sich um um das Kinder-Shirt zurück zur richtigen Abteilung zu bringen.
Es gibt nichts schlimmeres, als Kunden in einem Klamottenladen die ihre Klamotten nicht an diese Rückgabestangen vor der Umkleide hängen können - sondern die Klamotten einfach in der Kabine hängen lassen. Ich bin froh, dass Ida das auch so sieht. Gedankenverloren zerre ich einzelne Oberteile aus den Kleiderständern und betrachte sie, aber nichts gefällt mir. Warum musst du dich auch für Daniel schön machen? Es ist ja schließlich kein Date. Ich frage mich, was er meinte, als er meinte, wir könnten den Hausarrest auch umgehen. Nicht, dass er eines Tages einfach vor der Tür steht. Hysterisch lache ich laut auf und sehe mich um. Dann würde er meine Familie kennenlernen. Oh Gott. Und Papa würde seine unkomischen Papawitze bringen. Keine schöne Vorstellung. Ich seufze.
Als Ida wieder bei mir ist, sehen wir uns gemeinsam die Auswahl an, die der Laden zu bieten hat. Aus den Tiefen eines Kleiderständers zieht Ida ein schwarzes T-Shirt auf dem eine Katze abgebildet ist die eine Pizza isst. Entzückt jauchze ich laut auf und suche hektisch nach dem Zettel auf dem die Größe steht. Es könnte passen. Und da ich keine große Lust mehr auf langes Anprobieren habe, gehe ich zur Kasse und bezahle das T-Shirt.
Die Verkäuferin mustert mich pikiert von oben bis unten, zieht die Augenbrauen hoch und rümpft die Nase. Blöde Kuh!
"Brauchen Sie eine Tüte?", fragt sie gelangweilt und sieht mich nicht einmal an.
Ich werfe einen Blick auf Ida, die bereits eine Tüte in der Hand hat, und schüttle den Kopf. "Nein, vielen lieben Dank", sage ich zuckersüß und lächle sie an.
Sie habt ihren Blick, schiebt mir irritiert das Shirt über den Tresen und drückt mir mein Rückgeld in die Hand. Ihre Fingernägel sind kilometer lang und könnten mir locker die Augen auskratzen ohne, dass sie sich großartig viel bewegen müsste. Ich reiße meine Augen auf und blinzle wie verrückt. Wie kann man nur so lange Fingernägel haben? Missmutig starre ich auf meine Hand und betrachte kurz meine kurzen Nägel. Sie räuspert sich und tippt mit ihren Fingern auf dem Holz des Tresens herum. Ich schaue auf.
"Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Tag." Charmant lächle ich sie an und muss mich zurückhalten, nicht laut aufzulachen ob ihrer entgleisten Gesichtszüge. Kill them with kindness.
Erst als wir vor der Tür des Ladens sind, traue ich mich, kurz aufzulachen. Ich sehe nach rechts und erwarte Ida neben mir - aber da ist sie nicht. Irritiert drehe ich mich einmal im Kreis und entdecke sie schließlich vor einem kleinen Krimskrams-Laden. Diese Art von Laden hat von jeher eine große Anziehungskraft auf sie. Ida könnte stundenlang in irgendwelchen Deko-Artikel-Läden verbringen und mit vollbepackten Taschen nach Hause gehen. Ich seufze, als ich mich auf den Weg zu ihr mache.
"Komm, lass uns reingehen", raune ich verschwörerisch und stopfe derweil mein T-Shirt in ihre Einkaufstüte.
Ida verschwindet schon nach wenigen Sekunden in irgendeinem Gang und ich sehe mich orientierungslos um. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Dekoartikel. Aber ich verspüre nicht so eine Obsession wie Ida es tut. Schmunzelnd wandere ich durch die Gänge und nehme das ein oder andere Teil in die Hand. Bei einer Sammlung Bleistifte bleibe ich stehen. Es gibt pinke mit flauschigen Federn und Glitzer und es gibt welche mit einer Ritterfigur, die am Ende des Stiftes befestigt ist. Spontan entschließe ich mich dazu, einen Stift für Nelli und einen für Adrian mitzunehmen und mache mich auf die Suche nach Ida. Ich entdecke ihren Blondschopf vor einem riesigen Regal mit Schachteln.
Ihre Arme sind voll mit Kerzen und Bilderrahmen und ich muss grinsen, als ich sehe, wie sie versucht, nichts fallen zu lassen.
"Komm, ich helfe dir." Ich nehme ihr ein paar Kerzen ab.
"Danke. Wollen wir gleich noch einen Kaffee trinken, Han?"
Wir schlendern zur Kasse.
"Ja, klar, gern."
Wenige Minuten später sitzen wir in einem Café innerhalb des Einkaufszentrums, mit unseren Bechern to go auf dem Tisch.
Ida tippt auf ihrem Handy herum, was mich dazu veranlasst, ebenfalls einen Blick auf mein Handy zu werfen. Aber ich habe keine neue Nachricht. Sie legt ihr Handy auf den Tisch und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück.
"Ich mache mir Sorgen um dich, Han." Ida rührt mit ihrem Strohhalm im Latte Macchiato herum und beobachtet mich unter zusammengezogenen Augenbrauen.
"Was? Warum?" Ich setze mein bestes künstliches Lächeln auf und konzentriere mich ausgiebig auf die kleine Zuckertüte, die leicht in meiner Hand liegt. Ich versuche alles, um Ida nicht anzusehen. Denn nur ein Blick würde reichen und sie würde meine Unsicherheit sehen. Verdammt, sie kennt mich einfach zu gut.
"Han", sagt sie sanft und greift nach meiner Hand. Verdammt.
"Mh?", entgegne ich nur und versuche, meine Hand aus ihrem erstaunlich festen Griff zu befreien. Aber es ist, als hätte sie mich in Ketten gelegt. Hilfe, ich werde entführt! Sieht mich denn niemand? Hilfe!
"Du weißt, dass ich hinter dir stehe und dich unterstütze und auffange, wo ich nur kann. Aber mir tut es weh, dass du so große Schwierigkeiten hast, jemanden an dich heranzulassen, der ein baumelndes Ding zwischen den Beinen hat." Sie nimmt einen Schluck von ihrem Warmgetränk und fährt dann mit dem Zeigefinger ihrer freien Hand über den Rand des Bechers. Ihr Daumen der Hand, die meine gefangen hält, fährt sanft über meinen Handrücken und ich zucke zusammen. Ich weiß nicht, ob ich lachen soll ob ihrer Beschreibung des männlichen Wesens oder ob der Tatsache, dass sie mir all das jetzt, inmitten des Einkaufszentrums, ins Gesicht klatscht.
"Ida, du weißt, warum mir das schwer fällt." Meine Stimme ist nur noch ein Flüstern und geht im Sturm der Hintergrundgeräusche nahezu unter. Ich fühle mich unwohl. Das hier ist keinesfalls ein Thema das man im Einkaufszentrum besprechen sollte - oder das ich nicht an solch einem Ort besprechen möchte. Oder das ich überhaupt besprechen möchte.
"Ja, Han. Aber nicht alle sind wie er. Nicht alle behandeln dich so. Ich verstehe dein Missvertrauen und deine Angst. Aber wenn du jeden wegschubst, vor allem so Menschen wie Daniel - der, nebenbei bemerkt, wirklich sehr in Ordnung wirkt -, dann hat niemand je die Chance, dich zu überzeugen, dass es auch andere Männer gibt. Männer mit einem guten Herzen. Deine Mauer ist so dick, dass sogar ich als deine beste Freundin manchmal Probleme habe zu dir vorzudringen. Und mir tut es weh, wenn du dich so verschließt. Ich will nicht, dass du alleine bleibst."
Ich lache leise auf. "Ich bin doch nicht alleine, Ida. Ich habe doch dich." Und schließlich sehe ich sie doch an. Ihre Augen funkeln mich besorgt an und ich lehne mich in meinem Stuhl zurück. Es ist ein eher unbequemer Stuhl und ich fühle mich plötzlich überhaupt nicht mehr wohl in dem Café. Die Stühle stehen mitten im Gang und die Leute schlängeln sich durch die ganzen Tische um zum nächsten Laden zu gelangen. Man ist ständig umgeben von Menschen. Die Erinnerung an ihn durchflutet mich und ich bekomme Gänsehaut - und automatisch weniger Luft.
"Han, aber wenn ich später vielleicht eine Familie habe-" Ihre Stimme bricht und sie kann mir nicht mehr in die Augen sehen. Wenn du später eine Familie hast, willst du nichts mehr mit mir zu tun haben oder wie?
"Warte - was? Soll das heißen, dass du nicht weißt, ob wir in ein paar Jahren noch befreundet sind - weil du dann deine Familie hast?"
"Nein, Hannah - ich-", aufgebracht fährt sie sich durch ihre blonden Haare und verzieht das Gesicht, als sie kurz in einer Strähne hängen bleibt. Mein Herz schlägt mir bis zur Brust, meine Kopfhaut kribbelt. Ich muss hier raus. Ich muss hier weg.
Mein Stuhl scharrt über den Boden und das hinterlässt ein leises Pfeifen in meinen Ohren. Ich greife nach meiner Jacke und meiner Tasche.
"Lass gut sein, Ida. Ich denke, wenn das die Zukunft ist, die du dir für uns ausgemalt hast, dann ist das wohl so. Und dann können wir mit den getrennten Wegen ja auch gleich anfangen. Nicht wahr?"
"Hannah, mach das nicht. So war das nicht gemeint. Bitte schieb mich nicht von dir weg. Bitte." Ida steht auf und greift nach ihrer Jacke.
"Lass gut sein, Ida. Wie gesagt. Ich verschwinde von hier. Alleine." Meine Stimme zittert und ich schlucke, weil ich das Gefühl habe, dass ich gleich auf den Tisch kotze.
Der Moment, in dem man realisiert, wie dumm man sich gerade eigentlich aufgeführt hat, trifft einen oft wie eine Faust im Gesicht. Vielleicht hätte ich sie erst ausreden lassen sollen? Vielleicht habe ich es auch falsch verstanden?
Schwachsinn. Sie hat es ganz genauso gemeint. Sie will mich nicht in ihrem Leben haben. Vermutlich denkt sie, ich sei ein schlechter Umgang für ihre Kinder. Du bist es nicht wert, dass man bei dir bleibt, Hannah. Ganz einfach.
Aber gleichzeitig weiß ein ganz kleiner Teil von mir, dass das nur ein vorgeschobener Grund ist. Weil es mir Angst macht, dass sie mich so gut kennt. Und weil sie mir verdammte Angst macht, die Vorstellung, dass sie sich ein Leben ohne mich wünscht und vorstellt. Ohne meine beste Freundin würde ich verloren herumirren wie ein Asteroid im Weltall. Ida könnte mit einem Schnipsen meine ganze Welt - und meine ganze Schutzmauer - zum Einsturz bringen. Aber ich will mir diese Angst nicht eingestehen. Also schiebe ich sie eisern beiseite, als ich wütend das Einkaufszentrum verlasse und auf die Bushaltestelle zustapfe.
Hätte ich gewusst, wer an dieser Bushaltestelle steht, hätte ich ein paar Minuten gewartet, ehe ich mich aus dem Einkaufszentrum begebe.
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Es tut mir SO leid, dass ich erst jetzt dazu komme, ein neues Kapitel zu schreiben. Ich hatte eine doofe Schreibblockade und irgendwie hat mich die Muse einfach nicht mehr geküsst. Ich hoffe, dass es jetzt wieder etwas regelmäßiger klappt mit dem Hochladen.
Danke für Eure Geduld. :-*
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