11.
Während ich ihn unverfroren mustere, fällt mir auf, wie elegant seine Bewegungen sind.
Finn steht hinter dem Thresen und putzt Gläser mit einem kleinen Tuch aus blauem Stoff. Konzentriert rubbelt er an einem Fleck von der Außenseite eines großen Glases, während ich auf einem robusten, hölzernen Barhocker vor dem Thresen sitze und ihn beobachte. Er bewegt sich auf einer sehr zierlichen Art und Weise. Er hebt den Kopf sanft, wenn ein Geräusch von außen ihn aufhorchen lässt. Er dreht sich langsam und ruhig nach hier und da.
Keine seiner Bewegungen wirken ruckartig und abrupt.
Wieder fällt mein Blick auf sein Auge. Jetzt, im hellen Licht der Wandleuchten, sieht es fast unheimlich aus.
Milchig weiß ist es und manchmal wirkt es tatsächlich so, als könnte er dadurch sehen, aber sicher bin ich mir nicht.
Ich frage mich, wie ihm das passiert ist. Ob es angeboren ist? Oder eine Verletzung, die er sich irgendwann zugezogen hat?
,,Trink, bevor es kalt wird.", sagt er mit sanfter Stimme ohne Aufzusehen, während er noch immer das Glas putzt. Ich betrachte die große, blaue Porzellantasse, die mit heißer Schokolade befüllt ist. Sogar mit Sahne und einem Keks.
Dabei fühle ich mich wie ein kleines Kind. Irgendwie ist es mir peinlich. Ich weiß zwar nicht wie alt er ist, aber ein paar Jahre älter ist er bestimmt, wenn er schon mit der Schule fertig ist. Ich will nicht, dass er mich für ein kleines Kind hält. Selbstverständlich hätte ich es lieber, wenn er mich als attraktive, junge Frau wahrnimmt. Schließlich bin ich schon volljährig.
,,Kannst du mir nicht einfach einen Kaffee machen?"
Ohne auf eine Antwort abzuwarten, nehme ich einen Schluck aus der Tasse. Er hat sogar Zimt rein gemacht, fällt mir auf.
,,Es ist viel zu spät für Kaffee."
Er hat etwas Mütterliches an sich. Die Art und Weise, wie er sanften Tadel ausspricht. Obwohl ich ihn kaum kenne, habe ich so ein Gefühl, dass mir sagt, ich weiß genau was für eine Art von Person er ist.
Die Katzen liegen mittlerweile in einer großen Decke, die Finn mühsam zu einem Nest geformt hat, eng aneinander geschmiegt und schlafen.
Hier und da hört man aber immer noch ein leises Mauzen. Sie sind wirklich süß.
Aber viel zu klein. Ich frage mich, wo die Mutter ist und wie die Katzen ohne überleben sollen.
Sie zittern auch leicht. Ich krame in meinem Rucksack rum und finde einen Burberry-Schal aus Seide.
Er ist elfenbeinfarben und für einen kurzen Moment hadere ich mit mir, weil er verdammt teuer war und ich dir Katzenhaare wohl niemals wieder abkriegen werde. Letztendlich stehe ich aber doch auf, gehe in leisen Schritten zu dem kleinen Katzennest und breite den Schal über sie aus. Ich achte genau darauf, die Gesichter der Kätzchen nicht zu verdecken, damit sie problemlos atmen können.
Für einen kurzen Moment verharre ich so. Sie sehen süß aus, mit den kleinen Ohren und den Tatzen.
,,Ich hoffe, die wissen zu schätzen, dass sie mit einem Designer-Schal zugedeckt worden sind.", murre ich leise. Die Katzenhaare kriege ich definitiv nie wieder ab. Trotzdem empfinde ich Befriedigung dabei, die zugedeckt schlafen zu sehen. Es freut mich irgendwie, dass ich ihnen helfen konnte. Ich habe ein angenehmes Gefühl im Bauch, bei dem Gedanken, dass ich dafür gesorgt habe, dass sie ein kleines bisschen weniger frieren.
Als ich mich umdrehe, steht Finn da. Er steht noch immer an der selben Stelle, hat das Glas und den Lappen nun aber weggelegt und mustert mich unverhohlen mit einer Mischung aus Bewunderung und Faszination. Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln.
,,Was ist?", frage ich ein bisschen verblüfft, weil er mich noch nie so angesehen hat. Eigentlich, so denke ich mir, hat mich noch nie jemand so angesehen.
Er legt den Kopf schief. Dabei fällt ihm eine dunkle Haarsträhne vor das erblindete Auge.
,,Nichts, es ist nur...", er stockt, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Ich warte darauf, dass er den Satzt beendet, aber es kommt nichts mehr.
Nachdenklich klopft er mit den Fingern auf dem Thresen und meidet meinen Blick.
,,Du solltest nach Hause gehen. Es ist spät.", bei diesen Worten schaut er wieder vom Thresen auf und sieht mich an. Jedes Mal, wenn er mir direkt in die Augen sieht, verliere ich für einen kurzen Moment den Fokus und muss daran denken, wie cool und sonderbar der Kontrast zwischen seinem dunklen und seinem hellen Auge ist. Ich schüttele den Kopf.
,,Ich bin nicht müde.", murmele ich leise, was eine Lüge ist. Ich bin sehr wohl müde, aber ich habe Angst davor nach Hause zu gehen.
,,Wieso willst du wirklich nicht nach Hause gehen?", er sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Ich seufze. Ich war nie eine besonders gute Lügnerin, also sieht er mir wohl an, dass ich eigentlich schon recht müde bin.
Für einen kurzen Moment hadere ich mit mir selbst und überlege, was ich sagen könnte.
Letztendlich entscheide ich mich für die Wahrheit.
,,Ich habe Alpträume. Über Feuer.", gestehe ich vage. Wie automatisch gleitet mein Blick zu meinen verletzten Handflächen, die noch immer geschwollen sind. An manchen Stellen ist die Haut abgeblättert.
Finns Blick folgt meinen und verharrt ebenfalls bei meinen verletzten Händen.
Sanft greift er, über den Thresen hinweg, nach meinem Handgelenk und beugt sich nach vorne.
,,Armes Mädchen.", murmelt er, noch immer meine rechte Handfläche inspizierend.
Er hebt den Kopf um mich anzusehen und fügt mitfühlend hinzu: ,,Du musst Angst gehabt haben."
Diesmal senke ich den Kopf um seinen Blick zu meiden. Obwohl ich erleichtert bin, dass er so mitfühlend reagiert, beschämt es mich gleichzeitig.
Ich mag es nicht, wenn andere mich ansehen, als wäre ich zu bemitleiden.
Ich könnte den ganzen Abend hier stehen und rätseln und überlegen, wie ich die Fragen in meinem Kopf kläre, aber ich bin müde, es ist spät und ich fühle mich ausgelaugt und nicht dazu in der Lage, sensibel aufzuhorchen und auf einer subtileren Art und Weise herauszufinden, ob er etwas über mich weiß.
Ich atme tief ein und hebe den Kopf um ihn ernst anzusehen. ,,Weißt du, was ich bin?", frage ich durchdringend. Ich schaue ihn unbeirrbar an, als könnte jedes Zucken in seiner Miene seine Gedanken verraten. Obwohl ich eigentlich erwartet hatte, dass er verwirrt reagiert, antwortet er mit einer Gelassenheit, die wiederum mich verwirrt.
,,Ja.", sagt er sofort, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. ,,Jetzt habe ich eine Frage."
Seine Augen funkeln bei diesen Worten.
Er legt die Hände ruhig auf den Thresen, beugt sich noch weiter nach vorne und sieht mich ganz genau an.
,,Weißt du, was du bist?"
Sein Gesichtsausdruck ist immer noch sanft und freundlich, aber da liegt eine gewisse Neugier in seinem Blick, die vorher nicht da war.
Ich schüttele nur stumm Kopf. Bei dem Gedanken daran, dass er tatsächlich alle Antworten hat, die mir fehlen, dreht sich alles in meinen Augen.
Fast möchte ich kehrt machen, ohne auch nur ein weiteres Wort mit ihm zu sprechen. Wochenlang habe ich darüber gerätselt, was ich sein könnte-
Was die Hörner, die Albträume, die magischen Kräfte bedeuten könnten. Jetzt die Antwort genau vor meiner Nase zu haben, ist beängstigend.
Was bin ich?
Die Frage liegt mir schon auf der Zunge, aber ich traue mich nicht, die Worte auszusprechen.
Ich zupfe nervös an dem Ärmel meines Pullovers rum.
,,Bin ich ein Monster?", frage ich.
Meine Stimme klingt mittlerweile ängstlicher als zuvor. Ich schließe die Augen, als würde ich mich auf einen Schlag wappnen. Der Schlag kommt nicht.
Finn lacht leise. ,,Das habe ich dir doch schon bei unserer ersten Begegnung gesagt. Du bist kein Monster, Priya."
Diese Worte sagt er so ernst und sanft, dass ich erleichtert aufatme und die Augen wieder öffne.
Ich bin also kein Dämon, kein Spukgespenst. Bei diesem Gedanken fühle ich mich so erleichtert, dass ich das Gefühl habe, dass ich mit all dem übernatürlichen Zeug irgendwie schon klar kommen werde.
,,Was bin ich?", frage ich und sehe ihn gebannt an.
Und auf einmal ist er nicht nur ein Typ in einem Café. Er ist die Antwort auf all meine Fragen. Er ist ein Mysterium. Ein Wunder.
Und ich starre ihn an, mit jeglicher Faszination die ich aufbringen kann.
,,Du entstammst einer Reihe von sehr noblen Engeln."
Ich öffne den Mund um was zu sagen, schließe ihn aber sofort wieder. Was soll ich auch zu so einer Neuigkeit sagen? Mein Herz schlägt wie wild.
Ein Teil von mir will das gar nicht glauben und findet mich total albern und dämlich dafür, das auch nur in Betracht zu ziehen.
Aber ich glaube ihm. Jedes Wort, das er sagt, spricht er mit einer solchen Ehrlichkeit aus, dass ich nicht anders kann, als ihm zu glauben.
,,Was bist du?", frage ich mit zitternder Stimme, als würde die Antwort auf diese Frage alles ändern.
Er ist schön. So unglaublich schön auf einer Art und Weise, die nie im Leben menschlich sein könnte.
Seine seltsamen Augen- Wie sein Haar fällt, seine Stimme, seine geschmeidigen Bewegungen.
Alles an ihm wirkt auf einmal unmenschlich.
Finn sieht mich zögerlich an. Ich kann an deinem Gesichtsausdruck sehen, dass er mit sich ringt, ob er es mir sagen soll oder nicht.
,,Ich war mal ein Engel", erzählt er mir mit leiser Stimme, ehe er sich von mir wegdreht, als könnte er meinen Blick keine Sekunde länger ertragen.
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