
Kapitel 5,2
„Gar nicht", erwidert sie trocken. Er lacht das kehlige Lachen, rau, als hätte die Kälte ihm die Stimme geraubt. Tiffany spürt, wie er ihre Hand umschlingt, sie festhält, auch wenn sie keine Anstalten macht, davonzugehen. Sie bemerkt, wie wichtig ihm diese Frage ist, wie er sie jetzt so nachdrücklich wiederholt: „Wie siehst du, Tiff?" „Was sagst du? Wie meinst du das?" Sie ist aufgebracht, verwirrt.
„Was ist das, was du siehst?"
Noch niemand hat sie das gefragt, außer vielleicht, wie das war, zu sehen, als da noch etwas war, das man so nennen konnte. Aber jetzt, jetzt geht jeder davon aus, dass sie nichts sieht, rein gar nichts. Je länger sie darüber nachdenkt, desto nervöser wird sie. Aber ist das wahr? Vor ihren Augen ist etwas, wenn auch nur die Unendlichkeit der Nacht.
Sie sieht etwas, eben nur lichtverschluckendes Dunkel. Manche Menschen beschreiben das Blindsein nicht als schwarz. Sie kennen keine Farben, keine Schattierungen, kein hell, kein dunkel, keinen Tag, keine Nacht. Sie sagen, sie würden so sehen, wie zum Beispiel mit dem Knie. Also gar nicht.
Aber bei Tiffany ist es nicht so ein gar nicht. Es wird ihr zum ersten Mal bewusst. Sie kann die Farbe bestimmen, weil sie nicht geburtsblind ist. Sie kannte die Welt voller Farben mit Namen, die nur dann etwas über sie aussagen, wenn man mit ihnen aufgewachsen ist. „Ich sehe dunkel. Dunkel, dunkel. Dunkler als alles."
Marc drückt ihr Handgelenk, fordernd, fast ungeduldig, als wäre er im Begriff etwas unfassbar Wichtiges herauszufinden. „Zeig es mir", sie spürt seine Augen leuchten. „Sed", flüstert Tiff dem Hund zu, der sich augenblicklich hinsetzt, sie lässt ihn los.
Langsam hebt Tiff die Arme, fühlt die Wollfäden zwischen den gefrorenen Fingern, nimmt die Mütze ab. Die Haare sind elektrisiert, fliegen um den Kopf, kitzeln sie an den Lippen. Rasch versucht sie die Strähnen glattzustreichen. Dann streckt sie die Hände aus, tastet, findet einen verwuschelten Kopf, zieht ohne Vorwarnung die Mütze über Augen, fühlt Nase und Mund, zieht sie noch ein wenig tiefer.
„Damit du nicht schummelst"
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