Kapitel 14,1
Plötzlich bewegen sich Tiffanys Beine.
Bevor sie es will, rennt Tiff los. Nicht sie jagt den Wind, der Wind jagt sie. Im Rennen kickt sie die Schuhe von den Füßen. Sie hört das raunende Rauschen des Meeres. Als wolle es ihr ein Geheimnis zuflüstern, dass nur sie verstehen würde.
Es ist schwer, im tiefen, feuchten Sand zu rennen, immer wieder knickt sie um, fängt sich. Sie wird nicht langsamer. Die Wellen murmeln sanfter, je näher sie ist, und Vögel schreien über ihrem Kopf. Sie ist sich sicher, dass es Möwen sind. Der Sand unter den nackten Fußsohlen wird nasser, diesmal nicht wegen dem vorherigen Regen.
Lange, schreitende Tritte. Im Kopf nur brechende Wellen. In den Augen Tränen. Laufen über. Klammern sich ans Kinn. Noch ein Schritt. Wasser schießt um ihre Haut. Die Tränen fallen. Wasser zu Wasser. Salz zu Salz.
Das Meer raubt ihr den Atem. Die Kälte lässt sie weiter Luftholen. Die Teilchen Meerwasser berühren ihr Herz, sanft stechen sie hinein, Eiszapfen der Schönheit.
Ein Arm streicht über ihren Rücken. „Es ist wunderschön", flüstert Tiff, immer noch mit überschwemmten Augen. Sie spürt Marcs Blick, sein herzliches Lächeln in einem Wimpernschlag. Sie spürt das Meer, eisiges Wasser um ihre Waden. Sie spürt die Haare im Mund, schmeckt kristallisiertes Salz.
Jetzt versteht sie, was Goethes Faust gemeint hat. Genau das fühlt sie mit jeder Faser ihres Körpers und am liebsten würde sie es dem Augenblick durch den Wind zurufen: ,Verweile doch! Du bist so schön!' Marc dreht ihr Kinn zu sich, sie spürt seinen Atem an der Wange. Er beugt sich über sie, sieht in ihren leeren Blick und scheint dort alles zu finden. Sie küssen sich. Die Wellen schlagen vorsichtig gegen ihre Beine. Die Kälte hat die Haut so betäubt, dass das Stechen tausender Kristallnadeln verschwunden ist.
Lux platscht neben ihnen ins Meer, schlabbert mit der Zunge durchs Wasser, bellt verwundert, als würde er sich fragen, warum es so anders schmeckt. Sie lachen.
Eine Weile verharren sie, Stirn an Stirn, die Lippen wenige Zentimeter voneinander entfernt. Isa watet neben Tiff, Dennis neben sie. So stehen sie, als würden sie in der Ferne etwas erkennen. Als wären sie Gestrandete auf einer Insel und über das Meer nähere sich ihre Rettung.
Irgendwann kehrt das Gefühl in den gefrorenen Beinen zurück, heftiger, als zuvor. „Scheiße, ist das kalt!", entfährt es Isa, sie schüttelt ihren Fuß in der Luft, wechselt dann zum anderen. Wasser wird mitgeschleudert und vereinigt sich wieder mit einem knisternden Geräusch. „Nee, Leute, ich muss raus.", Isa dreht um und flieht humpelnd zurück zum Strand.
Stumm, aber angefüllt mit Glück wischt Tiff sich über die Augen und rennt Isa hinterher.
Wenig später schüttelt sie die Picknickdecke auf, doch ständig erfasst eine Böe sie und lässt sie flattern wie eine gefangene Gans. Bevor sie sich niedersetzen können, ist die Decke wieder umgeklappt. Kichernd hält schließlich jeder eine Ecke mit seinem Gewicht fest. Lux thront in der Mitte. Es ist kalt, die Sonne kommt kaum gegen den Wind an, der durch Tiffs Haare greift, eine luftige Hand. Er zerschüttelt die Strähnen, will sie mit sich ziehen und hat letztlich doch nicht die Kraft. Isa zieht ihr Kleid aus und legt sich bäuchlings auf die Decke. Tiffany macht es ihr nach. Gänsehaut zieht sich über ihre Arme.
„Gut, dass wir Sonnenspray dabei haben", scherzt Dennis. „Passt auf, dass ihr keinen Sonnenbrand bekommt!", mahnt Marc lachend. „Hört auf!", ruft Tiff, „die UV-Strahlen kommen trotzdem durch." Isa stimmt ihr grinsend zu. „Na, dann muss ich dich einsprühen!", meint Marc im Tonfall einer überfürsorglichen Mutter. Gleichzeitig nimmt er das Fläschchen und sprüht kaltes Sonnenspray auf Tiffs Rücken. „Marc!!", sie wehrt sich, tritt, er weicht aus. „Marc!", kreischt sie noch einmal, als er das Zeug verreibt. Sie gibt auf. „Jetzt bist du optimal geschützt", meint er zufrieden. Isa dreht sich um und warnt Dennis davor, Ähnliches bei ihr zu tun.
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