Kapitel 3,4
„Das Motorrad. Du hättest niemals nach der Farbe gefragt." Tiff kann nicht anders, sie lächelt.
„Das hast du gemerkt? Es ist passiert, als ich vier war. Meine Mutter meint, ich konnte es nicht glauben und bat sie ständig, das Licht wieder einzuschalten. Die ersten Monate war ich wie ausgewechselt. Ins Negative meine ich, ich schrie und heulte und nichts machte mich glücklich. Es war eine schwere Zeit."
„Das tut mir leid, Tiff. Isa durchlebt gerade Ähnliches. Sie ist völlig fertig. Und sie ist nicht vier Jahre alt, sondern siebzehn. Das heißt nicht, dass es bei dir weniger schlimm war. Ich meine nur, dass Isa sich für immer erinnern wird. An das Gefühl, fünfzehn Prozent zu haben, an den Schock, diese zu verlieren und an die Zeit, in der sie sich an die Dunkelheit gewöhnen muss."
Kurz schweigt sie. Dann: „Du hast Recht. Du hast mehr als Recht. Ich darf nicht so dämlich sensibel sein. Egal, was Isa jetzt macht, es rechtfertigt alles. Und ich sitze da, mache mir Gedanken über das, was sie gesagt hat und über das, was sie nicht gesagt hat. Dabei braucht sie mich jetzt mehr als je zuvor. Und ich spiele hier die beleidigte Leberwurst."
„Fahr' zu ihr." Tiff schlüpft in die Jacke, plötzlich hastig. „Bin schon auf dem Weg. Bye, und... Danke.", sie legt auf, wirft das Telefon aufs Bett und springt die Stufen hinunter. Fast verfehlt sie eine, strauchelt, fängt sich am Treppengeländer. „Lux! Ich brauch dich jetzt, kannst du mich spazieren führen?" Der Hund kommt angerannt, hechelnd, freudig. Rasch legt sie ihm das Geschirr an. „Mama, ich geh kurz zu Isa!", ruft sie, wartet keine Antwort ab, öffnet die Tür.
„Avanti", sagt sie zu Lux und er läuft los, sicher und immer an ihrer linken Seite. Sie folgt seiner Bewegung, spürt die Veränderung des Untergrunds und gibt ihm den Befehl, die Richtung zu ändern. So laufen sie schweigend, Mensch und Tier gleichwertig, ein Team auf sechs Beinen.
Irgendwann biegen sie in Isas Einfahrt ein. Tiff presst den Finger auf den Klingelknopf, Isa macht auf: „Tiff.", sie klingt entschuldigend und schwach. Tiffany bückt sich, nimmt dem Hund das Geschirr ab, „Libera", murmelt sie in sein Ohr. Er darf sich jetzt entspannen und hat Freizeit. Sofort begrüßt er Isa stürmisch, springt an ihr hoch und schlägt mit dem Schwanz gegen ihre Beine. „Hallo, du großer! Schön, dass ich dich treffe. Du bist ein braver Hund, nicht wahr?"
Sie wuschelt über seinen Kopf, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Tiff. „Es tut mir so leid." Tiffany hört die Tränen hinter den Worten. „Nein, nein.", sie läuft die Treppenstufen nach oben, macht die restlichen Schritte zu Isa und drückt sie fest. „Es tut mir so leid, was ich gesagt habe.", Isa weint jetzt richtig, die Tränen fallen in Tiffs Haare, verfangen sich in ihnen, wie Regentropfen im Spinnennetz.
„Da seh' ich deine Umrisse so ohne Mühe die Stufen nach oben gehen. Und dann-", sie schluchzt, zieht die Nase hoch. „Und dann sage ich, dass ich nicht werden will wie du." „He, ist okay, wirklich, ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen."
„Es tut mir so leid. Ich wäre froh, wenn ich so sein würde wie du. So eigenständig und frei und lebenslustig." Tiffany befreit sich aus der Umarmung. „Na, na gib' mir nicht noch mehr Komplimente, ich werd' noch ganz eingebildet." Sie lacht. Isa versucht es ebenfalls. Lux bellt.
„Er möchte auch Aufmerksamkeit.", schmunzelt Tiff und streichelt ihm über den Nasenrücken. „Sag mal, Isa, sind Hunde im Haus erlaubt?" „Nur gute Jungs.", bemerkt Isa streng, dann lacht auch sie. „Hast du gehört? Du darfst mit rein." Sie drei betreten das Haus, Tiff hängt Jacke und Hundegeschirr an einen Kleiderhaken. Zwölf Stufen später empfängt Isas Zimmer sie mit blumigem Duft. Sie setzen sich aufs Bett, Lux rollt sich zu ihren Füßen zusammen. „Willst du drüber reden?", Tiff stellt sich den Hund vor, wie er da liegt, die Schnauze vielleicht zwischen den Pfoten und auf dem Teppich plattgedrückt. Ruhig atmend, beruhigend. Sie übernimmt seinen Rhythmus.
Einatmen, Ausatmen. Isa lässt sich nach hinten fallen, starrt an die Decke.
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