Kapitel 17 - Labor Deluxe
Der Wagen, der Katy eine halbe Stunde später vor dem Hotel abholte, hätte ihren Previa Van beschämen können. Ein schwarzes Mercedes Coupé mit getönten Scheiben, das wunderbar in eine Hollywood-Produktion über Al Capone gepasst hätte.
Der Fahrer sprang aus dem Gefährt und hielt Katy die Tür im Fond auf. Etwas beklommen nahm sie auf den kühlen hellen Ledersitzen platz und legte den Gurt an.
Hoffentlich werde ich jetzt nicht in irgendeiner unwegsamen Gegend aus dem Auto gebeten und dann erschossen, dachte sie mit der ihr eigenen Portion Galgenhumor.
Als sie ohne Zwischenfälle nach nur knapp zehn Minuten vor einem großen Gebäudekomplex zum Stehen kamen, war Katy sehr beeindruckt - und das wollte etwas heißen, denn es brauchte schon Einiges um ihr zu imponieren.
Das Silicon Valley Medical Center setzte sich aus vier Gebäuden zusammen, die fast ausschließlich aus Glas bestanden.
Hinter den gigantischen Fenstern konnte man die Mitarbeiter an ihren Tischen sitzen oder in hektischer Betriebsamkeit über die Flure eilen sehen.
Die Fensterscheiben reflektierten das Sonnenlicht, was der gesamten Szenerie einen futuristischen Anstrich verlieh.
Exakt so stelle ich mir einen Weltraumbahnhof vor, dachte Katy.
Angespannt betrat sie die Halle des Hauptgebäudes und wandte sich an eine der Mitarbeiterinnen vom Empfang.
„Mein Name ist Katy Cool, ich denke, ich werde erwartet."
Die Augen der Rezeptionistin weiteten sich kurz, jedoch sammelte sie sich augenblicklich und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.
„Ich kündige Ihre Anwesenheit an."
Mit diesen Worten griff sie zum Telefon und gab eine dreistellige Nummer in die Tastatur ein.
„Die Dame aus Davis ist jetzt hier", informierte sie den Teilnehmer am anderen Ende der Leitung, um sich schließlich wieder an Katy zu wenden:
„In Kürze wird Sie jemand abholen."
Schon wieder abholen? Liebe Güte, ich bin schließlich nicht die First Lady.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, eilte ein hoch gewachsener, hagerer Mann auf sie zu.
„Katy Cool?", fragte er und streckte ihr gleichzeitig seine Hand zur Begrüßung entgegen. Ihre Blicke schweiften über den teuer aussehenden Kaschmirpullover, über die Seidenkravatte, deren Stoff den ausgeprägten Adamsapfel kaum verdecken konnte, bis hin zu schmalen, humorlosen Lippen, ehe sie die dargebotene Hand ergriff.
„Mein Name ist Colin Steward, ich möchte Ihnen gerne etwas zeigen, wenn Sie mir bitte folgen würden!"
Katy war nicht unsportlich oder träge, dennoch fiel es ihr nicht leicht, mit dem Hünen im feinen Zwirn Schritt zu halten. Vorbei an weiteren verglasten Büros, alle besetzt mit auffallend gut gekleideten Mitarbeitern, steuerte er auf ein im industriellen Stil konstruiertes Treppenhaus zu.
Mit einem Kopfnicken in Richtung der Designerbüros sagte er plötzlich:
„Jährliches Gehalt durchschnittlich etwa hundertdreißigtausend Dollar."
Katy hob verblüfft die Brauen, worauf er fortfuhr:
„Das hatten Sie sich doch gerade gefragt, oder? Was verdient man in so einem Unternehmen?"
Sie ließ es unkommentiert, aber er hatte nicht Unrecht.
Entgegen ihrer Erwartungen nutzten sie nicht die Treppe mit dem minimalistisch aussehenden Glasgeländer, die zu den oberen Stockwerken führte, sondern nahmen den Fahrstuhl nach unten.
Als sich die Aufzugtür nur Sekunden später wieder öffnete, bedeutete Colin ihr mit einer knappen Geste vorauszugehen.
Der Flur, den sie betraten, war hellgrün gestrichen und gut beleuchtet. Unzählige Türen reihten sich zu beiden Seiten des langen, steril wirkenden Korridors und ebenso viele Schilder informierten über Fachrichtungen und Untersuchungsmöglichkeiten.
Vor einer Glastür mit der Aufschrift Pathologie stoppte Katy. Sie ahnte, zu welchem Zweck sie herbestellt worden war, dennoch blickte sie sich um und warf ihrer Begleitung einen fragenden Blick zu.
Colin Steward griff an ihr vorbei und hielt seinen Ausweis vor ein Lesegerät, das rechts an der Wand angebracht war. Die Tür öffnete sich mit einem leisen, schmatzenden Geräusch.
„Bitte die Zweite links", informierte er kurz.
Nervös folgte Katy seinen Angaben und blieb schließlich vor einer weiteren Tür stehen. Ein kleines Plexiglasschild wies darauf hin, dass es sich hier um einen pathologischen Untersuchungsraum handelte.
Unbewusst hielt sie den Atem an und grub ihre Nägel in die Handballen. Die Konzentration auf den kurzen, spitzen Schmerz half ihr, sich von ihrer Aufregung abzulenken.
Dann traten sie ein.
Das Labor unterschied sich auf den ersten Blick nicht zu sehr von ihrer eigenen Arbeitsstätte, außer, dass es deutlich größer war. Blank geputzte Stahltische dominierten den Raum, dessen geflieste Wände das kühle, unpersönliche Licht spiegelten. Beim näheren Hinsehen bemerkte Katy jedoch die vielen technischen Raffinessen, wie moderne Rotationszentrifugen, fahrbare Werkbänke, lichtstarke Strahler und hochauflösende Mikroskope. Es musste sehr angenehm sein, hier zu arbeiten, und sie spürte das typische Kribbeln in den Fingern, wie jedes Mal, wenn sie vor einer herausfordernden Aufgabe stand.
Doch dann fragte Colin mit einem merkwürdig lauernden Unterton:
„Sie haben den Leichnam von Ewan Beasley untersucht",
und augenblicklich breitete sich eine Gänsehaut auf ihren Unterarmen aus.
Als sie zur Bestätigung nickte, öffnete er einen Kühlbehälter und zog mit beiden Händen eine Metallbahre hervor, auf der sich der Körper eines Toten befand.
Mit einer routinierten Bewegung griff er nach dem Arm einer Untersuchungsleuchte und drehte sie so, dass ihr Licht den gesamten Bereich erhellte.
„Ich möchte, dass sie mal einen Blick hierauf werfen."
Er reichte ihr Maske und Stirnlampe, die Katy ergriff, während sie spürte, wie ihr analytischer Verstand übernahm und das ungute Gefühl von gerade eben verdrängte.
Der Leichnam, der vor ihr auf der kalten Arbeitsplatte lag, wies ähnliche Merkmale auf wie der von Ewan Beasley. Auch hier entdeckte sie punktförmige Einblutungen, nachdem sie die Augenlider angehoben hatte. Ein Blick in den Mund bestätigte ihre Annahme: Er hatte sich die Zunge abgebissen.
„Vergiftungserscheinungen", murmelte sie. „Wo ist die Bisswunde?"
Es dauerte nicht lange, bis sie die winzige Verletzung an der Fingerkuppe fand.
„Ein Spinnenbiss", sagte sie, diesmal lauter.
„Richtig", erwiderte Colin, „wir glauben, es ist das Gift der Sydney Trichternetzspinne. Natürlich ist das sehr fragwürdig, da diese Spinne hier nicht ansässig ist."
Katy nickte.
„Das war auch meine Überlegung. Dazu kommt, dass Ewan Beasley in einem gefliesten Raum zu Tode kam, diese Art der Arachnoiden aber keine glatten Flächen hinaufklettern kann. Es muss also doch eine andere Spinne gewesen sein."
Unmerklich verengten sich die Augen des Virologen. Katy bemerkte es nicht, weil sie sich schon wieder der Bisswunde zugewandt hatte.
„Nun, möglicherweise handelt es sich ja um illegal ausgesetzte Tiere", sagte er ruhig.
Katy wollte widersprechen, aber er hob fast gebieterisch die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.
„Da ist etwas, was ich sie als Expertin fragen möchte. Wäre es theoretisch möglich, dass die Infektion, die so ein Biss auslösen kann, sich auch auf Menschen überträgt, die gar nicht gebissen wurden?"
„Sie meinen, wie eine Hirnhautentzündung nach einem Zeckenbiss?"
Er zögerte, wägte seine Worte ab. Schließlich sagte er: „Nein, um ehrlich zu sein, rede ich von den Vergiftungserscheinungen, die zum Tod des Opfers geführt haben. Könnte sich eine andere Person allein durch Kontakt damit infizieren?"
Ungläubig starrte Katy den hünenhaften Mann an.
„Soweit ich weiß, ist das nicht möglich. Mir ist kein einziger Fall bekannt."
„Sehen sie sich bitte noch einen anderen Leichnam an. Es ist die Ehefrau des Opfers. Sie ist definitiv mit keiner Spinne in Berührung gekommen. Dafür aber mit ihrem Mann."
Katy spürte, wie sämtlicher Speichel aus ihrem Mund verschwand. Ihre Hände fühlten sich kalt an. Dennoch folgte sie dem Virologen und wartete, bis er einen weiteren Körper aus der Kühlung holte.
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