
Kapitel 18,1
Ihre Mutter fährt. Die Hände beben so sehr, dass sie das Lenkrad leicht hin und her drehen. Tiff spürt es in der Bewegung des Autos, minimal schlingernd. Hektisch wählt sie erneut Marcs Nummer. Nur die Mailbox hört ihr zu, sie legt auf. Verdammt, Marc, ich brauch' dich jetzt. Sie will es nicht zugeben, aber sie hat Angst. Angst vor der Operation, von der sie so viele Jahre träumt. Ihr Atem ist abgehackt, als könne sie nicht das gesamte Lungenvolumen ausschöpfen.
Was, wenn es nicht funktioniert? Tiff könnte diese Enttäuschung nicht überstehen. Dafür ist die Hoffnung jetzt viel zu mächtig. Mit zusammengekniffenen Augen presst sie ihr Gesicht in das Fell auf ihrem Schoß, eine Zunge leckt ihr über die Wange. Sie zwingt sich, tief einzuatmen, Haare fließen mit der Luft in ihre Nase. Ruhig, ruhig.
Das Auto bleibt stehen, der Motor schnurrt weiter, ein eingesperrter Löwe. Ihr Kopf schnellt hoch. „Sind wir da?", die Wörter klingen seltsam, trocken, ihr fehlt die Spucke. Es ist anstrengend und braucht viel Konzentration einen Satz zu formen. „Nein", atmet ihre Mutter aus. „Eine Baustelle?" „Nein, ein Unfall." Sie setzen ihre Fahrt fort. Tiff kann kaum denken. Alles ist verschwommen und sobald sie eine Überlegung festhalten will, verblasst sie in schwerem Nebel. Ja, der füllt ihren Kopf aus, hat sich in ihr Gehirn gesetzt, dringt aus allen Ecken, verdichtet sich. Plötzlich schießt ein Gedanke durch den Nebel. Er blitzt kurz auf und sie kann ihn greifen. Sie fragt sich, ob sie beten soll. Bis jetzt hat sie nicht an einen Gott geglaubt und wenn es ihn gäbe, wäre es ziemlich falsch, sich nach siebzehn Jahren bei ihm zu melden.
Plötzlich erstirbt der Löwe. Ihre Mutter will aussteigen, wird zurückgeworfen, sie hat vergessen, sich abzuschnallen. Tiff macht die beiden Gurte los, öffnet die Tür. Ein paar Sekunden denkt sie, sie müsste sich übergeben, aber dann sackt ihr Magen wieder zurück. „Bis...bis dann.", sagt sie zu Lux, der im Auto bleiben muss und gibt ihm einen Kuss auf die lange Nase. „Vermiss' mich nicht zu sehr, dann werd' ich's auch nicht tun" Eine kleine Träne kitzelt ihre Wange, für den Fall, dass sie Lux nie wieder umarmen kann.
Behutsam schließt sie die Autotür. „Bereit?", ihre Mutter greift nach Tiffs Hand. Schweiß vermischt sich. Sie antwortet nicht, wie soll man jemals derartig bereit sein? Als die Krankenhaustüren aufgleiten, bleibt das Herz stehen.
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