3.
Maria sagt nichts, während der Fahrt.
Aber ich bin mir absolut sicher, dass sie mich verurteilend ansieht.
,,Mammina, ich habe keinen Alkohol getrunken.", brumme ich genervt, obwohl das theoretisch gesehen nicht stimmt, weil ich sehr wohl einen Schluck hatte.
Maria sieht mich skeptisch an.
Ihre wilden, zotteligen Locken werden durch ein grünes Kopftuch gebändigt, was man normalerweise wohl zur Gartenarbeit tragen würde. ,,Ich hab doch nichts gesagt.", murmelt sie in einem gespielt gleichgültigen Ton, der soviel bedeutet wie: Ich glaube dir kein Wort, du hast bestimmt Alkohol getrunken und ich verurteile dich dafür.
Maria ist eigentlich nur eine Angestellte in unserem Haus. Nachdem meine Mutter vor Jahren verschwunden ist, hat mein Vater Merja als Nanny eingestellt. Aus irgendeinem komischen Grund verstehen die beiden sich nicht sehr gut. Jedes Mal, wenn Maria beiden im selben Raum sind, wird die Temperatur im Raum zehn Grad kälter.
Ich habe keine Ahnung, wieso. Vielleicht kommt mein ruhiger, beherrschter Vater nicht mit Maria's italienischem Temperament klar.
Aber natürlich könnte mein Vater Maria niemals feuern. Sie ist wie eine zweite Mutter für mich. Ich liebe sie sehr und unsere Beziehung ist eine der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Maria ist eine liebevolle, verlässliche Frau. Sie ist klein und ein bisschen pummelig und sie trägt mit 30 schon Oma-Kleidung, aber ich hab sie trotzdem lieb. Ihre Tapas sind legendär und sie hat mir alles beigebracht, was ich in der Küche zustande bringe.
Leider ist sie auch sehr beschützend, streng und hat recht konservative Ansichten darüber, wie Jugendliche sich kleiden und benehmen sollten. Deshalb kommt es dann natürlich auch oft zu Streit zwischen uns. Obwohl ich ihre Ansichten für veraltet und rückständig halte, versuche ich ihr immer entgegenzukommen. Schließlich meint sie es nicht böse.
Als das Auto stehen bleibt, steige ich erleichtert aus. Die leichten Kopfschmerzen sind durch das Autofahren schlimmer geworden, aber das ist nicht sonderlich überraschend. Ohne auf Maria zu warten, schlürfe ich über den Asphalt ins Haus. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Ich bleibe kurz stehen, um die Schuhe auszuziehen und hebe diese dann hoch. Oben in meinem Zimmer angekommen, pfeffere ich sie in eine Ecke und lasse mich auf mein weiches Bett fallen.
Ich liege eine Weile nur da und atme tief ein und aus in der Hoffnung, den Schmerz wegzuatmen. Der Abend war anstrengend für mich und das merke ich auch daran, wie mein Körper darauf reagiert. Ich bin müde, meine Augen, meine Arme, mein Rücken-
Alles fühlt sich schwer und verspannt an. Ich will einfach nur schlafen. Meine Augenlieder flattern allein beim Gedanken und kurz denke ich drüber nach, einfach hier und jetzt einzuschlafen, ohne mich umzuziehen, mir die Zähne zu putzen und meine Skincare-Routine durchzuführen. Dabei bin ich sonst immer sehr diszipliniert, wenn es um meine abendliche Routine geht. Meine Haut ist mir sehr wichtig. Dennoch- ich bin unglaublich müde.
Bevor ich einschlafen kann, klopft es leise an der Tür.
Maria kommt still ins Zimmer und stellt eine Schüssel Früchte auf meine Kommode. Misstrauisch mustere ich sie. ,,Du hast doch nicht schon wieder meinen Kachmirpullover in die Waschmaschine getan. Ich habe dir tausendmal gesagt, dass Kaschmir selbst im Schongang eingeht.", meckere ich und Maria verdreht genervt die Augen.
Wenn einem Maria eine Schüssel mit geschnittenen Früchte in mein Zimmer bringt, dann heißt das meistens, sie will sich entschuldigen. Als wir unseren erste großen Streit hatten darüber, ob ich mit vierzehn einen Burberry-Minirock zur Schule tragen darf, hat sie mir am Abend Erdbeeren ins Zimmer gebracht.
Als sie versehentlich Blaubeersaft über meinen Laptop geschüttet hat, habe ich eine Schüssel mit kleingeschnittener Honigmelone bekommen. Es ist fast schon ein kleines Ritual. Es ist typisch Maria, sich mit Früchten zu entschuldigen.
,,Es tut mir leid, dass ich dich wegen der Party nicht mehr unterstützt habe. Ich finde es gut, wenn du mehr mit Leuten in deinem Alter unternimmst.", gesteht Maria mit einem Seufzen und setzt sich zu mir auf die Bettkante. Ich erinnere mich noch lebhaft an den Streit gestern Abend, aber nie im Leben hätte ich gedacht, dass sich Maria dafür entschuldigen würde.
Als ich ihr erzählte, dass ich auf eine Party gehen will, war sie richtig enttäuscht von mir. Sofort hat sie angefangen mich zu belehren, wie gefährlich solche Party's sind. Und wie immer, wenn es um sowas geht, fängt sie an Geschichten zu erzählen, über Mädchen in meinem Alter, die ausgegangen sind und deshalb dann verschleppt und getötet wurden.
Ich finde das ja immer richtig blöd von ihr. Nur weil den armen Mädchen in den Nachrichten was Schlimmes passiert ist, heißt das nicht, dass ich auch entführt oder vergewaltigt werde. Das erscheint mir doch recht unwahrscheinlich. Ich bezweifele, dass jeder der auf eine Party geht, dort stirbt.
Außerdem hasse ich es, dass sie mir dann auch wirklich diese Angst einredet. Manchmal bin ich richtig paranoid, wenn ich das Haus verlasse, weil sie mir Flausen in den Kopf setzt. Mir kommt es dann immer so vor, als würde sie mich gewollt manipulieren, damit ich nicht zu Partys gehe. Aber ich kann ja schließlich nicht für immer in meinem Zimmer bleiben. Was wäre das denn für ein Leben?
Überhaupt geht das alles viel zu weit.
Ich und Maria stehen und zwar unglaublich nah, aber sie ist nicht wirklich meine Mutter und letztendlich geht es sie nichts an, was ich in meiner Freizeit mache.
Ich bin alt genug, um solche Entscheidungen für mich zu treffen und wenn ich auf eine blöde Party gehen möchte, ist das auch gut so. Und dann sollte sie mir nicht Angst und Schuldgefühle einreden, damit ich nicht hingehe. Letztendlich ist es meine Entscheidung.
Mittlerweile höre ich einfach nicht mehr hin, wenn sie versucht mich zu belehren, aber gestern Abend gab es richtig Krach und wir sind alle wütend schlafen gegangen. Trotzdem hatte ich keine richtige Entschuldigung von ihr erwartet, sondern nahm an, wir würden den Streit einfach vergessen.
Als ich heute morgen in die Küche ging, hat sie mir schweigend das Frühstück auf den Tisch gelegt und das war's. Sie hat sich zwar zu mir gesetzt und mit mir gegessen, wie sonst auch. Aber sie hat kaum etwas gesagt. Es war sehr still und unangenehm.
Als ich dann zur Tür rausging, wünschte sie mir zwar noch einen schönen Tag, aber ihr Ton war irgendwie frostig. Ich hatte vor es einfach zu ignorieren, aber ich bin froh, dass sie jetzt doch drüber reden möchte und sich sogar entschuldigt hat.
Auch wenn diese Entschuldigung recht spät kommt.
,,Priya?", ihre Stimme klingt auf einmal ein bisschen anders. Ein bisschen rauer als sonst. ,,Ja?", erwidere ich. ,,Ich mache mir nur Sorgen um dich.", sie seufzt leise. Ich streiche ihr sanft mit der Hand über den Arm. ,,Ich weiß. Aber manchmal erdrückst du mich mit deinen Sorgen.", sage ich sanft. Ich mustere die Falten in ihrem Gesicht, ihre gerunzelte Stirn, das Muttermal an ihrem Hals. Es sind die kleinen Details, die meinen Blick einfangen. Die kleinen Details, die sie ausmachen. In diesem Moment habe ich sie unglaublich lieb und verstehe, wie hart es sein muss, sich allein um eine Jugendliche zu sorgen und wie anders es hier ist, als in ihrer Heimat.
Sie streicht mir sanft über mein Haar.
,,Verzeihst du einer alten, senilen Frau, die nur das Beste für dich wollt?", fragt Maria mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.
Ich will ja sagen und sie in den Arm sagen, aber mein Mund öffnet sich automatisch und sagt sarkastisch: ,,Nein, ich werde dir niemals verzeihen und ich will dich nie wieder sehen."
Maria sieht mich böse an und schnippst mir als Strafe mit den Finger gegen die Stirn.
,,Teenager sind furchtbar.", murmelt sie mehr zu sich selbst als zu mir.
,,Geh schlafen."
Sie steht schwerfällig auf und tappst nach draußen. Sobald die Tür zufällt, gehe ich natürlich nicht schlafen, sondern greife nach meinem Handy.
Es ist dunkel und nur das Licht von meinem Bildschirm erleuchtet den Raum. Meine Kopfschmerzen sind noch schlimmer geworden. Ich scrolle noch einmal durch die Bilder, die Bonnie geschossen hat und poste eines in meiner Story.
Danach sehe ich mir eine Weile lang meinen Feed an. Je länger ich an meinem Handy bin, desto ausgelaugter fühle ich. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre einfach frei.
Ich sehe mir meine Nachrichten an. Ich kenne niemanden so richtig. Ich habe keine richtig engen Freundschaften, nur Bekannte- So unglaublich viele Bekannte, die sich um mich scharen, dass ich gar nicht genug Zeit habe enge Freundschaften zu schließen.
Es ist als würde ich voll viele Menschen nur ein bisschen kennen. Dabei würde ich lieber wenige Menschen richtig gut kennen. Macht das Sinn?
Irgendwann lasse ich das Handy neben meinem Kopfkissen liegen.
Mittlerweile brummt mein Kopf wie wild. Es tut unerträglich weh. Statt Schmerztabletten suchen zu gehen, schließe ich einfach meine Augen und hoffe, dass es bald weg ist. Manchmal kuriert eine Runde Schlaf alles aus. Ich schließe die Augen ganz fest und versuche die Schmerzen so gut wie möglich zu ignorieren, aber es geht einfach nicht. Der Schmerz pulsiert in meinen Schläfen. Ich wälze mich hin und her. Vielleicht sollte ich doch aufstehen und mir eine Schmerztablette holen, aber ich bin so müde, so energielos. Ich liege noch eine Weile da, bis ich in einen unruhigen Schlaf abdrifte.
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