Kapitel 2,5
Tiff trägt sie, behutsam und liebevoll, wie ein Baby. Legt die kompakte Schwere auf den Tisch, der so unmittelbar vor ihr ist, dass sie ihn mit den Fußzehen berührt. Sie zieht den Verschluss auf. Die feuchte Luft entweicht, legt sich auf ihr Gesicht, eine zweite Haut, erdiger Geruch steigt ihr in die Nase. Sie atmet tief ein, hält die Luft an. Diesen Geruch liebt sie, wie andere Menschen den von Benzin oder wieder andere den von modrigen Kellern. Sie lässt den Atem wieder frei.
Dieser Duft von frischem Ton ist ihr so vertraut, wie einem Maler seine Farben. Er erinnert sie an Lehmboden nach einem Sommerregen. Sie füllt eine Schale mit Wasser, befeuchtet ihre Hände, zieht den Block aus der Tüte heraus. Mit Zeigefinger und Daumen misst sie die Mitte der Töpferscheibe, platziert den Ton darauf.
Das Brummen der Scheibe ist ihre Musik, zu der ihre Hand jetzt zu tanzen beginnt. Nur Tiff kennt die Bewegungen, vorsichtig und fein, und doch stark genug, um das zähe Material zum Gleiten und Formen zu überreden. Mit geschlossenen Augen steht sie da, den Boden so fest unter den Füßen, wie der Ton die Töpferscheibe. Sie wiegt den Kopf, ihre Hände drehen, streicheln, dehnen. Und doch zerreißen sie nichts, der Ton bleibt geschmeidig und glatt. Mit den Fingern zieht sie glitschiges Material nach oben, baut einen Turm. Beide Handflächen liegen auf dem drehenden, atmenden, lebenden Ton, sie spürt den Schmerz ihres verletzten Armes nicht. Sie ist gleichzeitig Architekt, Bildhauer, Maler und Dichter. Dichter, der nicht durch Worte berührt, sondern durch Form.
Nur sie und das Material, nur sie und die Kunst. Ihre Gedanken frei.
Sie liebt das Töpfern, so fühlbar und echt, so vorstellbar, dass sie das Türmen und Fallen fast sehen kann. Langsam und vorsichtig bewegt sie die Zeigefinger über den Hals aus Ton, spürt die richtige Stelle. Drückt bedächtig Fingerspitzen hinein, bewegt sie auseinander, höhlt den Hals aus. Der Hals dünn und lang, der Bauch ausgebuchtet, eine Vase, an einen Schwan erinnernd.
Tiff schaltet das Brummen ab. Sie malt sich aus, wie der Schwan aufhört, sich zu drehen, auch er hat seinen Tanz vollendet. Mit dem Handrücken wischt sie sich den Schweiß vom Gesicht, spürt Tonreste an der Stirn. Vorsichtig hebt sie den Schwan auf, bringt ihn zum Ofen. Sie wird ihn verbrennen und er wird danach noch mehr leuchten. Haltbar und fest. Vorsichtig schiebt sie die Vase in den Ofen, stellt die Gradzahl und Backzeit ein. Der Ofen wird sich alleine abschalten, wenn der Schwan in seiner ganzen Schönheit erstrahlt.
Zufrieden und glücklich tritt sie den Rückweg nach oben an.
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