Montag, 12. Dezember - Kapitel 16
Mit fürchterlichen Kopfschmerzen öffnete Germán am nächsten Morgen die Augen. Seine Sicht war verschwommen und er fühlte sich einfach elend. Nicht nur, dass es in seinem Kopf so laut pochte, dass man glauben konnte er hätte einen Presslufthammer darin sondern ihm wurde auch in rasender Geschwindigkeit heiß und kalt zugleich. Alles drehte sich um ihn herum im Kreis und es kostete ihn so viel Kraft die Augen offen zu halten, dass er gar nicht erst an das Aufstehen denken wollte.
Langsam drehte er sich zur Seite und entdeckte, dass seine Schwägerin nicht mehr neben ihm lag. Offensichtlich hatte er länger geschlafen als er anfangs gedacht hatte und es war nur noch finster in dem Zimmer weil Angie die Vorhänge nicht zur Seite gezogen hatte. Für diese Geste war er ihr unheimlich dankbar denn alleine der Gedanke daran nun mit hellem Licht konfrontiert zu sein ließ Germán schmerzhaft aufstöhnen.
Gerade als er wieder die Augen schließen wollte öffnete sich leise die Tür zum Schlafzimmer. Für Germán hörte sich das kaum merkbare Geräusch jedoch an als würde eine Bombe einschlagen und er gab ein klägliches Wimmern von sich. Wer zur Hölle kam um diese Zeit hier rein? Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe sterben lassen? Denn genauso fühlte er sich gerade als müsse er sterben.
„Du bist ja wach", stellte Angies glockenhelle Stimme leise fest als sie den Raum betreten hatte und die junge Frau durchquerte mit schnellen Schritten das Zimmer. Wieder wimmerte Germán leise und zog sich die Decke hoch bis zu seiner Nasenspitze. Zwar tat Angies Stimme nicht so weh wie das Geräusch, das die Tür gemacht hatte doch sie wirkte auch nicht schmerzlindernd.
Als er ihr nicht antwortete ließ sich die junge Frau wortlos neben ihm nieder und zog die Bettdecke ein Stück zurück sodass sie ihren Schwager darunter sehen konnte. Germán lag eingerollte auf der Seite und hatte die Augen fest zu gekniffen. Er sah nicht besonders gut aus und sofort fing Angie an sich Sorgen um ihn zu machen. „Ist alles okay bei dir?", erkundigte sie sich leise und rückte ein Stück näher zu ihm auf.
Ob alles okay war? Machte seine Schwägerin Scherze? „Nichts ist okay. Ich glaube ich sterbe gerade", verkündete Germán mit weinerlicher Stimme und versuchte kraftlos die Decke wieder zurück über seinen Kopf zu ziehen. Bei seiner Aussage machte Angies Herz einen abrupten Halt. Sterben? Germán! Mit der doppelten Geschwindigkeit raste es weiter doch diesmal war es Angst, die ihr Herz zu Höchstleistungen antrieb.
Vorsichtig drückte Angie ihren Schwager an der Schulter nach unten sodass er sich auf den Rücken rollen musste und sie ihn besser ansehen konnte. Auf seiner Stirn bildete sich ein leichter Schweißfilm und er zitterte obwohl sie die Wärme, die von ihm ausging, trotz ihres Abstands deutlich spüren konnte. Die Sorgen der jungen Frau wurden noch größer und sie streckte behutsam eine Hand nach ihm aus.
Ihre kühlen Finger auf seiner Stirn sorgte augenblicklich dafür, dass der imaginäre Vorschlaghammer in seinem Kopf aufhörte Lärm zu machen. Seine Gedanken kamen ebenfalls zur Ruhe und Germán seufzte erleichtert auf. „Du hast Fieber", stellte Angie entsetzt fest und wollte ihre Hand wieder von seiner Stirn nehmen um das Thermometer holen zu können doch ihr Schwager hielt sie auf. „Lass deine Hand bitte einfach da liegen. Es hört auf wehzutun wenn du da bist", nuschelte er und zog die Decke wieder nach oben.
Seine Worte ließen Angie leicht grinsen. Ob er wusste, dass er gerade unglaublich niedlich war und die Schmetterlinge in ihrem Bauch zum Tanzen brachte mit Aussagen wie dieser? Vermutlich nicht denn Germán fühlte sich schrecklich. Schuldbewusst rutschte Angie auf dem Bett hin und her. „Ich will deine Temperatur messen, Germán, aber dazu brauche ich meine zweite Hand", versuchte sie ihn davon zu überzeugen, dass er sie losließ.
Leise grummelte ihr Schwager vor sich hin und stöhnte auf als sie ihren Worten Taten folgen ließ und die Hand von seiner Stirn nahm. Konnte Angie nicht einmal tun was er wollte? Er lag hier immerhin im sterben! Sie könnte zumindest seinen letzten Wunsch respektieren. Stattdessen stand sie nun sogar vom Bett auf und verschwand für einen Moment durch die fürchterlich knarzende Tür bevor sie wieder zu ihm zurückkam.
Ohne Vorwarnung drückte sie ihm das Fieberthermometer ins Ohr und das Gerät gab wenig später ein für ihn unangenehm lautes aber für Angie kaum wahrnehmbares Tüten von sich um zu signalisieren, dass die Temperatur angezeigt wurde. Vorsichtig nahm sie es wieder weg und sah auf die Anzeige. „Herzlichen Glückwunsch mein Lieber, du wirst heute den ganzen Tag im Bett verbringen. Du hast beinahe neununddreißig Grad Fieber", stellte sie mit bedrückter Stimme fest.
Fast neununddreißig Grad? Er würde definitiv sterben! Als Germán seine Hand hob um nach der seiner Schwägerin zu greifen zitterte er bedrohlich. Hoffentlich blieb ihm noch genug Zeit um ihr zu sagen, dass er sie von ganzem Herzen liebte. „Angie", hauchte er beinahe lautlos. Überrascht sah ihn die junge Frau an und strich im zärtlich die Haare aus der Stirn. „Ja?"
Germán holte einmal tief Luft dann fing er mit leiser Stimme an zu sprechen: „Ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe. Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt. Du bist eine unglaubliche Frau und ich bin dankbar für jede Sekunde meines Lebens, die ich mit dir verbringen durfte. Ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe und dass du es mit mir nicht immer leicht hattest aber ich habe das alles nicht getan um es dir schwer zu machen. Dir könnte ich nie absichtlich wehtun. Du bist das Beste, was mir je passiert ist."
Bei seiner Ansprache stiegen Angie vereinzelt Tränen in die Augen. Was sollte das denn jetzt? Natürlich war sie immer schon sehr anfällig für Gefühlsausbrüche wenn es um ihren Schwager ging aber so nah am Wasser war sie für gewöhnlich nicht gebaut. Mit einem Schulterzucken schob die junge Frau es auf die Tatsache, dass ihr Schwager so sprach als würde er sich von ihr verabschieden. Bestimmt lag das nur daran, dass sie ihn so etwas niemals so sagen hören wollte denn das würde einen Abschied für immer bedeuten.
Ein leises Seufzen entwich ihr während sie ihrem Schwager zärtlich über die Wange strich. „Germán, du bist bestimmt nur erkältet weil wir gestern so lange draußen im Schnee waren und du nur deinen Schlafanzug anhattest", stellte sie liebevoll fest und rutschte dennoch näher zu ihm. „Du warst auch im Schnee und bist nicht krank also kann es nicht das sein", warf Germán stur wie immer ein und zog vorsichtig an ihrer Hand sodass Angie sich halb auf ihm wiederfand.
„Ich arbeite mit Kindern. Im Studio ist immer irgendwer krank und niest oder hustet mich an. Gerade in der kalten Jahreszeit. Mein Immunsystem ist also einfach besser als deines. Deshalb bin ich gesund und du nicht. Das bedeutet aber nicht, dass du unheilbar krank bist", erklärte Angie ihrem Schwager und lächelte ihn dabei liebevoll an. Sie kannte dieses Verhalten nur zu gut. Letztes Jahr war es genau das Gleiche gewesen.
Germán hatte sich im vergangenen Jahr ebenfalls eine Erkältung zugezogen und war dann drei Tage mit Fieber, Husten und einer rinnenden Nase im Bett gelegen. Für ihn hatte es sich angefühlt als würde er jeden Moment auf die andere Seite gehen müssen und egal wie oft Angie es versucht hatte, er hatte seine Meinung nicht ändern wollen. Die Situation war schließlich eskaliert als er ihr am vierten Tag als es ihm schon wieder deutlich besser gegangen war mitgeteilt hatte, dass er nun verstehen würde wie sie sich während den Wehen bei Lillians Geburt gefühlt haben musste.
In dieser Hinsicht war ihr Schwager wohl wie alle anderen Männer. Bloß nicht so tun als würde er Schmerzen haben aber wenn er verkühlt war starb er tausend Tode. „Ich möchte nur, dass du weißt...", fing Germán erneut an wurde jedoch von Angies Lippen auf seinen unterbrochen. Zärtlich küsste ihn die junge Frau für einen Augenblick bevor sie sich wieder von ihm löste. „Du wirst nicht sterben. Das verspreche ich dir."
Skeptisch sah Germán seine Schwägerin an. Er würde nicht sterben? Wie konnte sie sich da so sicher sein? Angie war zwar eine sehr kluge Frau aber sie war keine Ärztin! Was wenn sie sich irrte? „Du bist nur erkältet", versicherte ihm die junge Frau und strich ihm noch einmal durch die Haare bevor sie sich sehr zu Germáns Missfallen wieder aufrichtete und aus seinen Armen wand.
„Wohin gehst du?", erkundigte er sich mit weinerlicher Stimme. „Ich muss arbeiten, Germán. Es ist Montag. Ich werde Lillian in den Kindergarten fahren und dann zusammen mit Vilu ins Studio gehen. Heute habe ich bis sechzehn Uhr Unterricht wir sehen uns also erst am Nachmittag wieder", verkündete sie als wäre es nichts Besonderes. Für Germán brach jedoch eine Welt zusammen.
Angie wollte ihn alleine lassen? Er fühlte sich grauenhaft und sie wollte arbeiten gehen? Das konnte sie doch nicht tun! „Kannst du nicht zu Hause bleiben?", erkundigte er sich und versuchte dabei noch kränklicher auszusehen als er es ohnehin schon tat. Kopfschüttelnd sah seine Schwägerin ihn an während sie sich ihre Tasche auf die Schulter hing. „Ich kann nicht zu Hause bleiben. Ich muss arbeiten", antwortete sie und kam wieder zu ihm zurück ans Bett.
Gekonnt zog Germán einen Schmollmund. „Immer musst du arbeiten. Du hast nie Zeit für mich. Ich könnte heute sterben und du würdest es gar nicht merken weil du in deiner dummen Arbeit bist", warf er ihr mit einer Stimme vor die dem weinerlichen Wimmern, das Lillian einsetzte wenn sie etwas wollte und nicht bekam, sehr nahe kam.
Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah Angie ihren Schwager an. „Das hast du jetzt nicht gesagt", stellte sie genervt fest lehnte sich aber dennoch wieder über ihn. „Doch! Du hast nie Zeit für mich", quengelte Germán weiter und bemerkte dabei nicht auf was für ein dünnes Eis er sich mit seiner Aussage begab. Auf Grund der Tatsache, dass ihr Schwager Fieber hatte und krank war beschloss Angie jedoch dieses eine Mal über seinen Vorwurf hinwegzusehen.
Zärtlich strich sie ihm über die Wange und zog ihm gleichzeitig mit der anderen Hand die Decke hoch bis zum Hals. „Mach die Augen zu und schlaf, Germán. Du wirst sehen wenn du wieder aufwachst bin ich schon bald wieder da. Olga wird dir eine Suppe kochen und statt Kaffee wirst du heute Tee trinken. Dann geht es dir in ein paar Tagen wieder gut und ich verspreche, dass ich mich nach Hause beeile."
Angies Versprechen war zum Teil gelogen gewesen wie Germán im Verlauf des Tages feststellen musste. Seine Schwägerin hatte ihm gesagt, dass sie schon bald wieder da sein würde wenn er nach seinem Schläfchen wieder aufwachte doch es war erst kurz nach dreizehn Uhr als Germán die Augen wieder aufschlug. Es dauerte also noch drei Stunden bis seine Freundin fertig mit der Arbeit war und dann würde sie erst ihre Tochter abholen also war sie bestimmt nicht vor dreiviertel fünf zu Hause. Das war alles andere als bald!
Ein anderer Teil stellte sich jedoch zu seinem Entsetzten als wahr heraus. Olga versuchte ihn liebevoll zu umsorgen. Nachdem sie mitbekommen hatte, dass er wach war hatte sie ihm einen heißen Salbeitee gebracht und seinen Wunsch nach Kaffee verneint. Der Salbei sollte gegen seine fast unerträglichen Halsschmerzen helfen doch schon nach dem ersten Schluck hatte Germán das Getränk quer durch das Zimmer gespuckt. Es schmeckte einfach grauenhaft!
Als er wenig später wieder auf die Uhr sah waren gerade einmal fünf Minuten vergangen doch diese hatten sich angefühlt wie Stunden. Er würde verrückt werden wenn Angie nicht bald wiederkam. Leider war es nicht seine Schwägerin die gegen zwei Uhr nachmittags in sein Zimmer kam und ihn aus seinem Zustand zwischen Schlafen und Muntersein riss. Es war seine Tochter.
„Hallo, Papá", begrüßte ihn Violetta und balancierte in ihren Händen ein Tablett auf dem ein Teller stand und eine weitere Tasse. „Hallo, Vilu", gab Germán müde zurück und versuchte sich umständlich im Bett aufzusetzen. Allerdings scheiterte er dabei kläglich und ließ sich mit einem Stöhnen zurück in die Kissen fallen. „Wie geht es dir?", erkundigte sich seine Tochter und stellte die Sachen auf seinem Nachttisch ab.
Wie es ihm ging? Er fühlte sich grauenvoll! Immer noch! Er war sich auch weiterhin nicht sicher ob er nicht vielleicht doch sterben würde und seine Schwägerin war in der Arbeit. „Es geht mir gut", log er jedoch da er vor Violetta nicht ganz so leidend wirken wollte wie vor Angie. „Kannst du dich aufsetzen? Olga hat dir eine Suppe gemacht", fragte das Mädchen weiter und deutete auf den Teller, welchen sie die Treppe hinauf bis ins Schlafzimmer balanciert hatte ohne auszuschütten.
Stumm schüttelte Germán den Kopf. Er konnte sich nicht aufsetzen. Genauso wenig wie er telefonieren oder Nachrichten schreiben konnte. „Warte, ich helfe dir", schlug Vilu lächelnd vor und half ihm tatsächlich so weit, dass Germán in einer halbwegs aufrechten Position saß. Als sie ihm das Tablett auf den Schoß stellte und ihm den Löffel reichte schüttelte er jedoch den Kopf. „Ich mag keine Suppe", stellte er trotzig fest.
Lachend warf Violetta den Kopf in den Nacken. Damit hatte sie schon gerechnet. Um genauer zu sein war es ihr sogar prophezeit worden. „Angie hat mir gesagt, dass du das sagen würdest und sie hat auch gemeint, dass du die Suppe essen sollst weil es dir dann besser geht", verkündete das Mädchen und hielt ihrem Vater noch einmal den Löffel hin. Wieder schüttelte Germán entschieden den Kopf. Das Zeug würde es nicht besser machen es würde ihn vermutlich noch kränker machen.
„Angie hat auch noch gesagt, dass solltest du die Suppe nicht essen und den Tee nicht trinken, sie heute Nacht bei Lillian schlafen wird", zitierte Vilu weiter was ihr die junge Frau aufgetragen hatte und genoss dabei den Anblick als die Augen ihres Vaters plötzlich doppelt so groß wurden. „Das hat sie nicht gesagt", grummelte Germán verunsichert und sah zwischen dem Löffel und seiner Tochter hin und her. Bestimmt nahm ihn das Mädchen nur wieder auf den Arm und das obwohl es ihm so schrecklich ging.
Doch Violetta fuhr einfach unbeirrt weiter fort: „Außerdem soll ich dir ausrichten, dass Angie mir den Auftrag und die Erlaubnis gegeben hat dich wie ein kleines Kind zu füttern solltest du dich weigern die Suppe selbstständig zu dir zu nehmen." Mit jedem Wort wurden seine Augen größer. „Und solltest du mir nicht glauben hat sie dir das Gleiche noch einmal als SMS geschickt", beendete das Aufsagen Vilu ihrer Anweisungen und hielt ihrem sprachlosen Vater sein Handy unter die Nase.
Tatsächlich! Alles was seine Tochter so eben gesagt hatte war auf dem Display seines Handys abzulesen und gesendet hatte die Nachricht niemand anderer als seine Schwägerin. Offensichtlich hatte sie Violetta zu seiner Pflegerin ernannt bis sie selbst wieder zu Hause war. Das Mädchen sah grinsend dabei zu wie ihr Vater ihr langsam den Löffel aus der Hand nahm und anfing zu essen.
Zwischen zwei Löffeln der Suppe, die in Wahrheit sogar richtig gut schmeckte, was Germán jedoch nicht zugeben würde, verkündete er: „Deine Tante und du, ihr beide seid gemein zu mir. Ihr behandelt mich immer wie ein Kind." Lachend reichte Vilu ihm die Tasse mit dem neuen, warmen Tee: „Das liegt daran, dass du dich wenn du krank bist schlimmer benimmst als Lilly wenn sie es ist."
Während sie immer noch grinsend dabei zusah wie ihr Vater den Teller artig auf löffelte und sogar den Salbeitee zur Gänze austrank musste Vilu wieder und wieder an die Frage denken, die sie nun schon seit ihrem Einkaufsbummel am Freitag beschäftigte. „Papá, darf ich dich etwas fragen?", erkundigte sie sich daher unsicher. „Natürlich", bestätigte Germán und stellte die leere Tasse auf dem Tablett ab, das Violetta sofort auf den Nachttisch stellte. „Was schenkst du Angie zu Weihnachten?"
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