„Ich meine: nein. Nein. Ganz bestimmt nicht.", versichert er ihr. „Und auch nichts anderes. Ich bin würde ich sagen, ziemlich gesund", jetzt hat er sein Grinsen wiedergefunden. „Es tut mir leid", flüstert Tiff, deren Hals sehr trocken geworden ist. Sie meint nicht nur die Frage, sondern auch den Faustschlag. Er hat sich in nicht mal zwei Tagen zweimal verprügeln lassen. Er wartet, vielleicht auf eine Erklärung, vielleicht darauf, dass sie endlich verschwindet. „Ich...Isa. Isa hat... mir gesagt, dass das vielleicht der...Grund sein könnte. Wegen...wegen deinem Verhalten. Vorhin.", sie stammelt, ist schon fast auf der Treppe. Marc greift nach ihrem Arm, schließt seine Hand um ihn, als wären seine Finger ein Armband. Er zieht sie mit sich, nicht sanft, aber auch nicht brutal, drückt sie auf sein Sofa. „Erstmal: nichts braucht dir leid zu tun. Nicht mal das hier.", er legt seine Nase an ihre. „Du schlägst nicht besonders fest. Das wird nicht mal blau werden." „Ich wollte nur Klopfen", der Satz hat einen aggressiven Unterton, „aber wenn du so unbedingt willst, kann ich auch noch mal" Sie hält eine Faust vor sein Gesicht.

„Oh." „Warum hast du überhaupt direkt vor der Tür gestanden?" „Ich...ich wollte dich...besuchen. Und...mich entschuldigen", jetzt ist es an ihm ins Stocken zu geraten. „Wolltest du?", sie dreht sich abschätzig weg. „Wie wär's, wenn du einfach kein Idiot sein würdest, dann müsstest du auch nichts wieder gutmachen."

„Guter Tipp.", beeilt er sich zu sagen, „allerdings", das Schelmische ist zurückgekehrt „hast du mich schon als Idioten kennengelernt. Da müsstest du mit sowas rechnen." „Lenk nicht ab. Was ist dein verdammtes Problem?" Er steht auf, kann nicht stillsitzen. „Hör' zu", sagt sie, „wenn du's nicht bald erklärst, werd' ich wahnsinnig. Ich glaub' kaum, dass du mit blind undverrückt umgehen kannst." „Okay, okay", er atmet laut ein und aus, als müsste er sich beruhigen. Seine Stimme zittert, er ist unsicher und... Sie muss bis zum nächsten Satz warten, bis sie das Gefühl benennen kann. Es ist Wut, mit Schmerz vermengt. Eine stinkende, verätzende Masse.

„Ich hab's noch niemand gesagt. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Unterbrich' mich nicht." Er redet seltsam abgehackt, als müsste er sich zusammenreißen, nicht auf den Boden zu sinken. „Meine Eltern...Ich hab' doch erzählt, dass meine Eltern sich lieben, wie eh und je." Sie nickt, kann kaum mehr aufhören. Am liebsten würde sie ihn in den Arm nehmen und ihm den Mund zuhalten, damit der Schmerz, der seine Stimme verschleimt, wieder flüssig wird. Sie weiß, was kommt.

„Jetzt nicht mehr. Keine Ahnung. Ich hab' meine Mama einen Anderen küssen sehen. Lange und wild.", er schüttelt sich angewidert. „Ich konnte den Blick nicht abwenden, gleichzeitig haben sie sich in mein Gehirn tätowiert. Ich seh' sie ständig vor mir." Tiff macht die Augen zu. Sie riecht Marcs Verlust. Ja, es ist wie ein Verlust. Seine schöne Kindheit ist gestorben und mit ihr vielleicht auch seine Mutter. Sie schweigen lange. Irgendwann setzt er sich neben sie, lehnt den Kopf gegen ihre Schulter. Er muss sich fast hinlegen, damit er drankommt. Sie atmen im selben Rhythmus.

Es könnten Stunden der Stille vergangen sein, die Worte immer noch in der Luft schwimmend, wie schwarze Wolken an den Himmel gehängt. Tiffany spricht als erste. „Und als du mich geküsst hast, dachtest du an sie?", sie will es einfach nur verstehen. Marc richtet sich auf. „Nein. Nein, der Kuss war schön. Aber als ich den Mann angestarrt habe, hab' ich gesehen, wie meine Mutter mit dem Zeigefinger über seine Lippen strich."

Genau dasselbe hatte sie bei ihm getan. „Ich weiß, es hört sich bescheuert an. Aber in dem Moment, konnte ich wieder nur sie erkennen. Als wäre sie vor mein Sichtfeld geschoben worden. Es tut mir leid, dass ich so blöd reagiert habe."

„Es ist nicht deine Schuld", Tiff drückt seine Hand, mehr Worte braucht sie nicht. Er küsst sie, bedankt sich murmelnd. Sie spürt eine einzelne Träne an ihren Fingern. Ob es seine, oder ihre war, weiß sie nicht. Es ist egal.

Tränen sind Tränen. Und das Salz brennt immer.