Kapitel 21
Seitdem das Schmerzmittel beruhigend durch ihre Adern wallt, ist alles anders. Sie fühlt sich leicht und voller prickelnder Erwartung. Als hätte sie Sekt getrunken und die Kohlenstoffdioxidbläschen würden sie wie winzige Heliumluftballons schweben lassen. Nicht weit über den Boden, aber doch über dem Boden. Eine Tür geht auf. Vor Aufregung zuckt sie zusammen und setzt sich gespannt auf.
„Guten morgen, Tiffany, wie geht's uns heute?" Die Schwester ist nicht allein, die sie begleitenden schlurfenden Schritte kennt sie nicht. Der Mann stellt sich als Psychiater vor, der sie unterstützen wird, denn es sei ein „unkalkulierbarer Moment", der auf Tiff wartet. Das ist wahr, niemand weiß, wie sie reagieren wird, am wenigsten sie selbst. „Sind Sie bereit?" Wieder die gleiche Frage, aber diesmal stimmt sie heftig zu.
Kühle, nach Desinfektion stinkende Finger berühren ihre Wange, stützen sich ab. Daumen und Zeigefinger drücken vorsichtig ihre Nägel unter die Klebestreifen. Sobald die Schwester eine Ecke zu fassen bekommt, zieht sie daran. Der Kleber ziept an ihren Wimpern, reißt an den wunden Augenlidern.
Vier Streifen auf jeder Seite verlieren den Kontakt zu ihrer Haut. Die Augenlider fühlen sich seltsam an, die Schwere hat sich verflüchtigt und gleichzeitig spürt sie immer noch das Rupfen des Klebers. Sie lässt die Augen geschlossen. Ihr Herz flattert durch den Brustkorb wie ein gefangener Kolibri, der mit den hochfrequenten Flügelschlägen ihre Eingeweide kitzelt. Tiff saugt die Luft laut ein, stößt sie hauchend wieder aus.
„Tiffany. Ich möchte, dass Ihnen klar ist, dass dies stark gedimmte Lichtverhältnisse sind. Die Vorhänge sind zugezogen worden, und auch das Licht ist ausgeschaltet, deswegen werden Ihnen Farben matt vorkommen. Ich bitte Sie, die Augen nur kurz zu öffnen, es darf auf gar keinen Fall zu einer Reizüberflutung kommen. Diese könnte die Heilung gefährden und zu psychischen Problemen führen. Sobald Ihre Migräne schlimmer wird, müssen Sie Ihrem Gehirn sofort eine Pause gönnen. Etappenweise werden wir die Sehzeit erhöhen. Sie sollten mir genau zuhören, sobald Sie die Augen öffnen. Haben Sie alles verstanden?" Tiff nickt, reden kann sie nicht mehr. „Dann beginnen Sie jetzt"
Ein Startkommando für einen müden Sprinter.
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