4. Kapitel
Keira war noch immer ein wenig verwirrt von dem Betäubungsmittel. Ihre Gedanken wirkten wie hinter einer Wand weg gesperrt und sie fühlte sich seltsam benommen. Nicht das gleiche Gefühl, wie als sie angetrunken war, sondern als würde jemand ihr den Zugang zu ihrem eigenen Willen verweigern.
Sie lief zurück über die Straße und schaffte es diesmal nicht irgendwelche Autos zu behindern. Sie hatte nicht bemerkt wie die Zeit verging, aber es war mittlerweile schon 13:30 Uhr. Ihr Kinn war noch blau, was man deutlich in den Scheiben der Schaufenster sah, an denen sie vorbei lief. Sie beschloss noch ein wenig in der Stadt zu bleiben, da sie nun ja sowieso nichts anderes zu tun hatte. Ava würde erst gegen sechzehn Uhr wieder kommen und ihr Onkel vermutlich sogar noch später. Also hatte sie genug Zeit.
Sie lief durch die Straßen und ging hier und da in einen Laden rein. Es waren nicht viele Menschen unterwegs, da das Wetter wieder einmal umgeschlagen hatte. Über der Stadt hingen dunkle, regenschwere Wolken und der Wind war so stark, dass man förmlich voran geschoben wurde. Am Ende der Stadt hingegen war noch die Sonne zu sehen und blauer Himmel. Es wirkte wie wenn jemand beschlossen hätte, dass diese Stadt untergehen sollte, aber der Rest der Welt verschont werden soll.
Schließlich ging sie in einen nahegelegenen Park und setzte sich dort auf eine Bank. Der Park war wie leer gefegt, nur ein älteres Rentnerpärchen spazierte weiter weg die Wege entlang. Keira beobachtete sie mit einer seltsamen Art von Faszination, vermutlich kam die von dem Mittel, dass ihr verabreicht wurde. Das Pärchen verschwand schließlich hinter einer Ecke und Keira schloss seufzend die Augen. So hatte sie sich den Tag sicher nicht vorgestellt, aber vermutlich war es besser als die Klassenarbeit schreiben zu müssen.
Ein Tropfen fiel auf ihre Nase. Keira öffnete genervt die Augen. Regen konnte sie jetzt nicht gebrauchen, doch nach Hause würde sie deshalb nicht gehen. Stattdessen stand sie auf und lief zu der nächsten Bank. Diese befand sich unter einer alten Eiche und wurde deshalb vor dem herannahenden Regen geschützt. Wie auf Kommando öffnete sich der Himmel und die Fluten stürzten herunter. Schnell rannte sie die letzten Meter zur Bank und setzte sich. So schnell würde sie wohl nicht mehr hier wegkommen.
Auf einmal hörte sie schnelle Schritte auf dem matschigen Boden und kurz darauf rannte ein Mann hinter der nächsten Hecke hervor. Er rannte direkt auf ihre Bank zu und setzte sich schlussendlich neben sie. Die Haare mochten blond sein, aber durch den Regen wirkten sie dunkel. Er drehte sich mit dem Gesicht zu Keira und diese verdrehte genervt die Augen.
„Blödes Wetter, hm?", sagte der Mann aus der Bahn. Keira zog die Augenbraue hoch.
„Vermutlich!", antwortete das Mädchen knapp und drehte sich dann weg. Zwei Vögel stritten sich um einen Wurm und, es konnte am Betäubungsmittel liegen oder auch nicht, das fand sie so lustig, dass sie einen Lachanfall unterdrücken musste. Der Mann fing wieder an zu labern und schlagartig erlosch das Grinsen auf ihren Lippen. Er sollte gefälligst verschwinden.
„Wie ist eigentlich dein Name?"
„Geht dich gar nichts an!", brummte Keira als Antwort und drehte sich ruckartig um. Sie duzte ihn wie von selbst, wie wenn sie ihn schon lange kannte, dabei würde sie ihn am liebsten gar nicht kennen.
„Warum denn so unfreundlich?", wollte er mit einem ironischen Lächeln wissen und deutete auf den strömenden Regen. „Vermutlich müssen wir hier noch kurz zusammen ausharren, also kann ich ja auch deinen Namen in Erfahrung bringen?" Wer redet denn bitte so geschwollen?, dachte Keira naserümpfend.
„Willst du denn nicht deine Freundin nerven?", fuhr sie ihn an und klappte dann verärgert den Mund zu. Warum musste sie immer so impulsiv sein?!
„Woher willst du denn wissen, dass ich eine Freundin habe?" Er runzelte scheinbar verwirrt die Stirn.
Keira verdrehte die Augen und bevor sie sich zurückhalten konnte, erklärte sie: „Stand auf deinem Handy. Du hattest einen Kontakt auf deinem Handy, der Mein Schatz war. Also gehe ich mal davon aus-" Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, was sie gerade alles zugegeben und gesagt hatte.
„Warum schaust du auf mein Handy?" Er wirkte nicht überrascht, eher als hätte etwas seine Erwartungen erfüllt.
„Ich- ich, das habe ich nicht...", stotterte sie, auf einmal verlegen.
„Lügen bringt jetzt auch nichts mehr, Keira!", sagte er amüsiert.
Verärgert schnaubte das Mädchen.
„Lass mich in Ruhe. Dann bedeck doch deine Scheißnachrichten, wenn du nicht willst, dass die jemand liest."
„Kann ja nicht wissen, dass Fremde meine Nachrichten lesen."
„Verfolgst du mich eigentlich?", fragte sie schließlich, um von sich abzulenken.
„In gewisser Weise, ja!", antwortete er auf einmal ernster und leiser. Plötzlich fiel ihr etwas ein. Er hatte sie Keira genannt! Sie hatte ihm ihren Namen nicht verraten, aber er hatte sie damit angesprochen!
„Woher kennst du meinen Namen?", flüsterte sie heiser und hatte das Gefühl wieder betäubt zu sein. Ruckartig stand sie auf und wich zurück. Der Mann stand ebenfalls auf, langsamer und ruhiger, als wäre er sich seiner Sache so sicher, dass er keine Eile brauchte.
„Sagen wir es mal so: Wir beobachten dich schon eine Weile, Keira Lane." Die Schwarzhaarige zuckte zusammen. Alle Instinkte in ihr schrien, sie solle rennen. Aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie stand einfach nur da und starrte den Mann an, wie einen Pottwal mit Rollschuhen. „Wer sind wir?" Ihre Stimme klang erstaunlich ruhig, wo sie doch in ihren Kopf eine Schrei-Orgie veranstaltete. „Ah, genau!" Er hob den Finger, vielleicht um ihr zu verdeutlichen, sie solle kurz warten. Keira wich unauffällig einen Schritt zurück, aus ihrer Starre erlöst. Schließlich zog er eine Karte heraus und klappte sie auf. Eine Dienstmarke, wie die eines Polizisten blitzte auf, aber sie war sicher, dass er keiner war.
„Ich bin von einer Organisation, die Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten studiert. Wir sind die Mitglieder dieser Organisation und suchen überall auf der Welt nach solchen Wesen. Bisher waren wir leider nicht erfolgreich, aber jetzt kennen wir aus sicherer Quelle den Aufenthalt eines solchen Wesens. Keira Lane, kommst du freiwillig mit oder muss ich es mit Gewalt versuchen?" Erschrocken riss Keira die Augen auf. Niemand, wirklich niemand, wusste davon! Ihre Eltern, die ihr Geheimnis mit ins Grab nahmen, haben es bisher nur einer Person verraten und der hätte Keira ihr Leben anvertraut. Doch dann dachte sie an die seltsame Nervosität des Arztes nach dem Anruf. Konnte es sein...? Nein!
Ihre Gefühle mussten in ihrem Gesicht ziemlich deutlich zu sehen waren. Ihre Gesichtszüge wechselten von erschrocken zu verwirrt, ängstlich und schließlich zu wütend. Ein seltsamer Zorn, der Adrenalin in ihre Adern pumpte und der unbedingt raus musste. Die letzte Person, der sie vertraut hatte, hatte sie verraten!
Der Mann, dessen Name ihr noch immer unbekannt war, kam vorsichtig näher. Er bedachte ihre Reaktion mit einer Neugier, die Keira nur von sich selbst kannte.
„Bleiben Sie weg!", fauchte das Mädchen geladen und wich zurück. Das Gefühl, das sie dazu gebracht hatte ihn zu duzen war fort. Vor ihr stand ein Fremder. Ein Fremder, der sie soeben bedroht hatte!
Der Mann war zwar stehen geblieben, aber er wirkte keineswegs verunsichert. Seine Hand wanderte langsam nach unten zu seiner Hosentasche und einen Moment dachte ihr immer noch verwirrtes Hirn, er würde womöglich sein Handy herausholen und ein Foto schießen. Im nächsten Moment fragte sie sich, wie sie in solch einer Situation an etwas so absurdes denken konnte. Natürlich würde der Mann eine Waffe ziehen, aber dazu wollte sie es nicht kommen lassen. Sie wirbelte herum und stürzte davon. Sie bog vom Weg auf die nasse Wiese und sprintete wie noch nie in ihrem Leben darüber hinweg, während sie immer mal wieder Bäumen auswich. Hinter sich hörte sie den Mann fluchen und die Verfolgung aufnehmen. Keira hätte fast gelacht über seine Naivität. Hatte er wirklich geglaubt sie würde sich freiwillig ergeben und wie eine Verbrecherin abführen lassen? Falsch gedacht...
Das letzte was Keira je tun würde, wäre aufgeben!
Sie flog quasi über den Boden. Das Adrenalin pumpte Kraft durch ihren ganzen Körper und sie fühlte sich ein bisschen wie eine Raubkatze auf der Jagd. Nur das sie die Beute war. Wärst du mal so schnell im Sportunterricht, würdest du vielleicht besser darin sein!, dachte ihr dummes Hirn mal wieder in einer völlig unpassenden Situation.
Sie schüttelte den Kopf um ihre Gedanken zu vertreiben und konzentrierte sich aufs Rennen. Das Mädchen hatte schon genug Filme gesehen, in denen der Verfolgte sich umdrehte und deshalb langsamer wurde, aber sie tat es trotzdem. Sie musste wissen, wie weit der Orginisationstypie aufgeholt hatte. Als sie sich schließlich umdrehte, nachdem sie sicher gegangen war, dass kein Baum in der Nähe war gegen den sie rennen konnte, erschrak sie. Der Typ verfolgte sie mit der Ausdauer eines Marathonläufers und es trennten sie vielleicht noch sieben Meter. Vermutlich hatte er für solche Fälle trainiert...
Keira beschleunigte noch mehr, aber sie merkte wie das Adrenalin nachließ und sie Seitenstechen bekam. Ihr Atem ging stoßweise und sie verfluchte sich, dass sie sich im Sportunterricht nie angestrengt hatte. Dabei hätte sie doch voraus sehen können, dass so etwas mal passieren könnte. Oder? Immerhin hatte sie genug Zeit um sich auf solche Situationen vorzubereiten...
Sie umrundete einen Baum und schlug einen Haken, um zurück auf den Weg zu rennen. Vielleicht würde ihn das ja verwirren...
Sie schlitterte ein wenig auf der nassen Wiese, konnte sich aber gerade noch so halten und rannte weiter. Der Mann kam nun von der Seite auf sie zu, er hatte durch ihr Manöver sogar noch weiter aufholen können.
Verzweifelt schluchzte sie, was sie gleich bereute, da sie so noch mehr Luft verbrauchte. „Hilfe!", kreischte sie mit ihrem letzten Atem. „Wehrloses Mädchen wird von einem Psychopathen verfolgt!" Im nächsten Moment schüttelte sie den Kopf über ihre Aussage. Sehr überzeugend, Keira!
Doch tatsächlich kam jemand angerannt. Es war ein Junge in ihrem Alter, aber mehr konnte sie nicht erkennen, da ihre Sicht ganz verschwommen wurde. Erst jetzt bemerkte sie, dass heiße Tränen sich ihren Weg über ihre Wangen bahnten. Ihr Sprint wurde zu einem orientierungslosen Stolpern und sie konnte den Atem des Mannes schon beinahe an ihrem Hals spüren. Jedenfalls bildete sie sich das ein. Gerade als sie stolperte und auf den Boden fiel, rief der Junge: „Hey Sie! Lassen Sie das Mädchen in Ruhe!" Keira knallte auf den Rasen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihr Knie und ihren Kiefer. Vermutlich war letzterer wieder ausgerenkt, immerhin war er noch längst nicht geheilt und erst heute wieder eingerenkt worden. Ein schwacher Versuch ihrerseits aufzustehen und die Welt fing an sich zu drehen. Sie hatte komplett die Orientierung verloren. Wo war nochmal oben und wo unten?, fragte sie sich und drehte sich auf den Rücken, jedenfalls vermutete sie es. Ihre Augen brannten. Sie wollte nicht weinen. Aber die Überreste ihrer kaputten Welt waren in dem Moment zusammen gebrochen, als der Mann auftauchte und sie herausfand, dass ihr einziger Vertrauter sie verraten hatte. Sie konnte nichts für ihre Fähigkeiten!
Plötzlich schob sich die verschwommene Gestalt des Mannes in ihr Blickfeld. Jetzt ist es vorbei, dachte sie und hatte gar keine Angst. Sollte er sie doch mitnehmen. Ihr Lebenswille hing schon lang am seidenen Faden, aber sie hatte sich immer gesagt, dass ihre Eltern gewollt hätten, dass sie sich Mühe gab weiter zu leben. Der Faden war nun gerissen. Nie hatte sie ihre Fähigkeiten als nützlich empfunden oder sich besonders gefühlt. Sie hatte sich wie ein Außenseiter gefühlt, doch ihre Eltern hatten ihr beigebracht, dass das gar nichts schlechtes sein musste. Zum ersten Mal in ihrem jämmerlichen Leben zweifelte sie daran.
„Zum letzten Mal! Lassen Sie die Finger von dem Mädchen!", brüllte der Junge, nun offenbar näher. Der Mann kümmerte sich nicht weiter um ihn, er antwortete nur: „Tu dir selbst einen Gefallen und geh nach Hause, Junge!" Dann wand er sich wieder ihr zu. „Das geht dich nichts an..." Er holte irgendein Gerät aus seiner Hosentasche. Keira zeigte keine Regung, sondern guckte einfach wie eine Tote mit leerem Blick in den Himmel. Sie sah schon vor sich, wie die anderen Mitglieder dieser Organisation Experimente an ihr durchführten. Wie oft hatte sie solche Alpträume gehabt, in denen genau das passiert. Nun offenbar war der Traum Wirklichkeit geworden, jedoch nicht im positiven Sinne.
Genau in diesem Augenblick fiel ihr ein Spruch ein, den sie mal im Internet gelesen hatte und der seitdem ihr Lieblingsspruch war. Sie sagen Träume können wahr werden, vergessen aber, dass Alpträume auch Träume sind...
Der Junge rief wieder etwas, aber sie konnte dem Gesagten keinen Sinn entnehmen. Auch als der Mann etwas entgegnete, was ziemlich genervt klang, verstand sie es nicht. Sie wollte sich aufrichten. Wollte nicht kampflos aufgehen, aber ihr Körper hatte bereits aufgegeben und ohne ihn konnte selbst der stärkste Geist niemandem eine reinhauen.
Nun fummelte er an dem Gerät herum, drückte Knöpfe und wollte es ihr an den Hals halten. Keira könnte ihre Fähigkeiten nutzen, wenn sie nur genug Kraft hätte und sich nicht selbst geschworen hätte, sie nicht mehr anzuwenden. Plötzlich fuhr ein Ruck durch ihren Körper, ihr Kampfgeist kehrte zurück und mit ihm eine lodernde Wut. Doch zu spät.
Sie hob die Hand, um das Teil nicht ihren Hals berühren zu lassen. Jetzt, wo ihr Gehirn offenbar wieder funktionierte, erkannte sie, dass das eine Art Elektroschocker war. Aber er war schon zu nah dran. Er stieß ihr das Teil gegen die Schulter und ein noch schlimmerer Schmerz, als der vorherige durchzuckte sie. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr ganzer Körper begann unkontrolliert zu zucken und jede einzelne Stelle brannte. Ihre Muskeln schienen sich zusammen und wieder auseinander zu ziehen, bis sie schließlich nicht einmal mehr zuckte.
Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, hörte sie den Mann leise flüstern: „Dummes Mädchen!" Dann traf ihn irgendetwas am Kopf und er sackte wie eine Stoffpuppe zusammen.
Hallo!
Also hier das vierte Kapitel, hoffentlich mal ein bisschen mehr Aktion 😜
So, ich weiß nicht was ich noch schreiben soll, also viel Spaß beim Lesen und ihr könnt gerne eure Verschwörungstheorien hier hin schreiben...
Bis zum nächsten Kapitel
TatzeTintenklecks 😘
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