13. Kapitel
Neo blieb nach langer Diskussion über Nacht. Sie hatten beide nicht mitbekommen, dass es bereits 21:30 Uhr war und Keira hatte versucht ihn zum Bleiben zu überreden, aber das hatte erst geklappt, als er nach einer viertelstündigen Diskussion erkannte, dass der letzte Zug in seine Stadt vor fünf Minuten abgefahren war. Also blieb er, gezwungenermaßen.
Keira richtete ihm einen Schlafplatz ein, indem sie ziemlich viele Kissen und Decken zu einem mehr oder wenigen guten Bett stapelte und ihm dann eine weitere Decke reichte. Neo gab ein schnelles „Danke!" von sich und richtete es sich dann so gut es ging ein wenig ein, klopfte die Decken zurecht und fragte anschließend: „Denkst du ich kann kurz ins Bad, oder fällt das auf?" Die Grauäugige zuckte nur mit den Schultern.
„Wenn gerade niemand hier ist, dann solltest du eigentlich ungestört sein. Ich würde aber trotzdem lieber abschließen!"
„Weil du sonst über mich herfällst, oder wie?", fragte er und warf ihr einen Blick zu, der vermutlich verführerisch aussehen sollte, aber eher wirkte, als hätte er Verstopfungen. Sie musste lachen und verdrehte die Augen, was vermutlich nicht weniger komisch aussah.
„Nein, Dummkopf. Mein Onkel hat die Angewohnheit einfach in alle Zimmer, die nicht abgeschlossen sind, zu platzen und er achtet dabei nicht darauf, ob jemand sich in diesen befindet oder nicht...", erklärte Keira ihm und der Dunkelhäutige nickte verstehend.
„Wenn du gehst, beeil dich!", zischte Keira noch und wusste selbst nicht, wieso sie nicht in Zimmerlautstärke sprach. Im unteren Geschoss konnte man sie sowieso nicht hören und sie vermutete nicht, dass Ava und Tobias vor ihrer Tür standen und lauschten. Neo nickte nur und wirkte leicht genervt, dann verschwand er lautlos aus dem Zimmer. 3...2...und...1!, zählte Keira in Gedanken und schon steckte Neo seinen Kopf wieder in den Raum.
„Wo ist das Bad?", fragte er, offenbar enttäuscht, dass das mit dem dramatischen Abgang nicht wirklich was geworden war.
„Rechts den Gang entlang, die erste Tür gegenüber von meinem Zimmer. Bis gleich!", grinste sie und lehnte sich auf ihrem Bett zurück. Neo und sie hatten die Jacken nicht mehr unten anhängen können, was bei der Jacke des Jungen auch aufgefallen wäre, und so lagen diese jetzt auf ihrem Bett und sie musste sagen: Die Jacken waren kuschelig. Nichtsdestotrotz wollte sie nicht auf Neos Jacke liegen, also zog sie beide Kleidungsstücke unter ihrem Rücken hervor und schmiss sie in die nächste Ecke.
Neo brauchte lang und Keira langweilte sich. Sie sah auf ihr Handy: keine Nachrichten. Von wem auch? Seufzend legte sie das Handy auf die Kommode, die sie letztens umgestoßen hatte und starrte Löcher an die Decke. Die Zeit verging langsam und zäh, als wäre sie in Sirup getaucht und Keira erfand immer neue Spiele: Wo sah es aus, als verstecke sich dort der meiste Staub? Wie viele Multisäfte konnten bestimmte Leute trinken bis sie sich übergaben? Sie dachte sich die Gerüchte aus, die Miss Honey ab morgen verbreitet hätte...
Und endlich kam Neo zurück. Seine kurzen schwarzen Haare klebten an seinem Kopf, offensichtlich hatte er geduscht. Keira hoffte, dass es ihrem Onkel und ihrer Tante nicht auffiel, dass sie offensichtlich schon zum zweiten Mal geduscht hatte. „Das hat aber lang gedauert", grummelte sie und setzte sich wieder richtig hin. Neo zuckte nur mit den Schultern und setzte sich auf sein Bett.
„Wie geht es eigentlich deinem Kopf?", wollte er wissen und automatisch fasste Keira sich in die Haare. Das Blut hatte sie abgespühlt, aber sie konnte die Wunde auf ihrem Kopf fühlen, die schon mit leichtem Schorf überzogen war. Keira juckte es in den Fingern ihn abzukratzen, doch sie hielt sich zurück und legte ihre Hände wieder auf die Bettdecke. Bis eben hatte sie gar nicht mehr an die Wunde gedacht, was vermutlich ein gutes Zeichen war, da sie sich ja nicht auf dem Boden zusammen krümmte.
„Alles gut!", meinte sie also. Neo musterte sie skeptisch, woraufhin sie, wie schon so oft an diesem Tag, die Augen verdrehte. „Wirklich. Tut nicht mal mehr weh..." Wenn sie noch länger mit ihm zusammen unterwegs war, befürchtete sie, dass das Augenrollen Dauerzustand werden würde, denn bei seinen nächsten Worten tat sie es schon wieder.
„Bist du dir sicher, dass du nicht zum Arzt solltest?!"
„Jaha! Und jetzt: pssst! Ich muss mich konzentrieren!", knurrte sie und schloss die Augen.
„Was-wieso...?", setzte er an, verstummte nach ihrem Todesblick aber. Eine Weile herrschte Stille, die Keira genoss und beinahe wäre sie im Sitzen eingeschlafen, aber Neo holte sie wieder aus den Fängen des Schlafes. „Wie lang musst du dich noch konzentrieren?" Keira öffnete die Augen und sah Neo, wie er sie gelangweilt ansah.
„Eigentlich muss ich mich gar nicht konzentrieren. Ich wollte nur mal kurz Ruhe!" Sie streckte sich, während Neo sie beleidigt ansah.
„Das erklärt auch, warum du fast eingeschlafen bist...Aber du hättest auch einfach sagen können, dass du kurz Ruhe brauchst!", schmollte er und verschränkte wie ein trotziges Kleinkind die Arme.
„Hättest du es denn getan?" Sie grinste ihn herausfordernd an. Kurz schien der Junge ihr gegenüber zu überlegen: „Vermutlich..." Sie schüttelte den Kopf und lächelte wieder. Vermutlich hätte er es nicht gemacht, nur damit sie kurz mal entspannen konnte.
„Kannst du eigentlich noch andere Sachen mit dem Licht anstellen?" Die Frage stellte er so plötzlich, dass Keira verwirrt war und nicht wusste was er meinte. „Was?"
„Ob du noch andere Sachen mit dem Licht machen kannst. Du hast gesagt, du kannst es bündeln und dadurch wird es fest, aber kannst du auch noch andere Sachen mit dem Licht tun?" Man konnte die Neugier Neos deutlich hören und auch Keira wurde ein wenig neugierig. Sie hatte noch nie ausprobiert etwas anderes zu machen, außer Lichtwände. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass ihre Eltern nie wirklich wollten, dass sie sie einsetzte, außer im Notfall. Ab und zu hatte ihr Vater sie von der Schule befreit oder am Wochenende waren sie zusammen zu einer abgelegenen Wiese gefahren.
Es war eine große, weite Fläche, bewachsen mit grünem Gras, das einem fast bis zu den Knöcheln reichte. Vögel zwitscherten, flogen über den Wald, dessen Baumwipfel das einzige schienen, was, außer dem Horizont, die Wiese in irgendeiner Weise begrenzten. Ein vielleicht 8-Jähriges Mädchen verfolgte mit glockenhellem Lachen Schmetterlinge, quietschte erfreut wenn die Falter sich kurz auf einem Grashalm niederließen und sie sie genauer betrachten konnte, nur um im nächsten Moment wieder abzuheben und weiter zu fliegen. Ein Mann, Anfang dreißig, sah dem Fangespiel von Mensch und Tier ein wenig angespannt zu, zuckte erschrocken zusammen, wenn das schwarzhaarige Mädchen kurz stauchelte, weil es über einen Stein oder ähnliches stolperte. Schließlich unterbrach er dieses perfekt wirkende Schauspiel in dem er rief: „Keira! Komm, wir müssen üben!"
Das Mädchen drehte sich lachend um die eigene Achse und rannte mit einer Ausdauer, die nur kleine Kinder besaßen, zurück zu dem Mann, ihrem Vater. Sie kicherte noch immer als sie schon sprang und ihr Vater sie auffing, kicherte als er, ebenfalls leicht lächelnd, ihr durch die Haare fuhr und sie dann wieder absetzte.
„So! Und jetzt zeig mir mal, was du schon kannst!"
„Keira?" Neos Stimme riss sie wieder aus ihre Erinnerung und sie schreckte heftig zusammen.
„Was?", fragte sie, hatte vollkommen den Faden verloren.
„Ich habe gefragt, ob du mit dem Licht noch andere Sachen machen kannst..." Er wirkte resigniert und Keira lächelte verlegen.
„Achja, stimmt. Also, ganz ehrlich: Ich weiß es nicht, ich habe nie etwas anderes versucht, außer diese Mauern..."
„Wäre dochmal lohnenswert mal etwas anderes auszuprobieren?", sagte er, es klang aber eher nach einer Frage. Stumm nickte sie, während ihre Augen immer wieder zufielen und sie gegen die aufkommende Müdigkeit ankämpfte.
Eine Weile schwiegen sie und beinahe wäre sie erneut in den Schlaf abgedriftet, aber aus irgendeinem Grund wollte sie sich wachhalten. Vielleicht weil es unhöflich war, vor einem Gast einzuschlafen? Sie hatte keine Ahnung, aber schließlich unterbrach Neo ihre Gedanken, in dem er schon beinahe sanft flüsterte: „Du solltest schlafen. Es ist heute viel passiert."
Keira wollte noch nicken, aber da war sie schon halb eingeschlafen und das letzte was sie spürte, bevor sie endgültig schlief, war, wie jemand sie vorsichtig hoch hob und dann in die Senkrechte legte, sie zu deckte und, kurz darauf: leise Schritte, die sich von ihrem Bett entfernten. Dann übermannte sie der Schlaf endgültig und sie fiel in ein bodenloses Tief aus Schwärze.
Am nächsten Morgen wurde Keira durch grelles Sonnenlicht geweckt, welches irgendwie geschafft hatte sich in ihr Zimmer zu schleichen. Staub tanzte im Licht und ihre Möbel warfen Schatten auf die Wände, manche sahen seltsam verzerrt aus.
Irgendwie musste Keira an Peter Pan denken, der in Wendys Zimmer seinen Schatten fangen wollte. Ihre Eltern hatten ihr dieses Buch früher unzählige Male vorlesen müssen und noch immer war es ihr Lieblingsbuch. Kurz tastete sie unter ihr Kopfkissen und zog im nächsten Moment ein abgegriffenes Exemplar von Peter Pan hervor. Eigentlich las sie so gut wie nie, aber manchmal, wenn die Erinnerungen sie zu überwältigen drohte und sie das Gefühl hatte ihre Eltern zu vergessen, dann holte sie es hervor. Las die schönen, aber auch dir traurigen Stellen, stellte sich vor, wie sie bei den verlorenen Jungs lebte, mit Peter Pan flog und gegen Hook kämpfte, um dann am Ende wieder zurück in ihr Bett zu kehren und Allen von ihren Abenteuern berichtete. Wenn der Tod von ihren Eltern ihr Herz zu zerfressen schien wie Säure und sie das Buch aufschlug, war es, als wäre sie wieder das kleine, unschuldige Mädchen, das an das Gute der Welt glaubte. Die Gefühle und die vielen Stunden vor dem Schlafen in denen ihre Mutter ihr vorlas und ihr Vater dabei schauspielerisch darstellte, wie er als Peter gegen Hook kämpfte, schienen die Seiten zu tränken, als hätte man dort einmal eine Rose gepresst, deren Geruch noch immer an den Wörtern hing, wie ein längst vergessener Geist. Es war ein schöner Geruch. Duftete nach Abenteuer, Liebe und Familie. Aber in letzter Zeit hatte sie das Gefühl, dass ein anderer Geruch diesen Duft überdeckte: der des Vergessens.
Das war das Schlimmste. Keira lag oft in ihrem Bett und dachte über die Zeiten nach als sie noch eine Familie hatte, noch Zukunft, noch Glück. Dann schien es, als verschwammen die Gesichter ihrer Eltern, wurden zu Schemen, bis Keira nur noch erahnen konnte, wie ihre Lippen sich verzogen, wenn sie lachten. Meist sprang sie dann schnell auf und kramte die alten Fotos aus einer Kiste, die stets unter ihrem Schreibtisch lagerte. Sie versuchte sich ihre Gesichter einzuprägen, versuchte sie nicht zu vergessen. Wenn sie danach an sie dachte, hatten sie wieder Gesichter. Doch es waren Masken, die Augen waren leer, schienen verlernt zu haben zu glänzen, ihr Lächeln schien nicht mehr fröhlich, sondern traurig, nicht die Art von traurig, die du bist, wenn du erfährst, dass deine Freundin dich angelogen hat oder die, wenn du ein längst totes Familienmitglied vermisst, nein, die Art der Traurigkeit, die du nicht wahrhaben willst. Die Traurigkeit, die dich lächeln lässt, obwohl du innerlich zerbrichst. Die Traurigkeit, die du vergessen möchtest, um einfach weiter leben zu können oder die Art, die dich vergessen lässt.
Sie konnte nicht weiter ihren Gedanken nach hängen, da in diesem Moment eine Stimme stöhnte: „Dummes Licht!"
Erschrocken zuckte Keira zusammen und sah nach unten. Ach ja, da war ja was...
„Morgen!", gähnte sie und Neo grummelte irgendetwas unvollständiges als Antwort und drehte sich vom Fenster weg. „Wie spät ist es?", nuschelte er halb in eines der Kissen und schien wieder halb am Schlafen.
Keira entsperrte ihr Handy und sah auf den Display. Sie rümpfte die Nase: „Halb neun! Ins Bad zu kommen, können wir jetzt erstmal vergessen..."
„Ich hatte auch erstmal nicht vor in den nächsten zwei Stunden aufzustehen...", grummelte der Blauäugige und zog die Decke noch höher, sodass sie ihm bis zu den Brauen ging.
Keira seufzte. Sie hatte weder die Geduld noch die Zeit bis um zwölf im Bett zu liegen. „Hör mal, Neo! Jetzt wo mein Onkel wahrscheinlich schon in der Garage rumhängt und meine Tante auch beschäftigt ist, sollten wir, oder anders gesagt: du, schleunigst hier abhauen. Spätestens um zehn wird meine Tante hier nämlich reingestürmt kommen, um mich zu wecken und da würde es viele Fragen aufwerfen, wenn sie dich hier in meinem Zimmer sieht. Also beweg deinen faulen Hintern endlich aus diesen Haufen und hilf mir die Beweise zu vernichten!"
Seufzend rappelte Neo sich auf und zusammen räumten sie die Decken zurück.
So das war es leider vom neuen Kapitel, ich werde in nächster Zeit weniger updaten, weil ich viele Hausaufgaben derzeit auf bekomme...
Mehr habe ich erstmal nicht zu sagen, außer: danke an alle, die mich mit dieser Story unterstützen, ich habe euch echt lieb 😘
PS.: Ich finde das Lied im Anhang irgendwie passend und sehr schön😊
(Kennt ihr Tubeclash? Wie findet ihr es?)
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